Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Das erste türkische Ehepaar
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 525–527
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das erste türkische Ehepaar.
Mit Portrait der Sultanin Fatime.

Die Hochzeit Ali Ghalib Pascha’s, Sohnes von Reschid Pascha, mit der Tochter des Sultans, Fatime, welche am 10. August dieses Jahres gefeiert ward, ist als epochemachend in der Geschichte der Reformen in der Türkei anzusehen, nicht nur, weil Ali Ghalib Pascha die intelligenteste und bedeutendste Persönlichkeit mit einer großen Zukunft am Hofe des Sultans und für die Kulturgeschichte ist, sondern auch, weil er in seiner Hochzeitsfeier das erste große Beispiel für die wirkliche Ehe, also für die Emancipation des weiblichen Geschlechts aus der Unpersönlichkeit, aus der Unsittlichkeit und Sklaverei, für eine neue, sittliche Grundlage der Gesellschaft in der Türkei gab. Bisher ist in unserm Sinne das Wort und die Sache „Familie und Ehe“ in der Türkei nicht bekannt und nicht anerkannt gewesen. Von der Gemüthlichkeit und dem Reize einer europäischen, gemischten Gesellschaft, worin die Damen so schön und anmuthig die Zügel der Unterhaltung führen und Jeden nöthigen, das Seinige dazu beizutragen, daß der Karren des laufenden Gespräches weder aus dem Geleise in den Schmutz gerathe, noch die Rosse davor ihre Flügel verlieren und sich in unedlere Thiere verwandeln, weiß man in der Türkei nichts. Es giebt blos ernste, schweigsame, gekreuzbeint kauernde und rauchende Männergesellschaften. Einen Türken zu fragen, wie sich seine Frau Gemahlin befinde, würde mindestens als die allerflegelhafteste Frechheit gelten, wenn es nicht durch blau anlaufendes „Andieluftsetzen“ gerügt würde. Die besten, intimsten Freunde wagen das nicht einmal. Niemals bekommt Einer die weiblichen Bewohner des Hauses seines Freundes zu sehen. Und wenn ein Türke in sein eigenes Haus gehen will, und er findet gelbe Schnabelschuhe vor der Thür (ein Zeichen, daß[WS 1] weiblicher Besuch da ist), kehrt er um in sein Kaffeehaus und fährt fort, sich tiefsinnig mit Nichts zu beschäftigen und starken Taback dazu zu rauchen. Man muß gestehen, das ist ein heilloser Zustand. Schon ganz oberflächlich genommen, wird jede Dame jedes Alters und jeder Mann jeder Lebensstufe schon in der Vorstellung, daß in der Türkei niemals Frauen und Mädchen Gesellschaften zieren, etwas ungemein Trostloses finden. Und bei einigem Nachdenken über die Consequenzen dieser abscheulichen Unsitte wird man nicht umhin können, die alte, bisherige Türkei tief zu bedauern und sich freuen, daß, wie auch das blutige Würfelspiel des Krieges enden möge, dieses alte Türkenthum mit seiner Entwürdigung der Frauen, deren schönste Bestimmung es ist, „himmlische Rosen in’s irdische Leben zu flechten“ ohne Gnade untergehen muß. Nicht die Feinde und Freunde von Außen werden es auflösen, sondern die jungen Türken, welche bereits nicht blos mit Messern und Gabeln essen, sondern auch mit Frauen.

Die Hochzeit Ali Ghalib Pascha’s gewinnt unter diesen Umständen nicht nur das Ansehen eines großen politischen, sondern auch eines Kultur-Ereignisses. Sie ist gleichsam die officielle, staatliche, erste Anerkennung der westlichen Civilisation, die Amalgamation der Türkei mit der Idee der neuen, historischen Völker, der letzte Stein zu dem Reformgebäude, welches der vorige und der jetzige Sultan während der letzten 15 Jahre aufgeführt haben.

Ali Ghalib Pascha ist der dritte Sohn Reschid Pascha’s und jetzt 24 Jahre alt. Von Paris aus wird er Vielen persönlich erinnerlich sein. Sein Erscheinen hat etwas Mildes, Ernstes, Würdiges und Melancholisches, dadurch eine wohlwollende, intelligente Physiognomie ungemein an Reiz gewinnt. Unstreitig ist er ein Mann, der über ein Kleines eine wichtige Rolle spielen wird. Er begleitete seinen Vater nach Frankreich, wo dieser zwei Jahre Gesandter war. Während dieser Zeit erhielt er die sorgfältigste Erziehung im westlichen Sinne unter der Leitung M. A. Berzoët’s. Mit seinen guten, natürlichen Anlagen brachte er’s während dieser kurzen Zeit zu einer ungewöhnlichen Bildung. Schon nach einem Jahre schrieb und sprach er vollkommen französisch. Später studirte er besonders das Leben und die Einrichtungen Europa’s und dessen politische Verhältnisse, so daß er nach seiner Zurückkunft nach Constantinopel als Mitglied des großen türkischen Staatsrathes ebenso energisch als sachverständig die Interessen der jetzigen, jungen Türkei vertrat.

