Das Ende der Jungfrau von Orleans

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Autor: Dr. J. Wychgram
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Titel: Das Ende der Jungfrau von Orleans
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 716–719
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Ende der Jungfrau von Orleans.

Von Dr. J. Wychgram.

Schiller hat von der Freiheit des tragischen Dichters gegenüber geschichtlichen Stoffen nirgends ausgiebigeren Gebrauch gemacht als in seiner „Jungfrau von Orleans“. Er hatte anfänglich die Absicht, die Heldin in seiner Dichtung sterben zu lassen, wie sie in der Geschichte gestorben ist: auf dem Scheiterhaufen. Naheliegende Erwägungen haben ihn davon abgebracht.

Ist das geschichtliche Ende der Jeanne d’Arc im dichterischen Sinne nicht tragisch zu nennen, so ist es darum für den gewöhnlichen Begriff nicht weniger traurig und ergreifend. Als ein Opfer heimtückischer Grausamkeit geht das kaum zur Jungfrau herangereifte Mädchen in den Tod, auf dem dunklen Hintergrunde der Bosheit und Selbstsucht eine von Unschuld und Hingebung hell umstrahlte Gestalt.

Sie ist die einzige geschichtliche Persönlichkeit, in deren Verehrung alle heutigen Franzosen vom Klerikalen bis zum äußersten Radikalen völlig einmüthig sind, und gerade seit dem Jahre 1870 bringt man der Jungfrau einen wahren Kultus entgegen: in zahlreichen Städten erheben sich ihr neue Denkmäler, ja man hat allen Ernstes und unter vielem Beifall den Vorschlag gemacht, ihren Geburtstag zu einer Art von Nationalfest zu gestalten, das besonders in den Schulen durch ernste Feierlichkeiten begangen werden müsse. Und in der That verdient die Jungfrau von Orleans das dankbare Gedächtniß ihres Volkes. Sie war es, die in frommer Begeisterung ihre Heimath Domremy verließ, um in dem unglücklichen Kampf ihres Vaterlandes gegen die vom französischen Norden aus siegreich vordringenden Engländer eine plötzliche Wendung herbeizuführen und der sinkenden Macht ihres Königs, des unfähigen und schwachen Karl VII., die rettende Stütze zu werden. Ihr gelang es, dem entmuthigten Heere der Franzosen den Glauben an ihre göttliche Sendung, von dem sie selbst entflammt war, und damit neuen Muth einzuflößen; Orleans, das den Engländern allein noch den Zugang zum Land südlich der Loire verwehrte, wurde 1429 durch ihr Eingreifen von der feindlichen Belagerung befreit; ein neuer Sieg, den sie erfocht, setzte sie in den Stand, Karl VII. im Juli desselben Jahres zur Krönung nach Reims zu führen. Allein nicht daß sie Orleans entsetzt und die Krönung des Königs ermöglicht hat, begründet bei den heutigen Franzosen in erster Linie jenes Gefühl der Ehrfurcht, sondern daß sie von der Hand der Fremden unter grausamen Formen getötet wurde und bis zum letzten Augenblicke die Liebe zu ihrem Vaterlande im Herzen und auf den Lippen gehabt hat. Und die letzten Schicksale Johannas sind auch das Merkwürdigste ihres außerordentlichen Lebensganges.

Die Jungfrau von Orleans.
Nach der Statue von E. Frémiet

Im Mai 1430 wurde die Jungfrau bei einem Ausfall aus der königstreuen Stadt Compiègne von den mit England verbündeten Burgundern gefangen; Herzog Philipp von Burgund ließ sie in ein festes Schloß setzen. Vergeblich strebte das unglückliche Mädchen danach, sich zu befreien, einmal sogar durch Herabspringen von einem sechzig Fuß hohen Thurm; auch dieser kühne Versuch mißglückte: man fand sie bewußtlos, doch ohne ernstere Verletzung, und brachte sie in den Kerker zurück. Aus Philipps Händen ging sie in die der Engländer über. Wäre es nach dem ungestümen Wunsche der niederen englischen Offiziere und Mannschaften gegangen, so würde man sie sofort als „Empörerin“ hingerichtet haben. Das wollte jedoch die englische Regierung nicht. Zuvor sollten die englischen Niederlagen als ein Zauberwerk des Teufels erscheinen und das ganze Auftreten der Jungfrau – zugleich damit die Sache des französischen Königs – als eine gottlose Unternehmung gebrandmarkt werden.

