Textdaten
<<< >>>
Autor: Christian Fürchtegott Gellert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Kind mit der Scheere
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Drittes Buch. S. 288–289
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[288]
Das Kind mit der Scheere.


Kind, hub die Mutter an, eins mußt du mir versprechen:
Die Messer und die Gabeln stechen;
Drum rühre keins von beiden an.
„Allein die Scheere, sollt ich glauben,

5
Die könnten Sie mir wohl erlauben?“

Nichts weniger; was dich verletzen kann,
Sieh niemals als dein Spielwerk an.

Das Kind gehorcht; doch ein geheimer Trieb
Und das Verbot verschönerten die Scheere.

10
Ja, spricht es zu sich selbst, wenn es die Gabel wäre,

Die hab ich lange nicht so lieb,
So ließ ich sie mit Freuden liegen.
Allein die Scheer ist mein Vergnügen,
Sie hat ein gar zu schönes Band.

15
Gesetzt, ich ritzte mich ein wenig in die Hand,

So hätte dieß nicht viel zu sagen.
So klein ich bin, so hab ich ja Verstand,
Und also werd ichs immer wagen,
Sobald die Mutter nur die Augen weggewandt.

20
Doch nein, weil Kinder folgen müssen,

So wär es ja nicht recht gethan.
Nein, nein, ich sehe dich bloß an;
O schöne Scheere, laß dich küssen!
Ich rühre ja kein Messer an,

25
So werd ich doch – – Schon griff es nach der Scheere.

Ja, wenn ich unvorsichtig wäre,

[289]
Da freylich schnitte mich die Scheere;

Allein ich bin ja schon mit ihr bekannt.
So sprachs, und schnitt sich in die Hand.

30
Die Mutter kam. O welche harte Lehre!

Ach, hub das Kind fußfällig an,
Es kränkt mich sehr, daß ichs gethan.
Ich bitte Sie, zerbrechen Sie die Scheere,
Damit ich sie nicht mehr begehre,

35
Und ohne Zwang gehorchen kann.


 _______

     Oft sind wir Menschen dieses Kind.
Versehn mit billigen Gesetzen,
Die göttlich und uns heilsam sind,
Scheut sich das Herz, sie alle zu verletzen.

40
Wir unterlassen, wie das Kind,

Die Dinge, die wir wenig schätzen,
Um die zu thun, die uns am liebsten sind.
Die Reue kömmt. Wir sehn, wie sehr wir fehlen;
Dann denken wir, dann beten wir als Kind.

45
Was heißt in vieler tausend Seelen:

Bewahre mich, o Gott, vor dieser Missethat!
Was heißt es? Wehre mir das Wählen,
Damit mein Herz den Zwang nicht nöthig hat.