Das Dreikönigsfeuer auf dem St. Lorenzthurm zu Nürnberg

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Dreikönigsfeuer auf dem St. Lorenzthurm zu Nürnberg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 91-94
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[91]
Das Dreikönigsfeuer auf dem St. Lorenzthurm zu Nürnberg.[1]

Nach längerem Aufenthalte in der Fremde saß ich endlich im Coupé, um nach meiner schönen und vielgeliebten Vaterstadt Nürnberg heimzukehren. Schon waren wir ihr nahe, immer und immer wieder zog mich es an das Wagenfenster und meinen Blick der Gegend zu, wo bald die alte Kaiserburg, die gleich einem schirmenden Wächter über die Stadt emporragt, sowie diese letztere selbst aus der mondhellen Nacht hervortreten mußte.

Je näher wir der Heimath kamen, je peinlicher ward meine Ungeduld, und es war mir darum nur erwünscht, daß mein Nachbar, ein gar liebenswürdiger Reisegefährte, mich noch einmal in ein interessantes Gespräch verwickelte. Plötzlich aber schnitt ein Ausruf des Staunens und des Schreckens unsere Unterhaltung ab. Rasch, wie unwillkürlich, bog ich den Kopf zum Wagenfenster hinaus. Großer Gott, ein greller Feuerschein zuckt mir in’s Auge! [92] Da, wo das Zwillingspaar der Thürme von St. Lorenz schlank in die Luft steigt, brodelt ein entsetzlicher Qualm, wallen Feuerströme und stiebt eine glühende Funkensaat weithin über die Häuser der alten Stadt. Dazwischen hinein wimmern die Brandglocken der übrigen Thürme wie wehklagend um das grause Geschick, das einen aus ihrer Mitte getroffen. Das Juwel Nürnbergs steht in Brand; das soll mein Wiedersehen sein, das der erste Gruß nach langem Scheiden! Schmerzlichst bewegt lehnte ich mich zurück.

Der Zug hielt. Hastig stieg ich aus, dem Schauplatz der Katastrophe, dem schwerbedrängten Thurme zu, der – eine Riesenfackel, angezündet von jenen räthselhaften Kräften der Natur – dem entsetzten Zuschauer ein nur zu deutlicher Wegweiser, sich selbst zum Untergange leuchtete. – Die Glocke von St. Sebald hatte eben neun geschlagen, als ich mich neben Freunden, die ich im grausen Flammenschein des Thurmes erkannte und begrüßte, in der Gegend des Nassauer Hauses aufstellte, um der Verheerung, die sich mir schon in der Ferne gezeigt, nun auch in der Nähe in das Auge zu schauen. Durch einen Blitzstrahl – den einzigen, in dem sich hier am 6. Jan. während eines tobenden Schneesturmes die elektrisch-schwüle Atmosphäre entlud – unterhalb des Knopfes entzündet, brannte der Thurm, da bei der bedeutenden Höhe keine Wasserkraft zur Hemmung des Feuers verwendet werden konnte, trotz aller aufopfernden Anstrengung immer tiefer herab. Immer größer, immer gewaltiger wurde die Gluth; an den vergoldeten Kupferplatten emporschlagend, leuchteten die Flammen in den herrlichsten Farben – ein wunderbarer Anblick, bis jene sich ablösend in die Tiefe hinabsanken. Wie wenn ein ungebeurer Topf voll glühenden Metalls brodelt und überquillt, so brauste es hoch oben auf dem Flammenheerde. Wie der Schweif eines Kometen zog sich der Feuerregen, vom wüthenden Sturme gepeitscht, über die Kirche und die Stadt hinweg, glühende Ziegel, eiserne Stangen, auf die Straße herabschleudernd, und jetzt stürzt noch das letzte Gebälk der Thurmspitze, mit ihr die schmelzende Glocke, hinein in den glühenden Schlund. Eine Feuersäule steigt wirbelnd empor, und ein Schrei ringt sich aus Tausenden von Kehlen – ein in all seiner Entsetzlichkeit imposanter Augenblick.

Der brennende St. Lorenzthurm in Nürnberg.
Nach der Natur gezeichnet von Lorenz Ritter.

Stunde auf Stunde verrann unter ungeheuren Anstrengungen der Einen und bangem Zuschauen der Anderen, bis man endlich gegen Mitternacht des Feuers Herr wurde, obwohl noch nicht alle Gefahr beseitigt war und der überwundene Feind mit größter Sorgfalt bewacht werden mußte, damit er nicht von Neuem sein Zerstörungswerk beginne. – –

Die Nacht mit ihren Schrecken war vorüber, kahl starrten die zerstörten Mauern empor in die Morgenluft, stoßweise noch dicke Rauchwolken, die letzten Zuckungen des besiegten Elementes, darüber wegwälzend.

„Du mußt noch einmal in das Glockenstübchen, in dem Du so oft an unseren Kirchweihfesten mit dem Glöckner plaudernd saßest und hinabschautest auf die Stadt!“ Der Gedanke, einmal aufgetaucht, ward zum Entschluß -, ich rüstete mich rasch zur Wanderung; es sollte mein erster Besuch in der Vaterstadt werden, der ich nun wieder angehörte.