Der Sultan glaubte seine Verdienste nicht besser ehren zu können, als dadurch, daß er ihn als Sohn in die Kaiserfamilie aufnahm.

Im Interesse unserer schönen Leserinnen fügen wir einige Notizen über die Hochzeitsfeierlichkeiten bei. Sie waren nicht so glänzend, als die Halil Pascha’s mit einer andern Sultanstochter, und weil der Krieg jetzt so viel kostet, wurden für die Prinzessin Fatime blos 60 Millionen Franks verwendet, was nach frühern kaiserlichen Brautausstattungen einen wahrhaft stiefmütterlichen Brautstaat gegeben haben soll.

Am 7. August fand der Brautzug statt. Die Braut wurde vom kaiserlichen Palast Tscheraghan über See nach dem Palta Liman-Palaste gebracht. Voran fuhren die Staatsboote mit den höchsten Staatsbeamten; es folgten 30 Boote mit je 12 Rudern, auf welchen der Brautstaat der Prinzessin zur Schau gelegt und gehangen war, Koffer und Kisten von Gold und Silber, kostbare Gewänder, Kaffeebecher mit kostbarem Edelgestein geschmückt, Tabackspfeifen (Chibuks) mit Diamanten, Service von gediegenem Silber und Gold, Kronleuchter, Vasen, Meubles mit künstlichem Schnitzwerk und eingelegten Blumen und sonstige Kleinigkeiten, wie sie bei diesen schlechten Zeiten in eine bescheidene Wirthschaft gehören. Die türkischen Damen vergaßen bei dieser Gelegenheit ihre Nasen- und Maulkörbe und guckten und drängten sich zu Tausenden nach dem Wasser und an den Gestaden umher, beinahe erblindend von dem Glanze dieser Kostbarkeiten, welche durch die heiterste Sonne der Levante nur noch blendender wurden. Die eigentlichen Brautgewänder bekam man freilich nicht zu sehen: die „Feredges,“ „Yachmacs“ und „Papuchs“ waren in goldene Gewebe gehüllt. Der Zug schloß mit 28 Booten, die alle weibliche Dienstboten der Prinzessin trugen. Keine beneidenswerthe Zugabe, wenn ich bedenke, was mir die Frauen schon Alles für tragische Geschichten, die sie mit je einem Dienstboten erlebten, zu klagen hatten.

Der Juwelenschmuck (darunter auch die Diamanten von ihrer Mutter, die in der Abschätzung des Ganzen auf sechzig Millionen

[525]

Sultane Fatime.

[527] Franks mitbegriffen sind) wurde von dem armenischen Hofjuwelier Meguirditsch Melconian geschliffen und gefaßt, der persönlich die Desseins dazu entwarf. Am 10. August fand die Hochzeit selbst statt. Die dabei stattfindende Prozession in Constantinopel war so prächtig und lang, daß man in der Gartenlaube gar keinen Platz dafür finden würde.

Nur noch ein Wort über die junge, nach unsern Begriffen noch kindliche Braut, deren Portrait wir hier beifügen. Auch der Umstand, daß man ein Portrait von einem türkischen Gesichte geben kann, ist schon ein gewaltiges Reformzeichen. Portraits, Statuen und gemalte Menschen waren in der Türkei bisher religiös verboten. Man sagte: „male keinen Menschen, sonst verlangt er eine Seele von Dir“ (das gilt auch von vielen Bildern auf unsern Ausstellungen, die ohne Seele und Geist blos als beölte Leinwand dahängen). Was das Portrait Fatime’s betrifft, so entwarf es ein Engländer, der sie einige Male zu sehen bekam, und schickte sein Bild durch einen Franzosen, De Biller Frangueux, nach England, wo es in der hier gegebenen Form im „London Journal“ erschien. Man sieht, daß das Gesicht ein kluges, schönes, ernstes Portrait von ächt abendländischem Ausdruck ist, so daß man wohl annehmen kann, der kühne Maler habe sie im Wesentlichen getroffen. Jedenfalls hat es unter den angegebenen Verhältnissen und als erstes hierher gekommenes weibliches Portrait einer türkischen Dame mehr als ein oberflächliches Interesse.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: das