David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie/Kapitel 7.18

7.17 Die Geschlechter im quadratischen Körper und ihre Charakterensysteme. David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie (1932) von David Hilbert
7.18 Die Existenz der Geschlechter im quadratischen Körper.
7.19 Die Bestimmung der Anzahl der Idealklassen des quadratischen Körpers.
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18. Die Existenz der Geschlechter im quadratischen Körper.
§ 71. Der Satz von den Normen der Zahlen eines quadratischen Körpers.

Es bleibt noch übrig, den anderen Teil des Fundamentalsatzes 100 als richtig zu erkennen, d. h. den Nachweis zu führen, daß die eben gefundene Bedingung, welche ein System von Einheiten notwendig erfüllen muß, damit dasselbe als das Charakterensystem eines Geschlechtes in vorkommen kann, auch für diesen Umstand hinreichend ist. Dieser Nachweis kann auf zwei völlig verschiedenen Wegen erbracht werden; der erste Weg ist rein arithmetischer Natur, der zweite benutzt wesentlich transzendente Hilfsmittel. Der erste Beweis geschieht durch folgende Überlegungen:

Satz 102[2]. Wenn zwei ganze rationale Zahlen bedeuten, von denen keine Quadratzahl ist, und die für jede beliebige Primzahl die Bedingung

erfüllen, so ist die Zahl stets gleich der Norm einer ganzen oder gebrochenen Zahl des Körpers .

Beweis. Wegen ist gemäß der Bemerkung auf S. 172 oben wenigstens eine der beiden Zahlen , positiv. Wir dürfen voraussetzen, daß und keine rationalen quadratischen Faktoren enthalten. Bedeutet dann eine in als Faktor enthaltene Primzahl, welche zugleich in der Diskriminante des Körpers aufgeht, so ist gleich der Norm eines Ideals in . Bedeutet ferner eine ungerade, in , aber nicht in aufgehende Primzahl, so ist, wegen

,

diese Primzahl ebenfalls gleich der Norm eines Ideals in . Ist endlich die Primzahl 2 in , aber nicht in der Diskriminante des Körpers enthalten, so ist wegen wiederum die Primzahl 2 gleich der Norm eines Ideals in , und mithin gibt es in gewiß stets ein Ideal derart, daß wird. Wir wählen nun in der durch bestimmten Idealklasse ein solches Ideal aus, dessen Norm ist, wo die Diskriminante des durch bestimmten Körpers bedeutet. Dies ist nach Satz 50 stets möglich. Wir setzen dann und ; dabei bedeutet eine ganze oder gebrochene Zahl in , und es wird , wo das positive oder das negative Vorzeichen gilt, je nachdem positiv oder negativ ausfällt. Die ganze rationale Zahl fällt daher insbesondere gewiß positiv aus, falls negativ ist. Da den Wert oder hat, so ist gewiß , und hieraus folgt , sobald , d. h. ist. Andererseits gilt wegen die Gleichung und dann nach Formel in Satz 98 auch für jede beliebige Primzahl .

Wir machen nun die Annahme, daß der zu beweisende Satz 102 bereits für jeden Körper feststehe, bei welchem die bestimmende Zahl , mag sie positiv oder negativ sein, der Ungleichung genügt. Sowie die vorhin gefundene Zahl die Bedingung erfüllt und keine Quadratzahl ist, muß dann, da. auch die Bedingung für jede beliebige Primzahl gilt, infolge der angenommenen Gültigkeit unseres Satzes 102, die Zahl die Norm einer Zahl im Körper sein, d. h. es gibt zwei ganze oder gebrochene rationale Zahlen und derart, daß wird; wenn aber eine Quadratzahl ist, so versteht sich die Möglichkeit dieser Gleichung ohne weiteres. Da sein muß, so folgt hieraus , d. h. es ist die Norm einer Zahl im Körper . Die Verbindung dieser Tatsache mit der Gleichung ergibt ‚ wo wieder eine Zahl in bedeutet.

Der vollständige Beweis unseres Satzes 102 wird hiernach offenbar geführt sein, sobald wir seine Richtigkeit für alle die Fälle erkannt haben, in denen und zugleich statthat. Bei dieser Einschränkung der Zahlen , treffen die Bedingungen des Satzes 102 nur in 8 Fällen zu. Die Gleichungen

zeigen, daß in diesen 8 Fällen unser Satz 102 gültig ist.

