Textdaten
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Autor: Balduin Möllhausen
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Titel: Das Canalboot
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 684-686
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Schilderungen aus den westlichen Theilen Nord-Amerika’s.
Das Canalboot.
Von Balduin Möllhausen.

Das Canalboot Nordamerika’s verdient als Mittel zum Transport von Reisenden und Gütern gewiß nicht weniger Interesse, als Dampfboot und Locomotive, und die für dasselbe erbauten Canäle helfen das ungeheure Netz vervollständigen, welches durch Seen, Flüsse und Eisenbahnen auf dem colonisirten und civilisirten Theil des großen Continents gebildet wird.

Mit Recht nennt man die Vereinigten Staaten, was das Reisen anbetrifft, das Land des Comforts; denn Gasthöfe können nie Anspruch auf Ruf und in Folge dessen auf zahlreichen Besuch machen, wenn nicht ausgesuchte Bequemlichkeiten den Gast in denselben erwarten; Dampfboote dürfen nicht auf fashionable Passagiere rechnen, wenn sie von andern hinsichtlich der den Reisenden gebotenen Annehmlichkeiten übertroffen werden, und sogar auf den Eisenbahnen scheut man größere Umwege nicht, wenn man sich dafür des Vortheils eines mit Büffet, Eiswasser und nicht selten mit Betten ausgerüsteten Wagens erfreut.

Weniger bequem als Hotel und Dampfboot, weniger schnell als die Locomotive, aber nicht weniger originell und in seiner Art comfortable ist das Canalboot. Man unterscheidet zwei Arten desselben, nämlich das Passagierboot und das Frachtboot, welchem letzteren man, seiner weiten Landreisen wegen, eine Amphibiennatur zuschreiben möchte. In Größe und äußerer Form sind beide einander sehr ähnlich, nur daß ersteres sich durch das zum Aufenthalt von Reisenden eingerichtete Verdeck, so wie durch die kleinen Fenster auszeichnet, welche in schmalen, aber regelmäßigen Zwischenräumen die Seitenwände zieren. Außerdem wird dasselbe auch, statt wie das Güterboot von zwei, von drei Pferden gezogen, und diese eilen, statt im gewöhnlichen schweren Schritt, in leichtem Trabe mit ihrer Last von Station zu Station.

Wenn man nun z. B. nach langer Fahrt auf der Eisenbahn von New-York aus die großen Süßwasserseen erreicht hat, so ist es ein Genuß, sich auf einen der prächtig ausgestatteten Dampfer zu begeben, und in diesem in weitem Bogen den Erie-, den St. Clair-, den Huron- und den Michigan-See, jeden einzeln der Länge nach zu durchfahren. Steigt man dann nach fünf- oder sechstägiger Reise in Chicago an’s Land, und das Ziel liegt noch weiter südlich, so geht man hinunter zum Canal, wo Boote bereit sind, den Reisenden auf einer schmalen aber sehr regelmäßigen Wasserstraße durch Wälder und Prairien, durch Städte und Dörfer an den Illinois-Fluß zu bringen, wo wieder mächtige Dampfer harren, um die Weiterbeförderung nach dem Mississippi und, je nachdem man es wünscht, bis an den Golf von Mexico zu übernehmen.

Nachdem man den stolzen Seedampfer verlassen, fühlt man sich freilich beengt auf dem schlanken mastlosen Fahrzeuge, dessen Länge nicht fünfzig und dessen Breite nicht zwölf Fuß übersteigt, doch gleicht sich dieser Unterschied sehr bald wieder aus, wenn man die entsprechende Breite des Canals in’s Auge faßt, und vom Verdeck oder von den niedriger gelegenen Kajütenfenstern aus die Ufer zu beiden Seiten beobachtet, wo man jeden bunten Kiesel, jede schillernde Blume, ja jeden prächtigen Falter genau zu unterscheiden vermag, der, träge an den Blüthenkelchen hängend, dieselben ihres süßen Inhaltes beraubt.

Fast der ganze innere Raum des Bootes ist natürlich zur Kajüte eingerichtet, und nur im Hintertheil befindet sich ein Verschlag zum Aufbewahren der Matratzen, so wie im Vordertheil die kleine Küche, in welcher gewöhnlich einige Neger mit der Zubereitung von massenhaften und wohlschmeckenden Speisen beschäftigt sind, eine überaus wichtige Arbeit, von welcher vorzugsweise der Ruf eines solchen schwimmenden Speisehauses abhängig ist. Die sieben Fuß hohe Kajüte bietet, weil leicht bewegliche Tische und Stühle nicht zu viel Platz einnehmen, einen nothdürftigen Aufenthaltsort für ungefähr dreißig Personen, und da durch das Oeffnen der gegenüberliegenden Fenster eine beständige Zugluft erhalten wird, so entsteht nie eine ungesunde Atmosphäre, und selbst im hohen Sommer wird auf diese Weise in dem verhältnißmäßig beschränkten Raume eine ganz erträgliche Temperatur hergestellt. Wenn irgend das Wetter es gestattet, begeben sich übrigens die meisten Passagiere auf das Verdeck, wo Bänke, Stühle und Gepäck hinlänglich Sitze, und wenn erforderlich, ein leinener Baldachin Schutz gegen die sengenden Strahlen der Sonne gewährt.

