Das Theater während der französischen Revolution

Textdaten
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Autor: F. A. von Winterfeld
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Titel: Das Theater während der französischen Revolution
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 414–415
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Theater während der französischen Revolution.

Von F. A. von Winterfeld.

Es mag als eine auffallende Erscheinung betrachtet werden, daß jene ungeheure Umwälzung, welche sich vor hundert Jahren auf Frankreichs Boden vollzog, die Pariser Theater, abgesehen von einigen Namensänderungen, in ihrem äußerlichen Bestand so ziemlich unberührt ließ. Bei der großen Vorliebe der französischen Nation für die Bühne, die selbst während der Schreckensherrschaft nicht nachließ, ja, nach den stets gefüllten Häusern zu schließen, eher noch zunahm, hätten wohl hier grobe Eingriffe eine allgemeine Unzufriedenheit erregt.

Desto größer und nachtheiliger aber erwies sich der mittelbare Einfluß der Revolution auf die dramatische Dichtung wie auf die darstellende Kunst. In weit höherem Grade als in irgend einem anderen Lande war die Schaubühne in Frankreich und vorzüglich in dessen Hauptstadt ein Spiegel der Sitten und der sozialen Zustände. Da nun aber die Sitten im Verlauf der Revolution zunehmend verwilderten, die sozialen Verhältnisse immer verwirrter und trauriger wurden, so konnte auch die Rückwirkung auf die Bühne nicht ausbleiben; sie mußte künstlerisch herabsinken, sowohl nach der schöpferischen wie der darstellerischen Seite, wenn auch die materielle Blüthe nicht fehlte. Denn niemals war, wie schon gesagt, die Schaulust des Volkes größer als in diesen schrecklichen Zeiten.

Da die Politik alles beherrschte, so wurden die Theater bald zum allabendlichen Kampfplatz der politischen Parteien. Jede Stelle, welche irgend eine politische Deutung zuließ, wurde, je nach dem Standpnllkt der Zuhörer, mit lärmenden Kundgebungen des Beifalls oder des Mißfallens aufgenommen. Namentlich während der ersten Zeiten der Revolution, wo die königliche Partei noch nicht ganz ohnmächtig war, kam es in den Theatern häufig genug zwischen Royalisten und Republikanern zu heftigen, selbst in Thätlichkeiten ausartenden Kämpfen.

So suchte die Comédie Française, das altberühmte, mit vielen Vorrechten ausgestattete Institut, obgleich in „Théâtre de la Nation“ umgetauft, doch ihr aristokratisches Gepräge zu wahren und benutzte jede Gelegenheit zu royalistischen Kundgebungen. In anderen Theatern geschah das Entgegengesetzte. Als bei einer Vorstellung der Grétryschen Oper „Die unvorhergesehenen Ereignisse“ in der Komischen Oper Madame Dugazon, die der Königin für ihre künstlerische Ausbildung vielen Dank schuldete, bei dem Verse

„Ah que j’aime ma maîtresse!“
(„Ach, wie lieb’ ich meine Herrin!“)

sich gegen die anwesende Marie Antoinette huldigend zu verbeugen wagte und einige anwesende Royalisten dazu Beifall klatschten, da brach ein solcher Sturm auf seiten der viel stärkeren Gegenpartei aus, ein solches Heulen, Zischen und Pfeifen, daß die unglückliche Königin, bis in die Lippen erbleichend, eiligst das Theater verließ und fortan keiner Vorstellung mehr beiwohnte.

Nur in einer allerdings lediglich äußerlichen Beziehung sollte die Revolution einen vortheilhaften Einfluß auf die Bühne ausüben; sie veranlaßte den Bruch mit der herkömmlichen widersinnigen Tracht Bisher waren die Helden und Heldinnen der Tragödie, gleichviel welcher Zeit und welchem Volke sie angehörten, stets im Hofkostüm, gepudert, in Escarpins und gesticktem Frack, in Absatzschuhen und Reifrock, aufgetreten. Die herrschende Abneigung gegen alles Höfische veranlaßte den jungen Talma, eine Abweichung von dieser Unnatur gewissermaßen durch eine Ueberrumpelung zu versuchen. Ohne seinen Kollegen von der Comédie Française vorher etwas davon zu sagen, wagte er es, in Voltaires „Brutus“ in einer römischen Tunika, mit bloßen Armen und Beinen und ohne Puder zu erscheinen. Wenn auch seine Partnerin, Demoiselle Contat[1], aus Schreck über den „greulichen Anblick“ die Fassung verlor und stecken blieb, so befreundete sich doch das anfänglich befremdete Publikum bald mit der Neuerung und zwang die übrigen Künstler, Talmas Beispiel zu folgen, obschon sie dies mit heimlichem Unwillen thaten, der sich bei nächster Gelegenheit Luft machen sollte.

