Das Erdbeben von Laibach

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Titel: Das Erdbeben von Laibach
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 334–335
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Erdbeben von Laibach.

Die Feiertagsstille des Osterfestes wurde in diesem Jahre in weiten Gebieten der Kronländer Oesterreichs durch ein furchtbares Ereignis gestört. In der weihevollen Osternacht erbebte die Erde von Triest im Süden bis über Wien im Norden hinaus und weit über die Grenzen des Kaiserstaates, pflanzten sich ihre Zuckungen im südöstlicher Richtung, fort. Laibach, die Hauptstadt Krains, die über 30 000 Menschen in ihren schützenden Mauern birgt, wurde von dieser plötzlichen Katastrophe am schlimmsten betroffen. Erdstoß auf Erdstoß erschütterte ihren Grund und Boden, und als der Morgen graute, bot die Stadt ein Bild traurigster Verwüstung und unbeschreiblichen Elends. Geborsten waren die meisten Wohnhäuser, zerstört die Kirchen, und die Burg auf dem Berge über der Stadt war über Nacht baufällig geworden. Aber auch in den folgenden Tagen und Wochen beruhigte sich die Erde nicht; neue Stöße erfolgten, und wenn sie auch schwächer waren als die ersten, so versetzten sie die schwergeprüfte Bevölkerung von neuem in Furcht und Schrecken. Tausende flohen, aus der heimgesuchten Stadt und andere Tausende kampierten im Freien und bezogen die schnell aufgerichteten notdürftigen Baracken.

Der Boden Krains war von jeher unruhig. Er hat schon in früheren Zeiten so oft gebebt! Die alten Chroniken des Landes wissen davon zu erzählen. Im Jahre 1340 fand dort das erste Erdbeben statt, das urkundlich beglaubigt ist. Darauf bis zum Anfang unseres Jahrhunderts berichtet die Geschichte von dreizehn Erdbeben, die gespürt wurden, und im neunzehnten Jahrhundert fanden noch neun Erdbeben in Krain statt; aber keine dieser Zuckungen der Erde war so verheerend wie die unheimliche der letzten Osternacht. Wie nicht anders zu erwarten war, weckte das erschütternde Unglück Mitleid in Tausenden edler Herzen, Hilfe kam von allen Seilen und namentlich Wien erwies sich durch den schnell und freudig geleisteten Beistand als die liebende starke Schwester Laibachs.

Das gewaltige Naturereignis weckte aber auch die Wissensgier weitester Kreise. Auf welche Ursachen ist dieses Erdbeben zurückzuführen? Wird es sich wiederholen? Ist Laibach dem Untergange geweiht? Das sind Fragen, die man an die Vertreter der Wissenschaft stellte und auf deren Erörterung wir eingehen möchten.

Es giebt verschiedene Ursachen der Erdbeben. Vulkanische Kräfte, welche die Hülle der Erde zu sprengen suchen, können dieselben hervorrufen. In vulkanischen Gebieten beobachtet man häufig solche Explosionsbeben; aber Krain ist kein solches Gebiet. Die Erdbeben von Laibach sind nicht vulkanischer Natur. Abre Krain ist das Land der Höhlen; meilenweit durchziehen sie das Karstgebirge des Landes, liegt doch in der Nähe von Laibach die berühmte Adelsberger Grotte. Solche Höhlen können zusammenstürzen, und wenn solche gewaltige unterirdische Zusammenbrüche erfolgen, dann erbebt die Erde im Umkreise des Einsturzes. Deshalb dachte man im ersten Augenblick, daß Laibach von einem derartigen Einsturzbeben betroffen wurde. Diese Art von Beben erstreckt sich jedoch nur über verhältnismäßig geringe Strecken, während [335] das letzte Erdbeben ein weites Gebiet betroffen hat. Es muß darum als ein Beben bezeichnet werden, das die Wissenschaft ein tektonisches oder Dislokationsbeben nennt. Diese Art der Erdzuckungen ist die schlimmste, verheerendste von allen; sie ist auch die häufigste, und wie sie zustande kommt, wollen wir kurz erläutern.