Im Januar 1431 befahl König Heinrich von England, die Johanna, „genannt Jungfrau“, vor einem geistlichen Gericht auf ihre Rechtgläubigkeit zu prüfen, war aber schlau genug, hinzuzufügen, falls in Glaubenssachen ihre Unschuld erwiesen würde, so solle sie dem weltlichen Gericht zur Aburtheilung wegen Empörung zurückgegeben werden. In Rouen, im alten Schlosse der normännischen Herzoge, trat dieses Gericht zusammen; ein französischer Geistlicher Namens Cauchon, ein eigennütziger, gewissenloser Mensch, der sich den Engländern verkauft hatte, führte den Vorsitz, an seiner Seite der stellvertretende Großinquisitor von Frankreich, Lemaître. Die übrigen Mitglieder waren Leute von anerkannter Willfährigkeit und Charakterlosigkeit, denen allen an der Gunst der Engländer und an ihrem eigenen Vortheil tausendmal mehr lag als an der Gerechtigkeit.

Die Jungfrau befand sich in peinlicher Haft in einem dunklen Zimmer des Schloßthurms. Nahe dem Bette stand ein starker Holzblock von sechs Fuß Höhe, der mit mehreren dicken Eisenringen versehen war, Johanna trug Tag und Nacht Fesseln an den Beinen, die bei Nacht durch Ketten an dem Holzblock befestigt wurden. Fünf englische Wächter bewachten sie beständig, drei in ihrem Zimmer, zwei außerhalb desselben. Das Gefängniß war weltlicher Art; Johanna hat während des Prozesses fortwährend ein geistliches – nach dem Gebrauch der Zeit milderes – Gefängniß verlangt, auf das sie als vor ein kirchliches Gericht gestellt Anspruch hatte. Man hat ihre Forderung nicht erfüllt; sie wurde ganz abgeschlossen gehalten, nur Cauchon hatte Zutritt, wann er wollte.

Die Anklage erstreckte sich auf verschiedene Punkte. Einmal machte man ihr ein Verbrechen daraus, daß sie Männerkleider getragen habe; auch im Gefängniß hatte sie dieselben nicht ablegen wollen, da ihre Heiligen ihr befohlen hätten, sie solange zu tragen, bis sie Frankreich von den Engländern befreit habe. Sodann aber lag den Richtern daran, ein Geständniß von ihr zu erlangen, daß sie mit Geistern Umgang gepflogen und sich dadurch der Ketzerei schuldig gemacht habe. Ebenso sollte die Ketzerei durch eigentlich dogmatische Fragen erwiesen werden.

Wie verhielt sich nun Johanna während des Prozesses und der Verhöre?

Es würde zu weit führen, den ganzen Verlauf der Verhandlungen zu schildern, wie er uns aus den unversehrt erhaltenen Akten entgegentritt. Beim Lesen dieser Akten wird man wie von einem Trauerspiel ergriffen. Die Jungfrau, abgehärmt und durch die herbe Haft und die beständige Erregung in ihrer Gesundheit erschüttert, erscheint gefaßt, mit einer fast überirdischen Hoheit vor den Richtern. Ihr Ton verräth mitunter, daß sie gegen diese von England gedungenen Landsleute tiefe Verachtung empfindet. Ihre Aussagen sind kurz, bestimmt, klar; sie hat die volle Gewalt über sich selbst; man erstaunt, was für Antworten dieses einfache neunzehnjährige Bauernkind, das weder lesen noch schreiben konnte, auf die schlau gestellten Fragen der in allen Spitzfindigkeiten geübten Theologen und Juristen gab.

