Das tapfere Schneiderlein (Meier)

Textdaten
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Autor: Ernst Meier
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Titel: Das tapfere Schneiderlein
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 129–134
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Das tapfere Schneiderlein.


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37. Das tapfere Schneiderlein.

Es war einmal ein Schneiderlein, das nähte um Lohn bei einer Bauersfrau; und wie es nun recht fleißig war, da kam eine Fliege nach der andern herbeigeflogen und plagte es; dann aber ließen sie sich nieder auf die Milchtropfen, die das Schneiderlein beim Frühstück verschüttet hatte, also, daß sich allmählig ein ganzer Schwarm dort zusammenfand. Und wie dieser Schwarm eben im besten Zuge war und trank, da nahm das Schneiderlein eine Fliegenpatsche und that einen kräftigen Streich auf die ungebetenen Milchtrinker, so daß ihrer wenige entkamen. Da staunte das Schneiderlein über seine große Kraft und Gewandtheit und begann die schwarzen Leichen zu zählen und zählte von eins bis dreißig. Dabei wurde es ihm ganz wunderbar zu Muth. „Frau, sagte es, ich kann nicht länger Schneider bleiben!“ „Ei, warum denn nicht?“ fragte die Wirthin. „Zählt doch nur! dreißig Stück auf Einen Schlag! Nein, ich bin zu andern Dingen berufen!“ rief das Schneiderlein, ließ Nadel und Scheere und Fingerhut und all sein Geschirr liegen und schrieb auf ein Blatt Papier mit großen Buchstaben: „Ich hab ohne Zorn dreißig todt geschlagen auf Einen Schlag.“ Dieß Blättchen steckte es dann wie einen Schild an seinen Hut und wanderte hinaus in die Welt.

Wie das Schneiderlein nun so mitten auf der Straße dahinzog, kam ein schöner Wagen ihm entgegen, darin saß ein vornehmer Herr; da schritt es grad auf den Wagen los und wich weder zur Rechten noch zur Linken, so daß der [130] Kutscher zuletzt anhalten mußte; nachdem er aber gelesen, was an dem Hute des Schneiderleins stand, berichtete er es schnell dem Grafen, der in dem Wagen war, und dieser sagte: „guter Freund, ist das auch wahr, was da an eurem Hute steht?“ – „Ei, sagte das Schneiderlein, es muß ja wohl wahr sein, wie könnt’ es sonst da geschrieben stehen?“ Sprach der Graf weiter: „wollt ihr in meine Dienste treten und das Land von den drei Riesen befreien, die auf dem Berge hausen, so will ich Euch meine Tochter zur Gemahlin geben.“ Ja, dazu war das Schneiderlein sogleich mit Vergnügen bereit und zog auf den Berg um die Riesen aufzusuchen.

Unterwegs traf es drei große große Männer, die sagten: „was willst Du hier, Du Erdenwürmlein?“ Da erzählte ihnen das Schneiderlein ganz aufrichtig: „ein Graf hat mir seine Tochter versprochen, wenn ich die drei Riesen auf diesem Berge todt schlüge, und deshalb bin ich hergekommen.“ Da sahen die drei Männer einander an und lachten; denn das Schneiderlein hatte gar nicht gemerkt, daß die drei Männer eben die drei Riesen waren.

Als die drei Riesen nun aber die Worte am Hut des Schneiderleins lasen, stutzten sie und sagten, ob das wahr sei. „Ei freilich, antwortete es, wie könnt’ es sonst da geschrieben stehen?“ – Darauf wünschten die Riesen, daß es doch eine Probe seiner Stärke ablegen möge. „Gut, sagte das Schneiderlein, wir wollen sehen, wer der stärkste von uns ist, und das wollen wir daran erkennen, daß er Waßer aus einem Steine drücken kann.“ Da nahmen die Riesen [131] harte Steine in die Hand und zermalmten sie zu Staub, aber Waßer wollte nicht herauskommen. Das Schneiderlein jedoch hatte zwei flache Steine gesucht und einen alten Käs, den es in der Tasche hatte, dazwischen gelegt, und als es nun an zu drücken fieng, da floßen wirklich schmutzige Waßertropfen aus den Steinen, daß die Riesen sich schier verwundern mußten und es nicht begreifen konnten.

