David Wolleber, ein Bild aus den Anfängen der württembergischen Geschichtschreibung

Textdaten
Autor: Eugen Schneider
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Titel: David Wolleber, ein Bild aus den Anfängen der württembergischen Geschichtschreibung
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aus: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte NF 20 (1911), S. 289–309
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Kohlhammer
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Michigan-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch David Wolleber
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David Wolleber, ein Bild aus den Anfängen der württembergischen Geschichtschreibung.
Von Eugen Schneider.

Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts taucht eine Reihe deutscher Schriftsteller auf, die die Geschichte von Ländern und Fürstengeschlechtern in einem gewissen Zusammenhang zu schildern versuchen, während die Älteren überwiegend einzelne Ereignisse und Nachrichten verschiedenster Art der Zeitfolge nach zusammengestellt hatten. Auf die Chroniken folgt so allmählich die Geschichtschreibung. In Württemberg wandte sich ihr zuerst der Vertraute Eberhards i. B., Johann Naukler, zu, dessen Chronik – dieser Name blieb auch den Darstellungen – 1516 zum erstenmal gedruckt worden ist. Ein besonderer Eifer entwickelte sich hier in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts; er fand seinen Höhepunkt in Martin Crusius’ 1595 erschienenen Schwäbischen Annalen. Die Hauptvertreter der Anfänge, die fast ausschließlich die Geschichte des Herzogtums Württemberg behandelten, sind der Stuttgarter Ratsherr Sebastian König (Küng), der herzogliche Leibarzt Oswald Gabelkover und der viel benützte David Wolleber. Keiner hat sich die Geschichte so wie dieser zum Lebensberuf gemacht, über keinen hat dieser Lebensberuf so viel Leid gebracht, keines Leben zeigt so deutlich, unter welchen Verhältnissen und mit welchen Hindernissen die Beschäftigung mit der heimischen Geschichte in jenen Anfängen vor sich ging. Fassen wir zunächst sein Leben[1], dann seine Werke ins Auge.

David Wolleber ist um das Jahr 1555 geboren, wahrscheinlich zu Grunbach im Remstal, wo wenigstens sein Vater Philipp später lebte, während er selbst zu Weiler bei Schorndorf sich niederließ. Er erlernte die Schreiberei, die ihm den Zugang auch zu höheren Stellen verschaffen konnte, und war sieben Jahre in Schorndorf auf der Kanzlei des Forstmeisters, dann mit Erneuerung des Leibeigenschaftsbuchs des Amtes und mit Stellung von Jahrrechnungen beschäftigt. Er bekam dabei einen genauen Einblick in die Verwaltung und die mit ihr verbundene Rechtspflege. Gegen seinen Willen hörte die amtliche Beschäftigung auf. Das hinderte ihn nicht, sich mit Apollonia, der Tochter eines Andreas Reiter, zu verheiraten, der des gestrengen Herrn Sebastian Schertlein von Burtenbach Leutnant gewesen war und dem Grafen Georg sowie dem Herzog Ulrich Kriegsdienste geleistet hatte. Der Grund für Wollebers Entlassung aus dem Staatsdienst war wohl derselbe, der ihm auch später hinderlich war, die Neigung, sich in fremde Händel zu mischen und kein Blatt vor den Mund zu nehmen, vielleicht auch die Tatsache, daß er bald den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die württembergische Historie verlegte. Schon etwa zwanzigjährig muß er angefangen haben, sich mit dieser zu beschäftigen. 1579 legte er sein erstes Werk dem Herzog Ludwig vor, der aber offenbar damals schon gegen ihn eingenommen wurde. Da er von der Schriftstellerei nicht leben konnte, befaßte er sich mit Auskünften in Prozeßsachen und Fertigung von Klagschriften. Schon 1585 hatte der Schorndorfer Untervogt im Auftrag des herzoglichen Oberamts ihm diese „Entenmaierei“ zu untersagen, was ziemlich schwierig war, da er viel in den Dörfern herum seinem Gewerbe nachzog und selten sich zu Hause treffen ließ. Als dann 1589 die Kommissarien der Visitation in die Gegend kamen, wurden wieder Klagen über Wolleber laut: er stelle den Leuten unnötige Supplikationen und verführe solche, die zuvor unruhig seien, noch weiter; auch besuche er die Predigten nicht fleißig. Die Kommissarien tadelten sein Benehmen und verboten ihm die Schreiberei von Supplikationsschriften, scheinen ihn aber auf seine Frage, was er dann treiben solle, auf die Abfassung von Historienbüchern hingewiesen zu haben, deren er, wie wir sehen werden, damals schon mehrere bearbeitet hatte. Natürlich ließ er nicht ganz von den Prozessen, und daß er Vertrauen genoß, ergibt sich aus der Übertragung einer an das Tübinger Hofgericht erwachsenen Streitsache des Junkers Hans Georg von Gaisberg. Aber vor allem schrieb er jetzt geschichtliche Bücher. Nicht nur seine drei württembergischen Hauptwerke sind in der Zeit nach dem Visitationsverweis vollends ausgearbeitet worden, sondern auch mehrere kleine Werke. Da er beim Herzog von Württemberg nicht ankam, schickte er sie an fremde Fürsten, so 1591 eine Beschreibung des Stifts Würzburg und Herzogtums Franken an den Bischof Julius von Würzburg, der sie als mit großem Fleiß zusammengetragen mit besonderem Wohlgefallen aufnahm, ihm 108 Gulden schenkte und ihn aufforderte, sich später persönlich an ihn zu wenden. Offenbar hatte Wolleber dem Bischof in der Vorrede stark geschmeichelt, wie er denn diese überhaupt ganz nach dem Sinn der Empfänger abzufassen pflegte. Das wurde ihm zum Unglück. Denn wie er im Oktober 1591 ein Exemplar seiner neuen Chorographie (Landesbeschreibung) dem Erzherzog Ferdinand von Österreich zuschicken wollte, verursachte die Vorrede derselben in Ulm[2], wo sie eingesehen wurde, solches Bedenken, daß die Handschrift dem Herzog Ludwig nach Stuttgart eingesandt wurde. Schon daß die Vorrede nach dem neuen gregorianischen Kalender datiert war, den die Protestanten noch nicht angenommen hatten, erregte Anstoß, noch mehr, daß die von Herzog Ulrich im Kadener Frieden Österreich gegenüber unfreiwillig eingegangene Afterlehenschaft offen anerkannt und daß demgemäß Württemberg als des Erzherzogs anererbtes Lehen bezeichnet wurde. Denn dieses Verhältnis wurde im Lande sehr schwer empfunden; immer wieder wurde versucht, es abzulösen, was denn auch nicht lange nachher gelungen ist. Wolleber wurde zur Verantwortung nach Stuttgart vorgeladen und hier am 3. November 1591 verhaftet. Damit begann der zweite Akt seiner Leidensgeschichte.

