Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg

Textdaten
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Autor: Harbert Harberts
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Titel: Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 531–534
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg.

Zur Stunde herrscht in der für gewöhnlich so ernsten und gemessenen Metropole des deutschen Welthandels, in Hamburg, der zweitgrößten Stadt des Reiches, ein bunt bewegtes, fröhliches Festtreiben. In ihren Mauern wird das dritte deutsche Sängerbundesfest gefeiert. Dame Hammonia hat sich für einige Tage die Geschäftsfalten von der Stirn gestrichen und schwingt den Tausenden von deutschen Sangesbrüdern und Festgenossen, die aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes, von weither aus der Fremde, ja von jenseits des Atlantischen Oceans, wo überall das deutsche Lied gleichsam ein harmonisches Band um die deutschen Stammesgenossen schlingt, gezogen kamen, zum frohen Gruße den grünen Eichenkranz entgegen. Sie will sich einige Tage gänzlich das Soll und Haben aus dem Sinn schlagen, eine Weile die vielfachen Sorgen und Verdrießlichkeiten vergessen, die ihr commercieller Beruf nothwendig mit sich bringt und die durch den jüngst erfolgten Zollanschluß, der ihre Tasche um diverse Millionen leichter machen wird, wesentlich vermehrt wurden; sie will mit den sangeskundigen Söhnen ihrer Heimath gemeinsam sich erheben über die Alltäglichkeit des Lebens hinaus in die heiteren Regionen der Kunst und sich laben an den Schätzen des Liedes und des Chorgesanges. Das werden genußreiche und anregende Tage werden, die Sängerfesttage des Monats August, genußreich und anregend sowohl für die Gastgeberin wie für die Gäste.

Man hat Hamburg häufig das deutsche Venedig genannt, [532] und das wahrhaft großartige Panorama der Stadt an den Ufern der Außen- und Binnenalster hat die „Gartenlaube“ erst vor Kurzem ihren Lesern in trefflichem Bilde vorgeführt (vergl. Nr. 30). Den Hauptreiz für den Binnenländer bildet jedoch unstreitig der Hafen Hamburgs neben den damit verbundenen Anlagen. Dort erhebt sich vor den staunenden Blicken „der Schiffe mastenreicher Wald“, von allen seefahrenden Nationen der Welt hierher gesandt, wie die bunten Flaggen verkünden; dort erstrecken sich die gigantischen Quai-Anlagen mit ihrem rastlosen Getriebe; dort liegen die Werfte, auf denen die kunstreiche Menschenhand jene schwimmenden Kolosse zusammenfügt, welche die Länder der Erde unter einander verbinden.

Und welch eine fast sinnverwirrende Geschäftigkeit herrscht hier überall! Tausende von Händen regen sich unausgesetzt, und ein wahres Tohuwabohu von Geräuschen erfüllt die Luft. In directem Zusammenhange mit dem Hafen stehen die zahllosen hohen Speicher in der Stadt, die ihre Hintergiebel den dunklen Canälen, hier „Fleete“ genannt, zukehren und in deren Räumen Millionen über Millionen an Werthe lagern in den vielfältigen Artikeln, die der Handel vertreibt, den Erzeugnissen aller Himmelsstriche von den arktischen Eisregionen bis zu den Gegenden, wo die Sonne des Aequators ihre sengenden Strahlen zur Erde sendet.

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Festzeichen am Bug des Schiffes.
Originalzeichnung von P. Duyffcke.