Man legte ihr unter anderem die Frage vor, ob sie glaube, ihres ewigen Seelenheils sicher, also in der Gnade Gottes zu sein. Wenn sie dies bejahte, so war sie ohne weiteres der Ketzerei überwiesen, denn die Kirche verdammte diese Anschauung, durch welche die kirchliche Sicherung des Heils in den Gnadenmitteln bedroht erschien. Johanna erwiderte: „Wenn ich nicht in der Gnade bin, so bitte ich Gott, mich darein zu versetzen; wenn ich darin bin, mich darin zu erhalten; denn ich wollte lieber sterben, als nicht in der Gnade Gottes sein.“

[717] Als man sie über die Erscheinungen ausforschte, die sie gehabt haben solle, gab sie ohne Zaudern an, wer ihr erschienen sei, wann sie diese Gesichte gehabt und was sie dabei gehört habe. Wenn man die ganz bestimmten und rührend einfachen Bekenntnisse Johannas liest, so schwinden alle Zweifel an ihrer Wahrhaftigkeit; es muß unbedingt zugegeben werden, daß Johanna selbst fest überzeugt war, den Erzengel Michael, die heilige Katharina etc. geschaut zu haben. Ihre Visionen waren Wahngebilde ihrer eigenen Phantasie, aber ohne daß sie es wußte. Für sie hatten sie Wirklichkeit und bestimmten durchaus ihre Handlungen. In ihren Antworten auf die Fragen der Richter macht sie Unterschiede in Bezug auf das, was die Heiligen zu ihr gesprochen haben: manches verweigert sie zu bekennen. Als z. B. der Richter von ihr wissen will, durch welche geheimen Zeichen sie den König von Frankreich dazu gebracht habe, ihr zu vertrauen, versagt sie jede Auskunft. Die Richter dringen in sie, sie bleibt bei der Weigerung. Da läßt man die Folterknechte kommen und ihr die Schrecken der einzelnen Folterwerkzeuge erklären, wie das bei Beginn der „peinlichen Frage“ zu geschehen pflegte. Sie entgegnet: „Wenn der Schmerz mir falsche Zeugnisse abpreßt, so werde ich sagen, daß ich nur durch Gewalt gesprochen habe.“

Man wendete aber die Folter nicht an.

Das Verfahren bei dem Prozeß selbst stand mit allen Begriffen von Recht und Ehre im Widerspruch. Die meisten der Richter waren so rohe und im Eigennutz verkommene Gesellen, daß das Auftreten Johannas, ihr würdiger Anstand, ihr stolzes Unschuldsgefühl gar keinen Eindruck auf sie machte. Nur vereinzelt fand sie Sympathien. Ein Mönch Isambard, der ebenfalls dem Gerichte angehörte, war von ihrem Heldenmuth so ergriffen, daß er während der Verhandlungen versuchte, ihr durch Zeichen und Mienen Warnungen und Rathschläge zu geben. Ja, er ging so weit, sie auffordern zu lassen, daß sie sich an das Konzil zu Basel um Untersuchung ihrer Sache wende. Dafür erklärte dem braven Mann ein Graf Warwick: „Wenn Du Hund nicht aufhörst, dem Weibe Rathschläge zu ertheilen, so lasse ich Dich in die Seine werfen.“ Ein englischer Adliger, der den Sitzungen beiwohnte, wurde von der Erscheinung und dem Stolze der Jungfrau zu dem Ausruf hingerissen: „Fürwahr, wie schade, daß sie keine Engländerin ist!“

Die Form der Verhandlungen war unerhört; man ließ Johanna nicht einmal die nöthige Zeit zur Ueberlegung der Antworten und bedrängte sie dergestalt mit Fragen, daß sie einmal ausrief: „Aber so sprecht doch wenigstens einer nach dem andern!“ Auch die Protokolle sind nicht genau und gewissenhaft geführt. Cauchon hat öfters nachträgliche Aenderungen oder doch Streichungen vorgenommen.