Man erkennt leicht, daß der Satz 102 auch in der Abänderung zutrifft, daß die Erfüllung der Bedingung nur für alle ungeraden Primzahlen verlangt, dann aber die Bedingung hinzugefügt wird, daß wenigstens eine der beiden Zahlen , positiv ist [Lagrange (1[1]), Legendre (1[3]), Gauss (1[4])]; in der Tat ist nach Hilfssatz 14 die Gleichung dann von selbst miterfüllt.

§ 72. Die Klassen des Hauptgeschlechtes.

Am Schlusse des § 66 haben wir gezeigt, daß das Quadrat einer Idealklasse stets dem Hauptgeschlechte angehört. Durch den Satz 102 des § 71 haben wir ein Mittel, die umgekehrte Tatsache einzusehen.

Satz 103. In einem quadratischen Körper ist jede Klasse des Hauptgeschlechtes stets gleich dem Quadrat einer Klasse [Gauss (1[4])].

Beweis. Es sei im Körper eine Klasse des Hauptgeschlechts, ein solches Ideal aus der Klasse , welches zur Diskriminante des Körpers prim ausfällt, und sei die mit dem bezüglichen Vorzeichen gemäß § 65 versehene Norm des Ideals . Diese Zahl erfüllt dann für jede beliebige Primzahl die Bedingung , und es ist mithin dem Satze 102 zufolge , wo eine ganze oder gebrochene Zahl des Körpers bedeutet. Setzen wir‚ wo und zueinander prime Ideale seien, so folgt , und mithin ist notwendigerweise . Da ist, so folgt .

Die eben bewiesene charakteristische Eigenschaft der Ideale des Hauptgeschlechts steht in engem Zusammenhange mit einer anderen gleichfalls charakteristischen Eigenschaft dieser Ideale, welche in folgendem Satze ihren Ausdruck findet:

Satz 104. Sind , Basiszahlen des quadratischen Körpers und , Basiszahlen eines zum Hauptgeschlecht von gehörigen Ideals , und ist endlich eine beliebig gegebene ganze rationale Zahl, so lassen sich stets vier rationale Zahlen , , , finden, deren Nenner zu prim sind, für welche die Determinante den Wert hat, und vermittelst derer

wird.

Beweis. Man bestimme ein zu äquivalentes Ideal ‚ welches zu prim ist. Wie in dem Beweise zum Satz 103 bereits benutzt wurde, ist , wenn das Vorzeichen gemäß § 65 gewählt wird, stets gleich der Norm einer ganzen oder gebrochenen Zahl im Körper . Dabei kann so gewählt werden, daß es eine zu prime ganze rationale Zahl gibt, so daß ganz wird. Das Ideal besitzt die Basiszahlen

wo , , , ganze rationale Zahlen bedeuten. Wegen ist die Determinante und daher besitzen die vier Zahlen , , , , die im Satze behauptete Eigenschaft.

§ 73. Die ambigen Ideale.

Im quadratischen Körper werde ein Ideal ein ambiges Ideal genannt, wenn es nach Anwendung der Operation ungeändert bleibt, und wenn es außerdem keine ganze rationale Zahl als Faktor enthält. (Vgl. § 57.) Es gilt die Tatsache:

Satz 105. Die in der Diskriminante des Körpers aufgehenden, voneinander verschiedenen Primideale , …, , und nur diese, sind ambige Primideale in . Die Ideale , , , …, , …, machen die Gesamtheit aller ambigen Ideale des Körpers aus.

Beweis. Daß die Primideale , …, , und nur diese, ambig sind, folgt aus Satz 96. Ist nun ein beliebiges, in Primideale zerlegtes ambiges Ideal, so müssen wegen die zu den Primidealen , , …, konjugierten Primideale , , …,, von der Reihenfolge abgesehen, mit , , …, übereinstimmen. Wenn etwa sich herausstellen würde, so besäße den Faktor , welcher gleich einer ganzen rationalen Zahl ist; da dieser Umstand der Erklärung des ambigen Ideals zuwider wäre, so muß notwendig sein und ebenso , …, , d. h. die einzelnen Primideale , , …, sind sämtlich ambig. Da die Quadrate der Ideale , …, gleich ganzen rationalen Zahlen werden, so schließen wir ebenso, daß die Ideale , , …, notwendig untereinander verschieden sind; damit ist auch der letzte Teil des Satzes 105 bewiesen.

§ 74. Die ambigen Idealklassen.

