Textdaten
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Autor: Johann Heinrich Lehnert
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Titel: Das Feld mit Hagebuchen
Untertitel:
aus: Mährchenkranz für Kinder, der erheiternden Unterhaltung besonders im Familienkreise, S. 57–60
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1829]
Verlag: J. G. Hasselberg
Drucker: Gebrüder Unger
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[57]
10.
Das Feld mit Hagebuchen.

Thomas, der älteste Sohn eines wohlhabenden Pächters, streifte an einem Sonntage zur Herbstzeit durch die Felder, und ging eben an der Sonnenseite einer Hecke daher, als er plötzlich ein klapperndes Geräusch nicht weit von sich in der Hecke hörte.

„Ei der Tausend!“ sagte er, „das ist ja wunderbar, noch so spät im Jahre die Schmatze singen zu hören!“ Er schlich auf den Zehen herbei, ob er die Ursache des Geräusches zu Gesichte bekommen könnte, und er sich in seiner Vermuthung nicht geirrt habe.

Das Geklapper hörte auf, aber als Thomas scharf durch das Buschwerk sah, so erblickte er in einer Ecke des Zauns einen braunen Krug, der etwa sechs Maaß Flüssigkeit halten konnte, und nahe dabei ein winziges, altes Männchen, mit gekremptem Hut auf dem Kopfe, und ledernem Schürzchen, das vorn herabhing. Es schleppte einen kleinen hölzernen Stuhl herbei, stieg darauf, tauchte ein kleines Eimerchen in den Krug, und zog es voll wieder heraus, stellte es neben den Stuhl, und setzte sich dann bei dem Krug, und fing an zu arbeiten, indem es auf einen kleinen Schuh, wie er gerade für sein Füßchen paßte, einen Fleck aufschlug.

„Warte,“ sprach Thomas zu sich selbst; „warte, dich will ich fangen, und dann sollst du mir deine Schätze zeigen; wenn ich geschickt zu Werke gehe, so bin ich ein gemachter Mann.“

Er schlich sich jetzt herbei, und richtete die Augen auf ihn, wie eine Katze auf die Maus, oder wie man liest, daß die Klapperschlange thut, wenn sie die Vögel festbannen [58] will. So kam er ganz nahe zu ihm. „Gott segne Eure Arbeit, Nachbar!“ sagte Thomas.

Der Kleine richtete den Kopf in die Höhe: „Ich danke Euch schönstens,“ antwortete er.

„Mich wundert, daß Ihr an dem heiligen Tage arbeitet,“ sagte Thomas.

„Das ist meine Sorge, nicht Eure!

„Freilich,“ sprach Thomas, „aber Ihr seyd ja wohl so gut, und sagt mir, was Ihr da in der Kanne habt?“

„Herzlich gern,“ antwortete der Kleine, „es ist gutes Bier.“

„Bier!“ rief Thomas. „Blitz und Hagel! wie seyd Ihr dazu gekommen?“

„Wie ich dazu gekommen bin? Gebraut habe ich es. Und wovon denkt Ihr, daß ich es gemacht habe?“

„Das mag der Kuckuck wissen!“ sprach Thomas, „ich denke, aus Malz, woraus sonst?“

„Ihr irrt, ich mache es aus Heide.“

„Aus Heide!“ rief Thomas, indem er in ein lautes Lachen ausbrach. „Ihr denkt doch nicht, daß ich ein solcher Narr wäre, das zu glauben?“

„Wie es Euch beliebt,“ antwortete er; „doch, was ich Euch sage, ist wahr.“

„Nun, ich will’s glauben!“ sagte Thomas. „Gebt mir doch einmal zu versuchen von Euerm Bier.“

„Ich will Euch etwas sagen, junger Mann!“ antwortete hierauf das Zwerglein. „Es würde Euch besser ziemen, Euers Vaters Haushalt zu besorgen, als bescheidene und ruhige Leute mit Euern dummen Fragen zu quälen. Eben jetzt, während Ihr Eure Zeit in Müßiggang zubringt, sind die Kühe in den Hafer gerathen, und haben die Frucht ganz nieder getreten.“

Thomas erschrak über diese Nachricht so sehr, daß

[58a]

DIE HAGEBUCHEN.

[59] er eben im Begriff war, sich umzuwenden, als er sich noch besann. Und da er befürchtete, es könnte ihm abermals begegnen, so griff er rasch nach dem Kleinen, und packte ihn mit der Hand; doch in der Hast warf er die Kanne um, und verschüttete all das Bier, so daß er es nicht versuchen und nicht sagen konnte, von welcher Art es gewesen sey. Er schwur dem Kleinen zu, daß er ihm kein Leid zufügen wolle, wenn er ihm zeigte, wo sein Geld wäre.

Thomas sah dabei so bös’ und blutdürstig aus, daß das Zwerglein sich gewaltig fürchtete. „Kommt mit mir,“ sprach er, „über ein Paar Felder, so will ich Euch einen ganzen Topf voll Gold zeigen.“

Sie gingen fort, und Thomas hielt den Kleinen fest, und wendete die Augen nicht von ihm weg. Sie mußten über Zaun und Graben, denn der Zwerg schien, aus bloßer Schadenfreude, den härtesten und beschwerlichsten Weg auszusuchen, bis sie endlich an sein Feld kamen, das ganz mit Hagebuchen angefüllt war. Hier ging der Kleine auf einen dicken Stamm zu, und sprach: „Grabt nur unter diesem Hagebuchenbaum, Ihr werdet einen ganzen Topf voll Goldstücke finden.“

Thomas hatte in der Hast nicht daran gedacht, einen Spaten mitzunehmen; er wollte nach Hause laufen, und einen holen, und um die Stelle desto besser wieder zu finden, nahm er eins von seinen rothen Strumpfbändern, und knüpfte es um den Hagebuchenbaum.

„Ich denke, Ihr bedürft mein nicht weiter,“ sagte das Zwerglein mit Höflichkeit.

„Nein,“ antwortete Thomas, „Ihr könnt Eurer Wege gehen, wenn’s Euch beliebt. Gott geleite Euch, und gutes Glück folge Euern Schritten.“

„Laßt’s Euch wohl ergehen, Thomas!“ sagte der Kleine, „und möge Euch Alles zum Glück ausschlagen.“

[60] Thomas rannte, wie besessen, nach Hause, und holte einen Spaten, und lief eben so schnell, was er nur konnte, wieder nach dem Felde zurück. Aber wie er ankam, da war kein Hagebuchenbaum auf dem Felde, um den er nicht ein rothes Strumpfband gefunden hätte, dem seinigen völlig ähnlich. Wo sollte er nun den Schatz auffinden? Das ganze Feld umzugraben, war unmöglich, denn es enthielt mehr, als vierzig Acker Land.

Thomas war also angeführt; er nahm seinen Spaten auf die Schulter, und ging finsterer und kühler, als er gekommen war, wieder nach Hause, und verwünschte den Zwerg, so oft er an den saubern Streich dachte, den er ihm gespielt hatte.