Das Königshaus auf dem Schachen

Textdaten
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Autor: P. D.
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Titel: Das Königshaus auf dem Schachen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 206–208
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Königshaus auf dem Schachen.


Allgemein ist es bekannt, daß der verstorbene König von Baiern, Maximilian der Zweite, ein großer Freund des Jagdvergnügens war. Zahlreiche Jagdhäuser, in den schönsten Gegenden des bairischen Gebirges verstreut, geben hievon Kenntniß. Baierns regierender König sucht dieselben oft und für längeren Aufenthalt auf, nur daß er im Gegentheile den Jagdfreuden vollkommen abgeneigt ist und lediglich die hochinteressanten Naturscenerien dort genießt, von welchen sie umgeben sind. Die Anzahl solcher einsam gelegenen Wohnorte wurde sogar noch vermehrt, und erst vor wenigen Jahren gab König Ludwig der Zweite Auftrag, ein weiteres, irren wir nicht, zwölftes Jagdhaus, das Königshaus auf dem Schachen, zu bauen.

Künstler und Architekten legten ihre Pläne vor und die Wahl traf dieses Mal auf den eben genannten „Schachen“, der hoch über allen menschlichen Ansiedelungen sich an das Wettersteingebirge lehnt. Der Wetterstein, jener wildzerrissene, felsige Bergrücken, auf welchem nur tollkühne Gemsenjäger der Jagd obliegen, und der höher und höher steigend sich bis zur Zugspitze fortsetzt – der höchsten Erhebung der bairischen Alpen –, setzt schon bei Mittenwald an der Grenze zwischen Tirol und Baiern mit einem imposanten Bergkegel an, hinter dem sich der Zugspitze zu die weiteren Felsenkolosse in gleicher Unzugänglichkeit und Zerrissenheit aufthürmen. Diesem Bergstock entlang läuft auf südlicher Seite das Leutaschthal, einsam, fast menschenleer, wie nicht leicht eines in den Alpen, aber reich an erhabenen landschaftlichen Schönheiten. Von Hunderten von Quellen und Bächen des Wettersteins gespeist, sammelt sich darin die Leutasch an, um zwischen der Scharnitz – einer ehemaligen österreichischen Grenzbefestigung – und Mittenwald in das Isarthal durchzubrechen. Hoch über der Felsenklamm, durch die sie in tausendjähriger Arbeit ihr Bett geschnitten, gelangen wir dort auf dem „gefährlichen Wege“ in dieses Thal. Kein anderer Zugang führt in dasselbe, es wären denn die nur verwegenen Bergsteigern zugänglichen Joche des Wettersteins. Auf nördlicher Seite dieses Gebirgsstockes dagegen lehnt sich ihm, bis zu seiner halben Höhe hinanreichend und den Uebergang zur Thalsohle vermittelnd, ein

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König Ludwig’s Auffahrt nach dem „Schachen“.
Nach der Natur aufgenommen von G. Sundblad.

Bergzug an, dessen dunkle Nadelwälder nur stellenweise von freien Grasflächen unterbrochen werden, die dem Vieh der benachbarten Almen zur Weide dienen. Die letzte und höchste Erhebung dieses Bergzuges, ebenfalls ein freier grüner Platz, auf dem jedoch das Gestein des Hauptstockes stellenweise schon gewaltig durchbricht, heißt der Schachen, auf dem nun das sogenannte Königshaus steht.

Wir können zu diesen sehenswerthen Punkte auf zwei Wegen gelangen: von Partenkirchen aus, der Partnachklamm entlang aufwärts, oder von Mittenwald aus, durch ein reizend stilles Thal an zwei kleinen, aber ungemein malerischen Gebirgsseen vorüber, in deren ungetrübter Fläche sich die umliegende Bergwelt spiegelt.

Beide Wege vereinigen sich bei der Elmau. (Siehe die Initialabbildung.) So heißt eine keine Gruppe von Häusern, die sich in Abständen um ein Kirchlein herum auf grünendem Wiesenplane lagern. Dort, wo aus der Schlucht zur Rechten der geräuschvolle, hellgrüne, schäumende Gebirgsbach bricht, setzt der Weg an, der zum Königshaus auf den Schachen hinanführt. Seinem Laufe entgegen dringen wir vorerst in die Schlucht vor, aus der uns, wenn wir den Plan der Elmau verlassen, auf dem der warme Sonnenschein liegt, [208] eine kalte Gebirgsluft entgegenströmt. Nach Kurzem aber verlassen wir das steinige Bett des Gebirgsbaches, dessen Tosen sich mehr und mehr in der Ferne verliert, und nun nimmt uns der schweigsame Hochforst auf, in welchem der Nußhäher kreischt, die scheue Amsel aufgescheucht davonfliegt und nur manchmal hoch über uns der Geier sich vernehmen läßt, der, mit ausgebreiteten Flügeln langsam über den Wäldern kreisend, nach einem Opfer späht.

