Das geistige Leben Dresdens am Ausgange des 18. Jahrhunderts

Historische Ausflüge in Dresdens Umgebung: Die Zschoner Mühle / Die Meixmühle Das geistige Leben Dresdens am Ausgange des 18. Jahrhunderts (1893) von Theodor Urbach
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Kurfürst Moritz in der Kunst
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Das geistige Leben Dresdens
am Ausgange des 18. Jahrhunderts.
Von
Gymnasialoberlehrer Dr. Theodor Urbach.


Das geistige Leben Dresdens am Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist ein neu werdendes; das Interesse, das es hervorruft, besteht in der Beobachtung des Kampfes, den zwei unversöhnliche Zeitanschauungen mit einander aufgenommen haben. Die ältere wird verkörpert durch August den Starken und seinen Sohn, die neue durch Paris, Weimar, Wien und Königsberg.

Die Zeiten freilich, in denen Dresden der Mittelpunkt Deutschlands war, die Zeiten der beiden glänzenden Polenkönige, sind damals längst vorüber, aber die reichen Kunstsammlungen, die redenden Zeugen der verschwundenen Herrlichkeit, stehen Jedem zum Lernen und Anschauen offen; die Bähr und Chiaveri sind gestorben, aber ihre Bauten, die Frauenkirche und die katholische Hofkirche, erregen noch immer Bewunderung; Hasse, der Kapellmeister, liegt schon zwei Jahrzehnte in der Santa Marcuola in Venedig begraben, aber er lebt in seinen Schöpfungen hier weiter, in seinen Liedern, die Friedrich den Großen einst so entzückten, daß er darum bat, sie ihm mit den Wehen des Zephyrs zu senden. Setzt das Alles nicht ein bestimmtes geistiges Leben in Dresden am Ende der neunziger Jahre voraus? Erwartet man nicht mit Recht, daß Winckelmanns Worte, der Dresden um seiner Kunst willen mit Athen vergleicht, daß das Wort Herders:

Blühe, deutsches Florenz, mit Deinem Schatze der Kunstwelt!
Stille gesichert sei, Dresden-Olympia, Dir,

noch eine gewisse Berechtigung habe in den Tagen jener neunziger Jahre? Und wenn das der Fall ist, wenn die Bewohner dieser Stadt noch gefangen gehalten sind in dem alten, theilweise durch Despotenlaune geschaffenen Geistesleben, wie stellen sie sich zu den gewaltigen, aus der Urkraft des Volkes hervorquellenden neuen Geistesströmungen, die Staat und Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft auf ganz anderen Untergrund setzen sollten? Lauschen die Dresdner schon mit Verständniß dem Liede, das machtvoll von der Seine, der Ilm und der Donau herüberklingt?

Folgen wir zunächst einem jener zahlreichen Fremden, der sich Dresden – es ist ohngefähr 1799 – auf der Meißner Landstraße nähert. Die gut unterhaltene Landstraße, die Lage der Stadt, die Thürme, die Brücke mit dem Kruzifix, Alles wirkt günstig auf den Fremden. Er kommt in die Vorstadt. Die Häuser sind stillos, schwarz – denn in den Vorstädten brennt man bereits Steinkohlen – aber steinern. Die alten Holzhäuser hatten die Kugeln des Preußenkönigs vor 40 Jahren zusammengeschossen. Der große Thorbogen der Festung nimmt den Fremden auf und hier wird ihm der Bescheid, den Mund zu halten, wenn über politische Dinge geredet werden sollte. Das will dem in Leipzig und Berlin an andere Lebensäußerungen gewöhnten Fremden doch zu engbrüstig erscheinen, und seine Vorstellung von den Bewohnern der Stadt ähnelt im Augenblicke dem, was Seume, der Spaziergänger, einige Jahre später schreibt: „Man trifft hier so viele trübselige, unglückliche, [54] entmenschte Gesichter, daß man alle fünf Minuten auf eines stößt, das öffentliche Züchtigung verdient zu haben oder sie aber zu geben bereit erscheint.“

Wer trägt nun unter den 50-60 000 Einwohnern, die Dresden damals hat, die „entmenschten“ Gesichter? Es fehlt freilich noch das unaufhörliche Treiben unruhiger Massen mit dem Anstrich von Kultur und größerer Empfänglichkeit; es sind auch nicht mehr die glänzenden Kavaliere vorhanden, die einst am Hofe der beiden Auguste einen weiten Tummelplatz für politische Abmachungen und für Entfaltung unerhörten Luxus fanden. Aber das Volk, das hier lebt, ist nach dem übereinstimmenden Urtheile der Besucher freundlich, harmlos, einnehmend und vergnügt sich für weniges Geld am Tanze, am Theaterspiel, im Verkehr des Bierhauses.

Obwohl auf flüchtige Beobachtung sein Urtheil gründend, erkannte Seume, der ganz voll war von den Ideen der neuen Zeit, daß alte Gebräuche, veraltete Anschauungen hier vorherrschend waren, und wendete sich deshalb empört ab. Die ausschließliche Lust an geselligen Vergnügungen paßte ihm nicht zur ernsten Arbeit, die Deutschland an anderen Orten an sich vollzog. Die Grundlage für alles Große war nach seiner Meinung hier nicht vorhanden: die Begeisterung, darum spricht er von entmenschten Gesichtern.

Und doch fehlte die Begeisterung für das Neue und Größere nicht so ganz und gar, der Sinn dafür fing wenigstens an, sich zu erschließen. Schüchtern regt sich zunächst der politische Sinn der Bevölkerung. Die große französische Revolution, so weittragend und so viele ungelöste Probleme noch hinterlassend, hat bis zum Jahre 1799 nur wenig zur politischen Bildung Dresdens beigetragen. Die Leute hier bedächtig im Handeln, geduldig im Ertragen, kindlich treu unter der landesväterlichen Waltung lebend, kennen nicht parlamentarische Rechte noch Linke, sind entfernt von jeder politischen Geheimbündelei, lassen sich weder durch den Bauernaufstand des Jahres 1790 in der Lommatzscher Gegend zur Theilnahme hinreißen, noch macht der der Guillotine aus den Wege gegangene Graf Artois, der 1791 bei den Besprechungen der deutschen Monarchen in Pillnitz ist, als politische Persönlichkeit irgend welchen Eindruck. Kurfürst Friedrich August, hochgeachtet im Lande durch seine Fürsorge für dasselbe und um seiner mustergültigen Sittenreinheit willen, findet sich selbstverständlich nicht bewogen, die Meinungen seiner Unterthanen im freiheitlichen Sinne bearbeiten zu lassen. Eine öffentliche Meinung aber in unserem Sinne fehlt, weil die politische Tagespresse mit Parteifärbung fehlt; die Bewohnerschaft ist es höchstens gewöhnt, einer persönlichen Führerschaft zu folgen. Die Lust nun, eine solche Führerschaft auch im politischen Sinne zu übernehmen, wird genährt durch eine verhältnißmäßige Preßfreiheit und durch ungewöhnliche Sucht, politische Schriften zu lesen.