Endlich waren die langen und zahlreichen Verhöre beendet. Gegen das Ende derselben war Johanna, körperlich und geistig furchtbar angegriffen, in eine schwere Krankheit verfallen. Einige Tage schien es, als ob sie erliegen sollte; allein ihre kräftige Natur und die sorgsame Pflege der Engländer, die ihren Zweck noch nicht erreicht hatten, erhielten sie am Leben, und sie genas.

Nach der Gepflogenheit in derartigen Prozessen mußten die Akten, bevor das Urtheil gefällt wurde, an einflußreiche und gelehrte Körperschaften eingesandt und deren Gutachten abgewartet werden. Im vorliegenden Fall sollte unter anderem das Domkapitel von Rouen und die Pariser Universität angegangen werden. Statt nun aber die vollständigen Akten abzuschicken, fertigte Cauchon einen Auszug an, in welchem alles, was zu Johannas Rechtfertigung dienen konnte, böswillig weggelassen, ein Theil ihrer Aussagen entstellt und namentlich mit unheimlicher Kunst den an und für sich wahren Thatsachen eine Beleuchtung und Verknüpfung gegeben war, die den Leser unwillkürlich gegen das Mädchen einnehmen mußte.

[718] Alle Gutachten fielen daher, wie vorauszusehen, ungünstig aus, zumal dasjenige der Pariser Universität. Es hieß darin, daß jene Erscheinungen, und Offenbarungen entweder Lügen seien oder Werke des Teufels; Johanna habe Gott und die Heiligen gelästert, sei abgefallen von dem alleinseligmachenden Glauben, habe sich mit bösen Geistern eingelassen, habe zum Götzendienste verführt und zum Blutvergießen aufgefordert. Wenn sie sich weigere, ihren Irrwahn zu widerrufen und sich dem Urtheil der Kirche zu unterwerfen, so sei sie durch die weltliche Gerechtigkeit dem Flammentod zu überliefern.

Das war es, was Cauchon haben wollte. Die Jungfrau sollte die Wahrheit ihrer Erscheinungen und Offenbarungen abschwören. Damit fiel im französischen Volke die Anhänglichkeit an den König Karl, die englische Gewalt stand glänzend gerechtfertigt da und gewann neuen Boden.

Cauchon hat zunächst versucht, die Jungfrau durch Ueberredung zur Abschwörung ihrer Angaben zu bringen. Das gelang ihm nicht. Sie blieb standhaft dabei, daß die Erscheinungen ihr von Gott gesandt worden seien. Bei einem zweiten Versuche ließ er ihr die Folter ankündigen, sie blieb unerschüttert. Er legte ihr seine Aufforderung zum drittenmal in Anwesenheit einer großen Zahl Geistlicher im Saale des herzoglichen Schlosses vor, und als sie sich wieder weigerte, drohte er ihr mit dem Scheiterhaufen. „Und wenn ich mitten im Feuer stünde,“ antwortete sie, „so wollte ich nicht von der Wahrheit meiner Sendung lassen.“

Cauchon griff nun zu dem letzten bereitgehaltenen Mittel. Für den 24. Mai wurde Johanna zu dem öffentlichen Schlußverfahren auf den Kirchhof St. Ouen geladen. Zwei weithin sichtbare Gerüste erhoben sich dort, das eine für Cauchon und die Richter, das andere für Johanna und ihren aufgezwungenen Beirath, einen Geistlichen Namens Loyseleur, der schon während des Prozesses einmal die Niederträchtigkeit gehabt hatte, sich unter der Maske eines Landsmannes in das Vertrauen der Gefangenen eindrängen zu wollen. Er hatte ihr im Auftrage des Gerichtes versprochen, wenn sie abschwöre, solle sie in kirchliche milde Haft kommen und, woran ihr unendlich viel lag, hinfort nicht mehr von Männern, sondern von Frauen bewacht werden.