Als sie darauf wieder eine Weile mit einander gegangen waren, fragten die Riesen das Schneiderlein: ob es auch werfen könne? „Das will ich meinen!“ sagte das Schneiderlein, und da es gerade auf der Erde ein Lerchennest sah und das Weibchen über den Eiern brütete, so bückte es sich und fieng flink die Lerche und rief: „Achtung! aufgepaßt!“ und warf den Vogel in die Luft. Der aber freute sich nicht wenig, daß er so schnell wieder loskam und stieg in die Luft immer höher und war bald gar nicht mehr zu sehen. Da guckten die Riesen und guckten sich beinah die Augen aus; aber der Stein kam nicht wieder herunter und sie glaubten fest, daß er bis in den Himmel geflogen sei. Das hätten die Riesen dem kleinen Männlein gar nicht zugetraut und kriegten ordentlich Respekt vor ihm, und weil sie wußten, was es im Sinne führte, so luden sie es ein, bei ihnen zu übernachten und nahmen es mit in ihr Schloß.

Hier merkte das Schneiderlein endlich aus Allem, was es dort sah, daß die drei großen Männer die Riesen sein müßten, und es war ihm gar nicht wohl bei der Sache, weil es seine Absicht schon verrathen hatte. – Als es in seine Schlafkammer kam, untersuchte es deshalb genau sein [132] Bett, und fand einen Leichnam unter demselben. Da grauste es ihm zwar ein wenig, aber es zog doch den todten Mann hervor und legte diesen in’s Bett, und es selbst verkroch sich unter das Bett. Und das war sein Glück.

Denn die Riesen sagten, als sie allein waren: „das Würmlein könnte uns doch noch was zu schaffen machen; wir wollen ihm deshalb lieber gleich heute Nacht sein Lebenslichtlein ausblasen.“ Und wie es eben zwölf Uhr war, trat einer von den Riesen mit einer großen Eisenstange herein und that ein paar mächtige Schläge auf den Leichnam im Bette, daß Alles bebte und sagte, als er fortgieng: „der wird genug haben!“ – Das Schneiderlein aber kroch darauf unter dem Bett hervor und legte die Leiche hinunter und sich selbst in das Bett, und schlief ruhig bis an den Morgen.

Wie verwunderten sich aber die Riesen, als das Schneiderlein wohlgemuth aus der Kammer trat. „Wie hast Du geschlafen?“ fragten sie. „O recht gut! sagte das Schneiderlein; nur haben mich eure Flöhe ein wenig gestochen.“ Da wußten sie gar nicht, was sie sagen sollten, und luden es ein, es möchte doch noch länger bei ihnen bleiben. Ja, das wollte es wohl, und blieb da.

In der folgenden Nacht, als es zu Bett gieng, machte es das Schneiderlein nun wieder ebenso, wie in der ersten, und legte die Leiche in’s Bett und sich selbst unter das Bett. Wie es nun Mitternacht war, kamen zwei Riesen mit einander und hieben beide so wetterlich auf die Leiche los, daß es dem Schneider fast angst wurde. Als sie aber fort [133] waren, legte er die Leiche an ihren Platz und er selbst schlief dann in dem Bett bis zum Morgen. – Da staunten die Riesen noch weit mehr, als das Schneiderlein abermals lebendig hervortrat und sie fragten es sogleich, wie es geschlafen habe? „Recht gut, sagte es; aber ich glaube, es haben mich Wanzen gebißen.“

In der dritten Nacht, dachte das Schneiderlein, werden wahrscheinlich alle drei mit einander über mich herfallen, und dann will ich mich wehren. Das Schneiderlein versah sich deshalb in der dritten Nacht mit einem Beil und legte sich weder in, noch unter das Bett, sondern stellte sich hinter die Thür in die Ecke. Und richtig, als es zwölf schlug, machten alle drei Riesen mit eisernen Stangen sich auf, um das Schneiderlein todt zu schlagen. Aber das stand hinter der Thür und passte wohl auf, und wie der erste Riese hereintrat, bekam er mit dem Beile einen scharfen Hieb in den Rücken, daß er todt hinfiel; ebenso der zweite; und als das der dritte sah, fürchtete er sich vor dem Schneiderlein und floh und lief bis zur Treppe. Aber das Schneiderlein hüpfte schnell hinter ihm her und gab ihm einen „Schuck“ (Schupps), daß er die Treppe hinabstürzte und den Hals brach.

So waren alle drei Riesen todt, und nun begab sich das Schneiderlein zu dem Grafen und bat um die Tochter, die er ihm versprochen hatte. Die Tochter aber mochte das kleine Männlein nicht, und Einige erzählen, das Schneiderlein habe erst noch allerlei tapfere Thaten ausführen müßen, ehe der Graf ihm seine Tochter und seine halbe Herrschaft [134] übergeben habe. So viel aber ist gewiß, daß die schöne junge Gräfin am Ende noch die Gemahlin des tapfern Schneiderleins geworden ist.

Anmerkung des Herausgebers

[309] 37. Das tapfere Schneiderlein. Mündlich aus Heubach. Mehrfach abweichend und ausführlicher in den Märchen der Brüder Grimm, Nr. 20. In Kuhn’s märkischen Sagen das 11te Märchen.