Das Concert
[423] Das Concert. (Mit Illustration S. 409.) Weshalb die Resi beim Vogelnazi vorgesprochen ist, das weiß ich nicht. Ob sie nach Händln fragt, ob nach Küchenzeug aus dem Pflanzenreiche – die Radi liegen da nur so herum – kann ich nicht sagen. Bier hat sie geholt, das ist gewiß, und weshalb sie da steht und horcht und vergnügt ist, das ist auch zu sehen. Der Vogelnazi hat sie nicht ausgelassen, sie muß dem Dompfaffen sein Neuestes hören.
Und da pfeifen sie alle Beide, der Vogelnazi mit seiner Querpfeife und der Dompfaff mit seinem Schnabel. Was? Irgend ein G’sangl, aber ein langsames. Denn der Dompfaff ist ein langsamer Herr und muß schon jeden Ton ordentlich hören, ehe er ihn pfeifen kann.
Merkwürdiges Volk sind sie Beide, so ein Vogelnarr und so ein Dompfaff mit dem aschgrauen Röckl und schwarzen Käppi und rothen Brustlatz. Ich weiß es von Einem, der mich sehr nahe angeht und der zwar jetzt nur Canarienvögel züchtet, aber vordem auch Dompfaffen lehrte, übrigens selber nur ein Vogelzüchter, aber kein Vogelnarr ist.
Ein richtiger Vogelnarr schläft am liebsten dicht bei seinen Vögeln, und früh zieht er sich kaum das Nothdürftigste an, dann geht er erst einmal an die Käfige und pfeift. Er braucht weder Frau noch Kind, und hat er sie, so kommen sie in seinem Herzen erst nach den Vögeln. Dabei können sie immer noch gut versorgt sein, denn die Vögel sind sehr gut versorgt. Er braucht keine Unterhaltung, denn er hat nie Langeweile. Er ist anspruchslos, denn die Vögel geben ihm soviel Glück und Vergnügen, als er wünscht. Und wenn ein Engel vom Himmel käme, der Vogelnazi würde kein so verklärtes Gesicht machen, wie wenn der Dompfaff ein neues G’sangl ausgepfiffen hat, ohne einen Fehler zu machen.
Und so ein Dompfaff!
Er hängt vorm Fenster und der Vogelnazi kommt nach Hause. Er ist noch zwanzig Schritt von der Thür mit seinem Karren, aber der Dompfaff sieht ihn. „Däk – däk – däk“ – lang und schmelzend zieht er den Willkomm, und dazu macht er gravitätisch tiefe Reverenzen, erst rechts, dann links hinüber. Und dann um die Mittagsstunde, wenn der Nazi ihn auf den Tisch gestellt hat und sein Schläfchen machen will und Alles so still ist, dann hebt er an zu zwitschern, ganz leise, aber reizend. Er hat etwas Sentimentales, Zartes, Altjüngferliches an sich, so behäbig er aussieht und so funkelnd die kleinen schwarzen Aeuglein sind.
Aber so sind alle Dompfaffen, das ist noch nichts Besonderes. Pfeifen lernt noch lange nicht jeder Dompfaff: nur der Künstler, der geborene. Man kann ein Nest junger Dompfaffen nach Hause nehmen, und man ist nicht sicher, daß auch nur einer davon ein Künstler ist und pfeifen [424] lernt. Aber wie pfeift er dann auch! Mit einer Süßigkeit des Pfiffs, wie kein andrer Vogel. Selbst die Querpfeife des Vogelnazi kreischt dagegen. Und wie er die Tonhöhe festhält! Wenn er für sich allein pfeift, fängt er nicht etwa das eine Mal mit c, das andere Mal mit d an. Zuerst wird der richtige Anfangston ausprobirt; sagen wir c. „Tüht“ – das war a; falsch. „Tüht“ – d, wieder falsch. „Tüht“ – cis, das paßt schon besser. „Tüht“ c, richtig. Nun kann’s angehen.
Zarte Geschöpfe sind sie, diese Dompfaffenkünstler, die allerzartesten ihres Geschlechts. Sie haben Nerven, ganz unglaublich empfindsame Nerven. Ein unerwarteter Donnerschlag – und sie hören auf zu leben. Ich sehe ihn noch: ein wunderbarer Pfeifer war es, und er hing vor dem Fenster des Mannes, der mich, wie ich sagte, nahe angeht. Es war an einem sonnigen Frühlingsvormittag. Da flattert es im Käfig – noch ein paar Zuckungen in Krämpfen, ein paar matte Flügelschläge, und aus war es mit ihm.
Warum?
In der blauen Luft droben schwebte ein Bussard.