Textdaten
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Autor: Gustav Binder
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Titel: Das Münsterjubiläum in Ulm
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 404–407
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[404]
Das Münsterjubiläum in Ulm.
(Mit Abbildungen.)


In den letzten Tagen des Juni feiert die Stadt Ulm ein Fest, wie es einer Stadt ihres Ranges nur selten einmal im Laufe der Jahrhunderte zu feiern vergönnt ist und für welches sie wohl aller Orten, soweit die deutsche Zunge klingt, freudiger Theilnahme sich versichert halten darf.

Es war in der Zeit des kräftigsten Emporstrebens, es war eine That stolzen Machtgefühls, als die Ulmer im Morgengrauen des 30. Juni 1377 feierlich den Grundstein zu ihrer neuen Pfarrkirche legten, welche der größte Dom Deutschlands werden sollte. Ein Jahr zuvor hatten sie den Kaiser Karl den Vierten, als er mit Heeresmacht vor ihren Mauern erschien, um ungerechte Forderungen durchzusetzen, zu wenig rühmlichem Abzuge gezwungen, und vor wenigen Wochen erst hatten sie die Kunde von dem bei Reutlingen erfochtenen Siege der Städter über den Sohn des Grafen von Württemberg und die schwäbische Ritterschaft erhalten. Auch nachdem elf Jahre später der Sieg Eberhard's des Greiners bei Döffingen das Uebergewicht der Fürstenmacht in Schwaben entschieden hatte, war damit dem Wachsthum der Stadt keineswegs ein Ziel gesetzt; das Gebiet vergrößerte sich; Gewerbe und Handel blühten; „Ulmer Geld regierte die Welt“. Und wenn durch die neueste Forschung die gegenwärtig noch allgemein verbreiteten Annahmen über die Bevölkerungszahlen der deutschen Städte im Mittelalter bei vielen als übertrieben nachgewiesen werden, wenn namentlich das mittelalterliche Ulm schwerlich je mehr als zwanzigtausend Einwohner innerhalb seiner Ringmauern gezählt hat, so muß man umsomehr die Thatkraft jenes Geschlechtes bewundern, das so weitreichender Entwürfe fähig war.

Der Bau des Münsters wurde durch das ganze fünfzehnte Jahrhundert in bald rascherem, bald langsamerem Fortschreiten, je nachdem Zeit und Mittel es erlaubten, fortgesetzt; als Leiter waren an demselben hauptsächlich Ulrich, Matthäus und Moriz aus der Baumeisterfamilie der Ensinger, Hans Kuhn, Matthäus Böblinger und endlich Burkhard Engelberger thätig. In der Ausschmückung des Innern wetteiferten mit den Häuptern der damals blühenden Ulmer Malerschule, einem Herlen, [405] Zeitblom, Schühlein, Scheffner, der Glasmaler Hans Wild und die Holzschnitzer Syrlin, der ältere und der jüngere, und der soeben als Baumeister genannte Engelberger.

Aber bald nach dem Anfang des sechszehnten Jahrhunderts gerieth der Bau in's Stocken,[1] und die Reformationszeit brachte in der Periode der Bilderstürmerei dem Inneren schweren, ja zum Theil unersetzlichen Schaden. So stand der Dom, das gewaltigte Denkmal der Spätgothik, durch Jahrhunderte mit eben zur Hälfte vollendetem und dann so gut oder so schlecht wie möglich überdachtem Hauptthurm, ohne die Chorthürme, von denen nur der untere Aufbau bis zu dreiviertel Höhe des Mittelschiffs ausgeführt war, und mit den Strebebögen und Pfeilern, auf beiden Langseiten Schmuck und Sicherung zugleich entbehrend. An den Ausbau dachte im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert bei den schlechten Zeiten, der noch schlechteren Wirthschaft und der immer zunehmenden Verengung des Gesichtskreises, wie sie in jener Periode fast in allen ähnlichen Gemeinwesen sich zeigt, Niemand mehr, und das Innere wurde vollends gar über Gebühr vernachlässigt. Dennoch war auch in diesem Zustande das Münster ein Gegenstand des Stolzes für den Ulmer, der Bewunderung für die Fremden, die sich in zahlreichen Zeugnissen ausspricht; wie z. B. der so oft mit Unrecht verschrieene Fritz Nicolai in seinem Reisewerk das Münster einer eingehenden und verständigen Schilderung und Beurtheilung unterzieht.

Erst in den vierziger Jahren ist mit der Restauration des Münsters begonnen worden, nachdem noch 1817 zur Feier des Reformationsfestes das Innere übertüncht worden war, sodaß man nun, wie ein gleichzeitiger Bericht wohlgefällig bemerkt, „nicht mehr an den Wänden die alten oft Aberglauben nährenden Gemälde sah“. Neben dem wieder allgemein erwachten und von kunstverständigen Männern belebten Sinn und Interesse für den Bau als Kunstwerk trieb dazu die unabweisbare Erkenntniß, daß der Dom, wenn nicht Einhalt gethan werde, dem Verfall entgegengehe. Am Hauptthurm bedurften namentlich der Kranz und die Vorhalle des Hauptportals dringend der Ausbesserung, und die Errichtung der Strebebögen und Pfeilerpyramiden zu beiden Seiten des Langhauses durfte bei dem gefahrdrohenden Weichen der Wände des Mittelschiffes ebenfalls nicht mehr aufgeschoben werden.