Wenn ein Ideal der Klasse ist, so werde diejenige Idealklasse, der das Ideal angehört, mit bezeichnet. Ist insbesondere , so heißt die Idealklasse eine ambige Idealklasse. Da das Produkt ist, so wird ; und folglich ist das Quadrat einer jeden ambigen Klasse gleich der Hauptklasse 1. Umgekehrt, wenn das Quadrat einer Klasse gleich ist, so wird , und folglich ist eine ambige Klasse.

§ 75. Die durch ambige Ideale bestimmten ambigen Idealklassen.

Es entsteht nun die Aufgabe, alle ambigen Klassen in aufzustellen. Da offenbar ein jedes ambige Ideal vermöge seiner Eigenschaft eine ambige Klasse bestimmt, so haben wir vor allem zu untersuchen, wie viele voneinander verschiedene ambige Klassen aus den ambigen Idealen entspringen. Wir bezeichnen allgemein irgend welche vorgelegte Idealklassen als voneinander unabhängige Idealklassen, wenn keine darunter die Klasse 1 ist und auch keine gleich einem Produkte von Potenzen der übrigen dieser Klassen gesetzt werden kann. Wir sprechen dann folgende Tatsache aus:

Satz 106. Die ambigen Primideale bestimmen im Falle eines imaginären Körpers stets voneinander unabhängige ambige Klassen; im Falle eines reellen Körpers bestimmen sie oder voneinander unabhängige ambige Klassen, je nachdem die Norm der Grundeinheit des Körpers oder ist. Die sämtlichen ambigen Ideale bestimmen im Falle eines imaginären Körpers und im Falle eines reellen Körpers, entsprechend der eben gemachten Unterscheidung, bez. voneinander verschiedene ambige Klassen.

Beweis. Das Produkt aus sämtlichen in aufgehenden Primidealen ist gleich und mithin ein Hauptideal in . Ist zunächst negativ, jedoch von und verschieden, und ein ambiges Hauptideal in , so muß als Einheit notwendig sein, wo die Werte oder haben kann; hieraus folgt:

oder ,

d. h. ist dann eine ganze rationale Zahl. Damit ist bewiesen, daß in einem imaginären Körper – von und abgesehen – gewiß außer und kein ambiges Hauptideal vorhanden ist. Die beiden hier zunächst ausgeschlossenen Fälle erledigen sich unmittelbar im Sinne des zu beweisenden Satzes 106.

Bei der Entscheidung der fraglichen Verhältnisse für einen reellen Körper kommt es darauf an, ob die Norm der Grundeinheit des Körpers gleich oder ausfällt.

Ist nämlich , so kann man nach Satz 90 die Formel durch eine ganze Zahl in befriedigen und noch ohne rationalen Faktor voraussetzen. Wegen ist dann ein ambiges Hauptideal. Dieses Hauptideal ist von und von verschieden; denn wäre oder , wo der Exponent eine ganze rationale Zahl bedeutet, so würde

 ( bzw. )

folgen; letzterer Ausdruck aber ist stets von verschieden. Ist ferner ein beliebiges ambiges Hauptideal des Körpers , so ist notwendigerweise , wo die Exponenten und ganze rationale Zahlen bedeuten. Setzen wir ‚ so folgt , d. h. ist eine rationale Zahl, und danach gibt es außer , und nur noch ein ambiges Hauptideal, das durch Befreiung des Produkts von etwaigen ganzen rationalen Faktoren entsteht.

Ist andererseits , so gibt es kein von und verschiedenes ambiges Hauptideal in ; denn ist ein beliebiges ambiges Hauptideal in , so gilt notwendigerweise eine Gleichung mit ganzen rationalen , ; wegen ergibt sich , d. h. ist eine gerade Zahl. Setzen wir , so folgt , d. h. ist eine rationale Zahl.

Wir drücken nun von den ambigen Primidealen in ein geeignetes durch und die übrigen ambigen Primideale und, wenn der Körper reell und zugleich ausfällt, weiter noch von diesen ambigen Primidealen ein geeignetes durch und die übrigen dieser Ideale aus. Hierdurch erkennen wir die Richtigkeit des zweiten Teiles des Satzes 106.

§ 76. Die ambigen Idealklassen, welche kein ambiges Ideal enthalten.