Der Platz um die Kirche bot ein wüstes Bild – zerschmetterte Ziegel neben ausgebrannten Pechpfannen; Feuereimer, verkohlte Holzstücke bedeckten die Wahlstatt. Mich durch die Menge drückend, sah ich mich einem Feuerwehrmann gegenüber, der, von der nächtlichen Arbeit geschwärzt, am Eingänge zur Kirche Wache hielt.

„Wohin,“ tönte es mir entgegen.

„Zu dem Thurm, ich muß hinauf!“

Sei es das Bittende meiner Worte, oder glaubte er, ich sei wirklich bei den Löschanstalten beschäftigt, er trat zur Seite und gab mir Raum zum Eintritt in’s Innere. Welch Bild der Verwirrung zeigte sich meinen Blicken! Unter den Betstühlen, in den Gängen stand, durch verschüttete Eimer, zerplatzte Schläuche vergossen, das Wasser, mit einer dünnen Eiskruste überzogen. Zwischen den kunstvollen Schnitzwerken des Veit Stoß, den Altarbildern Wohlgemuth’s, lehnten Leitern, lagen Feuereimer, war die zur Ablösung bereite Mannschaft der Feuerwehr aufgestellt. Dazwischen hinein ertönten die Commandoworte der Rettungsmannschaft, die Hunderte von Rufen

[93]

In der Glockenstube des St. Lorenzthurms.
Nach der Natur gezeichnet von Lorenz Ritter.

nach Wasser – es war ein Kontrast zu der sonst so friedlichen, ernster Sammlung und Andacht geweihten Stätte, wie er schreiender nicht gedacht werden konnte. Auch unten im Thurm hatte sich von dem aus ihm herabtriefenden Wasser ein förmlicher Teich gebildet, über den Breter gelegt waren, welche mich an den Fuß der Wendeltreppe trugen. Hier aber stellte sich mir ein neues Hinderniß entgegen: Männer, mit Befestigen der Schläuche beschäftigt, sahen mich kaum auf die Treppe zuschreiten, als sie sich mit einem „der Herr darf nicht herauf!“ vor die Thür postirten.

Ihre entschlossene Miene sagte mir, daß ich diesmal nicht so leichten Kaufes, wie vorhin – mit meinem treuherzigen. bittenden Gesicht – durchkommen würde. Darum herrschte ich sie an: „Geht an Eure Arbeit und schraubt die Schläuche fest!“ Der brüske Ton meiner Worte, das Entschlossene meines Auftretens [94] verfehlten ihre Wirkung nicht: mich verblüfft betrachtend, traten sie zur Seite und ich stieg mit klopfendem Herzen in den Thurm.

„Kennst Du Den?“ hörte ich hinter mir die Stimmen der Männer. „Nein, es muß Einer vom Bauamt sein.“ Ich aber schritt in der kaum über drei Fuß breiten Wendeltreppe empor und kam mir – rechts und links, oben und unten, von aufwärts in den Thurm führenden Schläuchen umrahmt – vor, wie Laokoon und seine Söhne in der grausen Umschlingung der giftgeschwollenen Schlangen. Die Schläuche selbst waren an verschiedenen Stellen durch den ungeheueren Druck, den die in ihnen aufsteigende Wassersäule auf die Seitenwände ausübte, in den Nähten geplatzt, aus denen mir von allen Richtungen ein Kreuzfeuer von feinen Wasserstrahlen entgegenspritzte. So von jeder Seite, und zum Ueberfluß auch noch von auf- und niedersteigenden Feuerwehrmännern begossen, öfters mich an die triefenden Wände drückend, erreichte ich endlich die erste Abtheilung des Thurmes und athmete tief auf.

Ein Blick durch die Seitenöffnung zeigte mir, wie hoch ich schon gestiegen; tief unter mir standen in schwärzlichem Gewimmel Schaaren von Menschen, die heraufsahen und vielleicht von der Möglichkeit eines nochmaligen Ausbruchs der Gefahr sprachen. Zu meiner Seite gähnte mir aus der Dachbedeckung des Kirchenschiffes die Oeffnung entgegen, welche die herabgestürzte Thurmspitze mit dem Knopfe und dem wohl vier Fuß großen, vergoldeten Hahn geschlagen. Hier lag es, das symbolische Thier des heiligen Petrus, mit gebrochenen Flügeln hohlen Auges nach jener Stelle schauend, wo es so lange Jahre friedlich gehaust und aus der es nun so jäh den tiefen Flug herab gethan; – wann wird es ihn wieder aufwärts nehmen zur Höhe?

