Das Elephantenhaus im Berliner zoologischen Garten

Textdaten
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Autor: August Woldt
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Titel: Das Elephantenhaus im Berliner zoologischen Garten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 860–863
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bewohner des Elefantenhauses
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Das Elephantenhaus im Berliner zoologischen Garten.

Man mag über die Gründerzeit denken, wie man will, so viel steht fest: sie hat auch manches vortreffliche Unternehmen hervorgerufen, wodurch namentlich die Architektur, die Hauptrepräsentantin des äußeren Glanzes großer Städte, gewonnen hat. Wesentlich dieser vielverrufenen Zeitperiode, welche kurz nach Beendigung des letzten großen Krieges wie ein Taumel über Deutschland hereinbrach, verdankt auch die Hauptstadt Berlin manche stattliche Anlage, auf die wir heute mit Stolz und Freude blicken, heute nachdem die Kopfschmerzen, welche diese Kinder der Architektur ihren Vätern bereitet haben, längst vergangen sind. In gewissem Sinne gehört zu diesen Schmerzenskindern auch das Elephantenhaus des Berliner zoologischen Gartens, nicht als ob es etwa zu der Kategorie der zweifelhaften Gründungen gehörte, sondern deshalb, weil es in seiner Pracht und großartigen Einrichtung für weit bessere Verhältnisse paßt, als jene sieben mageren Jahre des Krachs, welche auf die blendende Entwickelung des Gründerthums gefolgt sind.

Zu welcher anderen Zeit, als in der des Milliardensegens, hätte auch wohl der Gedanke entstehen können, ein Elephantenhaus zu bauen, das die Kleinigkeit von etwa 340,000 Mark kostet und das von außen und von innen einem indischen Tempel gleicht, in dem Buddha selbst zu wohnen sich nicht zu geniren brauchte? Unter Schwierigkeiten ward der Bau vollendet; nun freut es uns doch, daß das Werk vor uns steht, und wohl kein Besucher des Gartens wird es versäumen, nach diesem beliebten Anziehungspunkte seine Schritte zu lenken. Der Anblick des Gebäudes entzückt auch den Kaltblütigsten. Hat doch sogar einmal ein phlegmatischer Holländer die Behauptung aufgestellt, daß das Elephantenhaus ganz allein eine Reise nach Berlin werth wäre. Ich sehe den Director Bodinus, den großen Reorganisator des Berliner zoologischen Gartens und Schöpfer des Elephantenhauses, lächeln, wenn er diese Worte liest; dabei wird er auch mit Genugthuung der beiden anderen Magnete des Gartens gedenken, die er gleichfalls geschaffen hat: des großen Raubthierhauses und des prächtigen Antilopenhauses.

Wir führen heute das Elephantenhaus in der schönen Illustration unseres Meister Mützel den Lesern der „Gartenlaube“ vor. Mit seinen spitzen indischen Thürmen, mit seiner orientalischen Pracht und Ausschmückung steht dieses durch die Herren Ende und Böckmann ausgeführte Bauwerk wohl einzig in seiner Art da; es beherbergt eine Schaar dickhäutiger Bewohner, wie sie in gleicher Vollzähligkeit und Mannigfaltigkeit kein zoologischer Garten aufzuweisen hat. Hier vereinigen sich die drei mächtigsten Continente der Erde: Asien, Afrika und Südamerika haben dem Elephantenhause ihre interessantesten Thierexemplare geliefert. Es ist eine wunderbare Gesellschaft, jene Pachydermen, deren plumper, ungeschickter Körperbau so recht eigentlich zu der behaglichen philosophischen Ruhe und zu dem Stillleben paßt, dem sie sich während der gewöhnlich langen Dauer ihrer Existenz hingegeben. Vielleicht Hunderttausende von Jahren müssen wir in der Entwickelungsgeschichte unserer Erde zurückgehen, wenn wir den Ursprung dieser Dickhäuter und ihrer unmittelbaren Vorfahren, der vorweltlichen Mammuths, Rhinocerosse und anderer Thierarten, uns vergegenwärtigen wollen. Damals, als die Erdoberfläche sich mit einem neuen und ungeahnten Reichthume von Baumformen und anderen Pflanzen bedeckte, bildeten ganze Welttheile den Weidegrund für die unermeßlichen Schaaren solcher Pflanzenfresser. Heutzutage, bei dem großen Formenreichthum der uns umgebenden Thierwelt, kommen uns die Dickhäuter wie altehrwürdige Ueberreste längst vergangener Zeiten, wie primitive, ungeschickte Versuche der bildenden Natur vor, und man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß alle diese Thiere auf dem Aussterbeetat der Schöpfung stehen. In der That wird es auch wohl in nicht zu langer Zeit dem großen Räuber „Mensch“ gelingen, die Pachydermen ebenso

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Das Elephantenhaus in dem zoologischen Garten zu Berlin.
Originalzeichnung von G. Mützel.

