Das Pfingstbier der Halloren

Textdaten
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Autor: Dr. Hans Bethge
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Titel: Das Pfingstbier der Halloren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 437–438
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Pfingstbier der Halloren.

Von Dr. Hans Bethge.0 Mit Illustrationen von O. Gerlach.


Die Halloren sind jener alte in Halle ansässige Volksstamm, dessen Herkunft man bisher trotz vieler Bemühungen nicht mit Sicherheit hat bestimmen können. Die einen betrachten sie als Abkömmlinge der alten wendischen Bevölkerung, andere wollen keltisches Blut in ihnen konstatieren, und eine dritte Meinung geht dahin, daß sie die Nachkommen des unfreien Teiles der ältesten fränkischen Kolonie seien. Sie bildeten in früherer Zeit eine abgeschlossene Gemeinde für sich und sahen mit Sorgfalt darauf, daß sie sich nicht durch Heirat mit den anderen Bewohnern Halles vermischten. Auf die Dauer war dies Prinzip jedoch nicht gut durchführbar. Welcher Abkunft sie deshalb auch immer sein mögen – ungemischtes Blut fließt wohl schwerlich noch in einer der heutigen Hallorenfamilien. – Die Halloren haben sich ihre alte, eigentümliche Tracht und manche Besonderheit in ihrer Lebensführung bewahrt. Früher waren sie ohne Ausnahme Salzwirker von Beruf. Seitdem aber die Hallische Saline ihre einstige Bedeutung zum größten Teil eingebüßt hat, ist die Anzahl der Salinenarbeiter eine ungleich geringere geworden. Die Halloren sahen sich genötigt, auch zu anderen Berufsarten zu greifen. Sie dienen jetzt in erster Linie bei Begräbnisfeierlichkeiten als Träger des Sarges, wozu ihre stimmungsvolle Kleidung, die dann natürlich ganz in Schwarz gehalten ist, wie geschaffen erscheint. Für gewöhnlich ist diese Kleidung allerdings eine überaus farbenfrohe. Sie tragen langschößige Röcke aus blauem, rotem, lila oder rosa Tuch, das unten an den Aermeln mit Pelz besetzt ist; bunte Seidenwesten mit großen Silberknöpfen und auf dem Haupt schwarze Dreimaster aus Filz. Ihre schwarzen Sammethosen reichen ihnen bis zum Knie, daran schließen sich weiße Wadenstrümpfe. Die Füße sind mit Schnallenschuhen bekleidet.

Ueberreichung des „Hallorenkuchens“.

Von den mannigfachen Sitten und Gewohnheiten, welche die Halloren aus alter Zeit bis auf den heutigen Tag bei behalten haben, ist wohl die Feier des sogenannten Pfingstbieres die bekannteste. Vierzehn Tage nach Pfingsten wird das fröhliche Fest von der Salzwirkerbrüderschaft begangen. Es hat seinen Ursprung in einem alten Abkommen, welches den nahe bei Halle gelegenen staatlichen Gutshof Giebichenstein verpflichtet, den Halloren alljährlich zu Pfingsten eine bestimmte Menge Bier zu spenden. Bis in die vierziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein wurde das Bier auch pünktlich zu jedem Pfingstfest in natura. geliefert. Dann, als die Giebichensteiner Gutsbrauerei einging, wandelte man die Spende in eine entsprechende Geldsumme um, welche die Halloren noch heute beziehen und für welche sie sich im „Paradies“, dem ältesten Schanklokal der Stadt Halle, das zugleich einen der schönsten Restaurationsgärten sein eigen nennt, ihr Pfingstbier herrichten lassen.

Zappeltanz der Platzknechte.

Im heurigen Jahre wurde das Fest mit besonderem Pomp begangen. Es war am 3. Juni in den ersten Nachmittagsstunden, als sich die festlich gewandeten Nachkommen der Ureinwohner Halles in dem ehrwürdigen Hofe des alten Residenzgebäudes einfanden. Die jüngeren unter ihnen hatten sich statt der Dreimaster frische Kränze von Frühlingsblumen aufs Haar gelegt und trugen blütenumrankte Thyrsusstäbe. Viele unter den älteren waren mit den Abzeichen ihrer besonderen Würde versehen. Die schönen, wertvollen Silberbecher, welche die Brüderschaft ihr eigen nennt, wurden aus der Residenz, wo sie gewöhnlich aufbewahrt werden, hervorgeholt und mit den ersten kühlen Tropfen gefüllt, die bei der großen Hitze doppelt labend waren. Auf ihre silbernen Pokale sind die Halloren nicht wenig stolz. Sie haben sie bei den Huldigungen, welche sie jedem preußischen König persönlich darbringen dürfen, als Zeichen fürstlichen Wohlwollens empfangen, jedesmal zugleich mit einer kostbar gestickten Fahne.

