Der „Held“ des bosnischen Aufstandes

Textdaten
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Autor: Friedrich Franceschini
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Titel: Der „Held“ des bosnischen Auffstandes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 789–790
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der „Held“ des bosnischen Aufstandes.

Der bosnische Aufstand wider den Einmarsch der österreichischen Truppen ist von den letzteren nach harten Kämpfen siegreich niedergeworfen; aber der Schürer und Führer dieser blutigen Volkserhebung, der fanatische Insurgentenhäuptling Hadschi Loja, gehört für immer der traurigen Geschichte orientalischer Wirren an und wird nicht blos seinen Landsleuten, sondern auch der Armee Oesterreichs noch lange in der Erinnerung bleiben. Dem als Officier bei der Expedition der österreichisch-ungarischen Armee betheiligten Maler Franceschini verdanken wir ein keck hingeworfenes Bildniß dieses unstreitig interessanten kraftvollen Menschen, das wir unseren Lesern obenstehend in getreuer Nachbildung bieten. Dem vom 6. October datirten Begleitbriefe unseres Gewährsmannes, welcher in aller Kürze eine vollständige Charakteristik des Helden bietet, mögen hier die nachfolgenden Hauptstellen entnommen sein:

„Die Gefangennahme Hadschi Loja’s ist dermalen der allgemeine Gesprächsstoff in Bosnien. Von seinen eigenen Leuten verrathen und verlassen, wurde er am 3. October in Preces, ungefähr drei Stunden von Rogatica entfernt, zu Tode verwundet aufgegriffen. Man kann wohl sagen, daß mit der Verwundung des Loja die Seele des Aufstandes verloren ging, und gewiß wäre es unseren Truppen unter anderen Umständen nicht so leicht gewesen, Tuzla, Zwornik etc. in die Hände zu bekommen, wenn Loja’s ungebrochene agitatorische Kraft noch thätig gewesen wäre. Namentlich Tuzla hätte bei ernstem Widerstande noch große Opfer und sehr viel Blut gekostet, denn es ist in Folge günstiger Terrainverhältnisse und geschickt angelegter Vertheidigungswerke ungemein widerstandsfähig. Ich hatte Gelegenheit, während der zwei Tage, die Hadschi Loja in Rogatica zuzubringen [790] gezwungen war, beständig mit ihm zu verkehren, und muß gestehen, daß mir der Mann ganz dazu geschaffen schien, ein Volk für irgend eine Sache zu begeistern, ja zu fanatisiren. Von seltener Körpergröße und Hagerkeit, verräth seine Gestalt eine enorme Muskelkraft. Als Beweis seiner merkwürdigen Zähigkeit mag es gelten, daß er mit seiner schweren Wunde am linken Fuße ohne Hülfe und Verband fünfzig Tage lang existiren konnte und dabei nicht zu Grunde ging, ja, daß er bei alledem nichts von seiner Geistesfrische eingebüßt zu haben scheint. Sein Gesicht zeigt viel Intelligenz, und wie alle Orientalen begleitet er seine Reden mit überaus lebhaftem Mienenspiele. Seine großen, hellblauen Augen sind im Ausdruck bald milde wie die eines Kindes, bald blitzen sie in unheimlichem Feuer auf. Er gebietet über ein seltenes Rednertalent und über ein ungewöhnlich starkes Gedächtniß - den Koran weiß er von der ersten bis zur letzten Seite auswendig.

Auf das Höchste erstaunt und erfreut war er über die menschliche Behandlung, die ihm von unserer Seite zu Theil wurde. Er hatte in dem verhängnißvollen Irrthum gelebt, daß wir, gleich den Insurgenten selbst, überhaupt keine Gefangenen machen, sondern Alles, was uns in die Hände fällt, ohne Weiteres niedermetzeln. Ueberhaupt haben die Irrthümer und falschen Anschauungen dieses Mannes uns sehr viel Blut gekostet, und er selbst sagt, daß wohl Manches anders gekommen wäre, wenn er und seine Landsleute uns früher so gekannt hätten wie jetzt. Ergriffen von der humanen Behandlung, bot er sein Leben als Sühne an; man solle ihn, sagte er, als den Urheber und Irreleiter, jede Strafe, die man nur wolle, erdulden lassen, dabei aber bat er zugleich um Schonung für seine Glaubens- und Leidensgenossen.

Nach Aussage der Aerzte hätte eine Amputation des Fußes bald nach der Verwundung ihn noch retten können, aber jetzt wäre auch dieses Mittel so gut wie hoffnungslos, und zum Ueberflusse weigert er sich auch mit aller Entschiedenheit, die Amputation an sich vornehmen zu lassen. Nach seiner Angabe hat er sich den Schuß am Tage vor der Einnahme von Serajewo durch eigene Unvorsichtigkeit, als er von einem Minaret herabeilte, selbst beigebracht. Durch vierzig Tage nahm er keinen Tropfen Wasser zu sich, weil man ihm sagte, daß der Genuß desselben seiner Wunde schaden könne. Man kann sich demnach vorstellen, wie sehr seine Constitution herabgekommen war. Seine Nahrung ist auch dermalen eine sehr bescheidene; er begnügt sich mit etwas Kaffee, Zwetschen, Brod und Käse. Geistige Getränke berührt er als strenggläubiger Türke nicht, und seine Gebete verrichtet er trotz der enormsten Schmerzen auf das Gewissenhafteste. Sehr schwer war es, ihn zu bewegen, sich portraitiren zu lassen, da auch dies gegen den Koran verstößt. Nur die Dankbarkeit für die ihm gewidmete Theilnahme und Fürsorge bestimmte ihn schließlich doch nachzugeben; seine Unterschrift setzte er selbst ohne vieles Zureden unter sein Bild. Erwähnt sei, daß er nach seiner bestimmten Aussage vorher noch niemals portraitirt worden ist und daß demnach alle von ihm früher erschienenen Zeichnungen reine Phantasiegebilde waren. Anzunehmen ist jedoch, daß nun, nachdem einmal seine Scheu überwunden ist, er noch oft abconterfeit werden dürfte.

Bis das beifolgende Bild veröffentlicht sein wird, dürfte die Aussage der Aerzte sich erfüllen und Hadschi Loja nicht mehr unter den Lebenden sein. Jedenfalls wird ein von der Natur selten begabter Mensch mit ihm zu Grunde gegangen sein, der unter anderen Verhältnissen vielleicht der menschlichen Gesellschaft von bedeutendem Nutzen hätte werden können.

Rogatica, den 6. October 1878.

F.F.

Es bedarf von unserer Seite kaum erst der Bemerkung, daß die Erwartung eines baldigen natürlichen Todes Hadschi Loja’s, welche unser Gewährsmann so bestimmt ausspricht, sich nicht erfüllt hat, daß der Insurgentenhäuptling im Gegentheil alle Aussicht hat, auch dem drohenden gewaltsamen Tode der Execution durch kaiserliche Gnade zu entgehen. Was die Facsimile-Unterschrift anlangt, so enthält sie (von rechts nach links gelesen) die drei Wörter Hadschi, Loja und Hafis. Zur Aufklärung verdient gesagt zu werden, daß nur „Loja“ Personenname ist, während „Hadschi“ den Mekkapilger, „Hafis“ den Gelehrten bezeichnet, welcher den gesammten Koran im Gedächtniß hat.