Das Trompeterschlößchen in Dresden

Textdaten
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Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Das Trompeterschlößchen in Dresden
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 111–122
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[111]
12.
Das Trompeterschlößchen

in
Dresden.

[112] Das Trompeterschlößchen vor dem Seethore in Dresden ist ein vielbesuchtes, rühmlichst bekanntes Gasthaus. Die nachstehende Sage fällt in die Mitte des 17. Jahrhunderts, bald nach dem dreißigjährigen Kriege




[113]

In Dresden war ein stattlich Haus,
doch ging kein Mensch da ein und aus,
denn, hu! Niemanden litt es drin,
und zwang den Hausherrn auszuzieh’n.

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Zum größten Glücke nun war das

ein Wirth, der noch ein Haus besaß,
darin er nun seit einem Jahr
des Spukes will’n geflüchtet war.

Zwar litt er da auch keine Noth,

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und aß wohl niemals trocken Brod,

doch war im Hause wenig Raum,
es faßte oft die Gäste kaum
und dann, natürlich! wurmt’ es ihn,
daß er nicht konnt’ ins and’re zieh’n,

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und seufzend sann er hin und her,

wie wohl der Spuk zu bannen wär’.

Er saß oft halbe Tage lang,
und las im Faust’schen Höllenzwang,
doch las er zehnmal auch das Buch,

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so ward er doch daraus nicht klug,
[114]

und wenn sein wässriger Verstand
drin, wie der Rhein im Sand, verschwand,
da hatt’ er öfters kein Gehör
für alle seine Gäste mehr.

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Einst saß er auch, fest aufgestemmt,

bei seinem Buche, sieh, da kömmt
ein bairischer Trompeter an,
der kaum vor Durst noch giebsen kann,
und fordert eine Kanne Bier,

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und Heu für’s Pferd und Nachtquartier;

jedoch der Wirth hört nicht, und drob
wird Claus – so hieß der Baier – grob.

Das bringt den Wirth vom Buche auf,
er holt das Bier, und setzt sich drauf

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platsch! wieder hin, und liest, wie vor;

sein Haarzopf sträubt sich starr empor,
er summt und brummt in sich gekehrt,
sein Angesicht scheint hochgelehrt,
als fehlte ihm zur Quadratur

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des Zirkels noch das Facit nur.


Lang schaut den wunderlichen Mann
gleichgültig der Trompeter an,
doch endlich platzt er laut heraus,
und schüttet sich vor Lachen aus:

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„Nein, sagt mir nur, was les’t ihr da

für eine Mordhistoria?
Es will mir scheinen fast, verzeiht!
als wärt ihr nicht so recht gescheidt.“

[115]

Da legt der Wirth abseits das Buch,

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und wischt den Schweiß sich mit dem Tuch,

und seufzt: „„Ach, bester Freund, ihr wißt
ja nicht, was mein Gebresten ist!
Ich habe noch ein andres Haus,
draus trieben mich Gespenster ’raus,

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und gegen diese, seht, da soll

das Buch hier seyn von Mitteln voll.““

Claus hält vor Lachen sich den Bauch:
„O Jemine! Das glaubt ihr auch?
In eurem grauen Kopfe blos,

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da ist vielleicht der Teufel los!

Gespenster! Ueber’s dumme Zeug!
He, gelt, es rappelt halt mit euch!
Ein Schelm hat euch was weiß gemacht
und euch um euer Haus gebracht.“

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Der Wirth schaut kläglich drein, und spricht:

„„Ach, lieber Gott, ach, frevelt nicht!
Wärt ihr nur Eine Nacht im Haus,
ihr kämt lebendig nicht heraus!
Ihr würdet für den Höllenreihn

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ein recht gefundnes Fressen seyn!

Mein Seele! sie zerfetzten euch
in hunderttausend Stücken gleich!““

„Kreuz Schwedenland! Na, na, nur sacht!
– spricht jener wieder drauf, und lacht –

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ich bleib’ halt ganz, was wettet ihr?

Gebt mir ein gutes Fäßchen Bier,

[116]

so setz’ ich mich heut Nacht allein
in das verhexte Haus hinein,
und bleibt der Spuk nicht mäuschenstill,

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paßt auf, wie ich ihn hatzen will!“


Da spricht der Wirth: „„Das geh’ ich ein!
Das beste Faß soll euer seyn,
wenn ihr allein die heut’ge Nacht
in meinem Hause zugebracht.