Noch am Tage der Verhaftung erteilte der Geheimrat Melchior Jäger von Gärtringen und der Kanzler Aichmann den beiden herzoglichen Räten und Geschichtschreibern Georg Gadner und Oswald Gabelkover den Befehl, sofort ein Verhör anzustellen. Bald darauf wurde eine Haussuchung in Weiler vorgenommen. Der Bürgermeister und der Stadtschreiber von Schorndorf begaben sich in die Wohnung Wollebers, lasen seiner Hausfrau den fürstlichen Befehl vor und befahlen ihr, die Gemächer, Truhen und Kästen, darinnen seine Bücher und Schriften zu finden, aufzuschließen. Die Frau entsetzte sich und behauptete, die Schlüssel nicht zu haben. Wie ein Schlosser geholt wurde, fanden sich die Schlüssel, wenigstens zu den Behältern, in denen keine Schriften waren. Ein vom Schlosser geöffneter Kasten im Hausgang enthielt allerlei Bücher und Schriften, die in einer entlehnten Reisetruhe nach Stuttgart geschickt wurden. Die meisten derselben werden wir später als „Quellen“ Wollebers kennen lernen; außerdem befanden sich darunter zahlreiche fürstliche Stammbäume, namentlich ein österreichischer, der vorher illuminiert im Druck ausgegangen und im Reich allgemein auf den Rathäusern aufgehängt worden war. Der Verhaftete suchte die Harmlosigkeit seiner Tätigkeit nachzuweisen; seine Frau wies auf die Blödigkeit seines Hauptes hin und erreichte wenigstens die Erlaubnis, ihn in Gegenwart des Vogts besuchen zu dürfen. Wie die Untersuchung sich hinzog, erklärte Wolleber feierlich, daß die beanstandete Handschrift gar nicht ganz fertig sei und nicht ohne Erlaubnis des Herzogs fortgeschickt worden wäre; er bat dringend um Rückgabe seiner Schriften, vor allem auch der Chorographie, deren Herstellung ihm allein für Maler, Buchbinder, Zehrung und Botenlohn gegen 40 Gulden Unkosten gemacht habe, und versprach, dieses Werk nach seiner Vollendung an die Kanzlei in Stuttgart einzuschicken und sich die Tage seines Lebens ohne besonderen fürstlichen Befehl aller Beschreibung württembergischer Historien in Ewigkeit zu enthalten. Man sollte meinen, damit hätte er sich die Freiheit erkauft. Aber der Bericht Gadners und Gabelkovers, der leider nicht erhalten geblieben ist, muß seine Tätigkeit sehr ungünstig beurteilt haben. Wolleber wurde nur gegen eine Urfehde entlassen, nach der er sich künftig alles Advozierens und des Schreibens aller Historienbücher gänzlich enthalten und dazu die Atzung während der Haft bezahlen sollte. Mit Recht brachte er gleich nach seiner Freilassung am 16. November vor, daß er, wenn er nicht auf die seitherige Art seinen Lebensunterhalt erwerben dürfe, irgendwie als Schreiber versorgt werden möchte; denn zum Ergreifen eines andern Berufes sei er zu alt. Jedenfalls aber möge man ihm seine wertvollen Bücher und Schriften zurückgeben, um so mehr, als er sie zum Teil entlehnt habe. Dagegen hatten aber Gadner und Gabelkover Bedenken: niemand habe ihn zum Historienschreiber bestellt, was er nicht gelernt habe und nicht könne; wenn auch die gedruckten und entlehnten Bücher zurückgegeben werden, so seien doch die Schriften zu behalten, damit er sie nicht immer von neuem abschreibe und Geld daraus mache; er müsse sich auch verpflichten, alles, was er noch von Sebastian König und andern in Händen habe, abzuliefern, damit es nicht anderswohin spargiert werde. Man könnte ihm ja eine kleine Entschädigung zuweisen, doch nicht für die Mühe, die groß genug gewesen, aber unerfordert und ungeheißen. Damit war der Geheimrat Melchior Jäger einverstanden, und Herzog Ludwig genehmigte den Antrag. Inzwischen waren Wochen vergangen. Der Besitzer der entlehnten Truhe in Schorndorf drängte auf deren Rückgabe. Die herzogliche Kanzlei wollte sie mit den Büchern nach Schorndorf schicken; aber jetzt bestand Wolleber darauf, daß er wenigstens in Stuttgart selbst abgefertigt werde. Infolge der Wegführung seiner Bücher sei er in Stadt und Amt Schorndorf verschrieen und verunglimpft worden. Wenn sie ihm jetzt wieder durch die Amtleute zugestellt werden, so erneuere sich das Geschrei. Man behauptete, er sei samt seiner Frau wegen Hexerei und Teufelskunst eingezogen worden; er habe das ganze Land und den Herzog von Württemberg verraten wollen. Gegen dieses Gerede, dessen Urheber er nicht ermitteln konnte, war Wolleber machtlos. Er bat daher um ein amtliches Leumundszeugnis, das öffentlich ausgelegt und von der Kanzel verkündigt werden sollte. Die Bitte wurde ihm abgeschlagen. Denn es sei unnötig, daß jedermann wisse, warum er gefangengelegen sei. Da ihm aber Historienschreiben und Advozieren niedergelegt sei und er sich nicht mehr erhalten könne, sollen die Kirchenräte angewiesen werden, ihn auf zutragende Gelegenheit zu befördern, da er allein zum deutschen Schulmeister zu gebrauchen sei, der daneben auch geringe Schreiberei versehen könnte. Diese Verbindung von Lehramt und Gemeindedienst war ja damals gewöhnlich.

Auch seine Bücher erhielt Wolleber in Stuttgart ausgehändigt. Seine geschriebenen Historienbücher aber wurden in der herzoglichen Registratur zurückbehalten; später sind sie, wie wir sehen werden, in die Landesbibliothek und das Staatsarchiv gekommen, die für so gefährlich gehaltene Chorographie in die Tübinger Universitätsbibliothek. Wiederholte Vorstellungen um Entschädigung waren ohne Erfolg: da er unerlaubt das Historienschreiben für sich selbst vorgenommen, auch Sachen in die Präfation eingeführt, die ihm nicht gebührt, so seien ihm neben anderen Strafen auch solche Bücher genommen worden. Er solle damit zufrieden sein, daß die Kirchenräte ihn mit Diensten bedenken werden, – so lautete der letzte Bescheid.

Fragen wir nach den Gründen, aus denen Männer wie Gadner und Gabelkover der Tätigkeit Wollebers Schwierigkeiten machten, so springt aus der ganzen Verhandlung zunächst der Ärger der gelehrten und hochvermögenden herzoglichen Berater darüber in die Augen, daß ein ungebildeter, dilettantischer Winkeladvokat in ein Gebiet eingriff, mit dem sie sich ernsthaft beschäftigten. Und je größer ihre Gewissenhaftigkeit als Geschichtschreiber war, desto mehr waren sie geneigt, einen Menschen zu verurteilen, der, ohne Vorkenntnisse, seine eigentliche Aufgabe nicht begriff. Aber das mußten sie bei der Prüfung von Wollebers Handschriften erkennen, daß diese, wenn auch keinen selbständigen Wert, so doch die Bedeutung fleißiger Sammelarbeit hatten. Der tiefere Grund des ablehnenden Verhaltens war die Auffassung von der Bedeutung der Landesgeschichte. Für Gadner und Gabelkover bot die Landesgeschichte Tatsachen und Lehren, die für die Regierenden, nicht aber für das gemeine Volk paßten. Von den Urzeiten und von den fremden Völkern mochte man Kunde verbreiten, nicht aber vom eigenen Lande, dessen Zusammensetzung, Entwicklung, Verfassung, Hilfskräfte als Geheimnis behandelt wurden, eine Auffassung, die ihre Nachwirkung, namentlich mit Beziehung auf die Geschichtsquellen, bis auf neuere Zeiten ausgeübt hat. So hat auch einer der gelehrtesten Familiengeschichtsforscher der damaligen Zeit, Gotfried von Rammingen, gemeint, solche Dinge gehören nicht vor das Publikum, und hat den Martin Crusius scharf getadelt, weil er seine Schwäbischen Annalen drucken ließ[3]. Als um dieselbe Zeit Simon Studion seine Arbeit vom wahren Ursprung des wirtembergischen Hauses dem Herzog Friedrich von Württemberg widmete, wurde sie gleichfalls auf Oswald Gabelkovers Rat unterdrückt[4]. Ja noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das württembergische Landbuch als Staatsgeheimnis verwahrt[5], und bis zu Herzog Karl wurde wenigstens die Zahl der Einwohner der Städte und Ämter nicht öffentlich preisgegeben[6].