Das Alter macht uns Menschen klein, körperlich schrumpfen wir in ihm zusammen, und also ergeht es auch der alten Mutter Erde. Sie hat noch immer ein warmes Herz, ein heißes, vielleicht glutflüssiges Inneres, aber auf ihrem Lauf durch den weiten eisig kalten Weltraum kühlt sie sich ab, und je mehr Wärme sie verliert, desto mehr schrumpft ihr Kern zusammen. Ist eine solche Schrumpfung erfolgt, dann ist die Hülle, die den Kern umgiebt, dann ist die feste Erdkruste zu weit geworden; zwischen ihr und dem Kern sind Höhlungen entstanden und die Kruste bricht ein und ihre Trümmer füllen die Höhlungen aus. Infolge solcher Schrumpfungen entstehen auf der Erdoberfläche tiefe Senkungen oder Verschiebungen der Erdschichten; die Erdoberfläche faltet sich, und unsern Augen erscheinen die Folgen dieser Faltungen als Gebirgszüge und Thäler. Die Kräfte, die unsere Alpen und andere Berge gebildet haben, sind noch heute thätig, denn die Erde kühlt sich immer mehr ab und schrumpft immer mehr zusammen. Die Natur nimmt sich jedoch Zeit in ihrer Arbeit, allmählich vollziehen sich solche Wandlungen und nur in langen Zwischenräumen erfolgen die Einstürze und Faltungen der Erdkruste. Es bedarf wohl keiner Erklärung, daß diese Verschiebungen in dem festen Gerüste derselben von Erdbeben begleitet sein müssen und daß diese Erdbeben für uns Menschen um so furchtbarer sind, je größere Erdschollen dabei in Bewegung geraten. Diese Erdbeben hat man tektonische genannt, weil bei ihnen der Bau des Erdgerüstes umgestaltet wird.

Wir ersehen daraus, daß Gebirgsbildung und Erdbeben eng miteinander zusammenhängen, und die Erfahrung lehrt in der That, daß Gegenden in der Nähe oder am Rande der Gebirgszüge am häufigsten von solchen Katastrophen heimgesucht werden. Unruhig ist auch darum der Boden am Rande der Süd- und Ostalpen. Hier sind in der Erdkruste verschiedene Risse entstanden, hier befindet sich eine Reihe von Einbruchsspalten, auf denen sich die Erdschichten hin- und herschieben und falten, und auf einer solchen zu Erdbeben geneigten Spalte liegt auch die Stadt Laibach.

Die Spannungen, die auf diesen Bruchlinien der Erdkruste entstehen, können in verschiedener Weise zum Ausgleich kommen. Bald lösen sie sich aus in einem einzigen gewaltigen Erdstoße, bald in einer Reihe mehr oder weniger heftiger Beben. Das letztere ist bei dem jüngsten Erdbeben zu Laibach der Fall. Es ist unmöglich, vorauszusagen, wie lange es dauern wird, bis die Erde sich dort beruhigt hat. Mitunter können solche Verschiebungen sich über weite Zeiträume erstrecken. Vor etwa zwanzig Jahren wurde z. B. die griechische Provinz Phokis durch ein furchtbares Erdbeben heimgesucht. Am 29. und 30. Juli 1870 erbebte die Insel Lissa und zugleich begann in Griechenland die Erde leise zu beben. Niemand beachtete die Erscheinung, da Erdbeben hier häufig sind. Da begann in der Frühe des 1. August der furchtbare Vertikalstoß, dem sogleich drehende Bewegungen von größter Heftigkeit folgten, 15 bis 20 Minuten anhaltend. In wenigen Sekunden sanken in Trümmer Jtea, Xiropigadi, Chrysso und Delphi. Neunzehn Minuten später erbebte die Erde abermals mächtig, und um 11/2 Uhr nachmittags warf ein ungeheurer Stoß den Rest der Trümmer zu Boden und veranlaßte am Parnaß, Korax und Kirphis ungeheure Bergstürze. Ungezählte Bewegungen der Erde, Donnern und mancherlei Getöse, Tag und Nacht nicht aussetzend, dauerten den ganzen August, September und Oktober. Am 25. Oktober erfolgte wieder ein furchtbarer Stoß und alles, was man in den letzten 10 bis 11 Wochen neu erbaut hatte, war wieder zerstört. Dreiundeinhalb Jahre dauerte das Beben, und Julius Schmidt, dem wir eine treffliche Studie über dieses düstere Naturereignis verdanken, schätzt die Zahl der einzelnen Erdbebenerscheinnngen auf 1/2 bis 3/4 Millionen.

Solche „Erdbebenschwärme“ kommen jedoch nur äußerst selten vor, und wir möchten hoffen, daß zur Zeit, da unsere Leser diese Zeilen lesen, der Boden Krains sich beruhigt haben werde.

Die tektonischen oder Dislokationsbeben werden dadurch hervorgerufen, daß ganze Erdschollen in Bewegung geraten und sich verschieben. Die Richtigkeit dieser Anschauung wurde durch Beobachtungen an dem furchtbaren japanischen Erdbeben vom 20. Oktober 1891 bewiesen, das über 7000 Menschen den Tod brachte und viele blühende Ortschaften zerstörte. Es hatte sich dort eine etwa 50 km lange Verwerfungsspalte gebildet, die wie eine von einem Riesenpflug gezogene Furche über Berg und Thal sich hinzog. Längs dieser Spalte hatte sich die Erdscholle um 1 bis 4 m in horizontaler Richtung verschoben. Dies sah man deutlich an Stellen, wo die Furche Wege und Gräben durchschnitt; jenseit der Bruchlinie waren dieselben nach dem Erdbeben seitwärts fortgeschoben, so daß sie nicht mehr in derselben geraden Linie lagen.