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Doch seyd ihr drinnen erst im Haus,

laß’ ich vor Tag euch nicht heraus!
Nun, wie ihr wollt! Das Morgenroth
bringt Bier euch oder bittern Tod!““

Doch der Trompeter blieb dabei,

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daß hier halt nichts zu wagen sey,

und als der Seiger zehn Uhr schlug,
da nahm er einen vollen Krug,
und die Latern’ und Licht dazu,
und wünscht’ dem Wirthe gute Ruh,

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und ging in das verwünschte Haus,

und kor sich drin ein Plätzchen aus.

Im ersten Stockwerk war ein Saal,
und dran ein Erker, kurz und schmal,
der scheint ihm gut; er setzt sich drin,

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rückt’ noch ein Tischchen vor sich hin,

stellt die Laterne und den Krug
mitsamt dem Pallasch, den er trug,
sich hübsch zur Hand, und dachte nun
die Nacht hindurch recht sanft zu ruh’n.

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Doch der gewünschte Schlummer schließt

sein Auge nicht, so müd’ er ist;
die Langeweile führt ihn heut
zum Sinnen auf vergangne Zeit;
die stille Nacht, der öde Saal –

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ihm wird es heut zum ersten Mal

in seinem Wamms so grauerlich,
er greift an’s Kinn, und spricht zu sich:

„Wie ist mir halt so komisch heut?
War doch seit meiner Jugendzeit

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von Furcht und Aberglauben frei,

und lachte solcher Teufelei!
Wie aber, wenn an mancher Mähr
von bösen Geistern doch was wär’? –
Je nun, vor diesen Feinden ist

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ja sicher jeder fromme Christ!“


„Ein frommer Christ? Mag ich das seyn?
Warum fällt mir das heut erst ein?
Bin’s wohl nicht recht; ich trank so gern,
und jeder Kirche blieb ich fern,

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hab’ lange nicht communicirt,

und manch unschuldig Ding verführt,
hab’ manche liebe lange Nacht
beim Würfelspiele durchgebracht!“

So prüft’ er seine Lebensbahn,

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und fand so wenig Gutes dran,

daß ihm, ganz wider seine Art,
im Herzen recht beklommen ward.

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Das Bier wollt’ ihm nicht munden mehr,
er warf im Stuhl sich hin und her,

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und wünscht’, er hätt’ es nicht gewagt –

da schlug es draußen Mitternacht.

Er zählt die Schläge ängstlich nach,
und hu! beim letzten Glockenschlag,
da hebt der Spuk im Hause an,

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und tost und lärmt die Trepp’ heran.

Voll Angst schaut der Trompeter stier
vorn auf des Saales Doppelthür;
da fliegt sie auf mit einem Mal,
die Geister drängen in den Saal.

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Zwölf Männer waren’s und zwölf Frau’n,

gleich scheußlich alle anzuschau’n.
Die Wangen waren hohl und fahl,
die Augen lauch, die Schädel kahl,
die Leiber den Gerippen gleich,

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als hätte sie das Todtenreich

verstoßen, und statt Mantel trug
ein Jegliches ein Leichentuch.

Sie henkten stumm zum luft’gen Reih’n
die klapperdürren Arme ein,

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und stampften sich den Takt, und sah’n

den zitternden Trompeter an,
und winkten ihm mit finsterm Blick,
daß er begänne die Musik,
und dieser, der den Wink verstand,

160
nahm bang das Instrument zur Hand.


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Er bläst, so gut vor Angst er kann,
und wirbelnd hebt der Reigen an;
die Tänzer heulen fürchterlich,
die Leichentücher bauschen sich,

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und immer rascher fliegt der Reihn,

mit Todtenknochen wirft es drein,
und Höllenlarven ohne Zahl
ziehn grinzend oben hin im Saal.

Claus hatte einen harten Stand!

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Von Todesängsten übermannt –

kein Wunder, wenn er unrein blies,
auch wohl manch Achtel sitzen ließ!
Jedoch die Tänzer waren streng,
und jedes falsche Schnedredeng

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bezahlten sie ihm baar sogleich

mit einem derben Backenstreich.

