Das Kostümfest des Vereins Berliner Künstler

Textdaten
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Autor: Gustav Klitscher
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Titel: Das Kostümfest des Vereins Berliner Künstler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 80-83
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[80]
Ein Kostümfest des Vereins Berliner Künstler.
Von Gustav Klitscher. 0 Mit Illustrationen von W. Pape.


Ein regnerischer, naßkalter, abscheulicher Winterabend. Vor dem schönen neuen Heim des Vereins Berliner Künstler in der eleganten Bellevuestraße fährt Wagen auf Wagen vor, und in dem vom elektrischen Licht hell durchfluteten Vestibül sammelt sich eine dichte Schar sonderbar vermummter Gestalten. Aber allmählich fallen die Hüllen, und aus den häßlichen Puppen schlüpfen buntfarbige, prächtige Schmetterlinge aus. Der merkwürdige Ritter in goldstrotzendem Wams mit Cylinder, Regenmantel und Gummigaloschen wird zum Tannhäuser, losgelöst von Kapes und Kapuzen stehen plötzlich in strahlender Schöne minnigliche „Frouwen“ da. Und nun geht’s vorwärts – in den Frühling hinein! Ein „Maienfest zur Zeit der Hohenstaufen“ soll gefeiert werden, so lautet die Einladung, und der Mai ist’s wirklich, der uns jetzt grüßt mit Maienlust und Maienfröhlichkeit. Wir steigen die große Mitteltreppe hinauf, deren grünender Pflanzenschmuck alle trübe Winternot vergessen läßt, und treten dort, wo sich sonst der Oberlichtsaal der Gemäldeausstellung befindet, in eine Frühlingslandschaft am Rhein. Unter einer mächtigen Eiche ist ein Wirtschaftszelt aufgeschlagen, ringsum grünende Berge, im Hintergrunde aber fällt der Blick auf Pfalz Caub und die Feste am Ufer. Und in der lachenden Aue tummelt sich eine fröhliche Menge in Trachten des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, alle Stände, jedes Alter, Männlein und Weiblein im bunten Gemisch. Da sind Ritter in Kettenhemd und Sturmhaube, Edelherren in Sammetrock und Seidenmantel, Bürger und Bauern. Fahrendes Volk singt Schelmen- und Liebeslieder und bittet die Zuhörer um eine Gabe (vgl. die untere Abbildung S. 81); ein Quacksalber naht, der berühmte Doktor Eisenbart in Person, und preist seine Mixturen an, Narren und Possenreißer, alle sind sie da, und dazwischen in schönem Kranz Frauen und Mägdelein die Fülle. Und alle wollen maienfröhlich sein, als sollte der Sänger jener Tage, Herr Walther von der Vogelweide, noch einmal Recht behalten, wenn er sagt:

„Jetzt im Maien mögt ihr schauen:
Wunders man gewahrt,
Seht die Herren, seht die Frauen,
Wie das stolz gepaart.
Ja er hat Gewalt.
Ob er Zauberlist ersonnen?
Wo er naht mit seinen Wonnen,
Da ist niemand alt!“

[81] Hinter den Tannen, aus dem Busch hervor, tönt seltsamer Sang. Dort steht im Dunkel verborgen ein Zelt, in dem allerhand orientalisches Volk sein Wesen treibt. Hier murmeln die Fremden ihre eintönigen Lieder, während ein altes Weib aus den Linien der Hand weissagt und schwarzäugige Dirnen fremdartige Tänze tanzen.

Eingangsflur des Berliner Künstlerhauses.
Nach einer Photographie von Zander und Labisch in Berlin.