Bei anderen Erdbeben glaubte man auch deutliche Einwirkungen auf die Gestaltung der Gebirge wahrgenommen zu haben. Dies ist durchaus natürlich, da wir ja wissen, daß Gebirgsbildung und Erdbeben eng zusammenhängen. In der That sind gewaltige Abstürze von Bergmassen und Erniedrigungen von Berggipfeln von guten Beobachtern verzeichnet worden, ja man will auch ermittelt haben, daß Berge aus ihrer festen Lage durch Erdbeben verrückt wurden.

Laut Zeitungsberichten sollen sich ähnliche Ereignisse auch bei dem jüngsten Erdbeben in Krain zugetragen haben. So wird behauptet, daß ein Berg zwischen Zirknitz und Franzdorf sich gesenkt und der Kreuzberg bei Okroglo bedeutend an Höhe eingebüßt habe. Noch merkwürdiger lautet ein anderer Bericht. Im Nordwesten von Laibach liegt hoch über der Ebene der bewaldete Groß-Gallenberg, auf dessen Spitze sich eine Wallfahrtskirche befindet. Am Fuße des Berges liegt das Dorf Seebach. Früher konnte man von dem Dorfe aus die Wallfahrtskirche nicht sehen, jetzt nach dem Erdbeben ist dies der Fall; hier sind also Verschiebungen eingetreten, die augenfällig sind; es bleibt nur noch zu untersuchen, ob der Berg durch die unterirdischen Kräfte verrückt oder die Scholle, auf der Seebach steht, fortbewegt wurde.

Dies festzustellen bleibt der besonderen wissenschaftlichen Forschung vorbehalten. Dieselbe hat bereits begonnen und verschiedene Gelehrte haben das Erdbebengebiet, namentlich die Stadt Laibach, besucht und photographische Aufnahmen der arg beschädigten Häuser veranstaltet; denn auch die Beschädigungen, die an den Gebäuden entstanden sind, geben bei sorgfältiger vergleichender Beobachtung Aufschluß über die Natur, Richtung und Gewalt der Erdstöße. Freilich muß sich eine solche Untersuchung nicht nur auf Laibach beschränken, sondern auf das gesamte Erschütterungsgebiet erstrecken: denn es kommen hier noch verschiedene andere Fragen in Betracht.

Abgesehen von dem Verlust an Menschenleben und dem Schaden an Eigentum giebt das letzte Erdbeben noch zu anderen Besorgnissen Anlaß. Dasselbe hat den höhlenreichen Karst betroffen. Es ist nun leicht möglich, daß durch die fortdauernden Beben das Gefüge der Höhlen gelockert wird und nachträglich in denselben Zusammenstürze erfolgen. Da nun mit diesem Höhlensystem auch die Abflüsse der Gewässer des Karstes zusammenhängen, so könnten derartige Einbrüche auch auf diese einwirken, indem sie unterirdische Kanäle verstopfen und den Lauf der Ströme abändern würden. Bis jetzt ist von solchen Schäden nichts bekannt geworden; die berühmte Adelsberger Grotte ist von dem Erdbeben gar nicht beschädigt worden. Sie wird also nach wie vor den Anziehungspunkt der Touristen bilden. Zu derselben Zeit, da die Erde in Krain bebte, hat man auch in Kleinasien ein Erdbeben verspürt. Es bleibt festzustellen, ob es mit dem Laibacher zusammenhängt. Oefter ruft nämlich ein Erdbeben in weiter entfernten Orten, in denen die Spannung der Erdschichten besonders groß ist, ein zweites Erdbeben hervor. Vielleicht war das Erdbeben in Kleinasien ein solches Relaisbeben, wie diese Naturerscheinung in der Wissenschaft bezeichnet wird, ein Echo der Umwälzung, die sich in dem Boden Krains vollzogen hatte.

Vielfach wird die Frage aufgeworfen, ob Laibach die harte Prüfung wird überwinden können. Die Stadt steht allerdings auf unruhigem Boden, aber dieses Schicksal teilt sie mit so vielen anderen! Auch Agram und Belluno haben in den letzten Jahrzehnten furchtbare Erdbeben durchgemacht und doch sind sie schöner als früher aus den Trümmern auferstanden. Das vielgeprüfte Ischia, das durch das Erdbeben von Casamicciola (1883) so traurige Berühmtheit erlangt hat, ist heute wieder der Sammelpunkt der Touristen. Der Boden von Laibach wird auch zur Ruhe kommen und nach menschlicher Erfahrung wieder jahrhundertelang von Katastrophen verschont bleiben. Da wird auch Laibach wieder aufblühen können. Die Nächstenliebe, durch die unser Jahrhundert sich so edel auszeichnet, möge darum eifrig den Obdachlosen beim Wiederaufbau der Stadt helfen! *