Unser Weg führt in zahlreichen Windungen durch den Wald. Breit genug für ein Gefährte, vermeidet er die Schwierigkeiten der Steigung. Da und dort ist ein Theil der Berglehne abgetragen, den nötigen Raum zu gewinnen; an anderen Stellen sind kleine Schluchten überbrückt oder mit Steinblöcken als festem Unterbau angefüllt. So steigen wir ohne alle Beschwerde auf breiter, fest mit Kies bedeckter Fahrstraße, wie wir sie nur in wohlgepflegten Parkanlagen zu sehen gewohnt sind, höher und höher, und die vielfachen Windungen, welchen wir folgen, gewähren uns den hohen Reiz, daß wir bald zur Rechten, bald zur Linken freie Umsicht erhalten. Dann ist es jedesmal ein hochinteressantes Bild, das wir vor Augen haben. Lichtet sich der Forst zur Linken, dann sind es die frischbeschneiten Wände des Wettersteins, die uns, vom Zuge der Wolken umspielt, entgegenglänzen, und die Sonne, schon im Begriffe, die leichte Schneedecke zu entfernen, läßt den ganzen, von Feuchtigkeit überrieselten Felsrücken erglitzern. Rechts dagegen blicken wir, wenn die Tannen auseinandertreten, über die Wipfel der hinabrollenden Waldgehänge hinweg, bis hinab in das Thal, wo Garmisch und Partenkirchen, nebeneinanderliegend, mit ihren freundlichen weißen Häusern heraufblinken.

An drei Stunden geht es in dieser Weise bergan, immer in der würzigen Harzluft des Forstes, zwischen dessen Bäumen die duftigen Alpenkräuter gedeihen, immer zwischen den charakteristischen Fernsichten unserer Hochalpennatur, wenn es stellenweise dem Blick gestattet ist, in die Ferne zu schweifen.

Noch eine Krümmung des Weges, und indem wir nun ganz aus dem Forste treten, erblicken wir vor uns in weiter Ferne, hochgetragen in luftiger Höhe, das Königshaus. Noch haben wir wohl eine halbe Stunde zu steigen; aber es geschieht innerhalb einer wunderbaren Scenerie. Das Gehänge am Wege erglüht von den aufgebrochenen Kelchen der Alpenrosen, die zwischen Wachholderbüschen in Menge hervorbrechen.

Die Wände des Wettersteins treten immer näher an uns heran, zu oberst noch in Kuppenform oder in schiefen Felsplatten abfallend, dann aber jäh absetzend und steilrecht zum Schachen abstürzend. Oberhalb dem Königshause führt der Gefährliche Pfad hinan zum sogenannten Teufelsgsaß und jenseits hinab zur Leutasch. Der wildzerrissene Felsengrat setzt sich gerade nach vorwärts fort, und indem wir nun am Königshause angelangt sind, können wir seine Linie verfolgen, bis wo sie, in der Ferne rechts abbiegend, amphitheatralisch den Zugspitzferner umschließt. Dort ruft die Nachmittagssonne auf der Schneefläche ein Meer von so intensivem, grellweißem Lichte hervor, daß sich das Auge geblendet abwendet.

Treten wir vor bis zu dem Gartenpavillon – die Gartenanlagen auf dem Schachen sind noch nicht zu Ende gediehen – der in einiger Entfernung vom Königshaus steht, so bietet sich uns eine überwältigende Aussicht. Der Schachenberg fällt von hier aus senkrecht in unendliche Tiefe ab, in das Rainthal, aus welchem das Getose der Partnach sich herauf verliert. Die weite Schlucht dieses Thales trennt uns von der Zugspitze und ihrem Ferner, welchem die Partnach entquillt. Hoch oben im oberen Rainthal erweitert sie sich zu zwei kleinen Seen, die „blauen Gumpen“ genannt, deren tiefblauer Spiegel herüberleuchtet, und fließt dann durch das untere Rainthal am Fuße des Schachenbergs vorüber, um rechts in verblauender Tiefe, wo die das Thal einschließenden Bergwände sich zusammenzuschließen scheinen, sich durch die Klamm zu zwängen, der sie ihren Namen giebt.