„Bleiben Sie,“ hörte ich neben mir die Stimme eines Arbeiters, „es werden jetzt die Schläuche abgeschraubt, um das Gebälke zu begießen; Sie würden zu naß.“ Aber nässer, als ich war, konnte ich doch wohl nicht mehr werden; darum setzte ich, dem kopfschütlelnden Alten für seinen guten Rath dankend, meine Wanderung fort. Die schmale Treppe verlassend, wandte ich mich dem Hauptthurme zu. Röhren, die übereinandergeschlungen sich durch den Eingang zwängten, machten es mir unmöglich, darüber hinweg zu schreiten; ich mußte darunter wegschlüpfen, und während dies geschah, ging die ebengehörte, wohlgemeinte Warnung in Erfüllung: aus einem der Schläuche überströmte mich eine Fluth eiskalten Wassers und machte mir die Thatsache fühlbar, daß ich die höchste Potenz des Naßwerdens doch erst noch zu erreichen hatte. Meine Pelzmütze troff von Wasser und Schmutz, und dieselben elementaren Bestandtheile durchtränkten meine Kleider und füllten meine Stiefel.

So nahe an dem ersehnten Ziele ließ ich mich indeß durch nichts mehr abschrecken. Jetzt kamen schon die großen Glocken, friedlich und ruhig hingen sie neben einander; an ihnen, sowie an dem schweren Gebälk hafteten große Eisstücke in phantastischen Formen. Darüber rieselte und sickerte das Wasser hinunter in die schwarze Tiefe. Ich aber stieg weiter empor auf schwankenden Holzstufen, durch Dampf und durch Schutt; durch die halbdurchgebrannte Decke rieselten noch glühende Kohlen und heißes Steingeröll herunter und zischten in die Wasserpfütze, die den Boden des Raumes bedeckte. Dabei erdröhnte der ganze Bau über mir von dumpfen Schlägen.

„Haltet ein, Ihr da oben!“ Mit diesen Worten stürmte ich mein Skizzenbuch fest an mich drückend, über den heißen, qualmenden Schutt hinaus in das ehemalige Glockenstübchen, wo ich mich bald mitten in einer dichten Rauchwolke befand.

„Wer kommt denn jetzt da herauf? Was wollen denn Sie hier?“ hörte ich fragen, aber mir versagte die Antwort beim grausigen Anblick, den das ehemals so trauliche Stübchen mir bot. Das innere Achteck, welches den Holzbau des Glockengebälkes trug, ragte vor mir ausgebrannt, geschwärzt, wie eine riesige Zackenkrone in den kalten Januarhimmel hinauf; glimmende und verkohlte Balken standen da und dort noch dazwischen; zu bizarren Gestalten erstarrt, hingen die geschmolzenen Kupferziegel sowie die kupferne Bekleidung der Balken in das Innere herein, das hoch aufgefüllt war mit glimmendem Gestein und geschmolzenem, in tausenderlei Form unter dem schwarzen Schutt hervorblitzendem Metall. Im Mittelgrund hatte sich ein Paar vom Rauch und Dampf unkenntlich gemachte Gestalten herabgebeugt – sie hatten die Glocke gefunden, die hier, geborsten, noch halb im Schutt versenkt lag. Und hier, hart daneben, der geschwärzte Kamin mit seinem heimlichen Thürchen, das, halb geschlossen, des langjährigen Freundes zu warten schien, der jenen so oft erwärmt – das Alles zusammen war ein Bild des Grauens und doch wieder so übermächtig groß, das letzte Ringen des Elementes mit dem Menschen darstellend.

„Ja, was wollen Sie denn eigentlich hier oben?“ tönte es wieder in mein Ohr und riß mich aus meinem Sinnen.

„Zeichnen,“ gab ich ruhig zur Antwort.

„Zeich–nen?“ rief der brave Feuerwehrmann mit weitgeöffneten Augen, „zeichnen?“ und maß mich schon vom Fuß bis zum Kopf mit seinen Blicken. Ich aber öffnete mein Skizzenbuch und warf mitten in dem Höllenbrodem, unter dem Knistern und Krachen der einstürzenden Balken und Mauern und unter den schütternden Axtschlägen der Rettungsmannschaft, mit flüchtigen Strichen das Bild hinein, das jetzt vor den Augen der Leser liegt.

Man ließ mich ruhig gewähren, und als ich zu Ende gekommen, stieg ich, froh des gelungenen Abenteuers, mit weniger Hindernissen, als sich dem Aufklimmen entgegengestellt, hinab in’s gewöhnliche Leben und Treiben der Menschen.



  1. Bekanntlich entlud sich am 6. Januar d. J. ein merkwürdiges elektrisches Gewitter über einen großen Theil von Deutschland, zumeist von einem heftigen Sturme begleitet. Unter den mannigfachen Verwüstungen, welche dies Unwetter an verschiedenen Orten, namentlich in Süddeutschland, anrichtete, wo ihm u. A. die Burg Hohen-Rechberg in Schwaben und mehrere Kirchthürme in der Nähe von Würzburg und Erlangen zum Opfer fielen, ist vor allem die Zerstörung eines der schönen Thürme der herrlichen St. Lorenzkirche zu Nürnberg zu beklagen, dessen obere schlanke Spitze, vom zündenden Blitzstrahl gegtroffen, bis auf die Steingiebel ein Raub der Flammen wurde.
    Die Redaction.