Das neue Rathhaus in Hamburg

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Das neue Rathhaus in Hamburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 188–190
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das neue Rathhaus in Hamburg.

Die merkwürdige deutsche Stadt, einst Königin der Elbe und des Welthandels mit ihren Hanseschwestern, jetzt in dem merkwürdigen Rufe, daß sie eine Republik sei, in der That aber die abhängigste Gemeinde und Wirthschaft in der Welt, abhängig von England, abhängig von benachbarten und sehr entlegenen Staaten und deren Rescripten, ist mit eigenen, aber noch mehr von außerhalb zugeflossenen Mitteln wieder so schön aus ihrer Asche hervorgestiegen, wie selten ein Phönix. Die schönsten und prachtvollsten Bauten sind aber immer noch unterwegs und zum Theil nur erst in architektonischen Zeichnungen vorhanden. Die stolzeste neue Kirche (St. Nicolas) steckt noch im Rumpfe und der Thurm, welcher alle Thürme Europa’s nach dem straßburger Münster an Höhe übertreffen soll, fängt erst an, sich zu erheben. Von dem zweiten größten Prachtbau, dem Rathhause, fehlt nicht nur die Krone, sondern auch Alles vom Körper und Haupte, ja selbst der erste Anfang noch. Doch läßt sich an baldiger Vollendung unter Direktion des hamburger Hauptbaumeisters und Engländers Mr. George Gilbert Scott nicht zweifeln.

Wir geben aus seinen architektonischen Modellzeichnungen zu diesem Baue die Hauptansicht von der Vorderfront aus. Auch ohne besondere architektonische Bildung wird man leicht sehen, daß bei aller Pracht im Großen und Zierlichkeit im Kleinen dieses Bauwerks die Manie Scott’s, Alles zu gothiciren, an einem modernen Rathhause und republikanischen Regierungsgebäude durchaus nicht mit Geschmack angebracht ist. Der gothische Stil hat einmal einen romantisch-religiösen, durch Spitzbogen und Strebepfeiler, schlankes Emporstreben und Durchbrechung materieller, massiver Wände zur Durchsichtigkeit von brabanter Spitzen Materie und Irdisches verläugnenden, d. h. erhabenen Charakter. Im Rathhause soll aber die irdische Republik Hamburg regiert, nicht negirt, irdisches Geld gesammelt und vom Senate wieder zum Besten der Republik, d. h. für irdische Zwecke ausgegeben werden. Dabei denkt Niemand an den Himmel, und überhaupt hat die Republik Hamburg nichts Himmlisches. Der gothische Stil des Rathhauses drückt also in keiner Weise Etwas aus, was mit den Zwecken desselben irgend Etwas gemein hätte. Die gothische Form ist also hier eine eitele, leere, nichtssagende, mißbrauchte. Selbst der moderne, ächte Religions-Kultus strebt nicht mehr mittelalterlich-erhaben schlechtweg vom Irdischen los, sondern sucht es umgekehrt als göttlich zu würdigen und den Himmel auf der Erde, im Irdischen zu erkennen und zu genießen. Deshalb ist im Allgemeinen auch für Kirchen der gothische Stil keine lebendige, ästhetische Form mehr und gerade deshalb, weil er der herrlichste, gewaltigste, klassischste für das mittelalterliche Religions- und Kultus-Ideal, also für ein ganz historisch bestimmtes, historisch vergangenes Streben und Sehnen war.[1]

Für moderne Architektur-Aesthetik ist daher auch der Geist vom gothischen Stile gewichen. Man macht im großartigsten Maßstabe der Nachahmung z. B. am neuen Parlamentsgebäude zu London nur die Schnörkel, nur die Ausartung desselben mechanisch und thatsächlich mit der Maschine nach. Und die am neuen Rathhause zu Hamburg oben hinlaufenden Decorationslöcher sehen gar aus, als sollten die Frau Senatorinnen dort Wäsche trocknen.

Hamburg sieht prächtig aus in seinen neuen Stadttheilen, es würde aber eine schönere, geschmackvollere Physiognomie tragen, wenn es sich guten und großen deutschen Baumeistern anvertraut hätte, statt einem Engländer. In nichts sind die Engländer so verrufen, als in der Geschmacklosigkeit ihrer Architektur, in ihren Bauten, die im Durchschnitt weiter nichts sind, als mit Papier überklebte Zelte, barbarische Holz- und Steinhütten mit wildem Wachtfeuer im Kamin, mit Barbarei an den Wänden, überklebt mit Tapete, verhüllt mit Teppich und Wachstuch. Allerdings ist Mr. Scott einer der gebildetsten Architekten Englands, aber doch auch wieder für moderne Bautenschönheit ganz unbrauchbar, weil er nichts als schön anerkennt, als das, wofür er in irgend einer alten Kirche ein Muster und Ideal nachweisen kann, wegen seiner Gothomanie. Er ist gelehrt, geschickt, hat aber nichts Schöpferisches, keinen Schönheitssinn. Wir wollen hier nicht verrathen, weshalb Mr. Scott über die deutschen Architekten, die sich mit Modellen und Entwürfen für die St. Nicolaskirche einfanden, siegte, wissen aber, daß der meisterhafte Entwurf G. Semper’s aus Dresden (um es allgemein auszudrücken) nur von dem englisirenden Geiste in Hamburg zu Gunsten des Scott’schen zurückgewiesen ward.

Wie die Sachen nun stehen, muß man das Rathhaus und die St. Nicolaskirche und das ganze neue Hamburg eben hinnehmen, wie es ist und wird, obwohl gerade Deutschland und deutsche

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Das neue Rathhaus in Hamburg.

[190] Beiträge zur Wiederauferstehung Hamburgs hier ein größeres Recht geben als je, deutsche Kunst und deutschen Schönheitssinn geltend zu machen. Darin würde zugleich die hauptsächlichste Anerkennung des großartigen und klingenden Mitleids liegen, welches Deutschland gegen das abgebrannte Hamburg bewies. In ähnlichen Unglücksfällen, welche deutsche Städte und Gegenden betraf, hat Hamburg im Allgemeinen wenig oder kein Talent der Dankbarkeit gezeigt.

Abgesehen vom Stile wird das neue Rathhaus namentlich im Innern eine der großartigsten und geräumigsten Civil-Bauten sein. Obenan steht die weite, hohe Senator-Halle mit verschiedenen Bureaux, Commission-Zimmern, Archiv-Räumen um sie her. Dann kommt der Versammlungssaal der Bürger-Abgeordneten, worin letztere mit dem Senate monatlich einmal das Wohl der merkwürdigen Republik berathen, mit Nebensälen für Lokal- und Kirchsprengel-Vertreter. Der dritte Hauptsaal wird die Finanz-Verwaltung und ein Dutzend Steuer-Departements in sich abfächern. Daneben Gerichtshöfe, eine fünfte Abtheilung für verschiedene Bureaux der Verwaltung und Rechtspflege über Bankerotte, Heirathen u. s. w. Das große „Gehege“ wird zu Börsen- und kaufmännischen Geschäften der großen Geldmänner und Handelsfirmen dienen. Die Kosten des großen Baues sind auf 1 Million Thaler berechnet worden, dieselbe Summe, welche für den Bau der St. Nicolaskirche veranschlagt ward.


  1. Mit den Ansichten unsers verehrten Mitarbeiters über gothische Architektur können wir uns doch nicht ganz einverstanden erklären.
    D. Redakt.