Textdaten
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Titel: Das schwäbische Wagenrennen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 757–760
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Cannstadter Wagenrennen.
Originalzeichnung von Otto Fikentscher.

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Das schwäbische Wagenrennen.
Eine Scene aus dem Cannstadter Volksfest.
Mit Abbildung.

Straßenlärm vor dem Hotel, in dem ich gestern spät Abends Quartier genommen hatte, weckte mich. Ich stand auf und schaute zum Fenster hinaus, da waren schon in erster Morgenfrühe die Gassen der alten innern Stadt Stuttgart voller Menschen. Magnetisch zieht diese alle der eine Pol Cannstadt an. Um mich nicht gegen Schwaben zu versündigen, will auch ich mir das schwäbische Volksfest beschauen, das eben dort im Gange ist; rasch kleide ich mich an und rüste mich zur Wallfahrt mit den Tausenden von Wallern. Das Frühstück wird mit einer gewissen Eile servirt, denn offenbar wollen Köchin und Kellner ebenfalls zum Feste. Man bietet mir Programme und Druckschriften an und drängt mich zur Eile, wenn ich noch ein Plätzchen auf den Schaugerüsten finden wolle. Es ist ein herrlicher Morgen, so schön ihn nur der Herbst aufweisen kann, und ich eile hinaus aus dem engen Häusergewühl auf einen der rebenbepflanzten Hügel, welche das freundliche Stuttgart umgürten. Der Weg ist eine Landstraße und wimmelt von Fuhrwerken und Menschen; von den Bergen südlich der Stadt kommen Haufen von ländlichen Volksfestfahrern herab und leihen der wunderlieblichen Landschaft eine lebenvolle Staffage. Allen brennt die Sohle unter dem Fuße, alle Gesichter lachen und leuchten in Vorfreude. Was kümmert diese Menschen Staub und Hitze? sie amüsiren sich dennoch.

Am Bahnhofe wird das Gedränge lebensgefährlich. Zwar geht von Viertelstunde zu Viertelstunde ein riesiger Zug nach Cannstadt, das man in sechs Minuten erreicht, aber man reißt sich beinahe die Kleider vom Leibe, um zur Casse und gar erst in die Waggons zu gelangen. „Komm, Minele, mir ganget durch d’Anlaga!“ (Komm, Minchen, wir gehen durch den Park) flüstert ein blühendes reizendes Mädchen neben mir ihrer Freundin zu, und ich folge den Beiden. Ein schöner Park mit schattigen Baumalleeen und stattlichen Gruppen alter Bäume führt beinahe in gerader Richtung vom Königsschlosse nach Cannstadt. Auf allen Wegen des Parkes wogt der Menschenstrom; Jung und Alt, Arm und Reich, Herr und Magd schreitet rührig aus, noch einen guten Platz zu erlangen, um die Sehenswürdigkeiten zu schauen. Der Schlangenweg, dem wir folgen, biegt aus den Bäumen heraus, ein Stück staubiger Straße entlang, und vor uns entfaltet sich das hier weitgesprengte, von sanften Hügeln eingeschlossene Thal des Neckars. Auf zwei Hügelkuppen leuchten königliche Schlösser im goldenen Strahl der Frühsonne; am Fuß eines andern Hügels erhebt sich ein saracenischer Bau, eine Villa mit Gewächshäusern und Gärten in maurischem Styl – die sogenannte Wilhelma, eine Schöpfung des verstorbenen Königs. Zwei Stege führen über die Arme des fast versiechten Neckars, und mit einem Male reißt uns der drängende [759] Menschenstrom zwischen Jahrmarktbuden dem weiten Wiesenplan zu, welcher, der Mittelpunkt einer Landschaft von ausnehmender Lieblichkeit, wie geschaffen ist, um Hunderttausende von Festgästen aufzunehmen. Vor uns liegt die improvisirte Stadt von Bier-, Wein- und Kaffeebuden, von Zelten und Baracken mit Sehenswürdigkeiten, Schießständen, Pulcinellen, Bänkelsängern, dressirten Hunden, Tanzböden und der übrigen Zubehör aller Jahrmärkte und Volksfeste. Gaukler, Seiltänzer, Raritätenmänner schreien, unharmonische Musik ertönt, Staubwolken hüllen uns ein. Schulter an Schulter drängt die Menge zunächst in der einen Richtung hin, wo ein weiter Ring von hohen Schaugerüsten eingefriedigt ist, an dessen Umkreise sich noch ein Theil der Schau- und Schenkbuden hinzieht.

