Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Vorwort

Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Erstes Kapitel
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[III]
Vorwort.




Es liegt tief in der menschlichen Natur begründet, daß wir an den Schicksalen der Wesen unseres Geschlechtes, auch wenn sie nicht ungewöhnlich, geschweige außerordentlich sind, lebhaften Antheil nahmen; das Leben des geringsten Menschen bietet nächstdem für den schärferen Blick doch immer etwas Eigenthümliches in seiner Entwickelung; auffallende Situationen und seltsame Wendungen, und daher eine eigenthümliche Geschichte. Hören wir nicht jeden Tag im traulichen Kreise die Schicksale unserer Bekannten mit Theilnahme an? In dieser Eigenschaft unserer Natur und unseres Lebens liegt der Grund, daß die Literatur der Memoiren so entschiedenes Glück neben der des Romans macht, und ich hoffe mir daher den Beifall der Lesewelt zu erwerben, wenn ich die Zahl der Denkwürdigkeiten mit der vorliegenden Arbeit vermehre. Es ist ein reiches Gemälde, welches ich hiermit den Schaulustigen biete, und dabei besitzt es den Vorzug, daß es durchaus wahr und aus dem Leben entnommen ist, während man vielen derartigen Memoirenwerken [IV] es auf den ersten Blick ansieht, daß sie Erfindungen von geistreichen oder geistarmen Schriftstellern sind. Wer glaubt wohl, daß das Tagebuch eines englischen Arztes, eines französischen Fechtmeisters, Tom Cringle’s u. s. w. wahr seien? — Indem ich nun die einleitenden Worte der Verfasserin selber hier folgen lasse, kann ich nur den Wunsch aussprechen, daß der schöne Zweck dieser merkwürdigen Aufzeichnungen in Erfüllung gehen möge, und füge zugleich die Versicherung hinzu, daß daran nur die Kunst des Schriftstellers mein Werk ist.[WS 1] Die Verfasserin[WS 2] sagt: „Wenn ich diese Blätter, welche ursprünglich der Freundschaft gewidmet waren, der Oeffentlichkeit übergebe, so geschieht dies theils um dem Wunsche der Freunde Genüge zu leisten, theils um als Zeugin der Wahrheit aufzutreten, indem ich Charaktere, Begebenheiten und Thaten enthülle, welche bis jetzt mißverstanden oder entstellt wurden, oder der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen waren, so viel sie auch des Lehrreichen und Interessanten bieten. Allerdings ist mir dabei zuweilen die schmerzliche Aufgabe geworden, Personen und Sachen zu beleuchten, über welche ich lieber den Schleier des Schweigens gedeckt hätte; ich hoffe indessen, daß die geneigten Leser sich überzeugen werden, meine dann leidenschaftliche Sprache sei aus Gerechtigkeitsgefühl, nicht aus Haß entsprungen. Unter andern Schwierigkeiten begegnete ich auch der, die Wunden meines Herzens, welche die Religion zwar geheilt, aber nicht verwischt hatte, wieder aufreißen und also die brennenden Schmerzen zum zweiten Male empfinden zu müssen, deren Gedächtniß ich um jeden Preis lieber in das Meer der Vergessenheit versenkt hätte. Sollte es mir jedoch gelingen, einen Unschuldigen zu rechtfertigen, Jemand zu warnen, zu belehren, zu trösten, oder die Sympathie eines edeln Menschen zu gewinnen, dann bin ich reichlich für meine Leiden belohnt. Zur bloßen Unterhaltung [V] oder Befriedigung der Neugierde, oder gar um die Langeweile Müßiger zu vertreiben, habe ich diese Blätter nicht geschrieben.“ – Diese Worte scheinen dem Herausgeber zunächst allzu bescheiden zu sein, ihm will es bedünken, nicht allein diese Aufgabe sei in den folgenden Blättern erreicht, sondern noch ein Höheres, Allgemeineres. Es giebt im Ganzen immer nicht allzu viele Bücher, aus denen man Menschen und Verhältnisse in den höheren Kreisen richtig beurtheilen lernte, daher das Sprüchwort, man könne das Leben nicht aus Büchern kennen lernen, daher das Vorurtheil praktischer Leute gegen die Bücherweisheit. Hier ist aber ein Buch, in welchem mir Menschen und Verhältnisse richtig geschildert zu sein scheinen; so wie sie hier sind, habe ich selber sie kennen lernen. – Dabei ist der National-Charakter überall treffend erfaßt: hier sehen wir die Engländer in ihrem wahren Lichte, das Volks- und Familienleben der Briten spiegelt sich hier so täuschend ab, daß wir manchmal ausrufen: „Ja, so ist dieses Volk von reichen, stolzen, kalten und tapfern Kaufleuten, hier ist ihm die Maske ein Mal abgenommen, und dessenungechtet liebe ich dieses Albion, denn es ist immer noch die Zierde Europa’s.“ Das ist der sicherste Beweis für die Wahrheit des Buches. – Wie ganz anders lernen wir ferner darin die Spanier und Portugiesen kennen, als sie immer gemalt werden! Welche Vorstellung hat gewöhnlich der Nordländer von diesen angeblich verkommenen, in geistiger Lethargie gedankenlos hinträumenden Völkern, und wie liebenswürdig erscheinen sie hier! Was jedoch die beabsichtigte Handhabung der Gerechtigkeit anlangt, so kann im Speziellen davon nicht mehr die Rede sein, nachdem man alles entfernt hat, was Individualitäten blosstellen könnte, weil dies einerseits das Interesse schwächen würde, andrerseits diese Blätter nicht beleidigen, sondern belehren sollen. – Dabei diese lebenskräftigen Naturschilderungen, [VI] diese lebendigen Gemälde von herrlichen Städten, Kirchen, Häfen, uralten Denkmälern und allerlei interessanter Scenerie! Kurz, wohin man nur blickt, überall findet man Belehrung und angenehme Unterhaltung, so daß wir mit gutem Gewissen sagen können: es ist lange kein interessanteres Buch erschienen.

     Im Herbst 1859.

Der Herausgeber.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinrich Ferdinand Mannstein, korrekt Steinmann. In seinem Buch „Denkwürdigkeiten der Churfürstlichen und Königlichen Hofmusik zu Dresden“ bekennt er sich zu diesem Werk.
  2. Maria Wilhelmina Steinmann kam am 19. August 1813 in Markersbach bei Bad Gottleuba auf die Welt. Im Kirchenbuch vermerkt Pfarrer Gerschner: „... des unglücklichen Kriegs wegen, war leider unser Ort täglich ja stündlich die ganze Zeit über der Tummelplatz wurde, wo verbündete französische und feindliche Horden nicht einen Augenblick Ruhe vergönnten, deswegen konnte dieses Kind erst 3 Wochen nach seiner Geburt die heil. Taufe erlangen, und dieses konnte auch nur noch in den Großälterlichen Hause geschehen.“ Sie ist eine Schwester von Heinrich Ferdinand Steinmann.