Auch ein indischer Gaukler fehlt unter ihnen nicht. Während wir staunend dastehen, schmettern Fanfaren und Musik. Es ist Zeit, zum großen Festsaal hinauf zu eilen. Hier unter den bunten Bannern und Wimpeln, die den Raum schmücken, steht die Menge schon dicht gedrängt. Kaum daß man durch die hohen gotischen Fenster einen Blick in das Rheinthal werfen kann, das an den Wänden in täuschender Malerei dem Auge erscheint. Rechts ist die Bühne zur Minneburg umgewandelt, mit Mauer und Thor. Liebliche Frauen und Mädchen, Rosen im Haar, grüßen von der Zinne herab. Aber das Thor ist geschlossen. Der Zugang zu ihnen ist verwehrt. Die Idee des Festspiels, das nun folgt, ist die Erstürmung der Minneburg durch Junker Mai und seine Mannen. Dies Spiel ist nicht frei erfunden, sondern war während des Mittelalters im Volke heimisch und wurde in Stadt und Dorf an jedem ersten Maien aufgeführt. Die Regie des Malers Pape hat es prächtig und stilgerecht neu erstehen lassen.

Schon hat der Landgraf (Professor Eschke) mit seiner erlauchten Gemahlin auf den für sie bereit gestellten goldenen Stühlen Platz genommen, und jetzt naht unter Vorantritt der Spielleute, mit kriegerischer Musik, mit Hallo und Holla die Schar der eisengepanzerten Ritter, die trotzig ihre Schwerter aneinander schlagen.

Ihnen folgt unter dem Maienbaum, der jungen Birke, Junker Mai selbst (Maler Storch), begleitet von seinen Leuten. Er fordert Einlaß in die Burg, aber Frau Minne (Fräulein Vickers) erscheint mit dem neckischen kleinen Liebesgott auf der höchsten Warte und weigert den Einlaß. Zunächst versucht’s der Junker diplomatisch. Während sich die Ritter im Kreise lagern, entspinnt sich ein wunderhübscher Dialog zwischen ihm und der reizenden Frau Minne, den Julius Lohmeyer in zierliche Verse gebracht hat. Der Junker sucht sich angenehm zu machen und stellt seine Vorzüge ins beste Licht:

Fahrendes Volk.

[82]

„O hochgemute Fraue,
Die Sonne ist mein Seneschall,
Mein Herold ist die Nachtigall,
Mein Reich die blühende Aue.“

Aber Frau Minne weiß, daß auch sie nicht wehrlos ist:

„Meine Burg ist edle Sitte,
Mein Schelmenknabe, schußbereit,
Trifft durch das schwerste Eisenkleid
Bis in des Herzens Mitte.“

So geht Rede und Gegenrede hin und her, keiner will nachgeben. Jetzt muß Gewalt entscheiden. Junker Mai befiehlt den Sturm auf die Burg, welchen das Bild auf S. 72 und 73 den Lesern vergegenwärtigt. Die Kriegsmannen holen Leitern herbei und suchen sie an die Mauer zu legen. Aber die Schönen auf der Zinne wollen es hindern, Rosen und Blumenpfeile fliegen als Kampfgeschosse hinüber und herüber. Gott Amor ist nicht müßig, doch schließlich bleibt den Rittern der Sieg, sie dringen in Frau Minnes Burg ein, mancher freilich mit dem Pfeil in des Herzens Mitte.

Nunmehr beginnt zur Feier des Siegs und der Hochzeit von Minne und Mai unter der Birke der Reigen, zu dem eine altdeutsche Weise gesungen wird. Dann bildet sich der Brautzug, der in malerischen Windungen alle Festräume durchschreitet, bis er schließlich im Keller im Kneipgemach Halt macht. Dieses ist durch treffliche, stilisierte Bilder von Röchling, Knötel und Engelhardt in eine altdeutsche Trinkstube umgewandelt worden. Droben auf einer Estrade an langer Tafel sitzen die Ritterbürtigen beim Hochzeitsschmaus, unten sammeln sich die Bürger und gewöhnlichen Sterblichen. Aber bald sind auch hier alle Standesunterschiede verwischt, und es hebt in schöner freier Menschlichkeit ein gewaltiges Pokulieren an. Längst vergessene Trink- und Liebeslieder feiern fröhliche Auferstehung, und gar absonderlich hallt es in markigen Tönen durch den Raum:

„Komme, komme, komm zu mir,
Lasse mich nicht sterben hier,
Hyrca, Hyrca, Nazaga, Tiriliri!“

Das „Luften“ im Kneipraum.