[862] vom Erdboden verschwinden zu lassen, wie er den großen Säugethieren des Meeres gegenwärtig mit besserer Aussicht auf Erfolg den endgültigen Untergang zu bereiten im Begriff steht.

Lassen wir einmal die Insassen des Elephantenhauses die Revue passiren!

Da ist zunächst, wenn wir das mächtige Gebäude betreten, mitten in dem großen Saal, dessen Wände ringsum von den geräumigen Thierständen besetzt sind – Käfige kann man diese nur durch ein starkes Gitter vom Publicum getrennten Abtheilungen nicht nennen – da ist zunächst ein mächtiges Skelet ausgestellt. Es bildet die Ueberreste des großen Elephanten „Boy“, der dreißig Jahre lang im Garten lebte und bis zu seinem vor einigen Jahren erfolgten Tode der allgemeine Liebling der Berliner war.

An der linken Seitenwand hat die Afrikanerin „Jenny“ ihren Stand. Sie ist bereits seit vierzehn Jahren im Garten und gehörte einst dem König Theodor von Abessinien, nach dessen tragischem Untergange im Jahre 1868 sie als ein Theil der Beute nach Europa kam. Damals war sie drei Jahr alt; seitdem ist das Thier mächtig gewachsen und zur Elephantenjungfrau herangereift. Auf unserer Illustration links oben abgebildet und an den mächtigen Ohren erkenntlich, zeigt sie jene Haltung, welche sie öfter annimmt, wenn ihr Wärter ihre Dressur vorführt und sie die verschiedensten Fußstellungen durchprobiren läßt. Jenny weiß dann recht geschickt sich mit dem Rüssel ihre Belohnung, eine Schnitte Brod, aus dem Brustlatze des Wärters hervorzuholen und apportirt ihm gewissenhaft die Geldspenden, welche das Publicum ihr zuwirft. Dieses Gebahren spricht durchaus dafür, daß die afrikanischen Elephanten intelligent sind, wie ihre indischen Namensvettern. Es ist eigentlich zu verwundern, daß man die afrikanischen Elephanten nicht auch schon längst als Reitthiere und Lastträger benutzt, wie die indischen, ja, daß man sogar die letzteren nach dem dunklen Erdtheil transportirt hat, um sie dort in angegebener Weise zu verwenden. Es sei mir gestattet, hier eine kleine, auf diese Frage bezügliche Episode einzuschalten.

Als vor einigen Jahren die Nubier mit ihrer Thierkarawane die zoologischen Gärten Europas besuchten, brachten sie auch einige junge Elephanten mit, welche im Zuge frei mitfolgten. Ich suchte die besten Reiter unter diesen braunen Wüstensöhnen zu veranlassen, auf den Thieren das Gehege im Berliner Garten entlang zu reiten. Der Versuch gelang über Erwarten. Rüssel und Ohren erhebend und laut trompetend, stürmten die jungen Elephanten unter der ungewohnten Last ihrer Reiter dahin, suchten Letztere auch wohl an Bäumen und am Zaune abzustreifen, aber als dies nicht gelang, fügten sie sich in’s Unvermeidliche. Der Versuch wurde öfter wiederholt und mit wachsendem Erfolge, aber schließlich ließ man ihn fallen, da er nicht zum Programm gehörte. Seit jener Zeit aber glaube ich fest daran, daß sich afrikanische Elephanten ebenso zähmen lassen, wie die indischen. Mit der siebenzehnjährigen „Jenny“ würde es aber zu spät sein, derartige Culturzwecke jetzt noch zu verfolgen. Aber die drei anderen Elephanten, welche das Haus besitzt, tragen allwöchentlich im Garten eine Anzahl Kinder spazieren und zeigen sich sehr gelehrig.