Gegen diese erste Regung, die auf eine neue Zeit hindeutet, erhoben sich zum Kampfe die Anschauungen früherer Jahrzehnte. Das Gute und Böse einer freien Presse noch klug abwägend, ließ Körner, der Vater des Dichters, sein Buch erscheinen: Die Maßregeln gegen den Mißbrauch der Preßfreiheit – ein Beweis, wie brennend die Frage auch hier geworden war. Anders die Regierungsbehörden. Sonst, z. B. unter dem Grafen Brühl, hatte man gegen das lästige „Räsonniren und Kritisiren“ behördlicher Einrichtungen sogenannte Räsonnirpatente erlassen, um denen, die sich des unzulässigen Räsonnirens zumal „von denen in statum publicum lautenden Sachen“ schuldig machten, den Mund zu stopfen, d. h. sie selbst hinterzustecken. Jetzt wurden „Polizeirescripte“ erlassen, „Confiskationen“ bestimmt und Censoren eingesetzt. Aber wie schwer waren die Kanäle zu schließen, die der Lesesucht neues Wasser und nicht immer reinliches zuführten! Buchhändler, die Bibliotheken vornehmer Privatleute, Leihbibliotheken und zwar in Masse, Lesezirkel, Zeitungen boten Lesestoff dar. Besonders gegen Leihbibliotheken und Zeitungen richtete sich der Kampf. 1792 erließ Herr von Burgsdorf an den Rath von Dresden ein Schreiben des Inhaltes: „ob es nun zwar, soviel die Leihbibliotheken betrifft, einer besonderen Concession nicht bedarf – was wenig später aufgehoben wird – so begehren wir jedoch hiermit, da eine Polizeiaufsicht erforderlich ist, Uns wollet Ihr, was bei den Lesebibliotheken etwa künftig für ein Versuch zu beachten sei, gutachtlich berichten.“ Alsbald gehen die Quängeleien los. Die Besitzer solcher Bibliotheken werden fortwährend aufs Rathhaus bestellt, müssen Bürger werden, ihre Bücherverzeichnisse vorlegen, ihre Kenntnisse ausweisen und sich überhaupt als „qualificirbare Subjecte“ zeigen. Wehe ihnen, wenn sie etwa eines der verbotenen und durch ihre Titel hinreichend gekennzeichneten Bücher ausleihen, wie Mirabeaus Briefe; La vie privée de Marie Antoinette; die bekannte Wochenschrift: Der Patriot, in die Forster schrieb; Kritische Geschichte des Adels; Guter Rath an die Völker Europas, bei der Nothwendigkeit, die Regierungsgrundsätze überall zu verändern u. A. Es waren das übrigens ähnliche litterarische Erscheinungen, wie sie auch die französische Revolution vorbereiteten. – Bei Zeitungen trat der Censor in sein Recht, und wenn die Bedeutung erwogen wird, die im Jahre 1795 bereits das Dresdner Wochenblatt der Tagespresse mit Worten zuschreibt: Zeitschriften sind in Rücksicht auf Menge und Lesbarkeit allen anderen Schriften bei weitem überlegen, so ist die Einsetzung der Censoren [55] erklärlich, zumal wenn man die Einladungen zum Halten gewisser Zeitungen liest. Da kündigt sich ein von zwei „relegirten Studenten“ herausgegebenes Journal unter dem Titel an: Journal für Menschenrecht, Volksrecht und Volksglauben. Der bestallte Censor, der Rektor der Kreuzschule Olpe, läßt es passiren, die Behörde verbietet es. Es kündigt sich an: „Jetzt ist der Zeitpunkt vorhanden, wo der Unterthan seine Jahrhunderte durch geraubten Rechte reklamiren darf; der Nebel ist verschwunden, der sonst die Augen der Fürsten verhüllte, der Wahn ist gehoben, nach welchem man die Regenten unmittelbar von Gott herschrieb, und selbst Fürsten fangen an zu fühlen, daß das Volk nicht um ihretwillen da ist.“ Nach Angabe des Inhaltes fährt es dann fort in einer uns durchaus nicht fremdartig berührenden großsprecherischen Weise: „Uebrigens können wir zur Empfehlung vor der Hand nichts sagen, als daß 51 Gelehrte in verschiedenen Gegenden Deutschlands daran arbeiten, daß 40 Correspondenten, deren Wahrheitsliebe wir sattsam geprüft haben, mit uns verbunden sind, daß zwei aus unserer Mitte, Männer von Rang und Gelehrsamkeit, seit zwei Jahren die Fürstenhöfe Deutschlands bereisen und Alles sattsam mittheilen und mitgetheilt haben und die geheimen Wege eröffnen, worauf so verschiedene Fürsten Deutschlands von ihren Dienern zum Nachtheil der Unterthanen berückt worden. Wer wider Hofkabale und Ministerdespotismus durch diese Zeitschrift an das unparteiische Publikum appelliren will, sende seinen Aufsatz und Beschwerden an eins der nachstehenden Postämter. (Das Journal erscheint monatlich, jedes Stück kostet 8 gr. sächs. und enthält 6–8 Bogen).“ – Es ergeht uns am Ende wie dem Rektor Olpe, der nichts Ungehöriges darin fand. Vermuthlich erkannte er, daß das gute Stück Aufschneiderei auf das lesebedürftige Dresdner Publikum berechnet war und daß der Inhalt – ganz im Tone der beginnenden französischen Revolution – sich nicht gegen die Fürstengewalt, sondern gegen die bevorrechteten Stände wendete. Das Journal spricht sich nicht anders aus als die Bürger unserer Stadt. „Unser Kurfürst,“ sagen sie, „ist ein Mann von Rechtschaffenheit, liebt sein Volk, wünscht es glücklich zu machen und hat diesen Wunsch auch schon durch eigene Aufopferung an den Tag gelegt. Unser Fürst hat Staatsbeamte, über deren Redlichkeit nur eine Stimme ist. Aber dieser Schwarm von Höflingen, diese dreifachen Wachen!“

Das sind die geringen Ansätze von politischem Leben; es steckt hier vollkommen in den Kinderschuhen, während drüben, jenseits des Rheins, der Franzose bereits den politischen Kreislauf vollendet hatte und von der absoluten Königsmacht zur absoluten Kaisermacht zurückgelangt war. Die Fackeln, die die deutschen Dichter auch nach dieser Seite hin angezündet hatten, leuchten, aber erleuchten noch nicht. Der harte Sinn, der der Bevölkerung von Haus aus fehlte und der nun einmal zur politischen Bethätigung gehört, sollte erst erwachsen aus dem Jahrzehnte dauernden Ringen nach staatlicher Freiheit.

