Das rote mitteldeutsche Landvieh Das Vogelsberger Rind und seine Zucht (1896)
von Erst Ludwig Leithiger
Die äußeren Eigenschaften des Vogelsberger Rindes


[15]
III. Die Heimat und Verbreitung des Vogelsberger Viehes.

Von den sämtlichen roten mitteldeutschen Landschlägen hat das Vogelsberger Vieh die weiteste Verbreitung und auch den ausgesprochensten Charakter. Manche Unterschläge, wie z. B. das Lahnvieh und das Schwarzwälder Vieh sind zweifellos aus dem Vogelsberger Vieh hervorgegangen. Die Zuchtgebiete dieser beiden Schläge sind daher, wenn man den Begriff des Vogelsberger Viehes möglichst weit faßt, dem Verbreitungsgebiet desselben zuzurechnen. In der nachfolgenden Begrenzung des Zuchtgebietes ist dies aber nicht geschehen.

Die eigentliche Heimat des Vogelsberger Viehes ist das Vogelsgebirge, jenes im Nordosten der Provinz Oberhessen gelegenen Basaltkegels, der im Taufstein eine Höhe von 785 m erreicht und dessen Ausdehnung von Südwest nach Nordost 16 Stunden und dessen Breite 10 Stunden beträgt. Dieses allerdings nicht hohe, aber doch rauhe, verhältnismäßig unfruchtbare, deutsche Mittelgebirge hat dem Vogelsberger Vieh seiner Charakter aufgedrückt und zweifellos den Ausgangspunkt seiner Verbreitung abgegeben, wenn es auch heute nicht mehr den Mittelpunkt seines Zuchtgebietes ausmacht. Aber der Oberwald [16] des Vogelsberges und die Thäler, die an den Abdachungen derselben eingeschnitten sind, mit ihren Flüssen, wie Schwalm, Ohm, den Nebenflüssen der Lahn und Fulda, der Nidder und Nidda sind die Gebiete, in welchen das Vogelsberger Vieh ursprünglich heimisch gewesen ist und noch heute zum Teil angetroffen wird.

Heute ist das Vogelsberger Vieh aus einzelnen seiner Heimatgebiete ganz oder teilweise verdrängt. Im Norden des Vogelgebirges in den hessischen Kreisen Alsfeld und Lauterbach ist Simmenthaler Reinzucht fast durchweg angenommenes Zuchtziel, die Verdrängung des Vogelsberger Blutes dürfte in nicht langer Zeit erreicht sein. In 86 Gemeinden des Kreises Alsfeld werden z. Z. 98 reine Simmenthaler Bullen, 23 Kreuzungsbullen und nur ein Vogelsberger zur Zucht benutzt. Im Kreise Lauterbach ist es ähnlich, wenn auch hier noch 4 Gemeinden (im höheren Vogelsberg) neben Simmenthaler Kreuzungsbullen reine Vogelsberger halten. In den preußischen Kreisen Ziegenhain und Homberg werden Schwälmer und Simmenthaler bzw. Simmenthaler Kreuzung gezüchtet. In den Kreisen Schlüchtern, Fulda, Hünfeld, Hersfeld und Rotenburg ist das Vogelsberger Vieh verdrängt, ohne daß eine andere einheitlich gezüchtete Rasse an dessen Stelle getreten ist. Im hessischen Kreis Büdingen wird nur Simmenthaler, hauptsächlich aber Simmenthaler Kreuzungsvieh gehalten. Im Kreis Friedberg halten nur 2, an den Kreis Gießen angrenzende Gemeinden (Kreis-Göns und Pohl-Göns) noch neben anderen Bullen je einen Vogelsberger Bullen. Im Norden, Osten und Süden des Vogelsberges ist also das Vogelsberger Vieh verschwunden, oder wird bald verschwunden sein. Nur der eigentliche Vogelsberger Kreis Schotten und der am Westabhange liegende Kreis Gießen haben noch in größerer Ausdehnung Vogelsberger Vieh.