Es sind dies zunächst zwei ziemlich große indische Elephanten, „Omar“ und „Rostom“, welche den früheren Stand des seligen „Boy“, die rechte Querseite des Hauses, gemeinschaftlich bewohnen. Diese beiden Thiere sind ein Geschenk des Prinzen von Wales an den Garten und befinden sich seit Ostern 1881 im Hause.

Ihre Ueberführung von London nach Berlin war mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft. Nachdem Dr. Bodinus sie in der englischen Hauptstadt in großen Käfigen an Bord eines Schiffes gebracht und sie auf demselben die Reise bis Hamburg glücklich zurückgelegt hatten, zerbrachen sie in letzterer Stadt auf dem Transport nach der Eisenbahn ihre Kasten und gaben erstaunenswerthe Proben ihrer riesigen Kraft. Die Käfige wurden nunmehr mit mächtigen eisernen Ketten umwunden, aber die Thiere machten Anstalt, auch diese zu zertrümmern. Da blieb nichts Anderes übrig, als zwei unerschrockene Männer, den vielerprobten Oberwärter des Berliner zoologischen Gartens, Pechler, der schon von „Boy“ manche schwere Verletzung davon getragen, und den Wärter Brauer, der die Thiere jetzt unter Specialaufsicht hat, mit spitzen Elephanteneisen vor dieselben zu stellen und sie in dieser wenig beneidenswerthen Position die Eisenbahnfahrt von Hamburg nach Berlin machen zu lassen. In Berlin war es dann wieder nöthig, die Transportwagen bis an die Achsen in die Erde eingraben zu lassen, damit die Thiere in ihre jetzigen Stände hinein gelangen konnten. Dann erst, als sie festen Boden unter den Füßen fühlten, wurden die beiden Indier wieder ruhiger.

Sie erhalten seitdem täglich Dressur und haben es inzwischen erstaunlich weit gebracht, sodaß sie schon beinahe im Circus „arbeiten“ könnten. Auf Commando rückwärts zu geheb, Verbeugungen zu machen, Fußstellungen auszuführen, sich hinzulegen, ein Taschentuch aufzuheben, eine Münze, die halb so groß ist wie ein Zwanzigpfennigstück, zu apportiren – das Alles ist ihnen ein Leichtes.

Der dritte im Bunde ist ein weiblicher Elephant, ein Baby, das seinen Namen nach der durch reiche Indigopflanzungen ausgezeichneten indischen Landschaft „Maldah“ führt. Dieses jetzt fünfjährige Thier ist ein Geschenk des um den zoologischen Garten hochverdienten Berliner Großhändlers William Schönlank, der die „Maldah“, welche ursprünglich im afghanischen Kriege zum Dienst bestimmt war, durch seine Agenten aufkaufen und in aller Stille nach Berlin transportiren ließ. Ich sehe es noch, wie er am 8. October 1880 diese „Ueberraschung“ dem hocherfreuten Dr. Bodinus überlieferte; ich sehe noch, wie Letzterer in der überströmenden Freude seines Herzens den Wohlthäter umarmte und ihm zurief: „Nehmen Sie es mir nicht übel! Ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.“

Wenn sich „Maldah“ so rüstig weiter entwickelt, wie seitdem, dürfte diese junge Dame dereinst zu freudigen Erwartungen berechtigen. Unsere Illustration führt sie uns in vollem Schmuck als Reitthier vor, und sie erfüllt als solches, unseren kleinen Damen gegenüber, höchst gewissenhaft ihre Pflicht. Als ich kürzlich das Elephantenhaus besuchte, mußte ich herzlich über das Thier lachen. Es war Vormittags, wo wenig Besucher anwesend waren, und sie stand draußen in ihrem Gehege, vor sich eine kleine Quantität Grünfutter, halb damit spielend, halb davon fressend. Sie war ganz in ihren Gegenstand vertieft; da mochte ihr plötzlich die Erinnerung an ihre Dressur gekommen sein und so machte sie mit den Füßen ihre ganze Lection durch, hob die Beine abwechselnd, kreuzte sie vorn und hinten über einander etc., etwa wie ein Kind, das beim Kaffeetrinken seine Vocabeln noch einmal repetirt.