Tausenden und aber Tausenden behagt dies Hin- und Herwogen in blendendem Staub und betäubendem Lärm. Mich treibt es zwar auf eines der Gerüste zu gelangen, die gegen ein mäßiges Eintrittsgeld ihre schattenlosen Sitzplätze ohne Lehne den Schaulustigen eröffnen; aber ich sehe plötzlich zwei Bekannte vor mir, welche ostwärts abbiegen, und gelange, ihnen unbemerkt folgend, zu stattlicheren Gerüsten und zu einem luftigen Bau, den grüne Fichtenreiser bekleiden, während auf den Vorsprüngen, welche seine flache Bedachung unterbrechen, sinnige Verzierungen von Getreidegarben, Feld- und Gartenfrüchten, Thyrsusstäbe mit Wein- und Hopfenranken prangen und über dem Aufsatz der Mitte ein Obelisk oder Säulenschaft mit zierlicher bunter Bekleidung von Mais, Obstarten, Weintrauben, Kürbissen etc. sich erhebt, wie es die Abbildung zeigt. Dies ist die Tribüne der Centralstelle für die Landwirthschaft, wozu der Zutritt nur geladenen Gästen gestattet ist. Ihr Erdgeschoß ist eine nach Südwest geöffnete Halle zur Ausstellung von landwirthschaftlichen Erzeugnissen, Modellen und dergleichen und mit einer Nische für die mit der Leitung des landwirthschaftlichen Festes betrauten Beamten. Dieser Tribüne gegenüber, die wohl über hundert Schritt lang sein mag, hat man auf einer Estrade ein luftiges elegantes Zelt für die königliche Familie und den Hof errichtet. Eine Reitbahn von vielleicht dreißig Schritten Breite zieht sich zwischen den amphitheatralischen Schaubühnen und dem Festplatze hin, abgesteckt durch starke Pfosten mit Flaggen und dicke Taue. Nach innen hin theilen ähnliche Pfosten und Taue wieder concentrische Kreise und andere Bezirke ab, welche entweder zur Ausstellung von Preis- und Schau-Vieh, Rennwagen und Rennpferden, landwirthschaftlichen großen Maschinen und Geräthen dienen, oder Baracken und Zelte zu verschiedenen Festzwecken enthalten. Hier liegen lange Reihen von Pflügen, Eggen und anderen Ackerwerkzeugen neuester Construction, dort pustet und zischt eine Locomobile und setzt Dreschmaschinen und andere Hülfsmittel im Großgewerbe des Ackerbaues in Bewegung; dort drüben ist eine Art Hauptwache für die Gensd’armerie; dort eine Art Feldlazarett, mit Arzt und Apotheke gegen mögliche Unglücksfälle. Hier stehen wild und düster blickende riesige Bullen, dort wimmelt in Wagenkörben der zahlreiche Ferkelwurf kolossaler Schweine. Hier tänzeln wild und muthig, aber leicht und zierlich herrliche arabische Pferde von der edelsten Zucht aus den Privatgestüten des Königs; dort wiehern schwere Hengste vom Zugthierschlage, brüllen zierlich blumengeschmückte Färsen, oder blöken feinfließige scheue Schafe. Alles kann jetzt noch betrachtet werden, denn noch hat das Fest nicht officiell begonnen. Plötzlich aber erscheinen flinke Reiter in sehr hübscher Uniform mit niedrigen Bärenmützen und räumen das Innere des Kreises von Allen, die nicht officiell und officiös mit dem Feste zu thun haben.

Es ist jetzt hohe Zeit für mich, mir einen Platz auf dem Schaugerüste zu sichern. In der Stunde, welche ich mit Beschauen der landwirthschaftlichen Sehenswürdigkeiten verbracht, haben sich die hellen Gerüste ringsumher mit dichten dunklen Menschenmassen bedeckt. Nur mit Mühe erkaufe ich mir noch einen Stehplatz auf der obersten Stufe eines Gerüsts in der Nähe der Festtribüne; reizende, blühende Mädchengesichter in meiner Nähe rechtfertigen den Ruf von dem Liebreiz der Schwäbinnen, verrathen jedoch Ungeduld und Erwartung. Die Sonne brennt mit Hundstagsgluth und gegen den Gebrauch der Sonnenschirme protestiren die an der Aussicht verkürzten Nachbarn. Die Verkäuferinnen von Obst und köstlichen Weintrauben circuliren auf den Gerüsten, machen gute Geschäfte und erlangen fabelhafte Preise. Die Sonne rückt dem Zenith näher, die Ungeduld wächst und man blickt forschend nach dem Königszelt, das sich allmählich mit den Angehörigen des Hofes füllt, ob denn die Majestäten noch nicht kommen. Mir ist der Aufschub nicht unerwünscht: von unserm Standpunkte herab kann ich mit Muße das wundersam liebreizende, reiche Gelände betrachten, in dessen Mittelpunkt ich mich befinde. Ein unsäglicher Zauber stiller Anmuth liegt auf diesem Schwabenlande und seinen weichen Hügelformen. Dort nach rechts, wo die Budenstadt sich hindehnt, ist Staub und Qualm, Gewühl, Lärm und Unruhe. Hier nach links, das freundliche Thal hinauf, sind heitere Ruhe, holder Friede, idyllische Anmuth; bunte Tinten von Gelb, Roth und Braun verweben sich in das Grün von Obstwald, von Forst und Weinberg; goldene Lichter lagern auf dem wasserarmen Fluß, seinen weißen Kiesbänken, auf den verdorrten Wiesen und dem braunen Stoppelfeld; in fleckenloser Reinheit blaut der milde Himmel, und in der Luft zittert ein feinflimmernder silberner Duft, welcher mich an Florenz und sein weites schönes Thal erinnert. So im Naturgenuß versunken, höre ich nur mit halbem Ohr auf die Scherze und gutmüthigen Neckereien, womit die Nachbarn die Zeit des lästigen Harrens vertreiben.