Man führte Chéniers „Karl IX. oder die Schule der Könige“ auf und Talma gab den feigen und blutdürstigen Tyrannen mit so genialer Kraft, daß das Stück Abend für Abend das Haus bis auf den letzten Platz füllte. Endlich wurde der König – es war zu einer Zeit, wo ihm noch nicht alle Macht genommen war – bewogen, die weiteren Aufführungen des Stückes als aufreizend und gefährlich zu verbieten. Das aber hieß, Oel ins Feuer gießen. Am sogenannten Verbrüderungsfest, am Jahrestage der Einnahme der Bastille, forderte das Publikum ungestüm die Wiederholung des Stückes in der Comédie Française. Vergebens suchte der Regisseur, der sich nicht auf das königliche Verbot berufen mochte, die Krankheit einiger Mitwirkenden als Hinderniß vorzuschieben. Plötzlich erschien Talma im Kostüm Karls IX. auf der Bühne und erklärte, weder er noch seine Kollegen seien krank und wenn man nur wolle, so könne das Stück sofort gegeben werden, was denn auch geschah. Der Unwille des Volks wäre gefährlicher gewesen als der des Königs.

Dieser eigenmächtige und die Kollegen bloßstellende Schritt wurde von diesen – die Comédie Française besaß und besitzt das Recht der Selbstverwaltung – durch mehrmonatige Ausschließung des Attentäters bestraft. Talma aber, der sich dies nicht gefallen lassen wollte, trat mit einigen Anhängern aus dem Verbande der Comédie Française aus und gründete mit ihnen das „Theater der Freiheit und Gleichheit“ in der Rue Richelieu, welches jener gefährlichen Abbruch that, da auf ihm die Werke der ersten zeitgenössischen Dichter, Chénier, Arnault, Legouvé, trefflich dargestellt wurden.

Auch andere neue Bühnen schossen, seitdem die Theaterfreiheit erklärt worden war, in großer Anzahl wie Pilze aus dem Boden, freilich um meistens schnell genug wieder zu verschwinden. In gleichem Maße wuchs auch die Fruchtbarkeit der dramatischen Autoren, denn alle diese Bühnen wollten mit neuen und zwar „zeitgemäßen“ Stücken versorgt sein. Solche entstanden denn auch in Masse, waren aber keineswegs geeignet, der dramatischen Litteratur Ehre zu machen.

Die Spitze dieser Machwerke war, der Strömung der Zeit folgend, stets gegen die Religion, die Kirche, den Papst, die Klöster und nicht am wenigsten gegen das Königthum gerichtet, wie dies schon ihre Titel: „Ein Tag im Vatikan“, „Die Opfer des Klosters“, „Die Päpstin Johanna“, „Der Sturz des Despotismus“, „Die Völker und die Könige“, „Die wahren Sansculotten“, „Das letzte Gericht der Könige“, „Die Emigrantin und der Jakobiner“, „Marats Tod“ etc. genugsam darthun. Die Stücke waren meistens nach Inhalt und Form äußerst oberflächlich, grob und geistlos gearbeitet, fanden aber dennoch, gehörig mit patriotischen Phrasen gespickt, rasenden Beifall. Diese Verrohung der dramatischen Litteratur mußte selbstverständlich auch eine Verrohung der darstellenden Kunst herbeiführen.

[415] Da man nun aber doch die klassischen Werke der großen Dichter nicht ganz von der Bühne verbannen mochte, so wurden dieselben möglichst „zeitgemäß“ zugestutzt, wobei sie sich die elendesten Verpfuschungen und grausamsten Verstümmelungen gefallen lassen mußten. Corneille und Racine würden sich im Grabe umgedreht haben, wenn sie ihre Werke in dieser Zurichtung hätten sehen können. Ohne Rücksicht auf Sinn und Rhythmus des Verses waren in der Anrede nur die Worte „Citoyen“ und „Citoyenne“ gestattet, und wehe dem Schauspieler oder der Schauspielerin, die es gewagt hätten, gleichviel in welcher Rolle, ohne tellergroße Nationalkokarde aufzutreten!