Es ist völlig naturgemäß, daß der Charakter der Stadt auch dem Charakter ihrer Bewohner seinen Stempel aufgedrückt hat, und in der That zeichnet den eingeborenen Hamburger durchweg ein ernster, ruhiger Geschäftssinn aus, dem einst der boshafte Poet Heine so viele komische Gesichtspunkte abzugewinnen wußte. Wer sich indessen die Hamburger und ihr Wesen mit unbefangen prüfendem Blicke betrachtet und nicht im Hohlspiegel der Satire, der wird sich von jenem Wesen eher angezogen als abgestoßen fühlen. Freilich, alles Windige ist dem gesetzten Hamburger verhaßt, und Dinge, deren absolute Nützlichkeit er nicht einzusehen vermag, bezeichnet er mit einem ornithologischen Gleichnisse gar zu gern wegwerfend als „Hühnerkram“. Dabei ist er jedoch keineswegs so in Materialismus versunken, wie die böse Welt ihm häufig nachzusagen beliebt. Im Gegentheil, in Hamburg ist der Sinn für die idealen Güter des Lebens, für Kunst und Kunstbestrebungen stets außerordentlich rege gewesen. Kunst und Künstler haben hier stets offene empfängliche Herzen und offene freigebige Hände gefunden. Zum Beweise dessen mag die hohe Blüthe dienen, deren sich hier das Theater von jeher erfreut hat und sich bis auf den heutigen Tag noch erfreut. Speciell auch die Tonkunst fand in Hamburg stets die ausgiebigste Pflege und zahlreiche Freunde. Die Concerte der „Philharmonischen Gesellschaft“ genießen in der Musikwelt mit Recht großer Berühmtheit.

Es war darum gewiß nicht ungerechtfertigt, wenn man Hamburg als Nachfolgerin von Dresden und München zum Orte für das dritte deutsche Sängerbundesfest ausersah. Das erste Fest mußte selbstverständlich dort gefeiert werden, wo des deutschen Sängerbundes eigentliche Wiege steht, in dem liederfrohen Sachsen; das zweite wurde begangen im deutschen Süden, wo Sang und Klang ihre uralte Heimstätte haben. Zum dritten Feste wurde das Banner des Bundes hinaufgetragen nach dem deutschen Norden, um die deutsche Einheit auch im Reiche der Töne zu manifestiren und der Welt zu zeigen, daß auch dem Norddeutschen wie seinem süddeutschen Bruder „schenkte des Gesanges Gabe, der Lieder süßen Mund Apoll“. Als die Beschlußfassung über das Fest getroffen war, trat sofort in Hamburg eine Reihe der angesehensten Männer zusammen, um dasselbe in einer ihrer Vaterstadt würdigen Weise vorzubereiten.

An die Spitze trat Dr. Kirchenpauer, der würdige und gelehrte Bürgermeister der freien Hansastadt, ein Mann, der in seinem langen Leben sich viele Verdienste tun Wissenschaft und Kunst erworben und dessen Name in Hamburg zu den gefeiertesten gehört. Zum ersten und zweiten Präsidenten wurden auserkoren Senator Haye und Dr. Hachmann, Präsident der „Bürgerschaft“. Es bildeten sich die nöthigen Ausschüsse, die ungesäumt eine energische Thätigkeit entwickelten. Die Bogen, welche der Finanzausschuß zur Zeichnung der erforderlichen Fonds circuliren ließ, bedeckten sich rasch mit gewichtigen Unterschriften, und bald konnte der Ausschuß constatiren, daß die Baarmittel für das Fest gesichert seien. Mit schwierigeren Umständen hatte der Quartierausschuß zu kämpfen. Es bedurfte von seiner Seite wiederholt eines dringenden Appells an die Gastfreundschaft der Bevölkerung, um die große Zahl der nothwendigen Freiquartiere zu beschaffen; denn darin hat der Hamburger, ungeachtet seiner sonstigen guten Eigenschaften, etwas unverkennbar Englisches, daß er sein Haus gern als eine Welt für sich behütet. Auch er sagt: „Mein Haus ist meine Burg.“