Hätt’s ihm sonst Jemand so gemacht,
den hätt’ er blindlings umgebracht!
Doch heute mußt’ er duldsam seyn,

180
und steckte zitternd Alles ein,

und blies aus Leibeskraft dabei,
als ob’s ihm ein Vergnügen sey,
bis endlich, für ihn spät genug!
die Kreuzthurmglocke Ein Uhr schlug.

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Da ließ der Reigen plötzlich aus,

die Tänzer drängten sich hinaus
zur Thür, und kreischten dumpf dazu:
„Zur Grabesruh! Zur süßen Ruh!

[120]

Ins Grab, huhu! ins kühle Grab!

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Hinab zur Ruh! tief, tief hinab!

Der letzte Reihn soll’s heute seyn!
Willkommen, Sarg und Leichenstein!“

Drauf wird’s im Saale still und leer,
und der Trompeter athmet schwer

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und tief, und wagt sich nicht zu dreh’n,

geschweige, einen Schritt zu geh’n.
In seiner Angst gewahret er
stet’s neue Schrecken um sich her,
bis er, so backenlahm er ist,

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zum letzten Mittel sich entschließt.


Er dreht sich um – er wagt es drauf! –
und reißt das Erkerfenster auf,
und bläßt die Herzensangst mit Macht
hinaus weit in die stille Nacht.

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Die Nachbarn schau’n zum Fenster ’raus,

doch Niemand wagt sich an das Haus,
und erst das nächste Morgenroth
befreit den Bläser aus der Noth.

Da kommt der Wirth im schnellen Lauf,

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und eilet in den Saal hinauf,

und reißt die Thür auf, und erschrickt,
als den Trompeter er erblickt.
Denn kläglich war der anzuschau’n,
die Backen waren blau und braun,

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sein Aug’ so trüb’ und feucht, sein Mund

vom vielen Blasen blutigwund.

[121]

„„Na, seht, hab’ ich’s euch nicht gesagt?
Nicht allemal gewinnt, wer wagt!““
so spricht der Wirth mit ernstem Blick,

220
und nimmt ihn mit zu sich zurück,

und heißt ihn guten Muthes seyn,
und schenkt den blanken Zinnkrug ein:
„„So, nun erzählt! Erst trinkt mal hier
von der gewonn’nen Tonne Bier!““

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„Ach! – seufte Claus – ich danke schön!

der Trunk kommt mir zu hoch zu stehn!“
Darauf erzählt er Alles klar,
was ihm heut Nacht begegnet war.
Kaum aber hat der Wirth gehört,

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daß nun der Spuk nicht wiederkehrt,

da klatscht’ er in die Händ’, und flog
vor lauter Freuden deckenhoch.

Drauf holt ein Säckchen er herbei,
und zählt ihm eine lange Reih’

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von blanken Gulden hin, und spricht:

„„Da, nehmt das, und verschmäht mich nicht!
Und wenn ihr könnt, so bleibt bei mir,
sollt immer haben freies Bier;
habt ihr mir doch in dieser Nacht

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das Herz erst wieder leicht gemacht!““


Drauf ruhig der Trompeter spricht:
„Dableiben kann ich halter nicht,
jedoch das Geld, das nehm’ ich an,
wer weiß, wo ich’s mal brauchen kann.

[122]
245
Noch Einen Krug, und keinen mehr!

Ich will fortan, bei meiner Ehr’!
vernünft’ger seyn, daß ich an Gott
mich halten kann in jeder Noth.“

Er spricht’s, und trinkt die Kanne aus,

250
und eilt rasch in den Stall hinaus,

und zäumt sein Pferd, und sattelt auf,
und scheidet von dem Wirthe drauf,
und trägt als unschätzbaren Lohn
die gute Lehre mit davon:

255
Sieh zu, daß dein Gewissen gut,

sonst fehlt dir in Gefahr der Muth! –

Der Spuk im Hause war gebannt,
der Wirth zog wieder ein, und wandt’
ein fein Stück Geld daran, und ließ,

260
wo Claus einst aus dem Fenster blies,

ihn conterfei’n, in Stein gehau’n.
Dort ist er heute noch zu schau’n,
gar schön vergoldet; und das Haus –
da ward’s Trompeterschlößchen draus.