Es gilt die folgende Tatsache:

Satz 107. Es gibt im quadratischen Körper dann und nur dann eine ambige Klasse, welche kein ambiges Ideal enthält, wenn der Körper reell ist, das Charakterensystem von in ihm aus lauter positiven Einheiten besteht und endlich die Norm der Grundeinheit gleich ausfällt. Sind diese Bedingungen erfüllt, so entstehen alle überhaupt vorhandenen Klassen von jener Beschaffenheit dadurch, daß man eine beliebige unter ihnen der Reihe nach mit allen aus den ambigen Idealen entspringenden Klassen multipliziert.

Beweis. Wenn der Körper reell ist und das Charakterensystem von in ihm aus lauter positiven Einheiten besteht, so gibt es nach Satz 102 in stets eine ganze oder gebrochene Zahl , deren Norm wird. Ist ferner die Norm der Grundeinheit , so ist diese Zahl notwendig eine gebrochene. Setzen wir , wo und zueinander prime Ideale sein sollen, so wird , und hieraus folgt , also , und bestimmt folglich eine ambige Klasse. Diese ambige Klasse enthält kein ambiges Ideal. Wäre nämlich ein Ideal , wo eine ganze oder gebrochene Zahl des Körpers bedeutet, ambig, so würde folgen, und mithin wäre gleich einer Einheit, etwa , und folglich , was der Konstruktion der Zahl zuwiderliefe. Darnit ist bewiesen, daß die durch bestimmte ambige Klasse kein ambiges Ideal enthält.

Es sei jetzt eine beliebig gegebene ambige Klasse und ein Ideal derselben, so ist gleich einer ganzen oder gebrochenen Zahl des Körpers , und es wird die Norm entweder oder sein. Der erstere Fall ist der einzig mögliche, wenn der Körper imaginär ist, oder wenn der Körper reell ist und wenigstens einer von den Charakteren den Wert besitzt. Sowie nun ist, folgt nach Satz 90, daß wird, wo eine ganze Zahl in bedeutet; dann ist , d. h. gleich dem Produkt eines ambigen Ideals in eine rationale Zahl, und die Klasse enthält mithin ein ambiges Ideal. Ist andererseits und zugleich , so wird , und wir beweisen wie vorhin, daß die Klasse ein ambiges Ideal enthält. Daraus ersehen wir, daß jede ambige Klasse ein ambiges Ideal enthält, falls der Körper imaginär ist, und desgleichen, falls der Körper reell ist und für ihn entweder einer der Charaktere von den Wert besitzt oder ausfällt.

Nehmen wir endlich in dem weiteren Falle, daß keiner dieser Umstände zutrifft, an, es gebe in mehrere ambige Idealklassen, die kein ambiges Ideal enthalten, und wählen aus zweien darunter je ein Ideal, und , aus, so zeigt die vorhin dargelegte Entwicklung, daß die Normen der beiden Zahlen und notwendig den Wert besitzen, und es wird folglich . Nach Satz 90 ergibt sich hieraus eine Darstellung mit Hilfe einer geeigneten ganzen Zahl in . Setzen wir ‚ wo eine rationale Zahl und ein Ideal ohne ganzen rationalen Faktor bedeute, so folgt wegen die Gleichung \mathfrak ‚ d. h. ist ein ambiges Ideal; und dabei ist . Damit haben wir auch den letzten Teil unseres Satzes 107 bewiesen.

§ 77. Die Anzahl aller ambigen Klassen.

Die Sätze 106 und 107 ermöglichen die Berechnung der Anzahl aller ambigen Klassen.

Satz 108. Es gibt in jedem Falle im Körper genau voneinander unabhängige ambige Klassen, wo die Anzahl der Einzelcharaktere bedeutet, die das Geschlecht einer Klasse bestimmen. Die Anzahl der sämtlichen voneinander verschiedenen ambigen Klassen ist daher gleich .

Beweis. Es sei wieder die Anzahl der verschiedenen in der Diskriminante des Körpers aufgehenden rationalen Primzahlen. Betrachten wir zunächst den Fall, daß ein imaginärer Körper ist, so folgt aus den Sätzen 106 und 107 das Vorhandensein von genau ambigen Klassen in ; diese entspringen sämtlich aus ambigen Idealen. Jetzt sei der Körper reell; besteht das Charakterensystem der Zahl in aus lauter positiven Einheiten, so folgt desgleichen aus den Sätzen 106 und 107 das Vorhandensein von genau ambigen Klassen in ; von diesen ambigen Klassen entspringen hier entweder sämtliche oder nur die Hälfte aus ambigen Idealen, je nachdem oder ausfällt. Besitzt jedoch die Zahl für wenigstens einen negativen Charakter, so ist stets ; nach den Sätzen 106 und 107 gibt es nur ambige Klassen in , und diese entspringen sämtlich aus ambigen Idealen. Nun ist die Anzahl der Einzelcharaktere , wenn der Körper reell ist und überdies die Zahl für wenigstens einen negativen Charakter besitzt; es ist in jedem anderen Falle; damit ist unser Satz 108 bewiesen.