Seit dem Anfang des Jahres 1592 verschwindet Wolleber fast drei Jahre aus der Öffentlichkeit, ohne daß er etwa die versprochene Schulstelle erhalten hätte. Er legte sich vornehmlich auf die Anfertigung von Stammtafeln angesehener Familien, um dafür Geld zu bekommen. So erfahren wir später, daß er 1593 und 1594 als fürstlich württembergischer historicus den Städten Freiburg i. Br., Bern und Zürich einen großen Stammbaum der Herzoge von Zähringen geschickt hat. Von Freiburg, der zähringischen Gründung, erhielt er 35 Reichstaler, nach dortiger Währung 43 Gulden 5 Batzen, während dem Boten 2 Gulden geschenkt wurden; Schultheiß und Rat von Bern verehrten ihm 20 Sonnenkronen, etwas über 40 Gulden, dem Diener 2 Kronen, und versprachen, Wollebers bei Gelegenheit zu gedenken; Zürich gab nur 10 Kronen und 2 Kronen Trinkgeld mit der Bitte, für gut zu nehmen, da die von Zähringen nicht ihrer Stadt Stifter seien. Daneben konnte er aber die Entenmaierei nicht lassen, und sobald er darüber wieder mit den Behörden zusammenstieß, begann der Schlußakt seines tragischen Geschicks.

Im Dezember 1594, als sich die herzogliche Kanzlei wegen der in Stuttgart herrschenden Pest gerade in Backnang aufhielt, erging von hier der Befehl nach Schorndorf, den David Wolleber wegen der Schreiberei von Supplikationsschriften, die er über das Verbot abgefaßt, zur Strafe des Ungehorsams acht Tage auf eigene Kosten in den Turm zu stecken. Am 24 Januar 1595 gelang es endlich dem Untervogt, ihn zu verhaften. Wolleber berief sich darauf, daß ihm zwar zu Herzog Ludwigs Zeiten das Abfassen von Supplikationen verboten worden sei, daß er sich dann auf Historienbücher gelegt habe, was ihm übel erschossen sei, da man ihm dieses und das Advokazieren verboten habe. Unter Herzog Friedrich aber habe niemand etwas gegen die Supplikationen gehabt. Er wolle künftig ohne herzogliche Erlaubnis keinem Menschen mehr etwas schreiben. Doch diese feine Unterscheidung zwischen Advokazieren und Schreiben von Supplikationen machte bei der Behörde keinen Eindruck, und das Unglück wollte, daß, während er im Gefängnis saß, schon wieder eine scharfe und weitläufige Supplikation, die er für einen Bauer gegen einen Beamten aufgesetzt hatte, bekannt wurde. Die Folge war, daß er noch einmal acht Tage brummen mußte und eine scharfe Verschreibung für künftiges Wohlverhalten von sich geben sollte. Wenn ihm das Schreiben auch verboten werde, so klagte er, wisse er sich nicht mehr zu helfen; die Feder sei seine Wage und sein Pflug, die ihn ernähren; wenn man ihn im Lande nicht anstelle, möge man ihn seine geringe Habe in Weiler verkaufen und in die Fremde ziehen lassen. Auch der Schorndorfer Untervogt verwendete sich für ihn, da er auf das Schreiben angewiesen und als kleine vernaiselte Kruft (verkrüppeltes Männchen) zu harter Arbeit nicht fähig, allerdings voll überflüssiger Hitze sei. Die Regierung verschob das Verlangen der Verschreibung; da machte ein weiterer Fall das Maß voll. Kaum war Wolleber wieder frei, so wurde zu Winnenden ein Ehepaar aufgegriffen, das in Waiblingen mit Ruten gestrichen und des Landes verwiesen worden war. Das Ehepaar wollte eine Supplikation übergeben, die von Angriffen gegen den Untervogt und die Richter in Waiblingen strotzte. Im Verhör sagte es aus, es habe nur um Gnade bitten wollen; aber der Schreiber Wolleber habe erklärt, man habe in Waiblingen gegen die kaiserlichen Rechte gehandelt; er wolle den Untervogt vor dem Gericht zu Waiblingen herausnehmen wie einen Fuchs aus einem Haufen Hühner; nicht das Gericht, sondern allein der Untervogt habe Unrecht. Jetzt sollte Wolleber noch einmal acht Tage gefangengelegt und nur gegen die erwähnte Verschreibung losgelassen werden. Diesmal hatte er Wind bekommen und war entwichen.

Während er landflüchtig umherirrte, reichte seine Verwandtschaft ein Gnadengesuch beim Herzog ein. Er habe in seiner langen Tätigkeit nie falsche Briefe oder Siegel gemacht, habe, wenn er sich auch manchmal hitzig und scharf ausgedrückt, meist nur geschrieben, was ihm in die Feder diktiert worden sei. Würde er die verlangte Urfehde schwören, so wäre das für ihn, den Schreiber, wie wenn ihm beide Hände abgehauen würden. Urfehde müssen außerdem sonst nur Übeltäter schwören; da er aber unschuldig sei, würde ihm der Schwur den Verlust der ewigen Seligkeit bringen. Das Gnadengesuch wurde abgeschlagen. Als Wolleber fünf Monate vergeblich sich im Ausland um Dienste beworben hatte, wurde es erneuert. Seine Frau ging selbst zu Herzog Friedrich nach Böblingen und fiel ihm zu Füßen. Alles vergeblich. Im August 1595 mußte sich Wolleber entschließen, von Ulm aus ein demütiges Gesuch an den Herzog abgehen zu lassen: er bekenne, daß er vielmals zu geschwind und hitzig gewesen sei und die Sachen nicht ganz verstanden habe; er habe eben jedem vertraut und geglaubt, da sich „oftmals hernach ein besserer Grund und das Widerspiel gefunden“, weswegen er sich endlich vorgenommen habe, sich ferner aller solcher unruhiger Leute gänzlich zu entschlagen, dieselben ab und zur Ruhe zu verweisen, damit der Herzog selbst und seine hochlöblichen und getreuen Räte und Amtleute jederzeit, soviel möglich, unbemüht, unüberlaufen und zufrieden gelassen werden sollen. Der Oberrat beschloß, dem Bittsteller keine Antwort zu geben, dagegen der Frau zu eröffnen, ihr Mann werde, wenn er sich in Gehorsam stelle und das ihm Auferlegte leiste, auf künftiges Supplizieren gebührenden Bescheid erhalten; im Fall ungehorsamen Ausbleibens solle nach ihm gefahndet werden.

In Schorndorf hoffte man, des Flüchtlings bei einem heimlichen Besuch in der Heimat habhaft zu werden. Die Amtleute weigerten sich, einen Zinsbrief der Frau aus Anlaß einer Geldaufnahme zu besiegeln, in der Annahme, jener werde aus Mitleid mit seiner in Not geratenen Frau sich selbst zur Besiegelung einfinden. Wirklich hielt sich Wolleber einige Male im Weiler auf, zeigte sich aber nur bei Nacht. Als einmal der Obervogt Karl Herr zu Limpurg, Erbschenk und semperfrei, selbst in Weiler übernachtete, hörte er glaubwürdig, daß Wolleber mit einigen Bürgern in seinem Hause gezecht habe. Sofort befahl er dem Schultheißen, sich gefaßt zu machen und den unruhigen Gesellen beizufangen, damit endlich die herzoglichen Befehle ausgeführt werden könnten. Der Schultheiß ließ das Haus umstellen. Wie das Weib den Einlaß mit Fluchen und Schelten verweigerte, wurde er erzwungen, aber der Vogel war ausgeflogen. Auch der Stadtknecht, den der Obervogt andern Tags mit 3 Weinladern von Schorndorf hinabschickte, kehrte unverrichteter Dinge wieder um. Die Frau wurde wegen Unbotmäßigkeit einen Tag und eine Nacht in das Frauengefängnis gelegt, wobei ihr ihre Schwester Gesellschaft leisten durfte. Wolleber war nach Eßlingen entkommen und beklagte sich beim Herzog, daß ihm Leute mit Wehr und Waffen viermal ins Haus gefallen seien und gefährlicherweise, unverschont seines Leibs und Lebens, alles Heu und Stroh, das oben im Hause gelegen, durchstochen haben, da sie ihn darin vermutet. Davon wisse der Herzog sicher nichts. Wieder bat er um Erlaubnis, seine Armütlein verkaufen und in auswärtige Dienste sich begeben zu dürfen.