Man reichte die Pokale, von denen der ausnehmend prächtige, [438] welchen Kaiser Friedrich geschenkt hat, mit besonderer Begeisterung gepriesen wurde, herum und labte sich, bis die lichtgekleideten Hallorenmädchen in Wagen herbeigefahren kamen und somit der Umzug beginnen konnte. Unter Vortritt des sogenannten „Boten“ mit dem lenkenden Stab nahm die Musikkapelle Aufstellung; es folgten der Hauptmann der Brüderschaft, die Vorstände, der Fahnenträger mit der neuen Fahne Kaiser Wilhelms II, sodann die Kranzjungfrauen in Wagen. Es läßt sich schwerlich etwas Lieblicheres denken als so ein frisches Hallorenmädchen in seiner überaus kleidsamen Stammestracht.

Das Fahnenschwenken.

Es trägt einen steifen, hellblauen Glockenrock mit einer darüber geworfenen Spitzenhülle. Ein Mieder von der gleichen Farbe legt sich um die Brust; daraus hervor, sich leicht um Arme und Nacken schmiegend, bauscht sich ein reichgesticktes weißes Hemd. Auf dem Haar sitzt ein prächtiges Häubchen aus Goldfiligran, und um den Hals sind kostbare goldene Kettchen gewunden. Im Zuge stellten sich hinter den jungen Mädchen noch mehrere Fahnenträger auf, dann kamen die übrigen Mitglieder der Brüderschaft, alt und jung. Die Musikkapelle setzte ein und der Zug verließ den Hof der Residenz; durch die dichtgedrängten Scharen der Hallischen Bevölkerung, die dem Treiben der Halloren immer mit regem Interesse folgt, nahm er seinen Weg über die Oleariusstraße am alten Solbrunnen vorbei nach dem schattigen Garten des „Paradieses“, wo er sich dann auflöste. Man nahm an den festlich bereiteten Tischen unter den prachtvollen Bäumen des Paradiesgartens Platz, um beim Klang der Kapelle einen der silbernen Humpen nach dem andern in fröhlicher Stimmung zu leeren. Der Hauptmann der Brüderschaft trat nach einiger Zeit auf das Podium und brachte ein Hoch auf den Kaiser aus, der an den Sitten der Halloren besonderen Anteil nimmt. Darauf ergriff der würdige Obersiedemeister Andreas Ebert, dessen imposante, eindrucksvolle Gestalt allen Hallensern aufs beste bekannt ist, die Fahne des Kaisers, um sie zu den Klängen der Musik auf kunstvolle Weise in schönen, rhythmischen Bewegungen zu schwenken. Diese alte Gepflogenheit, die, wenn sie zu ihrer vollen Wirkung kommen soll, eine besondere Künstlerschaft erheischt, ist mit der Feier des Pfingstbieres von alters her aufs engste verknüpft und macht sozusagen ihren Höhepunkt aus. Der „alte Ebert“ in seinem farbenprächtigen, ordengezierten Kleide, den Dreimaster auf dem mächtigen Haupt, schwenkte die Fahne mit geradezu überraschender Kunstfertigkeit.

Nach der Beendigung des Fahnenschwenkens schickte man sich in lustiger Stimmung an, einer zweiten alten Gepflogenheit nachzukommen, nämlich dem Tanz um die Pfingstmaie. Das gab ein froh bewegtes Bild von einem Farbenspiel, wie es dem Auge nur selten geboten wird. Die Salzbrüder mit ihren langen Röcken schwangen in ihren Armen die schönen Hallorenmädchen, die in Lichtblau und Weiß erglänzten. Auch der eigenartige Zappeltanz, ein Nationaltanz der Halloren, that gute Wirkung. Seit jeher wird er von den beiden Platzknechten beim Pfingstfeste ausgeführt. Ringsum aber war das junge Grün des Frühlings und duftende Blüten. Hier an den Tischen ließ sich die Jugend den altberühmten, reich mit Rosinen versetzten „Hallorenkuchen“ munden, dort plauderten in Gruppen zusammenstehend die älteren der Halloren, indem sie die silbernen Pokale kreisen ließen und sich voll sehnsüchtiger Erinnerung in die goldenen Tage zurückversetzten, wo sie einst selber als junge Bursche um die Pfingstmaie tanzten, jauchzend und blühende Mädchen im Arm. Jene aber, die damals die blühenden Mädchen waren, saßen nun still am dampfenden Kaffeetisch und sahen glücklich dem Tanz ihrer gesunden Söhne und Töchter zu. – Wenn die Jugend einmal beim Tanzen ist, so findet sie so schnell kein Ende, und die Hallorenjugend macht keine Ausnahme darin. So kam denn die Dämmerung und der Abend herauf, und der Mond und die zahllosen Sterne begannen herrlich zu glänzen, die jungen Halloren und ihre Mädchen aber wiegten sich noch immer im Takt der Musik, lachten und sangen und waren glücklich. Ob sich auch hin und wieder ein hübsches Paar verstohlen tiefer in den Garten hinein verirrte, um dort dem schmelzenden Klang der Nachtigall zu lauschen, das weiß ich nicht. Dies aber weiß ich: noch mancher, mancher silberne Humpen köstlichen Pfingstbieres wurde über Nacht geleert.