Bei der Anlage der Bevölkerung gab sich denn ein bei weitem regeres geistiges Leben auf einem anderen, dem politischen geradezu entgegengesetzten Felde kund, auf dem Gebiete des Naturgenusses.

Der Dresdner des vorigen Jahrhunderts blieb bei seiner Gutmüthigkeit und Heiterkeit, bei seinem Sinne für Vergnügen nicht unberührt von der allgemeinen in Deutschland herrschenden Lust und Liebe zur Natur. Freilich nach der Ferne schweifte er nicht. Die Kenntniß von der Eigenartigkeit des Hochgebirges mochte er durch Hallers Lehrgedicht „die Alpen“ oder durch Goethes Reisen kennen gelernt haben; sie selbst zu sehen, dazu war dem einfachen Manne alle und jede Gelegenheit genommen. Schon die allgemeine Stimmung war gegen das weite Reisen. Ist es auch nicht verboten, ins Ausland zu gehen – wie dies einst in Brandenburg geschah – so freute man sich doch, daß der unsinnige Luxus des Reisens, der an die Zeit August des Starken erinnerte, endlich nachgelassen hatte. Dazu kam, daß die guten Verkehrsmittel mangelten. Wie bedenklich waren noch die Straßen und wie unvollkommen die Postanstalten! Wenigstens der schwedische Kammerrath von Ehrenzweig singt nicht das Lied von der Lust, die das Reisen gewährt, wenn er noch 1805 an den Kurfürsten Friedrich August schreibt: „So lange ich Reichspost oder preußische Post hatte, fand ich keine Ursache, meinen Entschluß (die Post zu benutzen) zu bereuen; aber wie erstaunte ich, als man mir in Jena (er geht von da nach Halle) den chursächsischen Wagen vorführte. Wie ist es möglich, daß in einem civilisirten Staate die Oberpostdirection solches Unwesen dulden mag.“ Und nun fährt er fort: „Ein Haufen blinder Passagiere, kein Stuhl, kein Sitz, keine Bedeckung, die stete Möglichkeit, vom Wagen herabzufallen. Es ist doch empörend, wenn man im deutschen Reiche für sein Geld nicht im öffentlichen Postwagen reisen kann, ohne der offenbaren Gefahr ausgesetzt zu sein, sein Leben zu verlieren oder zum Krüppel zu werden!“ – Unter bewandten Umständen blieben die damaligen Dresdner zu Hause und begnügten sich mit ihrer Stadt, vor deren Thoren – so lautet der wörtliche Ausdruck eines Besuchers – „die Empfindsamkeit ihren Thron aufgeschlagen hatte.“

Der Besucher spricht – wohl gemerkt! – von der Landschaft um Dresden vor 100 Jahren. Die seltsamen Verzerrungen der Natur, wie sie der Menschengeist im Zeitalter Ludwigs XIV. fertig gebracht hatte, waren bereits überwundener Standpunkt, gesprengte Felsen [56] aber, Kohlenstaubwege, Fabriken, Eisenbahnen, Schöpfungen unserer Zeit, störten damals noch nicht den einheitlichen Eindruck der Landschaft. Wagte in jenen Tagen des Menschen Hand überhaupt an die Natur zu rühren, so setzte er vielleicht in inniger Verehrung derselben im engen Thale einen Altar der Wahrheit oder in praktischer Verwendung derselben auf luftiger Höhe ein Land- oder Winzerhaus.

Den Elbgeländen entlang von Meißen bis Pillnitz, im Weißeritzthal, im Thal der Röder tummeln sich die Schaaren – die abgeschlossenen, hinter der sächsischen Schweiz liegenden Thäler, sowie diese selbst, sind nur den Auserwählten vorbehalten – und in allen Tonarten, die das ganze Jahrhundert hindurch geklungen hatten, singt man am Ende der neunziger Jahre das Lied von den Reizen der Natur. Die Natur vom Standpunkte der Brauchbarkeit im Sinne von Brockes, die Natur als ein Werk der Allmacht Gottes nach Gellert, als ein Zufluchtsort für Weltmüde und empfindsame Schwärmer, als ein würdiger Gegenstand der Verherrlichung für dichterisches Pathos in der Art Klopstocks, Alles findet sich – oft geschmacklos durcheinander gemischt – in den Liedern oder Beschreibungen, die unsere Gegenden verherrlichen, nur nicht die Natur im Geiste Goethes. Er war hier noch nicht Führer geworden, und die Dichtenden – das dient zu ihrer Entschuldigung – waren keine Dichter.

Die Landschaft mit weicheren Zügen – damals noch bevorzugt – übt auch hier Anziehungskraft aus. Den Zschoner Grund und das Thal der Röder, das Seifersdorfer Thal, bewundern Einheimische und Fremde. Die Zierlichkeit desselben, die zusammengedrängte Vereinigung von kleinem Fluß und sanften Böschungen, der Ausblick auf Feld und das Hereinragen der Wiese, der stille Laubwald und das Verdecken der felsigen Gehänge durch ernsten, aber kleinen Nadelwald, das Alles war im Geschmacke der im Naturgenuß noch unverwöhnten Menschen. Traf nun gar der träumend Dahinwandelnde und mit den vielen damals angeregten philosophischen Problemen Beschäftigte auf ein Denkmal mit Sinnspruch, wie es im Seifersdorfer Thal der Fall war, dann bildete diese Vereinigung von Kunst und Natur „den Gipfel des Glückes.“ Deshalb finden wir die Bitte der Gräfin Brühl an Schiller um eine Aufschrift für den Altar der Wahrheit in dem genannten Thale berechtigt. Sein Genius soll das lauschige Plätzchen heiligen. Dagegen ist es auffällig, wenn ein gebildeter Mann wie Becker in seiner Ankündigung der Beschreibung desselben Thales also singt:

Was für ein Zauberlicht erhellet diesen Hain?
Welch’ hoher Glanz bestrahlt der Felsen Gipfel?
Gleich Geisterwehen rauscht es durch der Espen Wipfel,
Ein heilger Schauer bebt durch mein Gebein.
Ist dies der Elfen Sitz? Schwebt in Armidens Reichen
Mein trunkner Geist? Ist’s Spiel der Phantasie?
Ach, ist’s ein Traum der Götter? Mög er nie,
Der schöne Traum, aus meiner Seele weichen!