Die Entrüstung der Regierung gegen den kecken Flüchtling war so sehr gestiegen, daß im Januar 1596 an die Reichsstadt Eßlingen das Ansinnen gestellt wurde, ihn gegen die Versicherung, daß dadurch ihren Rechten kein Eintrag geschehen solle, an Württemberg auszuliefern. Einen entsprechenden Revers sollten die Schorndorfer Amtleute nach Eßlingen schicken und den Tag der Auslieferung bereden. Aber auch aus Eßlingen entkam Wolleber; er tauchte bald nachher in Wiesensteig auf. Die Regierung entschloß sich, ihm, da man seiner im Herzogtum gar nicht bedürftig sei, die Auswanderung mit Weib und Kindern zu erlauben, aber den Verkauf seiner Güter zu untersagen und ihm nur die Erträgnisse derselben zukommen zu lassen. Darauf ließ sich die Frau nicht ein: Kinder habe sie keine, und ihr Besitztum verlasse sie nicht. Überdem verfiel die Frau in schwere Krankheit, so daß dem Mann 2 bis 3 Tage freies Geleit zugesichert wurde, um sie zu besuchen. Wieder und wieder bat Wolleber um Gnade; es blieb bei dem Bescheid, daß er sich zuerst stellen solle.

Nun versuchte er auf andere Weise, den Herzog umzustimmen. Im Collegium illustre zu Tübingen hielt sich der Erbprinz Johann Friedrich auf. Ihm schickte er einen großen Stammbaum der Fürsten von Anhalt, denen seine Mutter zugehörte, und erbot sich, die Geschichte, Brustbilder und Wappen dazu zu liefern. Zum Vermittler wählte er Martin Crusius, der sich sofort nach Empfang in das Kollegium begab und dem Präzeptor des Prinzen, M. Michael Beringer, den Stammbaum samt einem Begleitschreiben übergab. Dieser öffnete sie, und er wie Crusius bewunderten die fleißige und elegante Tafel. Auch der Prinz hatte seine Freude daran, lud den Professor auf 5 Uhr zum Essen und schenkte der Frau, die die Sendung nach Tübingen gebracht hatte, einen Gulden. Der Stammbaum werde den herzoglichen Eltern nach Stuttgart geschickt, von dort werde Wolleber belohnt werden. Aber Oswald Gabelkover, der wieder zu Rat gezogen wurde, meinte, das Zeug sei ja doch alles abgeschrieben, und es sei eine Frechheit, es entgegen dem alten Schreibverbot einzuschicken.

In dem Begleitschreiben an den Prinzen und in einigen andern Schreiben aus dem August 1597 nennt sich Wolleber einen publicus notarius. Vielleicht hat ihm ein kaiserlicher Hofpfalzgraf die Rechte eines öffentlichen Notars verliehen, vielleicht hat er sie sich auch angemaßt[7].

Ehe in Stuttgart die Sache entschieden wurde, fiel Wolleber einem Raubmord zum Opfer. Am 8. September 1597 besorgte er in Eßlingen Geschäfte und zog in Gesellschaft eines fremden abgedankten Landsknechts dem Remstal zu. Er soll gegen 40 Gulden bei sich gehabt haben. In Obereßlingen wurden sie noch gesehen. Droben im Eßlinger Wald, in einer Klinge im Zeller Hau, wurde er von seinem Gefährten erschlagen und ausgeraubt. Ein Eßlinger Forstknecht sah den Täter laufen, meinte, er habe Holz gehauen, rief ihn an und blies seinem Gesellen. Da warf der Mann einen Mantel und zwei Säcke, in denen Bücher und Schriften sowie Kleider staken, weg, und entfloh. Zufällig war am Abend des Tags der württembergische Klostervogt Engelhard aus Adelberg in Altbach; ihm meldeten die Forstknechte den Vorfall, worauf der Leichnam in die Klosterscheune zu Zell verbracht und nachher auf Weisung des Oberrats auf dem dortigen Kirchhof an einem Ort, da andere Leute nicht bald gelegt würden, beigesetzt wurde. Die Begräbniskosten samt Botenlohn beliefen sich auf 23 Batzen. Vom Mörder konnte eine genaue Beschreibung gegeben werden; Vogt Engelhard schickte sofort zur Fahndung in die nächsten Flecken; nach reichlich acht Tagen erhielten von Stuttgart aus auch die Untervögte der benachbarten Ämter entsprechende Befehle. Der Mörder wurde nicht beigebracht. Wieder mußten Wollebers Bücher zur Untersuchung nach Stuttgart wandern. Diesmal dauerte es nur ein halbes Jahr, bis die Witwe sie zurückerhielt.

Trotz der Unruhe seines Lebens hat Wolleber eine stattliche Reihe handschriftlicher Werke hinterlassen. Es ist mir gelungen, sechs Werke aufzutreiben, die alle im Original und zum Teil in zahlreichen Abschriften erhalten sind. Ein weiteres Werk, das ihm zugeschrieben wurde, ein württembergisches Landbuch (Cod. hist. fol. 107 der Landesbibliothek), kann schon deshalb nicht von ihm stammen, weil die darin enthaltenen Einwohnerzahlen auf das Ergebnis der Landesvisitation von 1623 zurückgehen. Nicht gefunden habe ich die fränkische Chronik, die er dem Bischof von Würzburg und allem nach auch der Stadt Rothenburg o. T. gewidmet hat. Seine Werke sind vielfach verschieden betitelt; ich wähle die folgenden Bezeichnungen: Historia und Zeitbuch, dasselbe in erweiterter Bearbeitung, Historische Beschreibung, Chronik, Chorographie Württembergs, dazu eine zwischen dem ersten und zweiten württembergischen Band entstandene Geschichte der Staufer.

Das Werk Historia und Zeitbuch, dessen Original in der Großherzogl. Hofbibliothek in Darmstadt (Cod. 104) erhalten und von dem keine Abschrift bekannt ist, ist am 12. November 1579 zu Weiler bei Schorndorf von dem Schreiber David Wolleber dem Herzog Ludwig von Württemberg gewidmet worden; sein Titel ist, wie bei allen Werken des Mannes, fein säuberlich mit roten Buchstaben geschmückt. Es ist vom Herzog nicht beachtet worden, findet sich schon 1592 im Besitz des württembergischen Hofbeamten Hans Georg von Berlichingen und kam am Anfang des 17. Jahrhunderts durch Kauf an die Landgrafen von Hessen. Es will eine eigentliche und summarische Beschreibung von der Freiherren zu Beutelsbach, Grafen und Herzoge zu Württemberg Ankunft, Leben und Wesen gehen, dazu Nachrichten von den Herzogtümern Teck, Irslingen, Schiltach, den Grafschaften Tübingen, Urach, Achalm, Calw, Herrenberg, Vaihingen, Pfullingen, Neuffen, Löwenstein, den Freiherren zu Weinsberg, Hohenstaufen, Ebersberg, Weißach, Winnenden, Heidenheim, Hornberg, Aichelberg, Beilstein, Brackenheim, Plochingen, Seeburg. Tatsächlich bietet die Handschrift auch noch eine Beschreibung von Klöstern, Städten und Schlössern Württembergs, von den im Herzogtum gelegenen Reichsstädten, von benachbarten Städten, wie Rottenburg und Horb, von Mömpelgard und den elsässischen Herrschaften, zuletzt noch eine Chronik merkwürdiger Ereignisse von 1480 bis zu dem schrecklichen, im November 1577 erschienenen Kometen. Das Ganze mischt kurze geschichtliche und topographische Angaben in bunter Folge untereinander.