Zuletzt indessen wurde der Quartierausschuß jeder Sorge enthoben, als die „Hamburg-Amerikanische Paketfahrt-Actien-Gesellschaft“ in liberalster Weise ihm ein schwimmendes Hôtel zur Verfügung stellte, nämlich ihren großen transatlantischen Dampfer „Lessing“, der, wie alle Auswandererschiffe der Gesellschaft, bekanntlich mit höchstem Comfort eingerichtet ist. Ferner bot die Oberschulbehörde dem Ausschusse ihre Volksschulen, sämmtlich erst in den letzten Jahren erbaute schöne Gebäude, mit hohen luftigen Räumen, zur Einrichtung von Massenquartieren an. Es bedurfte so vieler Quartiere, weil die Zahl der angemeldeten Sänger eine unerwartet große war. Nicht weniger denn 8620 Mitglieder des deutschen Sängerbundes meldeten sich an. Davon stellte allein das Königreich Sachsen 2833. Alle diese Sänger zusammen bilden gewiß ein gewaltiges Sängerheer, und es muß majestätisch erklingen, wenn aus all diesen Tausenden von Männerkehlen vierstimmig kunstvoller Gesang brausend schallt und auf prächtigem Klanggefieder sich in die Lüfte erhebt.

Als der geeignetste Ort zur Abhaltung des Festes wurde die sogenannte Moorweide vor dem ehemaligen Dammthore ausersehen. Die dort vor zwei Jahren errichtete permanente Ausstellungshalle, ein ganz aus Holz und Eisen construirter stattlicher Kuppelbau, wurde zur Festhalle umgewandelt, der weite Platz ringsum eingehegt, mit den nöthigen Restaurations- und Erfrischungshallen versehen und zum Festplatze erhoben. Unser Künstler hat die Festhalle und ihre Umgebung für die Leser der „Gartenlaube“ mit getreuem Stifte wiedergegeben. Der im Innern wie von außen für das Fest prächtig decorirte Bau ist von kolossalen Dimensionen, und das ist auch nöthig für die beiden Riesenconcerte, die darin abgehalten werden sollen. In dem nach dem Dammthore gerichteten Flügel ist die Estrade aufgebaut, aus der sich die Sänger aufstellen. Dieser gegenüber befindet sich eine Tribüne mit 934 Balconsitzen, und in der Mitte der Halle sind 6390 Parquetsitze eingerichtet. Außerdem bietet die Halle noch Raum für 2200 Stehplätze. Vor der Halle ist auf dem Platze [533] ein Musiktempel für die Instrumentalconcerte erbaut neben den schon erwähnten Restaurations- und Erfrischungshallen. Dort kann sich fröhliches, bunt bewegtes Festtreiben vollauf entfalten.

Es erübrigt uns nun noch, die wesentlichsten Punkte aus dem Programme mitzutheilen, wie es für das Fest aufgestellt und endgültig angenommen wurde. Die aus allen Gegenden der Windrose ankommenden Sänger werden schon an den Bahnhöfen begrüßt, während der officielle Empfang am Abend des 10. August, verbunden mit Gesang und Reden, in der Festhalle stattfindet.

Am Freitage den 11. August ist Vormittags Probe und Nachmittags das erste Concert in der Halle, während in den Mittagsstunden die Abgeordneten der Gaubünde den „Sängertag“ abhalten. Das erste Concert, in dem 17 Nummern gesungen werden, leitet Bürgermeister Dr. Kirchenpauer mit einer Ansprache ein. Die Abendstunden sind der geselligen Vereinigung der Sänger in der Halle gewidmet, derweil auf dem Festplatze für das Publicum allerhand volksthümliche Arrangements getroffen werden.

Am Sonnabend den 12. August findet der großartige Festzug durch einen Theil der Stadt nach der Festhalle statt, wo Nachmittags um 6 Uhr das zweite Concert, aus 15 Nummern bestehend, abgehalten wird. Den Gesang dirigiren Professor Julius von Bernuth, der verdienstvolle Leiter des Hamburger Conservatoriums und der oben erwähnten philharmonischen Concerte, sowie der Bundeschormeister Franz Schmidt aus München. Zu den Concerten sind die noch lebenden Dichter und Componisten der auf dem Programm befindlichen Gesangsstücke als Ehrengäste eingeladen, und die meisten haben ihr Erscheinen zugesagt. Diesem zweiten Concerte schließt sich ein großer Commers in der Festhalle an.

