Das Hochwasser in der Oberlausitz und im Kreise Lauban

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Titel: Das Hochwasser in der Oberlausitz und im Kreise Lauban
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 463–464
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Hochwasser in der Oberlausitz und im Kreise Lauban.


Wir geben versprochenermaßen im Nachfolgenden einen ausführlicheren Bericht von Ort und Stelle über das traurige Geschick der Oberlausitzer, das augenblicklich in Sachsen und im weiteren Vaterlande die Herzen bewegt und die Hände öffnet, fügen aber zugleich einen Hinweis auf die nicht viel geringeren Verwüstungen hinzu, welche die Wassersnoth auch im preußischen Schlesien angerichtet hat und welche die Mildthätigkeit ganz in der nämlichen Weise herausfordern, wie der Wasserschaden in der Oberlausitz.

„Der südliche und östliche Theil der sächsischen Oberlausitz, der zu den am dichtesten bevölkerten und industriereichsten Gegenden nicht nur Sachsens, sondern ganz Deutschlands gehört“ – so schreibt unser Berichterstatter – „erlitt einen furchtbar schweren, in allen seinen Folgen noch gar nicht zu ermessenden Schlag durch die Wuth entfesselter Elemente, die binnen wenigen Stunden zahlreiche Menschenleben zum Opfer forderte, das Hab und Gut Tausender vernichtete und überhaupt die grauenhaftesten Verheerungen anrichtete, die in ihrem ganzen Umfange keine Feder zu schildern vermag.

Am Morgen des 14. Juni strömte der Regen, der schon in der vorhergehenden Nacht sehr stark gefallen war, unaufhörlich und mit zunehmender Heftigkeit herab, sodaß bald alle Bäche anschwollen. Doch ahnte Niemand etwas Schlimmes.

Da aber fiel am Kottmar ein gewaltiger Wolkenbruch, und die tosenden Wassermassen ergossen sich nun in südlicher und östlicher Richtung mit solcher Gewalt in die Niederungen, daß es schien, als solle die alte Volkssage Bestätigung finden, welche den Kottmar einst für die Oberlausitz verderblich werden läßt, denn derselbe soll – so spricht die Sage – in seinem Innern großartige Wassermassen bergen, die dereinst sich ergießen und das ganze Land überfluthen werden.

Südlich am Kottmar liegt Ober-Oderwitz, und an dieses schließen sich Mittel- und Nieder-Oderwitz, welche drei Orte eine eng zusammenhängende, fast zwei Stunden lange Häuserreihe bilden, und fast in jedem Hause klappert der Webstuhl, denn hier ist ein Hauptsitz der sächsischen Leinenindustrie. Ober-Oderwitz wurde zunächst durch die vom Kottmar und den umgebenden Berghängen herabströmenden Wassermassen auf eine furchtbare Weise überschwemmt, und dabei strömte unter schweren Donnerschlägen der Regen ununterbrochen mit größter Heftigkeit nieder, die Wassermassen stets nährend, sodaß sie, gleich einem reißenden Strome dahinbrausend und von Minute zu Minute steigend, bald die ganze Thalsohle füllten und die furchtbarsten Verwüstungen anrichteten. Die Fluthen rissen fast alle in den letzten Jahren von der Gemeinde unter großen Opfern erbauten Brücken und die Stege mit fort, wühlten metertiefe Löcher in die Dorfstraßen, drangen in die tieferliegenden Häuser, die Wohnstuben manchmal bis an die Decke füllend, demolirten Häuser, drückten Wände ein und schwemmten alles ihnen Erreichbare mit fort – Hausgeräthe, Gartenzäune, Bretter, Balken, Bäume, Reisigbündel trieben in wildem Chaos dahin. Die Bewohner der bedrohten Häuser mußten eilends flüchten und Hab und Gut dem tobenden Elemente überlassen. Doch zu allem Glück ging hier kein Menschenleben zu Grunde.

Gräßlicher noch wüthete die Fluth in Mittel- und Nieder-Oderwitz, wo sie die Höhe von neun Meter über dem gewöhnlichen Wasserstand erreichte, eine Höhe, wie sie seit dem 17. August 1595 nicht mehr dagewesen. Kleine Häuser standen bis an das Dach im Wasser, in anderen Häusern drang das Wasser in die Oberstuben, das dorthin Gerettete verderbend und die dahin Geflüchteten auf die Dachböden scheuchend. Mehrere Häuser wurden hier gänzlich weggerissen, andere dem Einsturze nahe gebracht, und eine große Zahl mehr oder minder schwer beschädigt. Auch fielen hier neun Menschenleben dem rasenden Elemente zum Opfer.

Von hier ergoß sich die Fluth in die Mandau, die nun, hoch anschwellend, in Zittau die niederen Stadttheile überschwemmte und an Häusern, Brücken, Gärten und Straßen höchst bedeutenden Schaden anrichtete. Die gleichfalls ihre Ufer überströmende Neiße verursachte in Hirschfelde – besonders in der Müller’schen Flachsspinnerei – und in Ostritz große Verwüstungen.