Außer den beiden sich gegenseitig ablösenden Steuerleuten, welche mittelst eines leichten Ruders das Fahrzeug in der Richtung halten, und etwa fünf Negern gehören noch ein Capitain und ein Secretair zu der Bemannung. Berücksichtigt man nun, welche Summen nothwendig sind, den Anforderungen und Bedürfnissen eines solchen Personals zu genügen, ohne dabei der Erhaltung des Canals und der Zugthiere zu gedenken, so läßt es sich leicht ermessen, welche bedeutende Geschäfte mit diesen unscheinbaren Booten gemacht werden. Wie schon eben bemerkt, wird das Passagierboot von drei Pferden gezogen. Auf dem ebenen, dicht am Canal hinführenden Wege eilen dieselben in schnellem Trabe den Stationen zu, wo die Ablösung ihrer harrt. So reist man auf diese Weise sehr schnell und außerdem sehr gemächlich. Es sind keine Wogen da, welche die Seekrankheit erzeugen, keine verborgenen Baumstämme, welche das Fahrzeug mit einem Leck bedrohen, kein erschütterndes Arbeiten der Maschinen oder betäubendes Rasseln auf eisernen Schienen. Leise, ohne anzustoßen oder zu schwanken, gleitet das Canalboot auf seiner spiegelglatten Bahn dahin, und nur zeitweise vernimmt man den unmelodischen, langgedehnten Ton aus der kurzen Trompete des Capitains, wenn er seine Ankunft auf den Stationen anmeldet, oder zum Schließen und Oeffnen der Schleußen auffordert, in welchen das Fahrzeug bald hoch hinaufgehoben, bald tief hinabgelassen wird.

Die Zeit wird von den Passagieren auf verschiedene Weise hingebracht, größtentheils aber mit Lesen, Schlafen und Essen; denn der Amerikaner neigt zu wenig zum geselligen Verkehr hin, als daß er der bloßen Unterhaltung wegen mit fremden Menschen auf einige Stunden oder Tage Bekanntschaft schließen möchte, und nur ein geringer Theil wendet seine ungetheilte Aufmerksamkeit der stets wechselnden Naturumgebung zu.

In einschläfernder Ruhe verstreicht daher die Zeit; plötzlich tritt ein Neger in die Kajüte und fordert die anwesenden Passagiere sehr höflich auf, sich auf’s Verdeck zu verfügen, und Raum zum Aufstellen der Tische und zum Anrichten der Speisen zu gewähren. Schweigend leistet Jeder Folge, sucht indessen dort oben keine Ruhe, sondern einen günstigen Punkt, von wo aus er auf das gegebene Zeichen am schnellsten wieder hinabgelangen kann, um sich einen guten Platz am obern Ende der Tafel zu sichern. Endlich ertönt die Glocke; Alles stürzt hinab; einiges Schieben und Drängen folgt; man vernimmt Klappern von Tellern, Messern [685] und Gabeln, und funfzehn Minuten später sitzen alle Passagiere wieder oben, um lesend, Nüsse knackend, kauend oder auch, was weniger ansprechend, die Zähne reinigend das Ausräumen der Kajüte abzuwarten. Dasselbe Schauspiel wiederholt sich gegen Abend, nur daß dann, nach Entfernung der Tische, die Neger zum Aufschlagen der Betten schreiten, welche an den Wänden zu dreien übereinander angebracht werden, sodaß sie an sinnig zusammengeketteten eisernen Stangen theils von der Decke nieder hängen, theils sich auf den Boden stützen, und nur einen schmalen Gang in der Mitte offen lassen. Wiederum erfolgt ein allgemeines Wettrennen, denn Jeder trachtet eins der obern Betten zu erlangen und weicht oft nur der Gewalt, um sich mit einem der untern zufrieden zu geben. In dem durch eine bewegliche Wand für die Damen abgeschiedenen Theile geht es dagegen stille zu, indem der Amerikaner bei seiner lobenswerthen Hochachtung vor dem schönen Geschlecht, wo nur immer thunlich, demselben mit Freuden die größeren Bequemlichkeiten gönnt.

Das allgemeine Entkleiden dauert nur wenig Minuten; Uhren und Geldbörsen wandern unter die Kopfkissen, und bald darauf verschwindet Jeder hinter dem Mosquitonetz, welches sein Bett zum Schutz gegen die bösen nächtlichen Feinde umgibt.

Das Canalboot und sein Landtransport.