Der Mittelpunkt des heutigen Zuchtgebietes des Vogelsberger Rindviehschlages ist der Kreis Wetzlar, der nur Vogelsberger Vieh hält. Dadurch, daß fast nur [17] Vogelsberger Bullen in den Gemeinden gehalten werden – nur einige größere Gemeinden halten noch je einen Simmenthaler Bullen – ist die Zuchtrichtung klar vorgezeichnet. Nach Osten zu schließt sich der Kreis Gießen an, der in 22 Gemeinden nur Vogelsberger Bullen, in 20 Gemeinden teils Vogelsberger, teils Simmenthaler Bullen hält. Im Ganzen werden hier 67 Vogelsberger Bullen zur Zucht benutzt. Dann folgt der Kreis Schotten, wo 16 Gemeinden nur Vogelsberger Bullen halten, 14 eine gemischte Zucht verfolgen. An den Kreis Wetzlar schließt sich nach Nordosten der Kreis Marburg an, in welchem 43 Gemeinden nur Vogelsberger Bullen halten. Im Kreise Kirchhain sind es noch 22 Gemeinden, welche ausschließlich Vogelsberger Bullen benutzen; 2 Gemeinden halten neben solchen, Bullen anderer Rassen. Der Kreis Frankenberg züchtet wieder fast nur Vogelsberger Vieh und hält dementsprechend Bullen dieses Schlages, nur in dem ehemalig Großh. Hessischen Gebiete (dem Bezirke Böhl) wird auch vereinzelt mit Ostfriesen und Holländern gekreuzt. Im Kreise Biedenkopf herrscht die Zucht des Vogelsberger Rindes ebenfalls vor; in den sämtlichen 90 Gemeinden dieses Kreises wird Vogelsberger Vieh gezüchtet. Der Kreis Dillenburg benutzt in 27 Gemeinden ausschließlich Vogelsberger Bullen zur Zucht, in einer weiteren Anzahl Gemeinden werden neben Vogelsbergern andere Bullen verwendet. Der Kreis Weilburg hat die Reinzucht des Vogelsberger Viehes aufgegeben, obgleich Muttertiere des Vogelsberger Schlages noch häufig angetroffen werden. Die von Hugo Lehnert ausgesprochene Behauptung, daß auch im Reg.-Bez. Koblenz (abgesehen von Wetzlar) Vogelsberger Vieh gezüchtet würde, habe ich nicht feststellen können. Jedenfalls hat hier die Zucht keine größere Ausdehnung. – [18] Das Zuchtgebiet des Vogelsberger Viehs erstreckt sich daher über folgende Kreise:

Der Kreis Wetzlar züchtet nur Vogelsberger Vieh,
Gießen in 22 Gem.,
Schotten 16
Marburg 43
Kirchhain 22
Dillenburg 27
Frankenberg fast nur Vogelsberger Vieh,
Biedenkopf

Vogelsberger Vieh wird also z. B. fast noch ausschließlich in 3 Kreisen: Wetzlar, Biedenkopf und Frankenberg, und mehr oder weniger vorherrschend in 5 Kreisen: Gießen, Schotten, Marburg, Kirchhain und Dillenburg, in ca. 400 Gemeinden gezüchtet. In einer großen Anzahl von Gemeinden werden Vogelsberger neben anderen Rassen gezüchtet. Im Großh. Hessischen Gebiet sind dies allein noch 115 Gemeinden, im preußischen Gebiet sind es sicher noch eben so viele. Daß daher von einem Verschwundensein dieses vorzüglichen Landschlages nicht die Rede sein kann, ist begreiflich. Allerdings ist das Zuchtgebiet in den letzten zwei Jahrzehnten wesentliche eingeschränkt worden, das Interesse und die Würdigung seines Wertes haben aber in den letzten Jahren zweifellos sein Zuchtgebiet wieder erweitert und steht zu hoffen, daß es auch fernerhin geschieht.

Eine Übersicht über den heutigen Stand des Zuchtgebietes gewährt die beigegebene Karte.


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