Eine zweite Bearbeitung von Historia und Zeitbuch, deren Original gleichfalls in der Großherzogl. Bibliothek zu Darmstadt aufbewahrt wird (Cod. 135), wurde von Wolleber am 8. August 1585 dem Landgrafen Ludwig IV. von Hessen und seiner Gemahlin Hedwig, einer Tochter des Herzogs Christoph von Württemberg, gewidmet. Sie ist mit zahlreichen, nicht gerade schönen, farbigen Wappen geschmückt. Die Vorrede besagt, daß der Verfasser vor wenigen Jahren dem Herzog Ludwig von Württemberg eine württembergische Historie ohne Wappen gewidmet habe, die aber zu kurz und gering ausgefallen sei. Die vermehrte sei das Ergebnis von zehnjähriger Arbeit. Demnach hätte Wolleber seit 1575 sich mit Chronikschreiben beschäftigt. Gegenüber der ersten Fassung zeigt die zweite allerlei Umstellungen und Erweiterungen, sowie neue Abschnitte über Schwaben und Alemannien. Daß diese Arbeit Beifall fand, zeigt das Vorhandensein einer Abschrift (Cod. hist. fol. 108) auf der hiesigen Landesbibliothek, die mit Abschriften von zwei weiteren Werken Wollebers und von dem ihm zugeschriebenen Landbuch aus der Bibliothek des Frankfurter Sammlers Zacharias Conrad von Uffenbach unter Herzog Karl erworben worden ist[8]. Nach der Vorrede einer späteren Handschrift (Cod. hist. fol. 699 der L.B.) hat Landgraf Ludwig dem Verfasser eine stattliche Verehrung zukommen lassen, ebenso Pfalzgraf Johann Kasimir, dem als einem trefflichen Historikus ein zweites Exemplar zugesandt wurde. An ihn hatte sich Wolleder offenbar gewendet, weil er ein Bruder des Pfalzgrafen Ludwig war, der, ein Schwager des Landgrafen von Hessen, sich die Widmung eines anderen Werkes von ihm hatte gefallen lassen.

Dieses Werk war eine Geschichte der Staufer. Zwar unter Wollebers Namen ist keine solche erhalten. Aber in seiner späteren Chorographie gibt er an, das er kurzverschiener Jahre dem Pfalzgrafen Ludwig ein großes Buch über die Herren von Hohenstaufen geschrieben habe und daß dieses Buch den dritten Band seines Hauptwerks – neben Chronik und Chorographie – bilden solle, und in einer kurzen namenlosen Geschichte der Herren von Hohenstaufen auf der Landesbibliothek (Cod. hist. fol. 71) berichtet der Verfasser das gleiche von dem großen, dem Pfalzgrafen gewidmeten Buch und von seinem, freilich mißlungenen Vorhaben, dieses mühselige Werk an die Kaiserliche Majestät mit Hilfe hierzu anerbotener hochgelehrter Leute durch öffentlichen Druck auskommen zu lassen. Wenn wir nun in einer ausführlichen namenlosen Hohenstaufengeschichte der Landesbibliothek (Cod. hist. fol. 162) unverkennbar Wollebers eigene Handschrift und Art mit farbigen Bildern und Wappen, die ihrerseits denen der obengenannten Darmstädter Handschrift gleichen, wiederfinden, so liegt uns zweifellos hier eben das große Buch Wollebers über die Staufen vor. Er schildert in ihm den Ursprung der Freiherren von Hohenstaufen und Herzoge von Schwaben von dem Friedrich an, der 930 mit Kaiser Heinrich I. gegen die Ungarn gezogen sei, bis auf Konradins Tod, den er, wie andere Chronisten der Zeit, in das Jahr 1267 setzt. Besonderen Wert hat der Band durch die älteste farbige Wiedergabe der Stauferbilder des Klosters Lorch. Wie weit allerdings in Wirklichkeit Wolleber das geistige Eigentum an dieser Staufergeschichte zukommt, werden wir bei der Betrachtung seiner Quellen sehen.

Da Pfalzgraf Ludwig, dem dieses Werk gewidmet war, 1583 gestorben ist, so muß es in die Zeit zwischen die erste und die zweite Bearbeitung von Historia und Zeitbuch fallen. Nachher legte sich der Verfasser wieder ganz auf die württembergische Geschichte. Bis zum Jahre 1590 reicht Wollebers Historische Beschreibung, bis 1588, in einigen Abschriften bis 1586 und bis 1589, seine Chronik. Ich stelle die erste voran, weil sie, wenn auch gleichzeitig entstanden, doch im Grunde eine Vorarbeit zu der zweiten und der ihr folgenden Chorographie ist.

Die Historische Beschreibung, deren Original im Staatsarchiv liegt (Hdschr. 24), sollte offenbar wieder dem Herzog Ludwig von Württemberg gewidmet werden. Wenigstens scheint mir ein Widmungsblatt von Wollebers Hand, das den Untersuchungsakten gegen ihn entstammt, und in dem steht, daß er schon vor Jahren dem Herzog ein Historien- und Zeitbuch dediziert habe, hierherzugehören. Der Verfasser ist nicht genannt. Aber außer der Handschrift weist die in dem Band enthaltene Bemerkung (S. 593), daß eine Behausung in Weiler unter der seinigen stehe, bestimmt auf Wolleber. Der Inhalt ist sehr ungeordnet; vieles ist zusammengetragen, wie es dem Sammler in die Hand kam. Den Anfang macht die älteste Genealogie der Herren von Württemberg, von jenem fabelhaften Grafen Albert an, der König Pipins Großhofmeister gewesen sein soll, bis zu einem Grafen Albrecht von Württemberg und Löwenstein um das Jahr 1075; dann kommen Nachrichten über Graf Eberhard den Greiner und seine Nachkommen bis auf Ulrich den Vielgeliebten, worauf auf die Nachkommen des Grafen Albrecht zurückgegriffen und die Reihe bis auf Ulrich, den Bruder des Greiners, weitergeführt wird. Den Schluß dieser Abteilung macht ein Kapitel über den nachmaligen Herzog Friedrich I. Einen zweiten Teil bilden die Historia des Verheerens der Grafschaft Mömpelgard, der Anhaltische Stamm und Ursprung, eine Reihe von Urkunden, Verzeichnisse über den Nürnberger Reichstag von 1487, Nachrichten über allerlei Herrengeschlechter und Lebensbeschreibungen der Herzogin Anna Maria von Württemberg, der Gemahlin des Herzogs Christoph, seines Sohnes Eberhard und seiner, auch an einen hessischen Landgrafen vermählten Tochter Sabina. Im dritten Teil sind Beschreibungen von Herrschaften, Städten, Klöstern zusammengefaßt, die zu Württemberg gehörten oder zu ihm Beziehungen hatten. Am reichlichsten sind dabei Kirchheim, Waiblingen, Schorndorf bedacht, zweifellos, weil über sie schon ausführlichere Darstellungen vorhanden waren. Daß es zur Überreichung dieses Sammelwerks an den Herzog Ludwig kam, ist unwahrscheinlich; auch in Abschrift wurde es nicht verbreitet.