Ueberhaupt war der Schauspielerberuf damals nicht wenig gefahrvoll. Einst wurde ein großer Theil des Personals der Comédie Française, oder genauer des Théatre de la Nation, in das Gefängniß La Force geschickt, weil es eine französische Bearbeitung des Richardsonschen Romanes „Pamela“ für die Bühne aufgeführt hatte und weil darin der Darsteller eines Lords mit dem Hosenbandorden geschmückt auf der Bühne erschienen war. Dieser Unvorsichtige rettete nur mit Mühe seinen Kopf, hauptsächlich, weil er ein sehr beliebter Schauspieler war.

Uebrigens waren die hervorragendsten dramatischen Künstler der Revolution, wenigstens in ihrem späteren Verlauf, nicht zugethan, wenn sie dies auch sorgfältig verbergen und die „Patrioten“ spielen mußten; denn sie sahen nur zu gut ein, daß bei der eingerissenen Verwilderung des Geschmacks auch ihre Kunst rettungslos von Stufe zu Stufe sinken mußte.

Vergebens suchten einzelne unerschrockene Schriftsteller dem Ungeschmack entgegenzutreten, so namentlich Laya, der, als der König bereits Gefangener im Temple war, noch die Kühnheit besaß, sein Lustspiel „L’ami de la loi“^ auf die Bühne zu bringen, das entschieden gegen die Anarchle gerichtet war und die republikanische Tyrannei für viel schlimmer erklärte als die königliche. Die royalistische Partei, so viel noch davon vorhanden war, jubelte und die „Patrioten“ schäumten vor Wuth. Die weiteren Vorstellungen wurden untersagt, aber, merkwürdig genug, nachdem der Verfasser an den Konvent appelliert und vor demselben mit glänzender Beredsamkeit sich selbst und sein Werk vertheidigt hatte, wieder gestattet. Nichtsdestoweniger wurde Laya bald darauf als des Royalismus verdächtig eingekerkert und sollte die Rettung seines Lebens nur dem Sturze der Schreckensherrschaft verdanken.

Zuletzt war die Furcht so hoch gestiegen, daß die Direktionen der Bühnen gar keine Stücke mehr zu geben wagten, in denen Könige und vornehme Personen vorkamen, und daß die Schauspieler, wenn sie ihrer Rolle gemäß etwas zu sagen hatten, was vielleicht politisches Mißfallen bei den Zuschauern erregen konnte, sich während des Spiels entschuldigten und das Publikum baten, ja nicht etwa zu glauben, daß sie das billigten, was sie auszusprechen genöthigt seien.

Bis zu welchem Grade sittlicher Verirrung man gelangt war, bewies die Beliebtheit des Stückes „Der Republikaner als Gatte“. Ein „Patriot“ entdeckt, daß seine – von ihm geliebte – Gemahlin ihrer Gesinnung nach eine Aristokratin ist, und hält es nun für seine Pflicht, sie dem Revolutionstribunal anzuzeigen, das ihr ohne weiteres den Kopf abschlagen läßt. Dies galt als der Gipfel republikanischer Tugend und wurde allabendlich stürmisch bejubelt.

Doch war man nicht bloß in Paris „patriotisch“ und wachsam. Die Stadtbehörde eines Städtchens der Franche Comté meldete eines Tages der Nationalversammlung, daß sie eine schöne große Frau gefangen genommen habe, die, was ihnen sehr verdächtig vorkomme, in einer Kutsche ohne Wappen reise und nur von einem Kammermädchen und einem großen, sehr impertinent aussehenden Lakaien, wahrscheinlich einem verkleideten Aristokraten, begleitet sei. In ihrem Wagen habe man eine erhebliche Summe in Gold, außerdem eine Art Scepter, eine Krone, einen Hermelinmantel und eine so kostbare Garderobe gefunden, daß man kaum länger daran zweifeln könne, die Unbekannte sei die Königin, welche nach der Schweiz auswandern wolle. Auf ihre Verwahrungen und ihren natürlich falschen Paß sei selbstverständlich nichts zu geben, und man bitte die hohe Versammlung um weitere Verhaltungsbefehle.

Diese lauteten dahin, daß man Madame Sainval, ein Mitglied der Comédie Française, nicht länger aufhalten solle, da sie sich verpflichtet habe, in Besançon eine Reihe von Gastrollen zu geben.

Erst mit der Wiederherstellung der Ordnung sollten auch die Pariser Theater aus ihrem tiefen künstlerischen Verfall allmählich sich erheben und zu ihren alten rühmlichen Traditionen zurückkehren.




  1. Die Künstlerin wurde enthauptet, weil sie einem angeklagten Abgeordneten zur Flucht verholfen hatte. Derselbe hatte sie bei seiner Festnahme verrathen.