Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Das Türkische Reich
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aus: Menschen- und Völkerleben 1 (1916), Heft 6/7, S. 130–133
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Erscheinungsdatum: 1916
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Erscheinungsort: Esslingen am Neckar
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Das Türkische Reich.

Der Krieg hat eine Menge von neuen Problemen plötzlich aufgerollt, die gebieterisch eine sofortige Beantwortung fordern. Viele Illusionen machen eine kleine, aber durchaus gründliche Arbeit des bekannten Geographen, Prof. A. Philippson, über die Türkei (Das Türkische Reich. 12. Band der Deutschen Orientbücherei, herausg. von E. Jaeckh), zu nichte. Diese kleine Schrift gibt die notwendigsten Voraussetzungen zur Beurteilung der wirtschaftlichen und politischen Aussichten der Türkei. Wenn es natürlich auch übertrieben ist, in der „Weltlage, der natürlichen Beschaffenheit und in der Art der Bewohner“ allein die „Grundlagen aller menschlichen Kultur und Wirtschaft eines Landes und ihre Entwicklungsmöglichkeiten“ zu sehen, so ist es selbstredend, daß gerade für solche noch wenig entwickelten Agrarländer, wie [131] die Türkei, die natürlichen Faktoren von besonders schwerwiegender Bedeutung sind. Darum wird diese Schrift viel zu kühleren Betrachtungen der vorderasiatischen Probleme beitragen.

Wenn man über die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten der asiatischen Türkei spricht, wird oft darauf hingewiesen, daß diese Gebiete einst die Wiege der menschlichen Kultur waren, und sehr reiche Länder dargestellt hätten. Das mag fürs Altertum zutreffend sein; seitdem haben sich aber die geographischen und wirtschaftlichen Grundlagen dieser Länder stark verändert und zwar bedeutend verschlechtert. Einige glauben sogar, die Türkei stelle noch Raum genug für eine europäische Einwanderung dar. Dem widerspricht Professor Philippson aufs entschiedenste. Er teilt das türkische Reich in zwei ganz verschiedene Gebiete: in dem einen ist Ackerbau ohne künstliche Bewässerung möglich; es umfaßt die Randteile Kleinasiens und den größten Teil Syriens. Hier wohnen ungefähr 12 Millionen Menschen, also etwa 30 Personen auf das Kilometer, was der normalen Bevölkerungsdichte solcher Länder durchaus entspricht. Eine Vermehrung der Bevölkerung und ohne Ausdehnung des bebauten Landes ist hier fast unmöglich, intensivere Kultur wird allerdings die Aufnahmefähigkeit des Landes erhöhen können; dem stehen aber die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse sowie vor allem der unerträgliche Steuerdruck im Wege. „Im ganzen,“ sagt Philippson, „habe ich den Eindruck gewonnen, daß nicht mehr allzuviel anbaufähiger Boden frei ist, abgesehen von dem, der sich durch neue Bewässerungsanlagen in Trockengebieten gewinnen ließe. Im jetzigen Zustande dürfte das Türkische Reich keine erhebliche Einwanderung von Ackerbauern mehr aufnehmen können.“

Bleiben also die Trockengebiete, die die Phantasie Vieler erregen. Philippson beschäftigt [132] sich mit den Problemen der Bewässerung sehr wenig, wohl deshalb, weil das für ihn recht zweifelhafte Zukunftsmusik ist. Zu dem durch Bewässerung kultivierbaren Boden gehören die Flußebenen und Oasen von Babylonien, ein großer Teil Ober-Mesopotamiens, die Oasen im östlichen Streifen Syriens und ein großer Teil des syrischen Grabens. Philippson meint, daß hier wohl Getreide für den eigenen Bedarf, keineswegs aber für die Ausfuhr hergestellt werden könnte. Denn die Produktion von Getreide auf bewässertem Boden kommt zu teuer zu stehen und kann mit dem Getreide nicht konkurrieren, das ohne künstliche Bewässerung erzeugt wird. Er empfiehlt daher den Anbau von Baumwolle.

Allein die Bewässerung Mesopotamiens wird ein Kapital von über einer halben Milliarde Mark beanspruchen, die nach dem Kriege weniger denn je werde aufgebracht werden können. Aber auch dann würde man nur etwa eine Million Baumwollballen erhalten können (F. Frech, in der „Geographischen Zeitschrift“, Heft 1, 1916), während der Verbrauch Deutschlands allein 1,58 Milionen Ballen beträgt.

An Erzen ist die asiatische Türkei nicht reich; vor allem mangelt es an brauchbarer Kohle, die die Erzgewinnung ermöglichen könnte. Darum führten die Versuche, Erze zu gewinnen, meist zu Enttäuschungen. Immerhin sei in der Zukunft eine reiche Entwicklung des türkischen Erzbergbaues im Bezirk Balia Maden in Mysien, wo sich ein Braunkohlenlager befindet, zu erhoffen. Dort befinden sich auch Chromeisenerzlager. Wichtiger ist die Petroleum-Zone in Mesopotamien, die aber zumeist auf persischem Gebiete liegt.

Alles in allem darf man also wohl sagen, daß die asiatische Türkei kein Eldorado zukünftiger europäischer Ansiedelungen, schon wegen der unerträglichen Hitze, noch einen zukünftigen [133] bedeutenden Rohstofflieferanten oder gar Getreideproduzenten darstellt. Das mögen sich alle Schwärmer für Vorderasien hinters Ohr schreiben.

Den ethnographischen, wirtschaftlichen und politischen Kern des Türkischen Reiches sieht auch Philippson wie viele andere in Kleinasien. Ob sich die anderen Teile werden halten lassen, inwieweit und unter welchen Vorbedingungen sie zur Stärkung der Türkei beitragen können, erörtert Philippson nicht. Eine aufmerksame Lektüre seiner Arbeit kann aber auch in dieser Beziehung manche Anhaltspunkte finden. Hingegen tritt Philippson entschieden gegen die Aufgabe Konstantinopels ein, dessen Verlust auch den Kleinasiens mit sich ziehen müßte. Damit wäre der Untergang des Türkischen Reiches nur eine Frage kurzer Zeit, meint Philippson.

Aus dem „Vorwärts“.