Das Haberfeldtreiben (Die Gartenlaube 1895/2)

Textdaten
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Autor: Arthur Achleitner
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Titel: Das Haberfeldtreiben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 27–29
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Vgl.: Haberfeldtreiben sowie Das Haberfeldtreiben, Die Gartenlaube, 1862.
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Das Haberfeldtreiben.
Von Arthur Achleitner.
(Mit Bild S. 29.)

Vor mehr als dreißig Jahren war man sich in Bayern schon einmal darüber klar, daß der uralte Brauch des Haberfeldtreibens durch polizeiliches Einschreiten kaum auszurotten sein dürfte, da die Sympathien der bäuerlichen Bevölkerung auf Seite der Teilnehmer an diesem geheimen Rügegericht standen, bis auf diejenigen natürlich, denen selbst einmal das gereimte Sündenregister in nächtlicher Stunde vorgelesen worden war. Seit reichlich dreißig Jahren erwiesen sich auch alle polizeilichen Maßregeln als wirkungslos, wenn man von der „Schlacht von Rosenheim“ im Jahre 1867 absehen will, in welcher die „Haberer“ von der Landwehr nach längerem Kampfe zurückgeworfen wurden. Jener Zusammenstoß hatte eine langwierige Untersuchung zur Folge, aber erwischt ist auch damals kein Haberer worden.

Seitdem hat sich der Brauch nicht nur wieder eingebürgert, sondern es hat sich auch in der Organisation des geheimen Femgerichtes wie in der Inscenierung des nächtlichen Treibens manches und zwar nicht zum Vorteil des Brauches verändert. Zwei Mann, die der Teilnahme schwer verdächtig waren, hat man innerhalb dreier Jahrzehnte vor die Gerichte zu bringen vermocht. Der eine davon, ein Knecht, der den zu erwartenden Haberern ein Faß Bier zuführen wollte, am Treiben aber nicht weiter beteiligt war, hat dies mit einer einjährigen Gefängnisstrafe büßen müssen. Man hat, um dem nächtlichen Unfug Einhalt zu bieten, die Gendarmerie, die Grenzwache und schließlich Militär in Anspruch genommen, ohne den geringsten Erfolg. Strafeinquartierungen schädigten wohl das unglückliche Dorf, in dem von fremden Haberern „getrieben“ worden war, brachten aber auch nicht den geringsten Anhalt zur Festnahme auch nur eines einzigen Haberers. Ebenso ergaben die nächtlichen Streifungen, das von den Behörden angeordnete Aufstellen von Nachtwachen kein Resultat, wohl aber wurde damit weitgehende Erbitterung in der Bevölkerung Oberbayerns erzeugt.