Hier ist Elysium! In diesem Wonnethal,
Ist, was bisher uns Dichtern nur gesungen,
Der höchsten Grazie, der Schönheit Ideal
Vollkommen nach der Wirklichkeit gelungen.
Die Kunst, mit der Natur verschwistert und im Bund
Mit ihr allein, selbst Göttern zu gefallen,
Geht mit der Schwester hier vertraulich Hand in Hand,
Ein Paradies entspringet, wo sie wallen, u. s. w.

Welche unklare Verschwendung großer Mittel für einen kleinen Zweck und wie wenig Naturtreue! Das Lied klang noch nicht von der Ilm herüber! Gleichwohl ist die Freude an der Natur schon durch die Abfassung des Beckerschen Werkes erwiesen.

Dasselbe gilt von einer anderen Arbeit Beckers, von seinem 1799 erschienenen großen Werke: Der Plauensche Grund mit Hinsicht auf Naturgeschichte und Gartenkunst. Das Werk half sicherlich einem allgemeinen Bedürfnisse ab. Einen klaren Ausdruck der Freude, die der Besuch des Weißeritzthales bereitete, fand ferner irgend ein Anderer in den Worten: „Der Plauensche Grund bleibt mir immer einzig, und so oft ich irgend ein felsiges Thal mit ihm vergleichen höre, so oft erhalte ich einen neuen Beweis, daß keiner von denen, die ihn kennen, einen passenderen Maaßstab zur Schätzung des Erhabenen und Edlen in der Natur zu finden weiß als eben ihn.“ – Freilich, trat an Stelle der Beschreibung die dichterische Schilderung, so zeigte sich alsbald Geschmacklosigkeit oder Schwulst. So singt einer in der Melodie: „Bekränzt mit Laub“:

Beschützt seist Du, wohlthätiges Gewässer,
Von Sachsens Genius!
Du bist zwar klein, doch auch im kleinen besser
Als mancher große Fluß.

Kein Riesenfisch wälzt sich in Deinen Wellen,
Kein fetter Lachs, kein Stöhr.
Doch Du bist reich an lieblichen Forellen,
Und brauchst Du wohl noch mehr?

und weiter:

So rinne denn, Du Königin der Bäche,
Mit Sümpfen unvermengt,
Dir immer gleich, bis tiefer in der Fläche
Die Elbe Dich empfängt.

O Weißritz, laß der ganzen Gegend Scenen
Durch Dich verschönert sehn,
Wenn dieser Stadt verehrungswerthe Schönen
An Deinem Ufer gehn.

Die nicht minder leicht erreichbare Lößnitz und die Loschwitzer Berge gaben Gelegenheit, sich ihrer stets zu freuen. Die zahlreichen Landhäuser, die vielen Vergnügungsorte auf den Weinbergen und ihr reger Besuch, [57] die Lust, jede Jahreszeit sich dort zu belustigen, beweisen es zur Genüge. Und es ist nicht bloß die eben gewonnene sorgenfreie Stellung, nicht bloß der Verkehr mit gleichgestimmten Menschen, es wirkt gewiß auch die Landschaft mit ihrer Ruhe und ihrer Heiterkeit auf das erregte Gemüth des Dichters des „Don Carlos“, wenn er am 13. September 1785 an Huber schreibt: „Abends gegen 5 Uhr fuhren wir nach dem Weinberge, unterwegs fand ich die himmlischste Gegend. Die Aussicht von dem Gartenhäuschen und der Untergang der Sonne soll ganz zum Entzücken sein. Alles hier herum wimmelt von Weinbergen, Landhäusern und Gütern.“ „Himmlisch“, das traf das Herz der Dresdner.

Der Dresdner lebte zu viel in dieser Natur, als daß er sich daran nicht gewöhnt hätte, aber der zahlreich zuwandernde Fremde wies ihn stets darauf hin und hielt den Sinn wach. Der Fremde war es auch, der die für die große Menge noch verschlossene sächsische Schweiz zu erschließen anfing. Die Bahnbrecher sind die fremden, besonders schweizerischen Künstler an der Akademie. Sie sind es, die die Aehnlichkeit der hiesigen Gegend mit der schweizerischen zuerst hervorheben und darum vielleicht als Urheber des Namens „Sächsische Schweiz“ angesehen werden müssen. Ihrem Griffel verdankt die landschaftliche Schönheit Sachsens ihren weiteren Ruhm. Ihren Spuren folgen, aber immer nur vereinzelt, ein Götzinger, ein Veith mit Beschreibungen der Schweiz, und diesen wieder schließt sich der fremde Wanderer der neunziger Jahre an und in seinem nie fehlenden Reisewerke überlegt er bereits, ob die Aussicht vom Porsberge oder vom Königsteine schöner sei, und giebt auch den Rathschlag, Hohenstein, Schandau zu besuchen. Schwer zugängliche Wege und Mangel an jeder Bequemlichkeit – giebt es doch in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts nur Bauernhäuser, in denen man absteigen kann – halten ihn um so weniger ab, je klarer in ihm das Bewußtsein von der eigenthümlichen Schönheit der sächsischen Schweiz wird. Und daß es auch damals Männer gegeben hat, die das Elbthal in seiner landschaftlichen Schönheit zu schildern wußten, das beweist Theodor Körner mit seinen Liedern. Doch er, unter besseren Einflüssen aufgewachsen, war nur der Geburt nach Dresdner.