Darüber hinaus aber zieht am fernen Horizonte die Linie der Voralpen vorüber, inmitten unterbrochen und beiderseitig bis zur Thalsohle sich neigend. Dort dringt der Blick über sie hinaus bis weit hinein in die baierische Ebene, aus der uns fern die Fläche des Staffelsees entgegenblinkt.

Es mag in den an Naturschönheiten so reichen baierischen Bergen, ja vielleicht in der ganzen Alpenwelt, keinen Punkt geben, der sich an großartiger Aussicht mit diesem messen könnte.

Was nun das Königshaus selbst betrifft, so können wir darüber leider nur wenig berichten, da der Besuch desselben nicht gestattet wird. Es ist ein festgezimmertes Haus im anmuthigen Schweizerstile. Ueber dem Erdgeschosse erhebt sich nur ein Stockwerk, um das die Altane herumläuft und welches den Speisesaal enthalten soll. Die Ausschmückung des Saales, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätschert, soll vorwiegend in blauer Farbe und in maurischem Stile gehalten sein. Das Schlafgemach des Königs, sein Arbeitszimmer und das Wohnzimmer seines jeweiligen Begleiters liegen im Erdgeschosse. In einiger Entfernung vom Hauptgebäude stehen noch ein Wirthschaftsgebäude, zugleich Wohnhaus der Dienerschaft, und eine Stallung.

Wer sich dort oben auf dem Schachen einmal selbst umgesehen, den wird es nicht mehr befremden, zu vernehmen, daß König Ludwig fast in jedem Monate der besseren Jahreszeit hier Besuch abstattet und – meist nur in Gesellschaft eines seiner Bereiter – mehrere Tage verbringt. Wenn der Tag in Lectüre und Arbeit vorübergegangen und dann die Schatten der Nacht aus der Ebene mählich heraufsteigen, das Mondlicht silbern auf die Hochterrasse des Schachens fällt und die Gestirne am Himmel nächtlich ihre Kreise ziehen, – dann insbesondere liebt es der König, dort oben sich zu ergehen, und er dehnt diese Spaziergänge oft bis tief in die Nacht hinein aus. Es läßt sich aber auch vorstellen, daß der nächtliche Sternenhimmel in solcher Höhe sich in einer Pracht zeigen muß, wie sie der Bewohner der Ebene kaum ahnt.

Es war ein günstiger Zufall, der uns auf die Höhe des Schachens gerade an einem Tage hinaufführte, an welchem der König selbst ihn bezog. Die stämmigen Gestalten, die uns auf unserem Abstieg entgegenkommen, kündigen uns seine Ankunft an. In beträchtlicher Anzahl tragen sie mit Hülfe ihrer Traggestelle – „Kraxen“ – auf ihren starken Schultern unglaubliche Lasten von Koffern, Kisten und Rundkörben, den ganzen Apparat des königlichen Umzugs. Das Gepäck wird bis zur Elmau gefahren, und dort erst an die Träger vertheilt. Immer wieder begegnen wir Nachzüglern des Zuges, der, je höher er ansteigt, desto länger wird; denn die Schwächeren bleiben zurück oder ruhen an der Berglehne aus, neue Kräfte zu sammeln; die Rüstigeren streben vorwärts, um bald wieder zu den Ihrigen heimzukehren.

Längst ist der letzte der Träger an uns vorübergekommen; die Schatten der Nacht breiten sich bereits über die Wälder aus, und das Licht des Mondes beginnt schon, unsicher zwischen dem Gezweige der Tannen herumtastend, auf dem Moosboden weiterzugleiten und den Kiespfad zu erhellen, auf dem wir abwärts schreiten. Eine dunkle Masse steigt auf demselben herauf uns entgegen. Es ist das Gefährt des Königs. Wir treten zur Seite unter die Tannen, den schmalen Weg frei zu lassen. Von einem kräftigen Gebirgspferd gezogen, das ein Hoflakai, nebenhergehend, an der Hand leitet, wird langsam der niedrige, zweirädrige Wagen vorübergezogen, dessen sich der König für diese Fahrt bedient. Die kränklichen, aber edel geschnittenen Züge des jungen Monarchen, von dunklem Haare eingerahmt, erscheinen im Lichte des Mondes von geisterhafter Blässe. Der Begleiter des Königs folgt dem Wagen, in welchem dieser allein sitzt, zu Pferde. Es geht wie ein Zug aus phantastischer Märchenwelt an uns vorüber, still und schweigsam; wir hören nur das Knistern der Räder auf dem Kiesboden, die Tritte der Pferde, die auf dem steilen Wege kräftig ihre Hufe in den Boden schlagen. Einen Augenblick später ist der Zug an der nächsten Windung hinter den Bäumen verschwunden.

P. D.