Der erste Band von Wollebers Hauptwerk ist die mit und zum Teil aus der Historischen Beschreibung entstandene Chronik, von der die Originalhandschrift im Staatsarchiv [Mscr. 2), Abschriften ebenda (Mscr. 148, I), in der Landesbibliothek (Cod. hist. fol. 105, 699, 707), in der Stuttgarter Stadtbibliothek (XX, I), der Tübinger Universitätsbibliothek (M. b. 434, I) und der Leipziger Ratsbibliothek (wenigstens nach J. J. Moser, Wirtemb. Bibliothek 1796, S. 71) liegen. Die eine Abschrift ist von David Wolleber zu Weiler bei Schorndorf am 20. Mai 1589 der Stadt Stuttgart gewidmet worden, da das Werk doch nicht in den Druck komme, also offenbar, weil der Verfasser die erhoffte Unterstützung des Herzogs nicht gefunden hatte. Die Abschriften weisen außer der Widmung noch eine Vorrede, eine Einleitung und ein Kapitel über den Namen Württemberg auf, die dem Original fehlen. Auch enthält ein Teil von ihnen die Bemerkung, daß sie nur das bieten, was von dem durch Unglück am Anfang und Ende mangelhaft gewordenen Original noch übriggeblieben sei. Was diesen Mangel betrifft, so beginnt allerdings das Original mit Seite 46 und hat zur Zeit, als Abschriften genommen wurden, mit Seite 38 begonnen. Da aber der Anfang von Lebenslauf und Regierungen der alten Grafen von Württemberg wieder mit dem berühmten Grafen Albrecht gemacht wird, so kann vom Texte der Wolleberschen Arbeit selbst kaum etwas verloren sein. Wahrscheinlich weist vielmehr die Lücke am Anfang auf das Fehlschlagen der Hoffnung auf die herzogliche Gnade. Die Landesbibliothek besitzt nämlich einen von Jakob Frischlin geschriebenen Band (Cod. hist. fol. 328)[9], der sich als den ersten Teil der schwäbisch-württembergischen Chronik von M. Jakob Frischlin, Schulmeister zu Waiblingen, und David Wolleber, Bürger und Historiker zu Weiler bei Schorndorf, bezeichnet, wie sie vormals nie also im Druck gesehen und gelesen worden sei, und in dessen an Herzog Ludwig und Graf Friedrich gerichteter Vorrede vom 1. Januar 1589 Frischlin erzählt, sein guter Freund und wohl Bekannter David Wolleber habe sich seit langer Zeit mit der schwäbischen und württembergischen Historia bemüht und habe, da er der lateinischen Sprache nicht mächtig sei, ihn gebeten, ihm Handreichung zu tun. Frischlin behandelt in dieser Handschrift die Zeit von Chlodwig ab bis etwa zum Beginn von Wollebers Arbeit. Die Vermutung liegt sehr nahe, daß die Widmung von dem Fürsten wegen der Persönlichkeit Wollebers nicht angenommen wurde, daß dann der höfische Frischlin seinen Anfang für sich behielt, Wolleber aber sein Original ohne Anfang für eine bessere Gelegenheit aufsparte, eine Abschrift mit der Einleitung versah und noch in demselben Jahre 1589 der Stadt Stuttgart überreichte.

Die Chronik ist die erste mehr systematisch angelegte Arbeit Wollebers, worin vielleicht der Einfluß Jakob Frischlins zu sehen ist. Sie führt die Geschichte der Herren von Württemberg von den fabelhaften Anfängen in ununterbrochener Reihenfolge bis auf Herzog Ludwig. Besonders ausführlich ist der Krieg Ulrichs des Vielgeliebten mit Eßlingen von 1449 und 1450 behandelt; auch die Historia des Verheerens der Grafschaft Mömpelgard von 1587 und 1588 ist in dem Buch wieder enthalten.

An die Chronik schließt sich als zweiter Band die Chorographie Wollebers, die er am 10. Oktober 1591 dem Erzherzog Ferdinand von Österreich gewidmet hat und die die Hauptursache seiner heftigen Verfolgung in Württemberg geworden ist. Das Original von seiner eigenen Hand befindet sich in der Universitätsbibliothek zu Tübingen (M. h. 6); es ist mit schönen Wappen geschmückt, wahrscheinlich von einem Maler Hans Jörg Seitz, den wenigstens der Verfasser in dieser Zeit beschäftigt hat. Eine Randbemerkung von Oswald Gabelkover bei einer Stelle, in der Wolleber den Johann Wessel von Gröningen aus Markgrönigen stammen läßt, zeigt, daß es das Exemplar ist, das in der Untersuchung gegen ihn eine Rolle spielte. Eine kunstvolle Abschrift mit teilweise noch schöneren Wappen gehörte 1700 zur Bibliothek des Prinzen Ludwig in Pfullingen, geriet dann in die Hand einer Benigna Christina Commerell und kam zuletzt in die Landesbibliothek (Cod. hist. fol. 217). Einfache Abschriften finden sich ebenda (106), sowie zusammen mit den Abschriften der Chronik im Staatsarchiv und in der Stadtbibliothek zu Stuttgart sowie in der Universitätsbibliothek zu Tübingen. An dem Werke hat Wolleber laut Vorrede 18 Jahre gearbeitet, so daß der Beginn schon in das Jahr 1573, vor die Sammlung der Chronik, fallen würde. In der Chorographie sind die Beschreibungen aller Herrschaften, Ämter, Klöster, Städte, aus denen Württemberg zusammengesetzt war, nebst denen der wichtigsten Herrenfamilien vereinigt. Sie ist ausführlicher und ungleichartiger als die späteren Landbücher. – Den dritten Band des Hauptwerks, die Staufergeschichte, haben wir schon kennen gelernt.

Gehen wir an die Frage, aus welchen Quellen Wolleber geschöpft hat, so scheint sie deshalb sehr leicht lösbar zu sein, weil er selbst in der Vorrede zu seinem letzten Werk eine stattliche Reihe von Gewährsmännern und Büchern angibt. Unter denjenigen, denen er mündliche und schriftliche Auskunft verdankt, nennt er den Pfalzgrafen Johann, den Freiherrn Wilhelm Werner von Zimmern, Nikodemus und Jakob Frischlin, Oswald Gabelkover, Dr. Georg Gadner, Andreas Rüttel, Sebastian König, Simon Studion, Jakob Spindler, Martin Crusius; unter den benützten Druckwerken und Handschriften wieder Sebastian König und Simon Studion, dann Johann Naucler, d. h. dessen Chronik, die seit 1516 in verschiedenen Auflagen erschienen war, Sebastian Münster, d. h. seine 1559 erschienene Kosmographie, Kaspar Bruschius, d. h. sein Werk über die deutschen Klöster von 1551, Aventin, d. h. seine Bayrische Kronik von 1566 (gedruckt 1580), Johann Sleidan, d. h. seine Bücher de quatuor summis imperiis von 1556, Blondus, d. h. seine Dekaden, die 1559 zu Basel gedruckt wurden, die Chronik des Cario, fortgesetzt von Melanchthon und Peucer, Cuspinian, d. h. seine Kaisergeschichte von 1540, und die deutsche Übersetzung Kaspar Hedions von 1541, Wolfgang Lazius, d. h. wohl sein Buch de gentium aliquot migrationibus, Basel 1557, und seine schwindelhafte habsburgische Genealogie von 1564, Adam Reißners Frundsbergische Historia von 1572, ferner eine Eßlingische Chronik und eine Gmündische Historia, beide zweifellos handschriftlich. Wir wissen, daß Wolleber von Büchern tatsächlich den Cuspinian aus dem Besitz des Pfarrers Hauff in Beuren, die Frundsbergische Historia aus dem des Schorndorfer Zollers, Münsters Kosmographie, Aventins Bayrische Chronik, eine braunschweigische und eine schweizerische Chronik, eine Übersetzung Julius Cäsars, die Chronik Melanchthons, ein Leben Luthers, Bebels Facetiae, einen Zauberteufel, ein Turnierbuch, und zwar das Rüxners, in Händen hatte, wovon das meiste vom Buchhändler Offenbach in Tübingen entlehnt war, von Handschriften den Sebastian König, des lateinischen Schulmeisters zu Schorndorf Christoph Ried Historia der drei Städte Stuttgart, Waiblingen, Schorndorf, eine Gmündische Geschichte und einen Büschel Übersetzungen aus Lazius.

Was zunächst die als Quellen angegebenen Bücher betrifft, so ist nicht nur bei den lateinisch geschriebenen, die Wolleber nicht verstand, sondern auch bei den deutschen sicher, daß er sie nicht benützt hat. Er war kein Gelehrter, der Forschungen anstellte, sondern ein Sammler, der nahm, was er erwischen konnte. Zudem ist es mir nur in zweien dieser Bücher, in des Lazius de gentium aliquot migrationibus (S. 503 ff.) und in Münsters Kosmographie (S. 592 ff.), gelungen, einen zusammenhängenden Abschnitt über Württemberg aufzufinden, und beide haben Wolleber nicht als Vorlage gedient; wenigstens steht das wenige, das er mit ihnen gemeinsam hat, auch in anderen Quellen und ist bei ihm mit vielem Fremdartigen vermischt. Sicher hat er, wie manche Chronisten der Zeit, nur Rüxners Turnierbuch benützt, das mit seinem fabelhaften Inhalt die klaffenden Lücken im Wissen über die älteste Zeit bequem ausfüllte. Nicht einmal eine ausführliche Stelle aus Naucler über Konradin, die ihm Martin Crusius (in einem Schreiben vom 9. November 1588) auszog und übersetzte, hat er verwertet.

