Das Schloß in Oesterreich (Erk, Variante 2)

Textdaten
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Titel: Das Schloß in Oesterreich
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aus: Deutscher Liederhort,
S. 15–17
Herausgeber: Ludwig Erk
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Th. Chr. Fr. Enslin
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google und Commons
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[15]
6a. Das Schloß in Oesterreich.
(Flieg. Blatt vom Jahre 1606. „Drey Schöne Newe Lieder.“ Das dritte.)


1.
Es liegt ein Schloß in Oesterreich,

ist uns ganz wohl erbauet
von Silber und von rothem Gold,
mit Marmelstein gemauret.

2.
Darin da liegt ein junger Knab

auf seinen Hals gefangen,
wol vierzig Klaftern tief unter der Erd
bei Nattern und bei Schlangen.

3.
Sein Vater kam von Rosenberg

wol vor den Thurm gegangen:
„Ach Sohne, liebster Sohne mein!
wie hart liegstu gefangen!“

4.
‚‚‚Ach Vater, liebster Vater mein!

gar hart lieg ich gefangen,
wol vierzig Klaftern tief unter der Erd
bei Nattern und bei Schlangen.‘‘‘

5.
Sein Vater zu den Herren gieng:

„Gebt uns los den Gefangen!
dreihundert Gülden die wolln wir euch gebn
wol für des Knaben sein Leben.“

6.
„„Dreihundert Gülden die helfen euch nicht,

der Knab und der muß sterben:
er trägt ein güldene Ketten am Hals,
die bringt ihn um das Leben.““

7.
„Trägt er ein güldene Ketten am Hals,

hat er sie doch nicht gestohlen,
hats ihm ein zarts Jungfräulein verehrt,
darbei hat sie ihn erzogen.“

[16]
8.
Man führt den Knaben wol aus dem Thurm,

man reicht ihm das Sacramente:
‚‚‚Hilf, reicher Christ vom Himmel herab!
es geht mir an mein Ende.‘‘‘

9.
Man führt den Knaben zum Gericht hinaus,

die Sprossen mußt er steigen:
‚‚‚Ach Züchtiger, lieber Züchtiger mein,
laß mir ein kleine Weile!‘‘‘

10.
„„Ein kleine Weile laß ich dir nicht,

du möchtst mit sonst entrinnen;
leiht mir ein seidens Tüchlein her,
daß ich ihm sein Augen verbinde!““

11.
‚‚‚Ach meine Augen verbinde mir nicht,

ich muß die Welt anschauen;
ich sehe sie heut und nimmermehr
mit meinen schwarzbraun Augen.‘‘‘

12.
Sein Vater unterm Gerichte stund,

sein Herz möcht ihm zerbrechen:
„Ach Sohne, liebster Sohne mein!
dein Tod will ich schon rächen!“

13.
‚‚‚Ach Vater, liebster Vater mein,

mein Tod sollt ihr nicht rächen!
bringt meiner Seelen ein schwere Pein;
um Unschuld so will ich sterben.

14.
‚‚‚Es ist nicht um mein stolzen Leib

noch um mein junges Leben,
es ist nur um meine Frau Mutter daheim,
die weinet sich also sehre.‘‘‘

15.
Es stund kaum an den dritten Tag,

ein Engel kam vom Himmel:
man sollt den Knabn vom Gerichte nehmn ab,
sonst würde die Stadt versinken.

[17]
16.
Es stund kaum an ein ein halbes Jahr,

der Tod der ward gerochen:
es wurden mehr denn dreihundert Mann
vons Knaben wegen erstochen.

17.
Wer ist der uns dies Liedlein erdacht,

gesungen auch zugleiche?
Das haben gethan drei Jungfräulein zart
zu Wien in Oesterreiche.