Die unzertrennlichen Begleiter der Elephanten sind von jeher die Rhinocerosse gewesen; wie wir ihre beiderseitigen Ueberreste in den diluvialen Erdschichten zusammen finden, so stehen die Thiere auch im Elephantenhause neben einander. Das Gebäude beherbergt vier höchst stattliche Exemplare, von denen die beiden interessantesten auf dem Bilde wiedergegeben sind. Das links abgebildete ist das doppelhörnige afrikanische Weibchen „Molly“, welches sich seit 1870 im Garten befindet. Dieses Thier hat eigenthümliche individuelle Eigenschaften: es ist im höchsten Grade scheu und mißtrauisch und verläßt nur höchst ungern den Ort, an den es sich einmal gewöhnt hat. Während andere Thiere ihre Winterquartiere gern verlassen, wiederholt sich bei „Molly“ in jedem Frühjahr das Schauspiel, daß sie nur durch Hunger gezwungen werden kann, die Thür zum Außengehege zu passiren. Als das Thier in das Haus unter dem Beisein fast der halben hauptstädtischen Bevölkerung überfuhrt wurde, wollte es absolut seinen Käfig nicht verlassen und stieß zuletzt aus lauter Furcht wüthend um sich. Dann nahm es jene charakteristische Stellung an, die es auf der Illustration zeigt. Mit dem neben ihm befindlichen weiblichen indischen Rhinoceros hat es niemals gekämpft; denn beide Thiere werden nicht zusammen gelassen.

Die Stellung des letzterwähnten Thieres ist aber dennoch in einem Kampfe mit dem männlichen indischen Rhinoceros beobachtet worden. Es fand dieses „Ereigniß“ im vorigen Jahre statt. Das Männchen wurde plötzlich böse, überfiel das Weibchen und setzte ihm derart zu, daß es nur mit genauer Noth seiner Wuth entzogen werden konnte.

Dieses Weibchen bietet in zoologischer Beziehung höchst interessante Merkmale dar. Die Beschreibung des gewöhnlichen indischen einhörnigen Rhinoceros paßt auf dasselbe nicht genau; es darf vielleicht als eine Varietät des letzteren betrachtet werden; denn es hat auf der Haut viel mehr Knoten als jenes; auch besitzt es auf der Schulter eine Faltenbildung, welche einen Sattel darstellt; im Uebrigen hat es auch einen kürzeren und etwas dickeren Schädel. Das Thier ist im Jahre 1874 von dem Thier-Importeur William Jamrach in London als besondere Species nach Berlin verkauft worden. – Das bereits erwähnte kampflustige männliche indische Rhinoceros befindet sich mit einem ebenfalls sehr [863] stattlichen weiblichen Thiere gleicher Art seit September 1871 im Garten.

Viel friedlicherer Natur als diese Thiere sind die beiden Nilpferde des Hauses, ein junges, noch nicht ausgewachsenes Pärchen. Das Weibchen ist im Jahre 1876 auf Veranlassung des deutschen Consuls in Kairo gekauft und durch einen Griechen nach Berlin gebracht worden, das Männchen aber stammt aus dem Thierpark des ehemaligen Vicekönigs von Aegypten und wurde im Jahre 1879 vom jardin d’acclimatation in Paris erworben und nach Berlin verkauft. Es war ein höchst beschwerliches Unternehmen für Dr. Bodinus, das junge Thier in der strengen Märzkälte jenes Jahres von Marseille aus bis in seinen Garten zu schaffen; aber es gelang, und das vortreffliche Gedeihen beider Thiere unter der gegenwärtigen sorgsamen Pflege lohnt alle Mühen reichlich, sodaß wir es getrost wagen dürfen, falls beide am Leben bleiben, Zukunftsträume von Nilpferdezucht an der Spree auszuspinnen.

Den Beschluß des Thierbestandes am Elephantenhause bilden zwei amerikanische Tapire, ein 1875 gekauftes Männchen und ein 1877 von einem anderen Wohlthäter des Gartens, Herrn Ernst Schotte in Berlin, dem Besitzer einer geographisch-artistischen Anstalt, geschenktes Weibchen. Zeitweilig beherbergt das Elephantenhaus auch einzelne Gäste; beispielsweise überwinterte daselbst letzthin einer der Lieblinge der Besucher des Gartens, die Seelöwin „Mary“. So viel für heute über das Berliner Elephantenhaus! Die deutsche Reichsmetropole darf stolz sein auf den Besitz dieses Dickhäuter-Asyls. A. Woldt.