Als die Jungfrau, mit ihrem Kriegerrock angethan, in einem vierspännigen Wagen auf dem Schauplatze angelangt war, bestieg sie alsbald das Gerüst. Dann erhob sich der Doktor der Theologie Erard, ein großes Kirchenlicht und berühmt als Redner. Er wollte die Jungfrau zum Widerruf bereden. Als er in seiner Predigt darauf zu sprechen kam, wie sehr doch König Karl und ganz Frankreich dadurch erniedrigt seien, daß sie sich von diesem Blendwerk der Hölle hätten bethören lassen, da brach Johanna in flammendem Zorn heraus: „Bei meiner Treu’, Herr, ich erlaube mir mit aller Ehrfurcht Euch zu sagen und auf Gefahr meines Lebens zu beschwören, daß er der edelste Christ ist unter allen Christen. Sprecht nicht von dem Könige, sondern sprecht von mir!“ Als Erard geendet hatte, erwiderte sie mit bestimmten Worten: „Was meine Unterwerfung unter die Kirche angeht, so möge man alle meine Thaten, die ich vollbracht, und meine Reden nach Rom an den heiligen Vater, den Papst, schicken. Auf ihn und auf Gott zuerst berufe ich mich. Meine Thaten und Worte,“ fügte sie hinzu, „lege ich keinem Menschen zur Last, weder meinem König, noch einem andern; ist ein Fehl daran, so fällt er auf mich und auf niemand sonst!“ Ein nervöses Zittern ging dabei über ihren abgehärmten und von all der Körper- und Seelenqual hinfälligen Leib.

Nun schritt Cauchon zum Aeußersten. Er entfaltete das Verdammungsurtheil und begann, es mit lauter Stimme vorzulesen. Zwischen den einzelnen Sätzen und an bedeutenden Stellen hielt er inne, um ihr Zeit zum Bedenken zu lassen. In diesen Pausen redeten Loyseleur und die anderen auf sie ein: „Johanna, ergieb Dich, rette Dich vor den Flammen!“ Als Cauchon an die Stelle kam: „Ketzerin und Ausgeschlossene von der Kirche,“ schrie Johanna, die Hände zum Himmel erhebend: „Heiliger Erzengel Michael, rathe mir, was ich thun soll!“ Aber kein Erzengel erschien. Sie sah, wie die rothgekleideten Henkersknechte auf angeschirrtem Wagen mit Stricken und Feuerbränden bereit standen, sie zum Scheiterhaufen zu führen. Da, in diesem Augenblicke des heftigsten Seelenkampfes, brach ihre Kraft zusammen, und mit wirren Blicken rief sie aus: „Ich will thun, was Ihr wollt.“ Lächelnd, als ob sie im Geiste nicht gegenwärtig wäre, hörte sie die ihr vorgelesene Abschwörungsformel an und setzte das Zeichen des Kreuzes darunter. Cauchon war auf diesen Verlauf der Dinge vorbereitet. Er zog das Endurtheil hervor und las es mit vernehmlicher Stimme. Es enthielt Gnade, insofern es vom Feuertode befreite. „Aber,“ so ging es weiter, „weil Du gegen Gott und die heilige Kirche freventlich gesündigt hast, so verurtheilen wir Dich schließlich, um eine heilsame Buße durchzumachen, zu immerwährendem Gefängniß beim Brote der Schmerzen und dem Wasser der Trübsal, auf daß Du da Deine Sünden beweinest und in Zukunft nicht wieder in dieselben verfallest. Vorbehältlich unserer Gnade und Milde.“