Auch die Benützung von Handschriften dürfen wir uns nicht so denken, daß ihnen Wolleber einzelne Angaben entnommen hätte; vielmehr hat er sie einfach abgeschrieben und hat sich bei einigen das Verdienst erworben, sie für die Nachwelt zu erhalten. Am auffallendsten ist die Benützung der Chronik, die der Stuttgarter Ratsherr Sebastian König 1554 abgeschlossen hatte. König hatte in Tübingen studiert[10] und war hier von dem Nauclerschen Geist beeinflußt worden; er hatte eine handschriftliche Chronik verfaßt, die nicht ohne Kritik und mit Ansatz zu systematischer Darstellung eine württembergische Historia von den ältesten Zeiten an bot und in der Vorrede wie in einigen Kapiteln Fragen über den Stand der Geschichtschreibung, den Ursprung der Herren von Württemberg, die Herkunft der vielen Graf- und Herrschaften des Landes und die Deutung des Namens Württemberg behandelte. Alle diese Kapitel hat Wolleber anstandslos in seine beiden Bearbeitungen von Historia und Zeitbuch, die Stuttgarter Abschrift seiner Chronik und in seine Chorographie herübergenommen. Ähnlich bei anderen Abschnitten. Der Kanzler Johann Feßler hatte eine Geschichte Eberhards im Bart, namentlich seiner Erhebung zum Herzog, geschrieben; Wolleber hat sie ohne weiteres abgeschrieben. Dr. Georg Gadner, den er auch unter seinen Gewährsmännern nennt, hatte auf Weisung des Herzogs Ludwig für den Erzherzog Ferdinand von Österreich die Herzoge Eberhard im Bart und Eberhard II., später auch Ulrich und Christoph behandelt, wobei ihm die Registratoren an die Hand gingen. Die betreffenden Abschnitte Wollebers erinnern sehr stark an Gadner, wobei dahingestellt sein mag, ob er seine Darstellung selbst oder Vorarbeiten dazu benützt hat. Da wir wissen, daß er eine Handschrift des Schorndorfer Präzeptors Ried über die Städte Stuttgart, Schorndorf und Waiblingen in Händen hatte, dürfen wir mit Sicherheit annehmen, daß die besonders umfangreichen Kapitel Wollebers über diese Städte von Ried stammen. Ähnlich weisen die Kapitel über Gmünd und über den Krieg Württembergs mit Eßlingen in den Jahren 1449–1450[11] auf selbständige Schriften ungenannter Verfasser. Von der ausführlichen Geschichte der Verheerung der Grafschaft Mömpelgard durch die Franzosen[12], die Wolleber in einige Bände aufnahm, wissen wir, daß sie sich auf Berichte der Amtleute stützt und 1588 gedruckt erschien. Von Jakob Frischlins Chorographie Württembergs, die Wolleber vorlag, hat er dagegen höchstens den Namen benützt.

Übrigens haben wir Kenntnis davon, daß der Chronist auch durch persönliche Erkundigungen sein Wissen vermehrt hat. Von Briefen, die er mit Martin Crusius gewechselt hat, war schon die Rede. Daß Crusius ihn achtete, ergibt sich aus einer Stelle in seinen Annales Suevici (III, 821). Bei der Beschreibung jener Reise im Jahr 1588, auf der er die Überreste der Burg Hohenstaufen aufnahm, gibt er an, daß er in Weiler bei Schorndorf den David Wolleber begrüßt habe, der gleichfalls der schwäbischen Geschichte nachspüre. Die Inschriften auf den badischen Grabmälern zu Backnang ließ sich Wolleber von dem dortigen lateinischen Schulmeister Daniel Mehradt abschreiben[13]. Einzelne Daten über den Erzherzog Ferdinand erbat er sich von Christoph Wendler von Bergenrodt, dem österreichischen Statthalter zu Rottenburg[14]. Mit den Schulrektoren Christoph Ried in Schorndorf, Jakob Frischlin in Waiblingen, Simon Studion in Marbach stand er in regem Verkehr, wahrscheinlich auch mit dem Klosterpräzeptor Jakob Walter in Lorch und mit Jakob Spindler, einem früheren Lorcher Mönch. Über vieles, namentlich Zeitgenössisches, hat er jedenfalls auch sonst Erkundigungen eingezogen.

Wir haben gesehen, daß Wolleber den Ursprung der Herren von Württemberg sehr weit zurückführt. Da diese Art der Genealogie jahrhundertelang die herrschende blieb, lohnt es sich, ihrer Entstehung nachzugehen. In der gedruckten Literatur jener Zeit finde ich nur in den schon genannten Werken von Lazius und Sebastian Münster einige Angaben über die ältesten Herren von Württemberg, die weniges Richtige mit wenigem Unrichtigen vermischen und als Quellen für unsere Frage nicht in Betracht kommen, obgleich Matthias Holtzwart von Horburg, dessen 1568 gedruckter Lustgart neuer deutscher Poeterei zu Ehren dem fürstlichen Haus Württemberg[15] im Besitz Wollebers war, seine spärlichen genealogischen Angaben der Kosmographie Münsters entnimmt. Auch wenn wir den Verweisungen damaliger Chronisten auf gedruckte Quellen folgen, kommen wir nicht weiter. So beruft sich Simon Studion für die Hausmeier Pipins, Erbenthal und Eberhard von Württemberg, auf Peucers Chronik (lib. 3, fol. 357); wenn wir aber die Stelle auffinden, so handelt sie wohl von den Hausmeiern, nicht aber von Erbenthal und Eberhard von Württemberg. Oder wenn derselbe für den Grafen Werner von Grüningen, der nach Hessen gezogen sei, sich auf Naucler (Gener. 38, f. 178 – in der Ausgabe von 1579 f. 818) beruft, so findet sich dort wieder kein Beweis für das Gesagte. Wir müssen daher die älteren handschriftlichen württembergischen Chroniken zu Rate ziehen, und da wundert es uns nicht, wenn wir in der ersten Bearbeitung von Historia und Zeitbuch aus dem Jahre 1579 die Angaben Sebastian Königs wiederfinden, der sich seinerseits auf wenige urkundlich beglaubigte Angaben und einige aus den damals für glaubhaft gehaltenen Turnierbüchern beschränkt hat. Schon die zweite Bearbeitung desselben Werkes von Wolleber zeigt, daß dieser weitere Studien gemacht hat. Seine Gewährsmänner werden jetzt abwechselnd Simon Studion und der Hofregistrator (Archivar) Andreas Rüttel (seit 1575 im Amt). Diese beiden hatten, wie es dem damaligen Brauch entsprach, das Bedürfnis gefühlt, die Lücken im Stammbaum der Herren von Württemberg auszufüllen und den Stammbaum selbst recht weit zurückzuführen. Nachdem sie im Anschluß an einen Chronisten Jakob von Mainz, von dem wir sonst sehr wenig wissen[16], angenommen hatten, daß die Herren von Württemberg aus Frankreich stammen, war die Verbindung mit Karl d. Gr. oder schon mit Pipin gegeben. Da man keinen Württemberger fand, nahm man Namen aus anderen vornehmen Geschlechtern und behauptete deren Gleichheit mit den ersteren, weil diese doch gelebt und vornehmen Geschlechtern angehört haben müssen. So sind Graf Erlafried von Calw und namentlich manche Herren von Löwenstein bei Rüttel und Studion Herren von Württemberg geworden[17]. Daß die älteren dann am fränkischen Hofe mit den höchsten Würden ausgestattet wurden, war vollends selbstverständlich. Der naivere Erfinder war Andreas Rüttel (Mscr. 23 des Staatsarchivs S. 33 ff. und S. 1116 ff.), indem er die Reihe durch Hereinnahme einiger fremder und durch Wiederholung dieser und der echt württembergischen bildete. Simon Studion (Mscr. 1 des Staatsarchivs), der versgewandte Lateiner, verbrämte die seinige mit gelehrten Brocken und hat es glücklich dahin gebracht, daß er bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehr oder weniger Glauben fand. Wolleber hat zuerst sich an Simon Studion gehalten, der ihm wahrscheinlich einen Stammbaum aufgesetzt hat; in der Historischen Beschreibung folgte er plötzlich dem Andreas Rüttel, offenbar auch auf Grund eines Aufschriebs, den er von diesem erhalten hatte. In der Chronik kehrte er wieder zu Stadion zurück, nicht ohne durch einzelne Einschiebungen, Umstellungen und Weglassungen zu zeigen, daß er auch noch andere Aufzeichnungen zur Verfügung hatte. Die Rüttelsche Stammreihe beginnt mit Albrecht, dem Großhofmeister Pipins, und Ebertal, dem Karls d. Gr.; die Studionsche bietet eine fortlaufende Reihe erst mit Eberhard im Jahr 893 und seinem Sohn Philipp, genannt Andreas.