In östlicher Richtung befindet sich am Kottmar die Quelle der Pließnitz, bis zu Euldörfchen die Patersbach genannt. Die durch Ruppersdorf fließende, erst so winzige Wasserader schwoll in Folge jenes Wolkenbruches schnell zu einem wüthenden Strome an, der um so höher stieg, als der große herrschaftliche Teich in Ober-Ruppersdorf seinen Damm zerriß und seine Wassermassen mit jenen vereint über das unglückliche Dorf ergoß, Alles zerstörend und acht Menschenleben vernichtend. Das Unglück voll zu machen, fiel in der Gegend von Euldörfchen ein neuer Wolkenbruch nieder, schwellte die von Ruppersdorf sich daherwälzenden Fluthen noch höher an, und die ganze ungeheure Wassermasse ergoß sich über Rennersdorf, die Thalsohle in der Höhe von vierzehn Meter füllend und in rasendem Wirbel Alles mit sich fortreißend, Häuser, Brücken und Menschen.

[464] Die immer höher steigenden Wasser stürzten sich nun verheerend über Kunnersdorf, drangen nach Bernstadt, wo elf Menschen ertranken und neun Häuser und eine Scheune fortgerissen wurden, und überflutheten Alt-Bernsdorf, wo die Verheerung ihren Gipfelpunkt erreichte, denn hier waren an einer Stelle die dahertreibenden Trümmer fast haushoch zusammengeschwemmt. Beim Abräumen derselben fand man Leichen Ertrunkener.

In Schönau auf dem Eigen, dem letzten sächsischen Orte an der Pließnitz, waren die Verwüstungen kaum minder gewaltig. Hier drang das Wasser auch in die Kirche, demolirte daselbst Alles und füllte den Raum fußhoch mit Schlamm.

Außer diesen Orten wurden noch Alt-Eibau, Ober- und Nieder-Kunnersdorf bei Löbau und Kiesdorf hart von der Ueberfluthung getroffen.

Als nach einigen Stunden das Wasser sich etwas verlaufen hatte, da erkannte man erst den ganzen Umfang der Verwüstungen, welche des entfesselten Elementes Wuth angerichtet. Bei jedem Schritte begegnete man Spuren der grauenhaftesten Zerstörung an Gebäuden, von manchem Hause war kaum noch die Stelle zu erkennen, wo es einst gestanden. Dazu zertrümmerte oder weggeführte Brücken, zerrissene, aufgewühlte Wege, entwurzelte oder umgebrochene Bäume, versandete, verschlammte oder zerwühlte Gärten, von denen der gute Boden fortgeschwemmt worden. Stellenweise boten sich dem Auge herzzerreißende Bilder.

Im Ganzen sind 70 Personen ertrunken, 47 Häuser gänzlich weggerissen, 138 müssen abgetragen werden, 230 sind stark beschädigt. Geringer beschädigte Gebäude sind in Menge vorhanden.

Der Gesammtschaden ist noch nicht festgestellt, dürfte sich aber auf viele Millionen Mark belaufen. Nieder-Oderwitz allein berechnet seinen Schaden auf 600,000 Mark, Schönau auf dem Eigen den seinen allein an Wohnhäusern auf 226,170 Mark. Von den übrigen Orten liegen noch keine Angaben vor.

Am härtesten leidet der sogenannte Eigensche Kreis, dessen Fluren zwei Tage vor der ihn so schrecklich heimsuchenden Katastrophe – am 12. Juni – von einem verheerenden Hagelschlage betroffen worden waren, wobei z. B. in der Gegend von Alt-Bernsdorf die Hagelkörner in der Größe einer kleinen Wallnuß fielen.

Furchtbar ist nun das Unglück in den so schwer heimgesuchten Ortschaften, denn die Gemeinden sind meistens arm und der Schaden betrifft in der Mehrzahl arme Weber und Handarbeiter, von denen die ersteren unter der allgemeinen Geschäftsstockung der letzten Jahre ohnehin schon so schwer zu leiden hatten und um kargen Lohn arbeiten mußten. Jetzt ist das Wenige, was sie etwa in jahrelangem Mühen durch der Hände Fleiß sich erworben, verloren, die Webestühle sind meist beschädigt, die Ketten verdorben, Scheerrahmen, Treibräder, Werkzeuge, Hausgeräthe, Möbel, Kleider, Wäsche, Betten entweder fortgeschwemmt oder unbrauchbar geworden. Gar Mancher hat nichts gerettet als das, was er eben auf dem Leibe trug, und fragt sich verzweiflungsvoll: ‚Was soll nun werden?‘

Wenn irgendwo, so ist hier Hülfe, schnelle, thatkräftige, reichliche Hülfe nöthig. Wer ein fühlendes Herz für unverschuldetes Elend seiner Mitmenschen besitzt, der helfe – und helfe bald!
G. B.“

Soweit unser Bericht! Dasselbe schwere Schicksal hat nun aber auch den preußischen Kreis Lauban betroffen. Nach amtlicher Feststellung sind dort in den Ortschaften Seidenberg, Küpper, Berna, Ober- und Mittel-Bellmannsdorf, Heidersdorf, Ober- und Nieder-Halbendorf, Ober- und Nieder-Linda und in Ober-, Mittel- und Nieder-Gerlachsheim im Ganzen 105 Wohnhäuser ganz oder zum größten Theil zerstört worden und 51 Menschen um’s Leben gekommen. Berna verlor allein 25 Gebäude und hat 18 Menschenleben zu beklagen. Der Schaden an Vermögen ist noch nicht zu berechnen.

Wir bitten unsere Leser, ihre Gaben da hier Eile dringendst geboten ist, an die ihnen zunächst gelegenen Sammelstellen, die sich in vielen Städten bilden werden, oder für die Oberlausitzer direct „an die Kreishauptmannschaft in Bautzen“ zu senden. Für Lauban ist „die Kreiscommunalcasse“ daselbst die Centralsammelstelle.

Die Redaction.