Am vierten und letzten Tage werden Ausflüge in die Umgebung Hamburgs veranstaltet, wobei eine festliche Elbfahrt nach dem reizenden Blankenese obenan stehen soll. Nachmittags erfolgt dann der officielle Schluß mit einer Abschiedsrede an die Sänger.

R. Henkel XA       P Düyffcke/82
Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Die Festhalle.
Originalzeichnung von P. Duyffcke.

Das wird in großen Zügen der Verlauf des schönen nationalen Gesangsfestes sein, das zur Stunde in dem Weichbilde der Hamburgischen drei Thürme die Sangesbrüder deutscher Zunge „zu löblichem Thun“ vereinigt. Es dürfte fast überflüssig sein, noch besonders auf die große Bedeutung des Festes hinzuweisen. Das deutsche Lied ist eine deutsche Macht, siegesgewaltiger noch als das deutsche Schwert. Wo das deutsche Lied ertönt, da erobert es mit zwingender Kraft die Herzen. Die erlauchtesten Geister unserer Nation haben die ihnen von der Gottheit verliehene Flamme des Genies in den Dienst des Liedes und des Gesanges gestellt, des herrlichen Gesanges, dessen Macht uns Schiller schon treffend gekennzeichnet hat:

„So rafft von jeder eitlen Bürde,
Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
Der Mensch sich auf zur Geisterwürde.
Und tritt in heilige Gewalt;
Den hohen Göttern ist er eigen;
Ihm darf nichts Irdisches sich nah’n,
Und jede andre Macht muß schweigen,
Und kein Verhängniß fällt ihn an;
Es schwinden jedes Kummers Falten,
so lang’ des Liedes Zauber walten.“

Und mehr nach als diesen idealen Genuß werden die fremden Sänger vom diesmaligen Sängerbundsfeste nach Hause tragen; es werden, aus dem Inneren des Landes kommend, die Meisten wohl zum ersten Mal in ihrem Leben den Fuß setzen in eine große Handels- und Seestadt. Vieles, von dem sie sich bislang nur aus Büchern und Beschreibungen ein unvollkommenes Bild haben machen können, tritt ihnen hier leiblich entgegen, und [534] Mancher wird zum ersten Mal eine klare Idee gewinnen von der Großartigkeit des Welthandels, seinen Factoren und seiner Bedeutung für das Culturleben. Dabei aber werden die Festgäste einsehen, daß emsiges Streben nach materiellem Gewinn sich gar wohl mit frendigem Ringen um die Palme idealen Genusses vereinigen läßt, und sie werden nach den frohen Tagen des Zusammenseins mit Hamburger Sangesgenossen und Sangesfreunden nicht mehr mit einstimmen, wenn spöttisch von „Pfeffer- und Kaffeesäcken“ die Rede ist, die nur für solche Dinge Sinn haben, die ihrem Arnheim neue Schätze einbringen.

Vor allen Dingen aber wird den Sängern im gemeinsamen Chorgesange mit Macht das Gefühl erstarken, daß sie die Söhne eines Volkes sind, welches zusammenstehen soll in Freud’ und Leid, damit seine Willensäußerungen immer mehr und mehr hinausklingen als mächtige Accorde in die weite Halle der Zeitgeschichte. Wie die einzelnen Stimmen sich ergänzen und harmonisch verbinden, so möge das gesammte deutsche Volk von den himmelanstrebenden Wänden der Alpen bis zu den Borden der wogenden See in Zukunft stets einen gewaltigen Chor bilden, und in diesem Sinne ruft die „Gartenlaube“ den versammelten Sangesbrüdern in Hammonias Mauern einen frohen Sängergruß zu. Ihr schönes Fest möge groß und erhebend ausklingen wie eine imposante Jubelhymne!

„Tenor sei Süd und Baß der Nord –
so kling’ die Hymne jubelnd fort!
Sie klinge fort die Welt entlang
In deutscher Männer Chorgesang!“

Harbert Harberts.