Dem alten Jahr
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Dem alten Jahr.
Gedicht von Rudolf Lavant.
Noch eine flüchtig˶kurze Stunde,
So ist durchlaufen deine Bahn,
Und hundert Glocken in der Runde
Verkünden eines andern Nahn.
Und füllt den Kelch und jubilirt,
Indes auf nebelvollen Wegen
Sich deine letzte Spur verliert.
So gehts auf Erden einem jeden,
Ich aber will mit dir noch reden,
So lang dein Ohr mich hören kann.
Doch fürchte Bitten nicht und Klagen,
Was auch in mir verglomm, versank,
Ich bringe dir den letzten Dank!
Wohl hast du nicht erfüllen dürfen
Was ich zu bitten nicht gewagt,
Wohl hast den feurigsten Entwürfen
Wohl fühlt’ ich oft die Kraft ermatten
Und meine Seele wurde voll
Vom Ziehn und Wallen grauer Schatten ―
Doch heg’ ich darum keinen Groll.
Des Schicksals wars, nicht deine Schuld ―
Doch laß die Hand dir innig pressen
Für jedes Zeichen deiner Huld,
Für jeden Blick, der süßverhohlen
Für jeden Kuß, den du verstohlen
Auf meine heiße Stirn gehaucht.
Ich danke dir für jedes Lächeln
Von rosig˶frischem Kindermund,
Im bachdurchrauschten Wiesengrund;
Für jeder Blume stilles Düften,
Die sich in Mädchenlocken schmiegt,
Die über eingesunknen Grüften
Ich danke dir für jedes Rauschen
Im dämmergrünen, stillen Tann,
Das für mein ahnungsvolles Lauschen
Unsäglich tiefen Sinn gewann;
Der Blätter sanft ein Vöglein sang;
Für jedes Lied, ob süß, ob bitter,
Das sich der eignen Brust entrang.
Für jede Rast auf Berg und Dünen,
Für jeden Wandertag im Grünen,
Für jeden Becher Feuerwein,
Für jede Windsbraut, die mit Stöhnen
Die Wipfel bog in schwarzer Nacht,
Der Donner sei dir Dank gebracht.
Ich danke dir für jede Stunde,
Die mich auf lichte Höh’n geführt,
Da ich in meiner Seele Grunde
Da ich, von Stolz und Freude trunken,
In schön’re Geisteslande drang;
Ich danke dir für jeden Funken
Des Zorns, der aus den Augen sprang.
Viel schwerer noch, als ich gedacht:
Du hast durch Freuden und durch Leiden
Mich reifer, sinnender gemacht.
Du zeigtest mir das schlichte Echte,
Ich löse zaudernd meine Rechte
Aus deiner Rechten: fahr’ denn wohl!
Anmerkungen (Wikisource)
BearbeitenEbenfalls erschienen in:
- Illustrirte Zeitung für Gabelsberger’sche Stenographen, 1884, Nr.7, Seite 100.