Die unerbittlichen Neger beginnen ihr Werk des Weckens schon in aller Frühe. Aus den Betten geht es zu einem Aufwärter, um die während der Nacht aus dem geheimsten Winkelchen des Lagers entwendeten und frisch geschwärzten Stiefeln gegen ein gutes Trinkgeld einzulösen; von dort führt der Weg an die gemeinschaftlichen Waschbecken und Handtücher; demnächst hinauf auf’s Verdeck und wieder hinab an den Frühstückstisch, und alles dieses in so schweigender Weise, daß man oft sein Ziel erreicht, ohne auch nur den Namen eines einzigen Mitreisenden, und von Manchem kaum den Ton seiner Stimme vernommen zu haben.

Die Güterboote nun, oder vielmehr ein großer Theil derselben, sind indessen nicht an ein und denselben Canal gebunden, sondern unternehmen, um der zeitraubenden Arbeit des Umladens überhoben zu sein, oft weite Reisen auf den Eisenbahnen, um auf andere Canäle und kleinere schiffbare Flüsse zu gelangen. Zu diesem Zweck sind sie so gebaut, daß der Stern, der Rumpf und das Vordertheil durch drei besondere Kasten gebildet werden. Mittelst starker eiserner Haken und Krampen sind diese drei Theile so genau und fest mit einander verbunden, daß nur eine kaum wahrnehmbare Fuge die Stellen bemerklich macht, wo die das Fahrzeug vervollständigenden Kasten von einander getrennt werden können.

In diesem Zustande legt das mit Gütern schwer befrachtete Boot seine Reise auf dem Canal bis dahin zurück, wo seine Ladung eine andere Richtung auf der Eisenbahn einzuschlagen bestimmt ist. Dergleichen Stationen befinden sich gewöhnlich, wo ein Höhenunterschied des Wasserspiegels Schleußen nothwendig gemacht hat. Eine abgesonderte Schleuße ist zur Verladung der Frachtboote bestimmt, und von der nahen Eisenbahn führen Schienen bis in das Becken hinein. Soll nun ein Fahrzeug auf die Eisenbahn geschafft werden, so schiebt man drei zur Aufnahme bestimmte Wagen in die trocken gelegte Schleuße, schließt die Ausgangspforten, und demnächst wird das Wasser zugelassen. Mit Leichtigkeit fährt das betreffende Boot sodann in das angefüllte Becken, die Eingangspforten schließen sich, das Wasser wird abgelassen, die das Boot bildenden Kasten werden von einander getrennt und senken sich, von kundigen Händen in bestimmter Richtung und Lage gehalten, jeder auf den ihm zugedachten Wagen. Eine bereit stehende Locomotive [686] schleppt dann die ganze Last nach der Eisenbahn hinauf, und ehe noch die von Wasser gesättigten Planken wieder ganz ausgetrocknet sind, befindet sich das Fahrzeug vielleicht hundert englische Meilen weiter, um daselbst ausgeladen zu werden, oder um auf einem andern Canal eine neue Reise zu unternehmen. So hat man oft Gelegenheit, eine ganze Reihe dieser eigenthümlichen Boote zu beobachten, die auf starken Rädern ruhend der dampfenden Locomotive mit Windeseile folgen.

Für mich hatten die Fahrten auf dem Canalboot noch ihre besonderen Reize, denn es hinderte mich nichts, hier eine schöne Baumgruppe, dort einen malerischen Felsen zu skizziren, und während des Haltens, beim Wechseln der Pferde, oder beim Einnehmen solcher Passagiere, die nur eine kurze Strecke mitzufahren wünschten, irgend eine seltene Blume oder einen schillernden Falter zu erbeuten. Uebte die Hitze während des Tages auch wirklich einen störenden Einfluß, so bot der Abend dafür in doppeltem Grade seine Genüsse, und lange noch, wenn außer dem Steuermann Alles an Bord schlief, saß ich oben auf einer Bank und erfreute mich der zauberischen Ruhe, welche auf den dunkeln Landschaften lagerte. Bald im tiefen Schatten mächtiger Urwälder, bald durch mondbeleuchtete Prairien glitt das Fahrzeug leise dahin; wie umherschreitende riesenhafte Ungeheuer nahmen sich die in den Wiesen zerstreut stehenden Bäume aus, wenn sie in der Ferne sich scheinbar an einander vorbeischoben; den dichten Forst dagegen belebten zahllose kleine Leuchtkäfer, die in schnellem Fluge tausendfache bläuliche Feuerlinien zwischen den schwarzen Laubmassen zeichneten. Das Wasser plätscherte vor dem Bug, gedämpft erklang der Hufschlag der trabenden Pferde, melancholisch ertönte der Ruf des Ziegenmelkers; aber aus der Ferne vernahm ich, je nachdem es durch Wildnisse oder an Ansiedlungen vorbei ging, das Bellen wachsamer Hofhunde oder das Geheul einsam jagender Wölfe.