Das heilige Feuer (Zerstreute Blätter)

Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Das heilige Feuer
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aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 297–299
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Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
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[297]
Das heilige Feuer.


Als Jeremias die Verwüstung des Tempels betraurete, waren alle dienstbaren Engel des Heiligthums um ihn und halfen ihm trauren. Auch Davids und Salomo’s Seelen stärkten ihn und gaben ihm die süßen Gesänge, mit welchen er die Verwüstung ihres Werkes und ihres Volks beweinte. „Die Herrlichkeit Gottes, rief er, ist von hinnen gegangen; der Herr ist hingewichen an seinen Ort.“

„Willt du nicht, sprach der Engel des Feuers, die Flamme des Heiligthums bewahren; vielleicht daß sich Jehovah erbarme und kehre wieder zurück zum Thron seines Hauses.“ Und Jeremias nahm sieben Priester zu sich und verbarg das heilige Feuer in eine tiefe Grube, darinnen kein Wasser war.

[298] Nach wenigen Tagen kam er hinzu und suchte dasselbe; er fand aber kein Feuer, sondern ein dickes Wasser, und traurete sehr. Und der Engel des himmlischen Lichtes stand vor ihm und sprach: „warum traurest du, Mühseliger? Nie wird das Feuer des Herren wiederkehren an diesen Ort. Aber aus dem Schlamm dieses Wassers werden lebendige Ströme entspringen, die die ganze Erde befruchten. Es kommt die Zeit, da man nicht mehr wird zum Berge des Herren gehen, noch zu dem Ort seiner irdischen Wohnung: denn sein ist die Welt. Aller Himmel Himmel mögen ihn nicht verbergen und die Erde ist seines Fußtritts Schemel. Aber ein Licht wird aufgehen vom Herren und alle Völker werden im Glanz desselben wandeln, daß niemand seinen Bruder frage, wer Gott sei? sondern sie sollen ihn alle erkennen, klein und groß und alle schöpfen aus dem Strome des Lebens.“

[299] Der Engel verschwand und Jeremias starb in der Verbannung; als nach Jahrhunderten der zweite Tempel gebauet ward, da war kein heiliges Feuer mehr in demselben und keine Lade des Bundes, auch keine Stimme, den Herren zu fragen: das Allerheiligste stand leer. Aber aus der finstern Leere des Heiligthums entsprang ein Licht und aus der trüben Quelle dieses Tempels flossen Ströme der Erquickung für alle Völker der Erde.