Eine Thatsache muß Jedem befremdlich erscheinen. Der Sinn der damaligen Bevölkerung für Natur ist groß; die Landschaft selbst um Dresden ist wunderbar vielfach gestaltet, heute wie damals; der Zustrom der Fremden ist schon vor 100 Jahren ein bedeutender und deren Begeisterung für die Umgebung der Stadt tönt täglich in die Ohren der Einheimischen; Goethe und Schiller endlich haben 1799 bereits gezeigt, wie man die Natur verwendet – und trotzdem sind die auf Dresdner Boden erwachsenen dichterischen Verherrlichungen der Natur geschmacklos, weichlich, empfindsam. Das führt zu der Frage: Wie steht es mit dem geistigen Leben im engeren Sinne, mit dem litterarischen, künstlerischen, wissenschaftlichen Leben Dresdens im Jahre 1799?

Die Wissenschaften im modernen Sinne waren allerorten in Europa erst im Aufgehen begriffen; dasselbe war der Fall mit Malerei und Plastik. Nur die deutsche Musik und die deutsche Dichtkunst standen auf ungewöhnlicher Höhe; ja die deutsche Litteratur hatte sich der Herrschaft der Welt bemächtigt. Auf die Frage: Hat Dresden schon 1799 theilgenommen an dem neuen Leben, muß mit Nein geantwortet werden. Das ist um so überraschender, wenn man die Entwickelung der Stadt in unserem Jahrhundert sich vergegenwärtigt. Hier lebte später in hohem Ansehen das Haupt der romantischen Dichterschule, Tieck; hier war lange Zeit ein Jungdeutscher, Gutzkow, beschäftigt; hier feierte die romantische Musik unter C. M. v. Weber ihre Triumphe; hier wirkten später ein Schnorr, L. Richter, Semper, Bendemann, Rietschel, hier waren anerkannte Theatergrößen Jahrzehnte lang thätig. Gewiß hat in erster Linie zu solcher Hebung der Stadt in unserem Jahrhundert die Fürsorge der Regierung mitgewirkt. In zweiter Linie kommt die Lage der Stadt, das billige Leben und vor Allem der günstige Nährboden in Betracht, den irgend welche Bestrebungen in der Anlage und den Neigungen der Bewohnerschaft finden. Nun ist es ganz sicher, daß die materiellen und geistigen Grundlagen, auf denen das Dresden von 1799 und z. B. das von 1830 standen, sich so wesentlich nicht verschoben haben. Das Leben um 1799 ist nicht theuerer als im Jahre 1830, um ein Drittel billiger als in Leipzig, viel billiger als in Berlin; die Umgebung der Stadt ist immer dieselbe geblieben; die Anlage der Bevölkerung, ihre Neigungen sind musikalischen und Theatergenüssen immer zugewendet gewesen, ihr Wesen war immer ein gutmüthiges und friedfertiges, ohne steifes Rückgrat und geneigt, alles Besondere, selbst Absonderliche zu bewundern. Vergesse man doch nicht, daß der seltsame Personenkultus der sogenannten Stadtoriginale bis zum Anfang des Jahrhunderts zurückreicht!

Der auffällige Gegensatz des künstlerisch thätigen und angeregten Dresdens unseres Jahrhunderts und des theilnahmlosen Dresdens vom Jahre 1799 muß seine Erklärung theils darin finden, daß die gewaltigen Ereignisse der napoleonischen Zeit den engen Gesichtskreis der Bewohner dieser Stadt bedeutend erweitert und ihren Sinn für vieles Neue erschlossen haben, theils auch in dem verschiedenen Verhalten der sächsischen Fürsten in jener und der späteren Zeit.

Wie schon gesagt, war der Dresdner, in Ermangelung einer öffentlichen Meinung, auf eine persönliche Führerschaft [58] angewiesen, wenn er neue Wege einschlagen sollte. Zu dieser Führerrolle war nach der damaligen Auffassung vom Staate und Herrscher zunächst der Herr des Landes berufen. Friedrich der Große hatte ein glänzendes Beispiel gegeben. Kurfürst Friedrich August war dieser Aufgabe nicht gewachsen, sein Blick war mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft gerichtet, seine ganze Art war streng abgeschlossen und beharrte mehr als ernst auf dem Alten. Das mußte die Verhältnisse der kleinen Residenz stark beeinflussen und auch die gedeihliche Entwickelung von Männern, die durch Geistesanlagen zu Führern ihrer Mitbürger bestimmt waren, hemmen. Damit ist nicht gesagt, daß der Kurfürst etwa künstlerischen und wissenschaftlichen Bestrebungen ohne Verständniß gegenüber gestanden hätte. Er hatte von seiner geistvollen Mutter Marie Antonie das Interesse für Kunst geerbt, war Virtuos auf dem Clavier und Komponist des heute noch gehörten Salve regina. Ferner war Gellert – damals allerdings litterarisch betrachtet bereits überwundener Standpunkt – von ihm hoch geschätzt. Er hatte, wenn auch vergeblich, Lessing und den Philologen Heyne zu Oberbibliothekaren der kurfürstlichen Bibliothek zu gewinnen gesucht. Auch verschloß er sich nicht den dringenden Forderungen seiner Zeit. Zu den schon bestehenden Schulanstalten wurde das Friedrichstädter Seminar neu hinzugefügt, Nicolai und Dinter wurden berufen. Man fing auch hier an, die Gesetze in fridericianischer Art zu handhaben, man kämpfte durch öffentliche Vorlesungen auf medizinischem und naturwissenschaftlichem Gebiete, durch Benutzung mineralischer Heilquellen, durch Einimpfung der Pocken, durch Einführung neuer Erfindungen (1776 des Blitzableiters) gegen den durch die lebhafte Phantasie jener Tage und durch Schwarzkünstler aller Art genährten Aberglauben an. Auch der still wirkende Gelehrte fand allenfalls noch sein ruhiges Dasein. Adelung war hier kurfürstlicher Oberbibliothekar, Hasche schrieb seine Geschichte der Stadt Dresden, der Rektor der Annenschule, Heymann, verfaßte sein Künstler- und Gelehrtenlexikon. Allein was bedeutet das Alles gegen die gewaltige Erhebung der Geister und gegen die bedeutenden Schöpfungen zumal auf litterarischem und musikalischem Gebiete außerhalb der Mauern dieser Stadt. Es kommt hier Keiner auf oder es kommt Keiner her, der am Webstuhl der Geschichte mitarbeiten kann. Die beiden einzigen, die hier genannt zu werden verdienen, sind durch ihre Berufsthätigkeit gewissermaßen auf bestimmte Ideenkreise hingewiesen und wirken allein anregend als Redner auf ethischem Gebiete. Das ist der katholische Hofkaplan Schneider, der sich bereits vorher in Leipzig eines besonderen Rufes bei der Studentenschaft erfreut hatte, und der noch heute im Andenken alter Dresdner hochstehende Oberhofprediger Reinhard. Seine Predigten anzuhören, galt als Genuß; sie, die in mehr als eine lebende Sprache übersetzt wurden, thaten den Besten der Zeitgenossen Genüge, seine Wirksamkeit für Schule und Kirche war bedeutsam. Ihm, dessen Liebling Polybius war, dem die orientalische Bibelsprache und die drei Hauptsprachen Europas bekannt waren, der Philosophie und Geschichte mit Vorliebe trieb, der in seinem Studierzimmer die Büsten von Luther und Klopstock vor sich hatte, ihm waren Zeitgenossen und Zeitverhältnisse sicherlich doch kein Räthsel; er war ja auch ein Aufklärer des Volkes im besten Sinne, nur konnte er, wie schon gesagt, allein auf dem von ihm erwählten Gebiete wirken.