Was zunächst den Ursprung des seltsamen Brauches anlangt, so wird der Name vielfach davon hergeleitet, daß ehemals Feldmarkfrevler und Wucherer von einer geheimen Volksjustiz mit Verheerung ihrer Felder bestraft wurden. Gelehrte Forscher haben den Brauch für einen Rest der einst von Karl dem Großen in den Grafschaften eingesetzten Rügegerichte erklärt, während andere der Ansicht sind, daß das Haberfeldtreiben auf die dem Kloster Scheyern gehörige Hofmark Fischbachau zurückzuführen sei, wo die Mönche den Brauch nächtlicher Femgerichte als wirksamen Schutz gegen die um sich greifende Unsittlichkeit begünstigt haben sollen. Für die Annahme, daß in alter Zeit hauptsächlich Feldmarkverheerer durch das geheimnisvolle Volksgericht bestraft wurden, spricht der Umstand, daß solchen Verbrechern die Felder gleichfalls verheert wurden, und da im Gebirge meist Haber (Hafer) gebaut wird, dürfte der Name Haberfeld auf das ganze „Rechtsverfahren“ übertragen worden sein. Nach den Ausführungen im ersten Band der „Bavaria“, dem unter W. H. Riehls Leitung erschienenen geographisch-ethnographischen Hauptwerk über das Königreich Bayern, haben zwei Mängel der durch die Einführung des römischen Rechts in ihrer Entwicklung gestörten Rechtsordnung den Brauch hervorgerufen. Danach hat einerseits das Rügegericht eine Ergänzung für solche Fälle sein sollen, in denen die bestehende Justiz mangelhaft gehandhabt wurde. Anderseits habe es dem Volke gedient, um solche Vergehen gegen seine Sitten und sein Rechtsgefühl, die das vom Leben des Volkes längst losgelöste Recht und seine Uebung in den Schreibstuben nicht ahndete, wenigstens durch energischen und öffentlichen Ausdruck des Unwillens von seiten der Genossenschaft zu strafen. Und in der That wendete sich die geheimnisvolle Volksjustiz mit ganz besonderer Hartnäckigkeit gegen solche Fälle von Geiz, Wucher, Betrug, Hartherzigkeit und Ausbeutung, gegen die das Betreten des öffentlichen Rechtswegs wenig Erfolg versprach. Weltliche und geistliche „Herrenleut“, die ihre Macht mißbrauchten und gegen die ein persönliches Auftreten nutzlos und wohl gar unmöglich war, wurden früher mit Vorliebe von dieser nächtlichen, im ganzen immerhin harmlosen Feme heimgesucht. Einen Widerspruch findet man im Brauche hinsichtlich des Besitzstandes der Verfemten. Während nach der einen Version Feldfrevlern die eigenen Felder strafweise verheert wurden, ist es durch Jahrzehnte eine geheiligte Uebung gewesen, jede Sachbeschädigung streng zu vermeiden. Wenn wirklich Beschädigungen vorkamen, wurde im geheimen reichlich Ersatz geleistet; man legte für Gegenstände, die man zum Lärmerzeugen mitnahm, oder für Bretter, Zaunspfähle das Schadenvergütungsgeld an Ort und Stelle des genommenen Gutes oder Gegenstandes nieder und für jede während des Treibens zerbrochene Fensterscheibe wurde ein Silberzwanziger, in Papier gewickelt, entweder durch das Fenster in die Stube geworfen oder doch auf den Fenstersims gelegt.

[28] Wie sich aber in neuester Zeit die Haberer aus jungen Burschen rekrutieren, denen nicht das Rügegericht mit seiner bis zu einem gewissen Grade immerhin beachtenswerten rechtlichen Tendenz, sondern der nächtliche Rummel, die Freude am Spektakel, die Skandalsucht, verbunden mit dem Bewußtsein, den in dieser Sache machtlosen Bezirksamtmann ärgern zu können, Hauptzweck ist, so wird es von den „Junghaberern“ auch mit der Sachbeschädigung und noch weniger mit der Vergütung genau genommen. Was früher nur höchst selten vorkam: das Scharfschießen, ist heute etwas Alltägliches und gewissenlos schießt man harmlosen Leuten in die Stuben, daß die Kugeln die größten Löcher in die Wände reißen. Selbst in größeren Orten, wie in Miesbach, sind die Geschoßverheerungen an den Häusern mit freiem Auge wahrnehmbar. Es ist natürlich nicht Mordlust, sondern nur die Freude am Schießen, die zu der Unsitte geführt hat, und wenn eine Kugel jemand trifft, so ist nach der Ansicht der leichtsinnigen Kumpane eben derjenige schuld, der dem Geschosse in den Weg läuft. Außerdem, meinen sie, hat ein Nichthaberer beim „Treiben“ nichts zu thun. In früheren Zeiten strafte die Regierung die Gemeinden, in denen „getrieben“ wurde, mit Geld, was insofern eine verkehrte Maßregel war, als die Haberer nie aus dem Dorfe sind, wo getrieben wird. Immer sind es Auswärtige, die viele Stunden durch die Nacht wandern bis zum vereinbarten Schauplatze des Rügegerichtes. In alter Zeit zahlte der Geheimbund die Geldstrafe wieder an die Gemeindekasse, und zwar anonym mittels Post, und es sind Fälle bekannt, wo das Geld für die zu erwartende Strafe schon bezahlt war, ehe das Strafmandat von der Regierung erlassen worden war. Jetzt ist auch das anders geworden, ebenso wie sich die Tendenz etwas verschoben hat. Vielfach hat der Brauch die bessernde Absicht, an öffentlichen und geheimen Sündern das Rügegericht zu vollziehen, eingebüßt, wenigstens wird die eigentliche Rüge neuerdings oft recht kurz abgemacht.