Eine besondere Stellung, sowohl was den Stoff, als was die Quellen betrifft, nimmt Wollebers Staufergeschichte ein. Wolleber galt für einen Kenner der Geschichte des schwäbischen Kaiserhauses. Martin Crusius hat ihm nicht nur die schon erwähnte Mitteilung über Konradin aus Naucler gemacht, sondern auch seinerseits ihn um Nachrichten über die Königin Irene, die Maria Graeca, wie sie genannt wurde, und über ihren Gatten Philipp gebeten. Aber von der Nauclerstelle finden wir nichts in Wollebers Buch; dieses macht vielmehr, wie die größeren zusammenhängenden Kapitel seiner übrigen Werke, den Eindruck, als ob es als Ganzes übernommen worden wäre. Dies um so mehr, als es nach Inhalt und Darstellung die Fähigkeiten Wollebers weit übersteigt. Zudem zeigt das unter seinen Papieren nach seinem Tod aufgefundene Konzept nicht seine Handschrift. Wer der wirkliche Urheber ist, können wir nur vermuten. In der kürzeren Staufergeschichte nennt der Verfasser wenigstens für den Abschnitt über die Gräber in Kloster Lorch den früheren dortigen Mönch Jakob Spindler, von dem auch Crusius (Ann. Suev. 3, 445) denselben Abschnitt abdruckt. In derselben Handschrift ist eine kurze Geschichte der Herren von Rechberg, der Nachbarn der Staufer, eine solche der Herren von Ebersberg, der Stifter des unter staufischer Vogtei gestandenen Klosters Adelberg, und eine Geschichte der Stadt Gmünd mit genauer Beschreibung der durch die Schmalkaldener Bundesfürsten 1546 erfolgten Besetzung enthalten. Da wir von Spindler auch noch eine kleine Genealogie der Kaiser und Herzoge aus staufischem Stamm haben, die er als Pfarrer in Gmünd schrieb[18], und da wir wissen, daß er auch sonst sich mit Geschichtschreibung befaßt hat[19], so liegt der Gedanke sehr nahe, daß mindestens die kürzere Staufergeschichte mit Zugehör ein Werk Spindlers ist. Und bei der engen Beziehung, in die Wolleber selbst die kürzere und die umfassendere Darstellung setzte, ist die Vermutung erlaubt, daß auch diese von Spindler stammt, wenn sie auch in einzelnen Angaben nicht ganz mit jener übereinstimmt. Jedenfalls kann der Schorndorfer Schreiber, der in der weiten Gegend sein Gewerbe als Winkeladvokat trieb, leicht eine Arbeit des 1565 zu Gmünd gestorbenen Pfarrers in seinen Besitz bekommen haben.

Trotz der großen Unselbständigkeit sind Wollebers Werke, weil keine besseren zugänglich waren, viel benützt worden. Eine Reihe von namenlosen Handschriften des Staatsarchivs und der Landesbibliothek sind Abschriften oder Auszüge der seinigen mit kurzen Einfügungen und Nachträgen (z. B. Cod. hist. fol. 167 der L.Bibl.); eine ist bequemer Weise mit leeren Blättern durchschossen, auf denen eine Hand vom Anfang des 17. Jahrhunderts einiges beifügte (Mscr.. 26 des St.A.); eine andere ist bis 1630 weitergeführt (Cod. hist. fol. 185 der L.Bibl.). So ist an ihm genau so gesündigt worden, wie er an anderen gesündigt hatte.

Er gelangte nach dem Ausgeführten unter den württembergischen Geschichtschreibern des 16. Jahrhunderts zu einer bedeutenderen Stellung, als er verdiente. Sebastian König war ein Schüler hervorragender Gelehrter. Feßler und Gadner, ähnlich auch Balthaser Mütschelin, verfaßten als hohe Beamte eine Art historischer Staatsschriften. Die vornehmen und gründlichen beiden Gabelkover sammelten unablässig urkundliches Material. Martin Crusius war ein angesehener Universitätslehrer. Wolleber war Liebhaber und Sammler, der ohne genügende Kenntnis mit Eifer gar viel zusammenschrieb und die Anfertigung von Genealogien, Orts- und Familiengeschichten berufsmäßig betrieb. Daß er dadurch ins Unglück kam, hatte seinen Grund nicht nur in seiner eigenen Unvorsichtigkeit, sondern auch, wie wir gesehen haben, in der damaligen Geltung der Geschichtschreibung als einer Art vornehmer, aber gefährlicher Geheimkunst, hat aber auch zur Folge gehabt, daß sein Bild sich deutlicher zeichnen läßt als das seiner hervorragenderen Genossen, über deren ruhige Tätigkeit keine amtlichen Akten erwachsen sind. Es ist immerhin nicht nur Mitleid mit dem viel geplagten, sondern auch Achtung vor dem tapferen und auf dem ihm vertraut gewordenen Gebiete fleißig um sein Brot ringenden Mann, was dieses Bild uns einflößt.


  1. Nach Akten des Staatsarchivs. Weniges über Wolleber findet sich in J. J. Moser, Wirtembergische Bibliothek, S. 70 f. (4. Aufl. 1796), und in K. Pfaff, Quellen der ältesten württembergischen Geschichte (1831), S. 30.
  2. Pfaff a. a. O.
  3. Pfaff a. a. O., S. 24.
  4. Cod. hist. der Landesbibl. f. 137, Vorbemerkung.
  5. Ebenda Cod. hist. 107, Vorbemerkung.
  6. Herzog Karl Eugen und seine Zeit I. 157.
  7. Nicht ganz ausgeschlossen dürfte eine, wenn auch nicht unmittelbare, Entlehnung aus Nauclers Chronica (Köln 1579) sein, wo Männer des Altertums, die geschichtliche Aufzeichnungen hinterlassen haben, als publici notarii rerum gestarum et temporum bezeichnet werden (Einleitung A 4v).
  8. Vgl. J. Giefel in Württ. Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 1904, 141.
  9. Erwähnt bei J. J. Moser, Wirtemb. Bibliothek 1796, S. 50.
  10. Er wurde am 22. Mai 1527 immatrikuliert (Hermelink, Die Matrikeln der Universität Tübingen, S. 259).
  11. Vgl. Chr. Fr. v. Stälin, Wirtemb. Geschichte 3, 476 Anm. 3.
  12. Nach einer Öhringer Handschrift gedruckt von G. Bossert in Vjh. für württ. Landesgeschichte 1880, 9 ff.
  13. Dessen Brief vom 30. November 1589.
  14. Schreiben vom 25. August 1597.
  15. Ein Exemplar in der Universitätsbibliothek zu Tübingen.
  16. Über ihn: Joachim, Johannes Nauclerus und seine Chronik (1874), S. 45 ff., Forschungen zur deutschen Geschichte 20, 55 ff. Deutsche Geschichtsblätter 10, 72.
  17. In einer Widmung von 1597 rühmt sich Studion, daß er in seinem 1579 geschriebenen Werk die Abstammung von den Grafen von Löwenstein und Calw aufgedeckt hat (Mscr. 1 a des St.A.).
  18. Staatsarchiv, Kloster Lorch S. 23.
  19. Chr. Fr. v. Stälin, Wirtemb. Geschichte 4, 8.