All diese alten Gesänge verdankt man dem geschickten Sammeleifer des Doktor Jacobsen, der als Süßkind von Trimberg durch die Menge schreitet. Die Ritter sprechen tapfer dem Rebensaft zu, und wiederholt wird zum „Luften“ geschritten, wobei ein saumseliger Zecher von kräftigen Fäusten emporgehoben wird, währenddem er zu trinken hat (vgl. obenstehende Abbildung). Inzwischen ist von der Bühne im Festsaal die Minneburg verschwunden, Klingsors Zauberspiegel hat sie verdrängt. Klingsor (Maler Hendrich) zeigt in diesem „das Gold der deutschen Sage“, das sich in Gestalt von lebenden Bildern vor uns ausbreitet. So sehen wir, hübsch gestellt, die Rheintöchter, die den Nibelungenhort hüten, Siegfried, der in der Gibichenhalle aus Gutrunes Hand den Willekumm entgegennimmt, die Loreley im Abendsonnenschein, und endlich Klingsors blumenprangenden Zaubergarten. Hofschauspieler Hartmann spricht zu den Bildern einen verbindenden Text von Laverrenz.

Damit aber auch das Satyrspiel nicht fehle, machte den Schluß der Aufführungen ein Knappenturnier. Auf Stöcken sprengten sie mutig gegeneinander vor, freilich nicht mit Lanzen, sondern mit eingelegten Besen, und sie machten ihre Sache sehr lustig, bis sie schließlich sich gegenseitig in den Sand oder besser aufs Parkett streckten. Nun konnte endlich der allgemeine Tanz beginnen. Und er begann. Es war ein prächtiges, farbenfrohes Bild, wie sich all diese geputzten Menschen, von denen nur eine geringe Minderzahl nicht stilgerecht im Geschmack der Zeit gekleidet war, froh im Kreise drehten. Jetzt kam auch die Damenspende zur Verteilung, die Nachahmung einer alten Minnesängerhandschrift mit Miniaturen und Sprüchen. Wollte einer sich noch etwas Besonderes gönnen, so fand er unten, neben der Trinkstube, im Billardzimmer, das zu einem Refektorium umgewandelt war, kunstfertige Mönche, welche ihm die Handschrift mit Aquarellen illuminierten. Später und später wurde es, aber des Maien Zauber blieb ungebrochen. Und sollte es bei einzelnen wirklich zu spät geworden sein, ein Unrecht war auch das nicht, denn die Damen hielten wacker mit aus, und das muß als Entschuldigung gelten. Wie sagt wiederum Herr Walther?

„Wer eines guten Weibs sich freut,
Der alle Missethaten scheut!“

Das schöne Fest in dieser Weise zu feiern, war dem Verein Berliner Künstler nur dadurch möglich, daß er seit Beginn dieses Winters ein neues Heim besitzt. Bis dahin war er im Architektenhause in der Wilhelmstraße zu Gast gewesen, aber immer mehr hatte sich der Wunsch nach einem eigenen Herd fühlbar gemacht. So wurde schließlich in einer der schönsten Straßen Berlins, doch ganz in der Nähe des weltstädtischen Getriebes, das über den Potsdamer Platz flutet, ein Privathaus angekauft, welches durch Umbau – zu einem Neubau reichten die vorhandenen Mittel nicht aus – für die Zwecke der Künstlerschaft hergerichtet werden sollte. Die Aufgabe war schwierig, und als es sich um die Wahl eines Architekten handelte, kam man wie von selbst auf Carl Hoffacker, der seine Gabe, geschickte Raumausnutzung mit schöner Form zu vereinigen, in Berlin schon oft, zuletzt durch die großen Gebäude der Gewerbe-Ausstellung erwiesen hatte. Der Verein verlangte nicht wenig: einen großen Festsaal, Ausstellungsräume mit Oberlicht und nördlichem Seitenlicht, eine Kneipe und ein Billardzimmer, Kegelbahnen, Raum für die Bibliothek und die große Kostümsammlung des Vereins, dann eine Anzahl von Klubzimmern, in denen sich auch die Damen heimisch fühlen möchten, eine ganze Reihe von Räumen für die Verwaltung des Vereins, endlich feuersichere Lagerplätze für Kunstwerke und Kisten. All dies hat der Architekt mit großem Geschick in den gegebenen Platz hineingebaut.