Zurückführen läßt sich der Brauch bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, und zwar für die Grafschaft Hohenwaldegg am Schliersee; der Habererbezirk war indes scharf abgegrenzt zwischen Mangfall, Isar und Inn. Ueber der eigentlichen Organisation liegt noch immer ein Schleier. Doch glaubt man annehmen zu dürfen, daß es im ganzen zwölf Bezirke giebt, von denen jeder unter der Leitung eines besonderen Haberfeldmeisters steht, der aber von den Mitgliedern des Bunds in den anderen Bezirken keine Kenntnis hat. Im Jahre 1780 wurde zum erstenmal jenseit der Mangfall getrieben; die „Treiber“ kamen bis hart an den Inn, nie aber bis an die Isar. Erst im Herbst 1894 wurde auch im Isarwinkel getrieben, bei Lenggries kam es sogar zu einem „Treiben“, dessen Spitze sich gegen das Staatsoberhaupt richtete. Auch im Berchtesgadener Hochlande, wo seit Menschengedenken niemals der Brauch auch nur bekannt, viel weniger heimisch war, zeigten sich Symptome, die auf eine zu erwartende Haberersaison im nächsten Herbst schließen lassen, wenn der dort wegen Jagd, Wildschaden und dergleichen herrschenden Unzufriedenheit nicht vorher ein Ende gemacht wird. In dieser Richtung ist nämlich das Haberfeldtreiben neuerdings ein Mittel sozialpolitischer Opposition und Agitation geworden.

Früher wurden nur „hausgesessene“ Männer in den Bund aufgenommen, später konnten ledige Burschen von den zwölf Haberermeistern aufgenommen werden, wenn sie einen baren Beitrag von drei Gulden und einen schweren körperlichen Eid auf unverbrüchliche Geheimhaltung aller Bundesunternehmungen leisteten. Ob Verrat mit dem Tode bedroht war oder ist, entzieht sich genauer Kenntnis; dagegen ist es Thatsache, daß noch niemals ein Haberer einen Genossen angegeben hat. Erst vor einigen Jahren fiel ein Bursche den streifenden Gendarmen in die Hände, der einen Schuß im Unterschenkel hatte und trotz schärfster Ausforschung über die Art, wie er zu der Schußwunde gekommen, nicht das Geringste verriet. Er blieb dabei, beim „Fensterln“, d. h. beim Stelldichein vor dem Fenster seiner Geliebten, angeschossen worden zu sein, und mußte schließlich wieder freigelassen werden.

Habererbrauch war es, Leuten, deren Geiz, Wucher, Betrug, unsittliches Leben anstößig erschien, ein „Treiben“ auf irgend welche Art anzukündigen, um zur Umkehr vom bisherigen Lebenswandel aufzufordern. Heute wird ein Treiben auf einem mit verstellter Hand geschriebenen Zettel an einem Gebäude, einer Scheune angekündigt, jedoch findet das Treiben meist wegen der Verfolgunggefahr nicht dort, wo es angesagt ist, statt. Jüngst war ein Haberfeldtreiben bei Lenggries regelrecht angekündigt, der betreffende Zettel aber in Gaisach bei Tölz affichiert. Man hielt diese Ankündigung für Spott und auch im Bezirksamt zu Tölz wurde sie nicht ernst genommen. Es wurde aber richtig „getrieben“ wie angekündigt.

Es erscheinen in der Geisterstunde die Haberer urplötzlich; meist tauchen sie still auf, doch ist es, wie in Schliersee vor einigen Jahren, auch vorgekommen, daß die Haberer bis auf etwa Büchsenschußnähe zu Pferd und zu Wagen herannahen. Mit Vorliebe wählt man dafür eine finstere Nacht, in der auch bei aufgeklärtem Wetter der Mond nicht am Himmel steht. Ein Schuß leitet das nächtliche Femgericht ein, dann krachen die Gewehrsalven wild durcheinander, selbst Böllersalven werden abgegeben und unter ohrenzerreißendem Lärm beginnt eine gräßliche Katzenmusik auf den verschiedenartigsten Instrumenten. Windmühlen, Ratschen, Hafendeckeln, Trommeln, Trompeten. Gellende Pfiffe auf Hausschlüsseln ertönen dazwischen, unaufhörlich donnern die Gewehre und Böller. Die vermummten, teils mit Larven versehenen, teils mit Ruß im Gesicht geschwärzten Haberer bilden einen Kreis um den Haberermeister, der auf einem Fasse, einer herbeigeschleppten Bank oder sonstwie erhöht Posto faßt und im Namen Kaiser Karls des Großen den Verfemten vor das Rügegericht fordert:

„Die Haberer sind da zum Haberfeldtreiben,
Ein jeder im Haus soll ruhig bleiben:
Habt acht aufs Feuer und aufs Licht,
Daß niemandem ein Schaden g’schicht.
Zuvor aber wollen wir verlesen,
Ob alle richtig dagewesen!“

Nun erfolgt unter lautloser Stille der Namensaufruf, uralte Namen und solche der Zeitgeschichte werden gerufen, der Kaiser Barbarossa, der Papst, der Kaiser von Japan, Bismarck, dann wieder der Landrichter von Tegernsee, der Pfarrer von Gmund etc., und immer ruft der Träger der seltsamen Namen mit verstellter Stimme: „Hier“! Fehlt auch nur einer von dem Rügegericht, so ist das Treiben unstatthaft und die Feme geht unverrichteter Dinge auseinander. Zum Schluß wird Kaiser Karl aufgerufen:

„Kaiser Karl muß noch kommen,
Ums Protokoll zu unterschreiben,
Daß wir sind da
Zum Haberfeldtreiben!“

Wenn angängig wird der „Berbrecher“ aus dem Hause geholt, und nach altem Brauch verliest dann, wie unser Bild zeigt, beim Schein einer Stalllaterne der Rügemeister in mitunter ganz schändlichen Knittelversen die Sünden des Heimgesuchten, und jeder Absatz wird von schrecklichem Geheul, Lärm und Büchsenschüssen begleitet.

„Ist die Geschicht’ wahr?“ fragt dann der Haberermeister, und im Chorus ertönt die Antwort: „Wahr is’ ’s!“

Ist das Sündenregister abgelesen, so beginnt die fürchterliche Katzenmusik aufs neue und eine Gewehrsalve beschließt das „Treiben“, das im weiten Umkreise durch Vorposten gesichert ist. Ein Pfiff ist das Schlußsignal, die Lichter verlöschen und die Haberer verschwinden, wie vom Erdboden verschlungen. Das Rügegericht ist beendet.

Am Schauplatz findet man am Morgen wohl leere Bierfässer – der Durst ist trotz scharfer Nachtluft immer groß – und der Boden ist besät mit Papierpfropfen der Gewehre, die immer, wenn vielleicht auch nur zum Zweck der Täuschung, den Beweis liefern, daß die Haberer aus weiter Ferne gekommen sein müssen, indem die Papierstreifen von fremden Lokalblättern stammen. Auch Klappermühlen, Trommeln sind schon gefunden worden, welche die Haberer offenbar aus Gründen der eigenen Sicherheit nicht mehr rasch genug wegschleppen konnten. Sind derartige Lärminstrumente heimlicherweise aus benachbarten Gehöften – ohne Vorwissen der Besitzer – entnommen, so wird die Zurückgabe unterlassen, und wenn dann die Amtspersonen nach dem Besitzer forschen, geschieht es nicht selten, daß diese aus Furcht, in die Femgeschichte verwickelt zu werden, das Eigentum wegleugnen und darauf verzichten.

Auf dem Haberfeldtreibeu steht nach § 125 des Reichsstrafgesetzbuches wegen Landfriedensbruchs eine Gefängnisstrafe von nicht unter drei Monaten, und die Rädelsführer könnten mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft werden, wenn – sie erwischt werden würden. Was aber alle Wachsamkeit der Behörden bisher nicht verhindern konnte, dem gebietet alljährlich Einhalt der verräterische – erste Schneefall. Mit der blinkenden Schneedecke ist die Habererzeit jeweils zu Ende.


[29]

Rügegericht beim Haberfeldtreiben.
Originalzeichnung von Oskar Gräf.