Das kaiserliche Stillleben in Fontainebleau

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Titel: Das kaiserliche Stillleben in Fontainebleau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 576
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[576] Das kaiserliche Stillleben in Fontainebleau. Der Kaiser und die Kaiserin der Franzosen führen jetzt ein völlig stilles, zurückgezogenes Leben im Schlosse von Fontainebleau und haben keinen anderen Besuch, als den der Großfürstin Marie von Rußland. Es scheint, als ob die Herrschaften sich einmal von allen geselligen Anstrengungen und Aufregungen erholen wollten, denn sie veranstalten weder Bälle noch Concerte, empfangen blos sehr wenig Besuche und vertreiben sich die Zeit nach dem eigenen Belieben jedes Einzelnen.

Schon sehr früh am Morgen verläßt das kaiserliche Paar seine Zimmer und geht ohne weitere Begleitung stundenlang in den malerisch schönen englischen Anlagen des Privatparks spazieren, worauf man sich stets zum Frühstück in den sogenannten chinesischen Salons versammelt.

Der kaiserliche Prinz steht pünktlich ein halb sechs Uhr auf und trifft nach einem Morgenspaziergang mit seinem Gouverneur zum Frühstück mit seinen Eltern zusammen; später kommt ein Professor der Pariser Universität, der ihm Unterricht ertheilt, ein Theil der Zeit wird auch den Uebungen im Reiten, Fechten, Schießen oder Turnen unter der Anleitung verschiedener Lehrmeister gewidmet. In den Mußestunden lenkt der Prinz sein Velociped (einen kleinen Wagen mit Mechanismus zur Selbstfortwegung nach Art der Draisinen) in den schattigen Alleen des Parks umher, oder er rudert auf dem See in Gesellschaft seines Vetters und seiner Cousinen, der Kinder des Herzogs von Alba, die sich stets in der Nähe und unter den liebevollen Augen der Kaiserin befinden.

Das allgemeine Frühstück wird bald da, bald dort eingenommen, sehr häufig in dem Zimmer, welches Ludwig Philipp und seiner Familie als Lese- und Arbeitszimmer diente, oft auch in einem nach dem Blumengarten zu gelegenen Salon, sehr selten im eigentlichen Speisesaal. Die Kaiserin hegt eine besondere Vorliebe für die „chinesischen Salons“, und man verbringt deshalb die Zeit meistens unter den seltsamen, fremdartigen Erinnerungen aus dem Sommerpalast des Kaisers von China, den goldenen Pagoden, emaillirten Vasen, kupfernen Götterbildern, juwelenbesetzten Schwertern, kunstreich geflochtenen Matten, Porcellanfiguren etc., welche die französischen Soldaten als Beute aus China heimgebracht haben. Nur drei Gegenstände in diesen Zimmern zeigen entschieden, daß man sich in Frankreich befindet: das berühmte Portrait der Kaiserin im Kreise ihrer Hofdamen, von Winterhalter, ein schöner Erard’scher Flügel, und ein kleiner Leierkasten, wie ihn die Savoyardenknaben haben, der das Entzücken des Prinzen bildete, als er noch ein ganz kleiner Knabe war.

Zwei Mal in der Woche führt ein Extrazug die Minister zu Berathungen beim Kaiser, und jeden Abend sendet der Polizeipräfect von Paris einen doppelten Bericht über die Vorgänge und Stimmung des Tages an den Kaiser und die Kaiserin. Mittwochs begiebt sich der Kaiser jedoch regelmäßig nach Paris, um dem Ministerrath zu präsidiren und selbst einmal nach Allem zu schauen.

Spaziergänge und Fahrten durch die herrlichen Alleen des wundervollen Parks nehmen einen großen Theil des Tages in Anspruch, oder man ergeht sich in den Sälen und Zimmern des Schlosses selbst, dem merkwürdigsten und schönsten von ganz Frankreich, wo die Salamander Franz des Zweiten und die Chiffre Heinrich’s des Dritten mit den Halbmonden der schönen Diana von Poitiers verschlungen sind.

Aber Fontainebleau hat auch neuere wichtige Erinnerungen; da ist das Arbeitszimmer des großen Napoleon mit dem kleinen Tisch, auf welchem er die Abdankungsurkunde unterschrieb und an dem die Sporen seiner grimmig aufstampfenden Füße noch sichtbare Spuren hinterlassen haben. Das Zimmer der Kaiserin ist voll von Andenken an Marie Antoinette, z. B. die reichen Seidenvorhänge an den Fenstern, Thüren und dem Bett waren ein Geschenk der Stadt Lyon an die unglückliche Königin; sie wurden während der Revolution heruntergerissen und verkauft, aber Napoleon der Erste entdeckte sie und brachte sie an ihren früheren Platz zurück in das Zimmer der „sechs Marien“, wie es genannt wird.