Wohin wir aber sonst sehen, es fehlt an Männern, die Vertreter der neuen Ideen waren, die dem Volke Lehrer werden konnten auf dem neuen Wege, die der Volksseele das erschließen konnten, was bisher ausschließlich geistiges Eigenthum der höheren Stände gewesen war, d. h. Kunst und Litteratur. Man beachte doch nur, wie günstig der Boden in Dresden für solche Erschließung war. Die großen Kunstsammlungen der beiden Auguste waren doch unvergessen, und die Winckelmann, Herder, Lessing, Goethe bewunderten sie auch. Wen trifft nun die Schuld, daß sich der alte Körner bitter beklagen durfte: Wir haben gar keinen Bildhauer hier? Wen trifft die Schuld, daß die Architektur seit dem Tode des Krubsacius ungepflegt daniederliegt, der in seinen Bauten, dem Ständehaus auf der Landhausstraße mit den mächtigen toskanischen Säulen und dem gewaltigen Treppenhause, sowie in dem Prinzenpalais auf der Zinzendorfstraße zur klassischen Richtung zurückgekehrt war? Und wenn die Malerei und Kupferstecherkunst bessere Vertreter hat, so ist das auch mehr die Folge älterer Einrichtungen als die des Eingreifens des Kurfürsten.

Wesentlich wirkte hier die Akademie. Hagedorn, der einstige Organisator und Direktor der Akademie, hatte persönlich zwar das Kunstwerk nur vom Standpunkte der technischen Vollendung angesehen, war aber doch durch Berufung bedeutender Künstler ein Förderer der Kunst geworden. Aber Männer wie Casanova, Dietrich, Canaletto sind bereits gestorben oder weggezogen. Ein einziger blieb noch übrig, der von Körner und Schiller hochgeschätzte Schweizer Anton Graff, dessen hervorragende Gabe, den Charakter des Gemalten scharf auszuprägen, außer anderen Bildern der Galerie sich auf dem im Körnermuseum befindlichen Bilde Schillers zeigt. – War es mit der Kupferstecherkunst noch besser bestellt als mit der Malerei, so hatte allerdings der Kurfürst das Verdienst, dem bedeutendsten Vertreter dieses Faches, dem in Paris gebildeten Zingg, die Erlaubniß gewährt zu haben, die ihm gefälligen Landschaften im hiesigen Lande, mit Ausnahme des Königsteins, zu zeichnen, allein der bedeutsame [59] Einfluß, den diese Kunst als Erzieherin des Volkes ausübte, war doch besonders der Unternehmungslust der Buchhändler zu danken, die wußten, wie gern mit Kupferstichen versehene litterarische Werke vom Publikum gesehen und gekauft wurden. Das Leben, das sich in dieser Kunst entwickelte, war ein regeres. Mochte Zingg im Einzelnen „manierirt“ sein, so war er doch ein verdienstvoller Mann. Er, der Weitgereiste, ist vielseitig in der Darstellung von Thieren, Bäumen, Figuren und Landschaften; er ist ein schöpferischer Künstler als Bearbeiter der Landschaften des sächsischen Landes, des Erzgebirges, des Weißeritzthales, der sächsischen Schweiz, deren Schönheiten er auch dem nichtsächsischen Publikum bekannt macht; er ist vor Allem ein anregender Lehrer seiner Schüler. Aus seiner Werkstätte geht der Landschafter Klengel hervor, mit derselben peinlichen Ausführung der Einzelheit und der Zartheit in den Stimmungsbildern, geht auch hervor der Vater Ludwig Richters. Und wenn es auch erst dem Pathenkinde Zinggs, Ludwig Richter, gelingen sollte, die mechanische Darstellung des Baumschlages seines Pathen in eine naturgetreue zu verwandeln, wenn es auch ihm erst glückte, der thaufrischen Frühlingsnatur mit ihrer Klarheit der Luft auf Wiese, Blume und Blatt das Geheimniß ihrer wahren Nachahmung zu entlocken, so hatte Zingg doch den Grund dazu gelegt.

Viel wirkungsvoller als auf den genannten Gebieten konnte und hätte sich der Einfluß des Kurfürsten in der Musik geltend machen müssen. Hier waren geradezu glänzende Vorbedingungen gegeben. Der Kurfürst ist hier Fachmann und Liebhaber, der Sinn der Bevölkerung für Musik wird stets wachgehalten. Der Sängerchor der Kreuzschule, früher unter seinem Kantor Homilius, damals unter Weinlig, wirkt in der Kirche, auf der Straße, bei Hofe. Die kurfürstliche Kapelle unter ihren Meistern Naumann, Schuster, Seidelmann, mit der Fülle von Künstlern ersten Ranges (damals besonders den Flötisten Götzel und Printz, dem Oboisten Besozzi, den beiden Clarinettisten Roth), wirkt bei jedem Hochamte in der katholischen Kirche, und das Anhören desselben, wo Gesang, Orgel und Instrumente zu einer „wahren Feenharmonie“ verschmelzen, wird von allen Fremden aufs angelegentlichste empfohlen. „Die Musik befinde sich hier auf dem Gipfel der Vollkommenheit.“ Endlich unterhält der Fürst eine italienische Oper.