§ 78. Der arithmetische Beweis für die Existenz der Geschlechter.

Die gewonnenen Resultate setzen uns in den Stand, auf die Frage nach der Anzahl der Geschlechter die Antwort zu finden, die im Fundamentalsatze 100 ausgesprochen ist; wir können nämlich beweisen, daß diese Anzahl stets gleich ist, und daß mithin alle diejenigen Charakterensysteme, die der Bedingung des Satzes 100 Genüge leisten, wirklich unter den Geschlechtern vertreten sind. Wir bezeichnen die Anzahl der voneinander verschiedenen existierenden Geschlechter mit und die Anzahl der Klassen des Hauptgeschlechtes mit . Da nach § 66 alle Geschlechter die gleiche Anzahl von Klassen enthalten, so ist die Anzahl sämtlicher Klassen des Körpers . Bezeichnen wir ferner die Klassen des Hauptgeschlechtes mit , …‚ so können wir nach dem Satze 103 , …, setzen, wo , …‚ gewisse Klassen des Körpers bedeuten.

Es sei jetzt eine beliebige Klasse des Körpers; da offenbar zum Hauptgeschlecht gehört, so ist , wo eine ganz bestimmte der eben eingeführten Klassen ‚ …, bedeutet. Es ist dann , d. h. diejenige wieder ganz bestimmte Klasse , für welche wird, eine ambige Klasse, und es stellt also der Ausdruck , wenn alle ambigen Klassen und die Klassen , …‚ durchläuft, eine jede überhaupt vorhandene Idealklasse des Körpers dar, und auch jede nur auf eine Weise. Da nach Satz 108 die Anzahl der ambigen Klassen beträgt, so ergibt sich , und es führt die Zusammenstellung dieser Gleichung mit der oben gefundenen zu der Beziehung . Damit ist der Fundamentalsatz 100 vollständig bewiesen [Gauss (1[4])].

§ 79. Die transzendente Darstellung der Klassenanzahl und eine Anwendung darauf, daß der Grenzwert eines gewissen unendlichen Produktes positiv ist.

Der zweite Beweis für die Existenz der Geschlechter beruht auf transzendenter Grundlage; wir entwickeln der Reihe nach die folgenden Sätze:

Satz 109. Die Anzahl der Idealklassen des quadratischen Körpers mit der Diskriminante bestimmt sich durch folgende Formel:

.

Hierin ist das Produkt rechter Hand über alle rationalen Primzahlen zu erstrecken, und das Symbol hat die in § 61 festgesetzte Bedeutung. Für den Faktor gilt, je nachdem der Körper imaginär oder reell, also negativ oder positiv ist:

bez. .

Dabei bedeutet für die Zahl , für die Zahl , für jedes andere negative die Zahl ; andererseits verstehe man für einen reellen Körper unter jetzt speziell diejenige seiner vier Grundeinheiten, welche ist, und unter log den reellen Wert des Logarithmus dieser Grundeinheit [Dirichlet (8[5], 9[6])].

Beweis. Nach § 27 gilt, so lange reell und ist:

,

wo das Produkt über alle Primideale des Körpers zu erstrecken ist. Ordnen wir dieses Produkt nach den rationalen Primzahlen , aus welchen die Primideale herstammen, so gehört, wie aus Satz 97 folgt, zu einer beliebigen rationalen Primzahl in dem Produkte das Glied:

oder oder ,

je nachdem , , ist. Wir schreiben diese drei Ausdrücke in der ihnen gemeinschaftlichen Form:

und erhalten so:

,
wo die beiden Produkte rechter Hand über alle rationalen Primzahlen zu erstrecken sind. Wegen
,

wo alle positiven ganzen rationalen Zahlen durchläuft, wird dann:

.

Die Richtigkeit unseres Satzes 109 folgt nun aus Satz 56, wenn wir den Wert von nach § 25 aufstellen. Zur Ermittelung von ist zu berücksichtigen, daß der Körper die Einheitswurzeln , ‚ der Körper die 4 Einheitswurzeln , , dagegen ein jeder andere imaginäre quadratische Körper nur die beiden Einheitswurzeln enthält (vgl. § 62).