Ein Sturm der Entrüstung erhob sich in der Menge der umstehenden Engländer, der Entrüstung, daß Cauchon sie nicht dem Feuertode preisgegeben hatte. Die Leute ahnten nicht, daß er zunächst die Jungfrau ja nur ihres Nimbus vor der Welt berauben, sie zur Abtrünnigen stempeln wollte. Was kümmerte es ihn, nachdem er diesen Zweck erreicht hatte, daß die englischen Soldaten murrten, ja mit Steinen nach ihm warfen. Der schlaue Priester wußte ganz genau, daß er sich so am meisten Anspruch auf den Dank der englischen Regierung verdiente. Dem Grafen Warwick aber erwiderte er auf seine Vorstellungen: „Seid unbesorgt, wir werden sie schon wieder kriegen!“

Als die widerwärtige und empörende Scene vorüber war, trat Loyseleur auf Johanna zu und wünschte ihr Glück: „Johanna, Ihr habt einen guten Tag gehabt und Eure Seele gerettet!“ „Nun denn,“ entgegnete sie, „Ihr Leute der Kirche, so führet mich in Eure Gefängnisse, damit ich nicht ferner in den Händen der Engländer sei.“ Sie beanspruchte damit nur die Einlösung des ihr gegebenen Versprechens; und an dem Wechsel des Gefängnisses lag ihr am meisten, denn sie hatte unter den Rohheiten der englischen Wächter entsetzlich gelitten. Cauchon jedoch, von neuem wortbrüchig, befahl den Dienern: „Führt sie aufs Schloß, woher sie gckommen!“

Man brachte sie in das frühere Gefängniß zurück, und die Behandlung, früher noch etwas gemäßigt durch den Wunsch, Johanna vorläufig noch am Leben zu erhalten, wurde unmenschlich. Sie legte gutwillig, wie sie in der Abschwörung versprochen hatte, ihr männliches Kriegsgewand ab und zog Frauenkleider an. Allein man begnügte sich nicht damit; es wurden ihr die langen Haare abgeschnitten, bei Nacht fesselte man sie dergestalt mit Ketten, daß sie sich nicht rühren konnte. Das alles und so vieles andere geschah nur, um ihr den Tod wünschenswerther zu machen als solch ein Leben, um sie zum Rückfalle zu treiben.

In der Seele Johannas hat es in diesen Tagen nicht weniger finster ausgesehen wie in ihrem dunklen Gefängniß. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe über ihre Abschwörung; ihre Heiligen erschienen ihr und machten ihr den Widerruf zur Pflicht.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die rohen Wächter im Einverständniß mit Cauchon die Jungfrau gezwungen haben, eine ritterliche Männerkleidung, die man absichtlich in ihrem Zimmer liegen ließ, anzuziehen. Und als das geschehen war, wurde alsbald Cauchon die Nachricht gebracht. Was er gewollt, war erreicht; sie war eine Rückfällige geworden, keine weltliche oder geistliche Macht konnte sie jetzt noch retten. Sie wurde im Kerker befragt, und als sie nun ihre Abschwörung, weil von der Furcht vor dem Feuer erpreßt, ausdrücklich zurücknahm, da wurde sie nach kurzer Erledigung der Förmlichkeiten als rückfällige Ketzerin dem Arme der weltlichen Gerechtigkeit übergeben, mit der herkömmlichen Bitte, milde zu verfahren. Das war nur eine gewöhnliche Form der Heuchelei; nach der mittelalterlichen Anschauung mußte jede weltliche Macht den rückfälligen Ketzer unweigerlich verbrennen, wenn sie nicht selbst in den Verdacht der Ketzerei kommen wollte.