Gerade auf dem Gebiete der Musik zeigte sich das Ringen der alten und neuen Richtung, aber zugleich auch das Beharren des Kurfürsten auf Seite der ersteren. Erklärlich, aber nicht entschuldbar war dies Beharren. Zunächst waren die italienischen Sänger und Kapellmeister gegen das Aufkommen der deutschen Musik. Sodann konnte der Kurfürst die Meinungen gestorbener und noch lebender Zeitgenossen für die ältere Musikrichtung ins Feld führen. Seine musikalisch vorzüglich gebildete Mutter beschwerte sich über den Lärm Mozartscher Kompositionen; Friedrich der Große äußerte einmal: Lieber möchte ich mir von einem Pferde eine Arie vorwiehern lassen als eine Deutsche in meiner Oper zur Primadonna haben. Schiller, ein Verehrer von Gluck, nannte Haydn’s „Jahreszeiten“ einen Mischmasch. Immerhin gehörte der Kurfürst einer vorgerückteren Zeit an; seine Stellung schloß die Pflicht in sich, dem anderwärts für groß Geltenden sich nicht zu verschließen. Das that er; denn wenn er auch Mozartsche Clavierkompositionen für sich spielte, so wissen wir doch, daß nur einmal, 1781, Mozarts „So sind sie Alle“ zur Aufführung kam, im übrigen aber die Lieblingsspeise des Fürsten, die erheiternde opera buffa, vorgesetzt wurde. Der Ton der Mißstimmung darüber, als ob Gluck, Mozart, Haydn erst geboren werden sollten, liest sich sehr vernehmlich aus den Berichten der Dresden besuchenden Fremden heraus.

Zum Glück lag die deutsche Oper nicht ganz brach, so daß die Bewohner der Stadt wenigstens eine Ahnung der draußen herrschenden Frühlingspracht bekamen. Die Gesellschaft des Joseph Seconda, die in dem Fachwerkhause auf dem Linkeschen Bade spielte, pflegte die deutsche Oper neben vielen französischen und italienischen Operetten. Mit einer Art von Ehrfurcht lesen wir in den damaligen Zeitungen: 1791 Mozarts Entführung, 1793 die Zauberflöte, 1795 Figaro, 1796 Titus, und mit noch größerer Spannung verfolgen wir die Tageskritik, die den unmittelbaren Eindruck wiederspiegelt. Mit Freude finden wir, daß die Zauberflöte fünfmal hintereinander aufgeführt wird und zwar mit erhöhten Eintrittspreisen. Wundern wir uns auch, wenn wir vom 9. Juli 1793 lesen: „La Cifra von Salieri, nach der Zauberflöte wol eine der beliebtesten Opern,“ so klingen doch die Worte der Kritik vom 9. August desselben Jahres über die Zauberflöte wie Musik: „Diese Oper ist das Meisterwerk und der Schwanengesang des großen Mozart, eines Mannes, dem keiner unserer lebenden Tonsetzer an Reichthum und Ueppigkeit und doch auch an Mäßigkeit und Nüchternheit der Phantasie, an schmelzenden Melodien, an Gesang und an Ausdruck gleichkommt. Nur für den empfindsamen Menschen sind seine Harmonien; ein Triller-Publikum – der Hieb ist verständlich – ist nicht für seine Göttertöne empfänglich.“ – Die Wuth, die der Kritiker gleich darauf bekundet, daß sogar das Logenpublikum den unwürdigen Possen Schikaneders unverdienten Beifall gespendet habe, ist ja nicht ungerechtfertigt.

Der letzte und wichtigste Maßstab, noch verläßlicher als die Musik, an dem am Ende des vorigen Jahrhunderts das geistige Leben der Stadt gemessen werden kann, ist die Litteratur. Goethe und Schiller sind [60] Führer der Nation geworden, aber bereits erheben auch gegnerische, tiefer stehende Geister ihr Haupt. Wofür entscheiden sich die Dresdner und welcher Einfluß wird von oben her in dieser oder jener Richtung ausgeübt? Das litterarische Leben Dresdens bietet dasselbe Bild wie das übrige geistige Leben, es ist auch ein erst werdendes. Das ist um so betrübender, je verständlicher die Sprache eines großen Dichters in ihrer elementaren Kraft doch Jedem ist und je leichter die Gelegenheit, sie zu hören und auf sich wirken zu lassen, Jedem geboten wird.

Ganz zu schweigen ist selbstverständlich von den dichterischen Eintagsfliegen, den weinerlichen Ergüssen zum Neujahr, den lüsternen Betrachtungen der Vogelwiese oder Versen etwa der Art, wie sie die damalige Dresdner Zeitung über „Roland“ bringt:

Vor alten Zeiten gab’s einmal
Einen Ritter sondersgleichen,
Bekannt, verrufen überall
Durch Wunder und durch Zeichen,
Denn in dem ganzen Schöpfungsraum
Gab es wohl seines Gleichen kaum u. s. w.

Solche Dichtung wird auch heute, auch nach dem Tode des letzten vielverspotteten und doch unentbehrlichen Stadtoriginals, des Volkshelden der Vogelwiese, Liebhaber in manchen Schichten finden, aber diese sind nicht maßgebend für die Beurtheilung des Geschmackes der Bevölkerung.

Man begegnet oft in den Schriften jener Tage der Klage über den in Dresden verfallenden Geschmack, und diese Klage berührt sich eng mit dem harten Urtheil hochgebildeter, ja maßgebender Personen über Dresden. Versuchen wir die Sache zu ergründen!