Horch, ein Schmettern von Fanfaren! ein lautjubelnder Hochruf! Reiter sprengen heran: der König und sein Gefolge; Galawagen dringen in den Kreis, dahinter ein Geschwader von Reitern in kleidsamer Uniform halb russischen, halb französischen Schnitts: die Stuttgarter berittene Bürgerwehr, die nach altem Brauch ihrem Landesherrn das Festgeleite giebt. Zwei Musikcorps spielen abwechselnd auf der Tribüne. Der König setzt sich zu Pferde, reitet an dem preisgekrönten Schauvieh vorüber und besichtigt die Maschinen; der Blick von Tausenden folgt ihm vergleichend, ob er es auch mache, wie sein Vater, der vierundvierzig Jahre lang dieses Fest besuchte. Die Sache wird aber bald langweilig, wie alles Officielle. Sobald der König die Thiere besichtigt, setzen sie sich in Bewegung, die ganze Rennbahn zu umkreisen, damit er männiglich sie im Vorüberzuge mustern kann, bis ihre Eigenthümer oder Züchter, vor dem königlichen Zelte angekommen, aus der Hand der Beamten den ihnen zuerkannten Preis in goldenen und silbernen Medaillen und gemünztem Gold in Empfang nehmen.

Ist dies vorüber, so bemächtigt sich der Zuschauer eine gewisse fieberische Hast. Die Rennen beginnen, für die meisten Schaulustigen der wesentlichste Anziehungspunkt. Heute rennen nur Pferde von einheimischer Zucht, morgen aber ist ein „Herrenrennen“, vom Würtembergischen Wettrennverein arrangirt. Ich hätte nie geglaubt, daß man einem so bedächtigen und relativ nüchternen Volksstamme, wie dem schwäbischen, eine solche leidenschaftliche Vorliebe für den Turf beibringen könne, wie sie sich nun bei jedem Alter und Geschlecht offenbarte. Als die Renner zur Schau vorbeiritten, welche Theilnahme, welche Discussion! Man stritt, man wettete. Dann das Rennen selbst, wo die Reiter die Bahn, welche ungefähr eine Strecke von einer englischen Meile (2000 Schritten) einnehmen mag, dreimal durchmessen müssen, was in unglaublich kurzer Zeit geschah. Hierauf folgte das weit unterhaltendere Wagenrennen im Trabe auf leichten, einspännigen Karren, ein Schauspiel, um dessen willen ich hauptsächlich das Fest besuchte, das alle Zuschauer wahrhaft elektrisirte und zu lebhaften Erörterungen Anlaß gab, ob der blaue oder der weiße, der rothe oder der orangegelbe Wagen den Sieg davontrage.

Es war aber auch eine Lust, zuzusehen, wie diese Wirthe, Bäcker, Metzger und Bierbrauer aus Cannstadt und der Residenz, sowie die Bauern aus dem Strohgäu und von der Alb mit ihren zum Traben eingeschulten Pferden als Kutscher excellirten und einander den Siegespreis streitig machten. Bei diesem Wagenrennen ist die Bestimmung getroffen, daß die Preise nur im Trab gewonnen werden können. Die Controle hierüber führte ein stattlicher Reiter in schmuckem Habit, wie ich höre, ein Bereiter von einem königlichen Gestüt. Den ersten Preis gewann ein Wirth aus Cannstadt mit einem feurigen Originalaraber, welcher seinen Nebenbuhler, einen stattlichen Bauersmann aus dem Strohgäu, zur Freude seiner zahlreich vertretenen Cannstadter Freunde um eine erkleckliche Strecke überholte. Die glücklichen Sieger wurden von der Menge mit lautem Jubel begrüßt, indessen den später Ankommenden ein minder beneidenswerthes Loos zu Theil wurde; man sah sie alsbald mit trübseligen Gesichtern seitwärts fahren, das Fest verwünschend, an dem ihnen statt Preis und Ehre spöttisches Lächeln und höhnender Empfang zu Theil wurden. Mehr Mitleid übrigens, als die letzten Ankömmlinge unter [760] den Wagenlenkern (zwei junge Metzgermeister aus Stuttgart), erregte bei mir eine stattliche Turnerschaar, welche unmittelbar nach den Rossen um den Ehrenpreis als Schnell- und Dauerläufer zu buhlen hatte, – sie ist heuer zum ersten Male auf dem Cannstadter Rasen als Preisbewerber erschienen und wird sich hoffentlich nicht wieder produciren.

Der übrige Verlauf des Festes bot für mich des Interesses weniger; überdieß ist er auch schon so oft geschildert worden, wie ja die Würtemberger Zeitungen alle Jahre die ausführlichsten Berichte darüber in die Welt senden„ daß ich mir selbst das Anschauen und den Lesern der Gartenlaube die Beschreibung der weitern Festlich­keiten füglich erlassen konnte.