Die wichtigste Folgerung der eben bewiesenen Tatsache ist der Satz:

Satz 110. Bedeutet a eine beliebige ganze rationale positive oder negative Zahl, nur nicht eine Quadratzahl, so ist der Grenzwert

stets eine endliche und von verschiedene Größe [Dirichlet (8[5], 9[6])].

Beweis. Es sei , wo die größte in aufgehende Quadratzahl sein soll; es sei ferner die Diskriminante des durch bestimmten quadratischen Körpers. Dann folgt für jede ungerade und nicht in aufgehende rationale Primzahl gewiß die Gleichung . Die beiden unendlichen Produkte

und

können demnach nur in einer endlichen Anzahl von Faktoren voneinander abweichen. Da das erstere Produkt nach Satz 109 in der Grenze für endlich bleibt, so gilt daher dasselbe auch von dem zweiten Produkt.

§ 80. Das Vorhandensein unendlich vieler rationaler Primzahlen, nach denen gegebene Zahlen vorgeschriebene quadratische Restcharaktere erlangen.

Mit Hilfe des Satzes 110 beweisen wir der Reihe nach folgende Tatsachen: [Dirichlet (9[6]), Kronecker (10[7])].

Satz 111. Bedeuten , ‚ …‚ irgend ganze rationale, positive oder negative Zahlen von der Art, daß keine der Zahlen , , …, , ‚ …, , …‚ eine Quadratzahl wird, und sind , , …, , nach Belieben vorgeschriebene Einheiten oder , so gibt es stets unendlich viele rationale Primzahlen , für die

, , …,

ist.

Beweis. Wir haben, solange ist:

Da der Ausdruck , wie in § 50 gezeigt worden ist, für endlich bleibt, so folgt, daß die über alle rationalen Primzahlen erstreckte Summe

(26)

bei Annäherung von an über alle Grenzen wächst. Ist ferner eine beliebige ganze rationale Zahl, so gilt ähnlich für stets:

ist nicht eine Quadratzahl, so bleibt nach Satz 110 für endlich, und da das gleiche von dem Ausdruck gilt, so folgt, daß dann auch die Summe

(27)

für sich einer endlichen Grenze nähert. Wir setzen nun in (27)

ein und geben jedem der Exponenten , …, den Wert oder , jedoch so, daß das Wertsystem , , …, ausgeschlossen bleibt. Wird dann jede so aus (27) herzuleitende Summe noch mit dem entsprechenden Faktor multipliziert, und werden die hervorgehenden Ausdrücke sämtlich zu (26) addiert, so entsteht:

. (28)

Diese Summe wird, ebenso wie (26), bei Annäherung von an über alle Grenzen wachsen. Sehen wir von den Gliedern ab, die den in aufgehenden Primzahlen entsprechen und die nur in endlicher Anzahl vorhanden sind, so ist im übrigen die Summe (28) gleich , wo nur alle diejenigen Primzahlen durchläuft, für welche die im Satze 111 verlangten Bedingungen sämtlich erfüllt sind. Da mithin auch diese letzte Summe für über alle Grenzen wächst, so folgt, daß jene Primzahlen in unendlicher Anzahl vorhanden sein müssen. Damit ist Satz 111 bewiesen.

§ 81. Das Vorhandensein unendlich vieler Primideale mit vorgeschriebenen Charakteren in einem quadratischen Körper.

Satz 112. Sind

die Einzelcharaktere, welche das Geschlecht eines Ideals in bestimmen, und bedeuten , …, beliebig angenommene, der Bedingung genügende Einheiten ‚ so gibt es stets unendlich viele Primideale im Körper , für welche

ist.

Beweis. In der Diskriminante des Körpers seien die rationalen Primzahlen , …, , enthalten. Es ist oder ; in letzterem Falle sei ‚ und die Bedingung diene zur Bestimmung des Vorzeichens in . Zugleich schreiben wir in diesem Falle . Wir beweisen nun zunächst, daß es unendlich viele rationale Primzahlen gibt, für welche

ist, und unterscheiden zu dem Zweck drei Fälle, je nachdem , , oder nach ist.

Im ersten Falle gehen wir von den Forderungen

aus. Nach Satz 111 gibt es unendlich viele Primzahlen , welche diesen Gleichungen genügen. Da die erste Gleichung auf nach hinauskommt, so wird für diese Primzahlen dann

für gelten.