So wurden denn bei anfangs spärlich, allmählich und namentlich seit Gestaltung der Münsterbaulotterie reichlicher fließenden Mitteln zuerst kurze Zeit unter Mauch's, dann unter Thrän' s und seines Gehülfen Seebold und seit deren Tode unter des trefflichen Münsterbaumeisters Scheu Leitung die Arbeiten am Münster bis auf den heutigen Tag fortgeführt. Es sind, um von vielen sonstigen Einzelheiten, namentlich den Renovationen am Hauptthurm, zu schweigen, die zwanzig Pfeiler und Strebebögen des Langhauses, die Galerien über beiden Seitenschiffen, die acht Chorpfeiler, der bedeckte Umgang am Chor vollendet, und seit 1875 ist mit dem Ausbau der beiden Chor- oder Seitenthürme nach Scheu's Plan begonnen worden. Während die aus Nr. 34 von 1868 in diese Nummer wieder aufgenommene Abbildung (S. 406) die Westfront mit dem Hauptthurme in seiner einstigen Vollendung (in 143 Meter Höhe) zeigt, bringt die andere Abbildung die Seitenthürme zu beiden Seiten des Chors am südöstlichen oder nordöstlichen Ende des Langhauses zur Anschauung. Beide werden die gleiche Hohe von 86 Meter erhalten; der südliche, welchen, wie man sieht, die Abbildung vollständig zeigt, wird bis zum Jubiläum nahezu (bis auf 15 Meter) vollendet sein; vom nördlichen wird allerdings auf der Seite, von welcher die Abbildung aufgenommem ist, noch nichts zu sehen sein, begonnen ist er aber ebenfalls und wird in ein paar Jahren fertig dastehen. Man wird dann, da die Höhe der Chorthürme der jetzigen des Hauptthurmes sammt Nothdach nahezu (bis auf 10 Meter etwa) gleichkommt, nicht umhin können, auch den Ausbau des letzteren ernstlich in's Auge zu fassen.

Im Innern ist zwar schon in den fünfziger Jahren eine gewaltige, den Dimensionen des Domes entsprechende, freilich auch die Architektonik des Inneren einigermaßen beeinträchtigende Orgel (von dem rühmlichst bekannten Walter) aufgestellt worden, erst in neuester Zeit aber ist unter der Leitung des Oberbauraths v. Egle, des Prälaten v. Merz und des Directors des germanischen Museums, v. Esenwein, ein ausführliches Programm für die zeitgemäße Wiederherstellung und Ausschmückung des Münsters im Innern ausgearbeitet worden, das neben dem äußeren Ausbau zur Ausführung kommen soll.

Bedenkt man nun, daß gleichzeitig die Stadt Ulm, beengt, wie sie durch die Wälle der Festung ist, dennoch unter der thatkräftigen Verwaltung ihres Oberbürgermeisters von Heim in den letzten Jahrzehnten große Anstrengungen gemacht hat, nur ihren Bewohnern das zu bieten, was man in einer modernen Stadt mit Recht verlangt, daß bedeutende städtische Bauten theils vollendet, theils im Gange sind, so wird man einerseits den Wunsch der Ulmer, die thätige Beihülfe auch Auswärtiger zu dem nationalen Werk des Münsterbaues in erhöhtem Maße zu gewinnen, wie andererseits das freudige Selbstgefühl begreiflich finden, mit dem sie zu ihrem Feste einladen.

Dieses Fest wird nicht einen ausschließlich kirchlichen oder gar confessionellen Charakter tragen; es soll zugleich ein Volksfest sein, ein Erinnerungsfest an eine große That deutschen Bürgerthums. Deshalb werden sich auch an der Hauptfestlichkeit des Hauptfesttages, des 30. Juni, Angehörige aller Confessionen betheiligen. Es ist dies ein costümirter historischer Festzug in drei das vierzehnte, sechszehnte und achtzehnte Jahrhundert darstellenden Hauptgruppen. Derselbe Tag bringt eine Wiederholung der altberühmten Ulmer Volksfestlichkeit, eines Fischerstechens auf der Donau, sowie Abends gesellige Unterhaltungen in festlich decorirten Räumen. Am Vorabende, dem 29. Juni, findet im festlich beleuchteten Münster die Aufführung des Händel'schen „Messias“, am 1. Juli sodann, auf welchen das Reformationsfest fällt, der eigentliche Festgottesdienst und Abends eine Aufführung lebender Bilder durch die Theilnehmer des Festzuges statt. Während der Festtage wird eine Ausstellung von Werken der alten Ulmer Malerschule eröffnet werden, für welche eine große Zahl der werthvollsten Bilder von deren Besitzern zugesagt worden ist. Die Festschrift, verfaßt von dem Herausgeber des „Ulmischen Urkundenbuches, Professor Dr. Pressel, wird über Alles, was die historische Seite des Festes anlangt, quellenmäßig sichern Aufschluß geben.

Möge ein freundlicher Himmel dem Feste leuchten und aus allen Gauen, wo man deutsche Art und Kunst versteht und liebt, der alten Reichsstadt die willkommenen Gäste zuströmen!

Gustav Binder.
[406]

Das Münster in Ulm in seiner Vollendung.
Nach der Natur und mit Benutzung des alten Originalplans gezeichnet von Robert Aßmus.

[407]

Ansicht der Chorseite des Ulmer Münsters nach Vollendung der Seitenthürme.
Nach einer Zeichnung des Architekten.

  1. Der Bau des Hauptthurmes wurde eingestellt, als im Jahre 1492 große Steine aus dem Thurmgewölbe herabfielen. Unter Engelberger's Leitung wurde der Thurm unterfahren und, wohl ebenfalls der größeren Sicherheit wegen, die beiden Seitenschiffe durch Reihen schlanker Säulen in je zwei abgetheilt.