Ohne Zweifel wird viel gelesen, wie politische so auch Unterhaltungsschriften. In einem der offenbar von Gebildeten unterhaltenen Lesezirkel finden wir verzeichnet: Vaillant, Reise in das Innere von Afrika; Jardier, Reise nach Marokko; Forster, Ansichten vom Niederrhein; Neue Quartalschrift aus den neusten und besten Reisebeschreibungen; Thümmel, Reisen; Archenholz, Annalen der brittischen Geschichte; Minerva; Wielands Merkur; Schillers Thalia; Dr. Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt u. A. Die Auswahl dieser Schriften spricht entschieden gegen die oben erwähnten Vorwürfe. Bedenklicher sieht es mit der litterarischen Nahrung derer aus, die damals aus Leihbibliotheken lasen, und das waren gewiß nicht bloß Dienstmädchen. Heute verschollene stümperhafte Nachahmungen Werthers, Mondschein- und Klosterabenteuer, Ritterromane und Geistergeschichten mit Humpen, Sauen und Rüden als Scenerie scheinen den Vorzug gehabt zu haben, soweit man nach den Bücherverzeichnissen urtheilen kann. Da nun Leihbibliothekare durch ihren Beruf nicht verpflichtet sind, den Geschmack zu bilden, sondern sich nach dem Geschmacke des Publikums zu richten, so ist der Schluß gestattet, daß das Phantastische und nicht das Künstlerische, das Aufregende, leider auch Läppische und nicht das Ernste damals bevorzugt worden ist. Ist das in Verbindung zu bringen mit der Anlage der Bevölkerung oder mit der mangelnden Führung eines ernsten Mannes? Wahrscheinlich mit Beiden, wenigstens gewisse Dinge sprechen für Beides. Mit der Neigung und Anlage der Bevölkerung hängt z. B. die einige Jahrzehnte später in Dresden sich bemerkbar machende Theilnahme für die Romantik gewissermaßen gegen Goethe, Lessing und Shakespeare zusammen. Mit dem Verständniß und dem Entgegenkommen seitens der Bevölkerung muß man auch die Bedeutung in Zusammenhang bringen, die damals, 1799, Männer von gewissem Schlage gewannen, die zwar mit den großen Führern der Nation in Verbindung standen, aber selbst nicht Führer waren. Es sind das Meißner, Großvater von Adolf Meißner, der mit Schiller ein Journal herausgeben sollte, Teubern, Herausgeber der Blätter für Freunde des Vaterlandes, Langbein, der für das Schillersche Almanach arbeitete. Meißners Fabeln, Skizzen und Dialoge mit ihrem „blumigen“ Stile, Langbeins Schwänke und Gedichte, bald urgemüthlich und seelenvoll, bald etwas stark gepfeffert, erinnern an Alles, nur nicht an Goethe und Schiller.

Halb auf Kosten der Anlage der Bevölkerung, halb auf die mangelnde geistige Anregung kommt ein Anderes. Es fehlten hier die Kaffeehäuser, anderwärts die Tummelplätze der litterarisch angeregten Geister, und die „artistischen Clubs“, die Schöpfer der litterarischen öffentlichen Meinung. Aus diesem Mangel einer solchen Meinung ergab sich eine Schlaffheit, ein Gehenlassen, das sich besonders verhängnißvoll zeigte auf dem Gebiete theatralischer Aufführungen. Schon Gottsched hatte erkannt, daß das Theater das beste Mittelglied zwischen Volk und Litteratur war. Die Rolle, die es in Weimar und anderwärts als bester Erzieher des Volkes spielte, ist bekannt. Hatte nun auch der Kurfürst – und hier tritt der oben erwähnte zweite Faktor, der Mangel eines Führers, in Kraft – kein eignes Theater für solche Aufführungen, so war es sein Recht und seine Pflicht, das anderwärts Bewunderte und heilsam Wirkende im Interesse seines Volkes zu unterstützen. Das that er nicht. Denn was förderte es, daß er – ganz wie für Mozartsche Clavierkompositionen – so sich zwar begeistert für die „Jungfrau von Orleans“ ausspricht, aber das heitere, ruhige, vielleicht auch oberflächliche bürgerliche Schauspiel oder Intriguenstück mit Vorliebe sich ansieht? Das beherrschte nun den Theaterzettel der Bondini-Secondaschen Gesellschaft, daran wurde der Dresdner gewöhnt, der [61] Geschmack mehr auf realistische Naturwahrheit als auf Schönheit hingeleitet. Die Theaterzettel zwischen 1789 bis 1800 weisen auf: „Julius von Tarent“, Shakespeare, Goldoni je einmal, „Fiesko“ zweimal, aber Iffland 23 mal und Kotzebue 32 mal. Rechnet man noch hinzu, daß das Publikum sich die lächerlichste Theatercensur gefallen ließ, eine Censur, die den Namen Gottes in der „Jungfrau von Orleans“ auszusprechen verbot, die die Scene in der „Emilia Galotti“ strich, wo der Prinz wie im Schlafe ein Todesurtheil unterschreibt, so sind die harten Urtheile eines Schiller, der von Dresden als von einer Wüste, Seumes, der von Engbrüstigkeit spricht, so ist auch die tiefe Verstimmung erklärlich, die durch den ganzen Körnerschen Kreis geht.

Unter solchen Verhältnissen ist auch das Verhalten des alten Körner verständlich. Der hohe und treue Staatsbeamte bannte Menschen der neuen Zeit und Ideen der neuen Zeit in die vier Wände seines Hauses, jenes Hauses, das die hohe Gestalt des Dichters des „Carlos“ so oft durch den breiten Thürbogen gehen sah. Wurde Theodor Körner ein Anderer als die übrigen Dresdner, dem Einflusse dieses Hauses ist es allein zu danken. In die Tüchtigkeit, zu dem Schatze edler Empfindung, in die reife, lichtvolle, durchdachte Gedankenwelt dieses Hauses flüchtet sich der bessere Einheimische: Reinhard, Adelung, Graff, Naumann (Komponist der „Ideale“), von Racknitz, von Burgsdorf, von Einsiedel, Elise von der Recke und ihre Schwester. Hier waren willkommene Gäste die Schiller, Goethe, Humboldt, Schlegel, die Herzogin von Weimar, die Schwiegermutter Schillers und seine Schwägerin Karoline von Wolzogen. Von hier aus schafft der alte Körner am Webstuhl der Zeit mit wissenschaftlichen und künstlerischen Schriften. Hier entstehen seine „Briefe aus Sachsen an einen Freund in Warschau“, sein Buch über die Presse, über den staatswirthschaftlichen Werth des Menschenlebens, über die Brauchbarkeit statistischer Tabellen für freiere, menschenwürdigere Auffassung des Lebens. Hier werden seine Kritiken geschrieben über zeitgenössische Meisterwerke, auf die Schiller so großen Werth legt. Hier entstehen die Kompositionen zu Amaliens Lied, zum Lied an die Freude, zu Goethes Fischer, zu Herders, Klopstocks und auch zu den Liedern des eignen Sohnes. Hier werden die Lieder gedichtet, die zu häuslichen, also ganz privaten Zwecken dienend, doch die Sprache der neueren Zeit schon sprechen, doch die Gedanken und Empfindungen der neuen Zeit wiederspiegeln. Hier flutet bereits jenes Leben, das Dresden einige Jahrzehnte später berühmt machen sollte. Hier ist nicht mehr Werden, hier ist bereits Vollendung.