Im zweiten Falle sei unter den Primzahlen , …, etwa , die Primzahl . Ist dann , so legen wir die Forderungen

zugrunde, und es folgt nach Satz 111, daß es unendlich viele diesen Gleichungen genügende Primzahlen gibt. Wegen der ersten Gleichung wird und überdies für , …, , …‚ . Ist dagegen ‚ so fordern wir:

und die unendlich vielen, diesen Gleichungen genügenden Primzahlen erfüllen zugleich die Bedingungen:

  und  

für ‚ ...‚ , , ...‚ .

Im dritten Falle endlich suchen wir wieder heraus. Wir stellen die Forderungen:

, ;

es existieren nach Satz 111 unendlich viele Primzahlen , welche ihnen genügen, und für welche dann

und überdies für , …‚‚ …‚ wird.

Es bedeute nun eine beliebige solche rationale Primzahl, daß

gilt. Nach Hilfssatz 14 ist dann

und folglich

;

also findet man im Körper in das Produkt zweier Primideale und zerlegbar. Jedes dieser Primideale und erfüllt die Bedingungen des zu beweisenden Satzes 112.

§ 82. Der transzendente Beweis für die Existenz der Geschlechter und für die übrigen in § 71 bis § 77 erlangten Resultate.

Der Satz 112 zeigt nicht nur die Existenz der Geschlechter von neuem, sondern er deckt zugleich eine andere tiefer liegende Tatsache auf:

Satz 113. Unter den Idealen eines beliebigen Geschlechtes im quadratischen Körper gibt es stets unendlich viele Primideale.

Hat man den Satz von der Existenz der Geschlechter auf dem zweiten transzendenten Wege unabhängig von den Sätzen 102, 103 und 108 festgestellt, so ist es leicht, nachträglich auch diese Sätze zu gewinnen. Man hat nämlich dazu nur noch die Kenntnis der Tatsache nötig, daß die Anzahl der ambigen Klassen in jedenfalls ist. Diese Tatsache folgt aus Satz 106 über die Anzahl derjenigen ambigen Klassen, welche aus ambigen Idealen entspringen, in Verbindung mit den Schlüssen im zweiten und dritten Absatz des Beweises zu Satz 107; sie steht bei solcher Ableitung völlig unabhängig von Satz 102 da.

Es bezeichne dann, wie oben, die Anzahl der Klassen des Hauptgeschlechtes, die Anzahl der Geschlechter und ferner die Anzahl derjenigen unter den Klassen des Hauptgeschlechtes, welche gleich Quadraten von Klassen sind. Es folgt wie in § 78, daß ist, und da nunmehr bereits bewiesen, ferner sicher ist, und selbstverständlich besteht, so ergibt sich hieraus und . Die erste Gleichung beweist den Satz 103, die zweite den Satz 108 und sodann den Satz 102 für . Aus Satz 103 und dem letzten Ergebnisse endlich folgt der Satz 102 vollständig. Denn die Zahl darin ist wegen der für sie gestellten Bedingungen gleich der Norm eines Ideals des Hauptgeschlechtes, versehen mit einem Vorzeichen in der in § 65 festgesetzten Weise. Bedeutet dann ein solches Ideal, daß ist, so muß eine ganze oder gebrochene Zahl des Körpers sein, und zwar ergibt sich , woraus der Satz 102 folgt, sobald man berücksichtigt, daß er für gilt.

So sind durch die zuletzt entwickelte transzendente Methode die Resultate in § 71 bis § 78 gerade in umgekehrter Reihenfolge zum Nachweise gelangt, als sie auf dem zuerst eingeschlagenen rein arithmetischen Wege gefunden wurden.

§ 83. Die engere Fassung des Äquivalenz- und Klassenbegriffes.

Wenn wir den in § 24 dargelegten engeren Begriff der Äquivalenz zweier Ideale zugrunde legen, so erfahren die in den Kapiteln 17 und 18 aufgestellten Sätze nur einfache, leicht zu ermittelnde Modifikationen.