Am 30. Mai 1431 sollte die Hinrichtung Johannas vor sich gehen. Ein guter, ihr aufrichtig ergebener Geistlicher, Ladvenu, reichte ihr das Abendmahl; er erzählte selbst: „Sie nahm es unter einem Strom von Thränen mit einer Demuth und Andacht, die ich nicht zu schildern vermag.“ Als er ihr angekündigt hatte, daß und wie sie sterben solle, hatte sie laut aufgeschrieen und gejammert, daß ihr junges Leben nun so vernichtet werden sollte. Dann aber hatte sie sich rasch gefaßt.

Gegen neun Uhr morgens legte sie ihr Kriegsgewand ab und ein Frauenkleid an. Auf das Haupt setzte man ihr eine [719] Mütze, auf der zu lesen war: „Ketzerin, Rückfällige, Abtrünnige, Götzendienerin“. Dann ging sie hinaus auf den Schloßhof, wo das Sterbegeleit ihrer wartete. Hier bestieg sie einen Wagen, rechts und links neben ihr nahmen der Gerichtsbote und der Beichtvater Massieu Platz. Achthundert Krieger mit Aexten, Schwertern und Lanzen geleiteten den Zug. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, sprang plötzlich durch die Volksmenge hindurch ein Mönch an den Wagen heran und sank händeringend vor Johanna nieder. Es war jener Loyseleur, der von ihren Bedrängern der arglistigste gewesen war. Die Reue ließ ihm keine Ruhe, er war gekommen, die Jungfrau um Verzeihung zu bitten. Ob sie ihm geworden ist, wissen wir nicht; denn er wurde von den wüthenden Engländern vom Wagen weggerissen und der Graf Warwick erklärte ihm, wenn ihm sein Leben lieb sei, solle er die Stadt schleunigst verlassen. Loyseleur hat die Ruhe seiner Seele nicht wieder erlangt; er ist von Gewissensbissen in der Welt umhergejagt worden und nicht lange nachher in Basel gestorben.

Bald nach neun Uhr kam der Wagen auf dem „Alten Markt“ bei der Erlöserkirche an. Drei Gerüste erhoben sich dort, eins für die geistlichen, eins für die weltlichen Richter und endlich eins für die Prälaten, an deren Spitze der Kardinal von England stand. Auf das Gerüst der geistlichen Richter wurde Johanna geführt. Eine unübersehbare Zuschauermenge hatte sich angesammelt. Tiefes Schweigen herrschte im Volke. Da begann Nicole Midi, ein Mönch, die Totenpredigt über die Stelle: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“ Er endete mit den Worten: „Johanna, gehe in Frieden, die Kirche kann Dich nicht ferner schirmen, sie übergiebt Dich dem weltlichen Arm!“ Bischof Cauchon las alsdann das geistliche Urtheil vor, dessen Schluß lautete: „Wir schneiden Dich von dem Leibe der Kirche ab und übergeben Dich der weltlichen Gewalt mit dem Ersuchen, ein mildes Urtheil über Dich zu sprechen und Dich mit Tod oder Verstümmelung der Glieder zu verschonen.“

Johanna sank auf die Kniee und betete. Im Gebet rief sie aus: „O Rouen, o Rouen, werde ich hier sterben, wirst du mein letztes Haus sein? O Rouen, ich fürchte, du wirst für meinen Tod zu leiden haben!“

Von der Kirche verstoßen, bat sie ihre Begleiter um ein Kruzifix. Schnell machte ein mitleidiger Engländer aus zwei Holzstäbchen ein Kreuz und gab es ihr; sie küßte es und steckte es an ihre Brust. Als dann der getreue Mönch Isambard, selbst bitterlich weinend, mit einem Kruzifix aus der nahen Erlöserkirche kam, umschlang sie es lange und bedeckte es mit Küssen und Thränen.