Schon die nur von wenigen Fenstern unterbrochene Fassade wirkt eigenartig (vgl. Abbildung S. 83). Ueber dem Portal prangt ein großes Mosaikbild: in der Mitte strebt die deutsche Eiche [83] empor, in ihrer Blätterkrone ein Bildnis Albrecht Dürers tragend, als Wahrzeichen deutscher Kunst. Rechts und links stehen zur Seite weibliche Idealfiguren, Malerei und Skulptur verkörpernd.

Der Festsaal des Berliner Künstlerhauses: Ansicht der Querwand mit der Empore und dem Bilde von Prof. Max Koch.
Nach einer Photographie von Zander & Labisch in Berlin.

Durch das Portal tritt man in ein weites Vestibül, von Korbgewölben überspannt, in lichten Farben gehalten (vgl. Abbildung S. 81). Rechts und links von ihm liegen die Klubräume und Garderoben. Geht man geradeaus die große Freitreppe zur Hälfte hinauf, so gelangt man in die nach hinten gelegenen Ausstellungssäle, die einer dauernden Gemäldeausstellung dienen. Sie sind in erlesenem Geschmack ohne jede Aufdringlichkeit dekoriert; alles ist darauf berechnet, einen bescheidenen und doch würdigen Hintergrund für die Kunstwerke zu bilden. Verfolgt man aber die Treppe, die sich in zwei Läufe gabelt, bis zu Ende, so kommt man in den großen Festsaal (vgl. obenstehende Abbildung), dessen eine fensterlose Längswand nach der Straße hinausgeht.

Die Vorderansicht des Berliner Künstlerhauses.
Nach einer Photographie von Zander & Labisch in Berlin.

Die Decke bildet ein einmal gebrochenes Tonnengewölbe in Holzarchitektur, oben mit Glas eingedeckt, durch das der Saal sein Oberlicht erhält. So kann er auch als Ausstellungsraum für ganz große Bilder dienen. Die eine Schmalwand nimmt eine richtige, praktikable Bühne mit Schnürboden ein, über dem Vorhang ein stilisierter Ritter Georg; an der andern Schmalwand ist eine breite Galerie weit in den Saal vorgebaut.

Ueber ihr prangt ein großes Bild von Max Koch: „Baldur erscheint auf der Erde.“ Ein schöner Jüngling, von den Strahlen der aufgehenden Sonne umloht, steigt über den Nebeln empor, und die verschlafenen Menschen schauen ihm staunend entgegen. Will man zu der Restauration, so muß man hinab bis in den Keller unter den Ausstellungsräumen. Hier ist die höchst gemütliche Kneipe, daneben das Billardzimmer.

Alles ist darin behaglich, wohnlich, anheimelnd. Hohe Holzpaneele ziehen sich an den Wänden entlang, schwere Eichenmöbel dienen zum täglichen Gebrauch. Unter dem Billardsaal, der etwas höher liegt als das Kneipzimmer, befinden sich die Kegelbahnen. Auf der andern Seite des Baues ist die Bibliothek angeordnet. Die übrigen Räume für Verwaltung u. s. f. verteilen sich dann in einem Hinterflügel. – Die Berliner Künstler haben jetzt ein schönes neues Haus, sie haben darin bereits schöne Feste gefeiert. Unlängst sah der große Saal den neuen Ritter des Schwarzen Adlerordens, den alten Menzel, als Gefeierten an der Spitze seiner Kollegen, die ihm Glückwunsch und Huldigung darbrachten. Aber auch an ernsten Kämpfen hat es in dem neuen Hause bereits nicht gefehlt. Auch hier stehen sich Junge und Alte, Secessionisten und Akademiker schroff gegenüber. Hoffen wir, daß der gemeinsame Besitz alle Auseinanderstrebenden immer wieder zusammenführt. Sind auch ihre Wege verschieden, sie haben ja doch alle nur ein großes, herrliches Ziel, die Kunst!