Zunächst ist klar, daß der engere Äquivalenzbegriff in einem imaginären Körper unter allen Umständen und in einem reellen Körper sicherlich immer dann mit dem ursprünglichen Äquivalenzbegriffe zusammenfällt, wenn für den Körper die Norm der Grundeinheit ist. Wenn aber reell ist und aufweist, so löst sich eine Idealklasse im Sinne der früheren Einteilung bei der neuen Einteilung regelmäßig in zwei Klassen auf; insbesondere entstehen aus der früheren Klasse der Hauptideale die zwei durch das Hauptideal (1) und durch das Hauptideal vertretenen Klassen der neuen Einteilung. Bezeichnet die Anzahl der Idealklassen bei Benutzung des engeren Äquivalenzbegriffes, so ist daher unter den gegenwärtig angenommenen Umständen [Dedekind (1[8])].

§ 84. Der Fundamentalsatz für den neuen Klassen- und Geschlechtsbegriff.

Dem neuen Klassenbegriff entspricht ein neuer Geschlechtsbegriff: das Geschlecht eines Ideals im Körper soll nämlich nunmehr in allen Fällen gleichmäßig durch die Einheiten

, …,

charakterisiert werden, wo die Norm von im Unterschiede von der früheren Festsetzung stets das positive Vorzeichen erhält. Für einen imaginären Körper stimmt dieser neue Geschlechtsbegriff mit dem alten völlig überein. Das Gleiche gilt für einen reellen Körper , falls das Charakterensystem der Zahl in aus lauter positiven Einheiten besteht. Der letztere Umstand muß offenbar immer eintreten, wenn für die Norm der Grundeinheit ist. Nun sei reell und für die Norm der Grundeinheit , so sind zwei Fälle zu unterscheiden, je nachdem das Charakterensystem der Zahl in aus lauter positiven Einheiten besteht oder nicht.

Im ersteren Falle gehören die Ideale () und beide zum nämlichen Geschlechte, da sich

für , …, ergibt. Die neuen Geschlechter umfassen also die nämlichen Ideale wie die alten, und die Zahl der Geschlechter ist wiederum .

Im zweiten Falle gehören die beiden Idealklassen, welche durch das Ideal () und durch das Ideal repräsentiert werden, zu verschiedenen der neuen Geschlechter. Die Anzahl der neuen Geschlechter ist doppelt so groß, als die der alten; nun war für diesen Fall die Anzahl der Einzelcharaktere bei Zugrundelegung des ursprünglichen Geschlechtsbegriffs nur und die Anzahl der alten Geschlechter daher ; es ergibt sich somit die Anzahl der neuen Geschlechter, ebenso wie im ersten Falle, . Da ferner in jedem Falle das Produkt

ist, so gilt der Fundamentalsatz 100 auch bei Zugrundelegung des neuen Klassenbegriffes mit dem entsprechenden Geschlechtsbegriffe, wenn nur darin statt gesetzt wird.

Die übrigen Tatsachen und Beweise der Kapitel 17 und 18 lassen sich ebenfalls ohne Schwierigkeiten umgestalten, und einige derselben erhalten bei Verwendung der neuen Begriffe sogar noch einen einfacheren Ausdruck.


  1. a b [360] Sur la solution des problèmes indéterminés du second degré. Werke 2, 375 (1868).
  2. Die Kriterien für die Auflösbarkeit der quadratischen ternären diophantischen Gleichungen sind zuerst von Lagrange gefunden worden. [Lagrange (1[1]).]
  3. [360] Essai sur la théorie des nombres 1798.
  4. a b c [358] Disquisitiones arithmeticae. Werke 1 (1801).
  5. a b [357] Sur l’usage des séries infinies dans la théorie des nombres. Werke 1, 357 (1838).
  6. a b c [357] Recherches sur diverses applications de l’analyse infinitésimale à la théorie des nombres. Werke 1, 411 (1839)‚ (1840).
  7. [359] Über den Gebrauch der Dirichletschen Methoden in der Theorie der quadratischen Formen. Ber. K. Akad. Wiss. Berlin 1864.[WS 1]
  8. [356] Vorlesungen über Zahlentheorie von P. G. Lejeune Dirichlet, 2. bis 4. Aufl. Braunschweig 1871–1894.[WS 2]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kronecker, Leopold: Über den Gebrauch der Dirichletschen Methoden in der Theorie der quadratischen Formen, in: Monatsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1864, S. 285–303 Berlin-Brandenburgische Akademie
  2. Dedekind, Richard: Vorlesungen über Zahlentheorie von P. G. Lejeune Dirichlet, 4. Auflage, Braunschweig, 1894, Internet Archive


7.17 Die Geschlechter im quadratischen Körper und ihre Charakterensysteme. Nach oben 7.19 Die Bestimmung der Anzahl der Idealklassen des quadratischen Körpers.
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