Einzelne von den Beisitzern erhoben sich und schlichen sich still weg von der Richtstätte, um sich den entsetzlichen Anblick zu ersparen. Die meisten weinten, selbst Soldaten und Offiziere blieben nicht ohne Rührung. Endlich erhielten die Schergen Befehl, vorzugehen. Als Johanna ihrer ansichtig wurde, umfaßte sie noch einmal das Kreuz, grüßte die auf dem Gerüst Stehenden und schritt, begleitet von Ladvenu und Isambard, vom Gerüst herab. Unten nahmen sie die Gerichtsdiener in Empfang und führten sie auf den Scheiterhaufen. An demselben hing eine Tafel mit den Worten: „Johanna, welche sich hat die Jungfrau nennen lassen, Lügnerin, Verderberin, Verführerin des Volkes, Wahrsagerin, abergläubisch, Gotteslästerin, hoffärtig, irrgläubig im Christenglauben, Prahlerin, Götzendienerin, grausam, liederlich, Anruferin von Teufeln, abtrünnig, ketzerisch!“

Sie ließ sich geduldig an den Pfahl binden. Dann zündete der Henker den Holzstoß an. Langsam züngelte die Flamme empor. Bis dahin hatten Ladvenu und Isambard bei ihr ausgehalten, jetzt bat sie dieselben, hinabzugehen und das Kreuz recht hoch zu halten, damit sie es sehen könne. Als schon der Rauch an ihr emporquoll, schrie sie laut auf: „Ich bin keine Ketzerin, bin keine Abtrünnige! Meine Stimmen sind von Gott! Auf Gottes Befehl habe ich gethan, was ich gethan habe.“ Dann rief sie wiederholt den Namen Jesus, bis ihre Stimme schwächer wurde und endlich ihr Haupt auf die Brust sank.

Schweigend zerstreute sich die Menge. Alle hatten den Eindruck, daß hier aus politischen Rücksichten ein Justizmord begangen worden war. Als der Geheimschreiber des Königs von England von dem Richtplatze heimkehrte, rief er aus: „Wir alle sind verloren, denn wir haben eine Heilige verbrannt, deren Seele bei Gott ist.“ Im Landvolke der Normandie begann man zu murren gegen die Mörder. In den Straßen von Rouen wurde auf Cauchon und seine Beisitzer mit Fingern gezeigt. Alle Gewalthandlungen der Engländer waren nicht imstande, den Unwillen niederzudrücken. Eine weiße Taube, das Abbild der Unschuld, so erzählte man sich im Volke, sei aus den Flammen des Scheiterhaufens zum Himmel emporgeflogen.

Die alte Mutter und die Brüder des unglücklichen Mädchens wendeten sich in der Folge an den Papst mit der Bitte, die Wiederaufnahme des Prozesses zu befehlen und die Familie von dem Makel der Ketzerei zu befreien. Im Jahre 1455 wurde endlich, nachdem man sich in Rom aus Rücksicht auf England lange gesträubt hatte, dem Wunsche entsprochen, und im folgenden Jahre waren Cauchons Intriguen entlarvt; wiederum im großen Saale des Schlosses zu Rouen wurde der erste Prozeß im Namen der Kirche als eine Ruchlosigkeit bezeichnet und jeder Makel von Johannas Andenken getilgt.

Auch ohne dieses päpstliche Dekret, das die Jungfrau schließlich doch nur von dem nebensächlichen Vorwurf der Ketzerei lossprach, würde die Nachwelt bald die Größe dieser wunderbaren Gestalt erkannt haben: die Wahrheit der begeisterten That bleibt nicht lange verborgen. Schlimmere Angriffe als die des englischen Hasses hat die Jungfrau siegreich bestanden: der Spott Voltaires ist an ihr zerschellt. Dem deutschen großen Dichter aber war es vorbehalten, dem Mädchen von Domremy poetisch gerecht zu werden. So viel er auch von den Thatsachen der Geschichte abgewichen ist, den Geist der geschichtlichen Erscheinung hat er doch wie kein anderer wiedergegeben in seinem ergreifenden Werke von der „reinen Jungfrau, die jedwedes Herrliche auf Erden vollbringt“.