Textdaten
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Autor: Karl Wolf-Meran
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Titel: Das Burgfest auf Runkelstein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 348–350
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Burgfest auf Runkelstein.

Von Karl Wolf–Meran. Mit Abbildungen von Fritz Bergen.

Es ist ein eigener Zauber, welcher die Bewohner des nördlichen Abhanges der tirolischen Alpen bis hinein in die weite Ebene nach Süden lockt, nach jenem gesegneten Lande, wo auf rebenumsponnenen Hügeln, dicht in Epheu gehüllt, die alten Ritterburgen stehen und wo die Ebene aussieht wie ein Zaubergarten voller Blüten, wenn im Norden noch die kalten Winde über die Heide fegen.

Wer einmal den Frühling im südlichen Tirol geschaut, den packt es wie Heimweh, wenn der launische April sein Regiment antritt. Wie ein Apostel verkündet er die Herrlichkeit des Tiroler Landes, und so kam es, daß von Jahr zu Jahr die lieben Gäste aus dem Deutschen Reiche immer in größeren Massen die Umgebung von Bozen und Meran bis hinab nach Riva im Frühling durchschwärmen.

„A, da schaugt’s her, dös ist ja d’ Vorstadt von Münka,“ rief einmal ein gemütlicher Bayer, als er eines Tages bei der Abendmusik auf dem Johannisplatz in Bozen überall die heimatlichen Laute von den an Tischen sitzenden Gästen. Die Südbayern sind auch die eifrigsten Tiroler Pilger zur Osterzeit. Sie kennen jeden Weg und Steg, jeden schönen Aussichtspunkt, jeden Weinschank und jeden Bauern, der einen guten Tropfen in seinem Keller lagern hat, und ihr Hauptquartier schlagen sie in Bozen in der Weinschenke „Batzenhäusl“ auf.

Datei:Die Gartenlaube (1897) b 348.jpg

Burg Runkelstein.

     Einzug der Festgäste in den Burghof.

Die Verwaltung des sich prächtig entwickelnden Kurortes Gries bei Bozen hat nun heuer die Gelegenheit ergriffen und ein großes Fest arrangiert, dessen Entwurf und Durchführung von den vielen im Frühjahr in Bozen weilenden deutschen und österreichischen Künstlern thatkräftig gefördert wurde. Der Reinertrag sollte der herrlichen Erzherzog-Heinrich-Promenade in Gries zufließen.

Durch die Freigebigkeit des Kaisers von Oesterreich gelangte die Stadt Bozen neuerdings in Besitz der prächtigen, restaurierten Burg Runkelstein ob der Talfer, auf welcher die edeln Herren „Vintler ze Botzen“ einst hausten und dort, nebst der Gastfreundschaft, auch der Kunst und dem Minnegesang huldigten.

Der dem Feste zu Grunde liegende Gedanke war nun folgender: Oswald von Wolkenstein, der ritterliche Tiroler Minnesänger, hat im Jahre 1417 Margarethe von Schwangau geheiratet und zieht mit seiner jungen Gemahlin, den Verwandten und Freunden und einem wehrhaften Troß, der Einladung des Burgherrn Franz des Vintlers folgend, aus dem Bayerlande zum Besuche nach Runkelstein bei Bozen.

Nun wollte „der Burgermeister der ehrenfesten Statt Botzen, Niklas Hochgeschoren“, die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen und zeigen, wie die „wohlersambe Burgerschaft der Statt“ mit den edlen Herren auf Runkelstein „in gueter Eimbvernehmniß“ lebe, und er ladet die aus Bayern gekommenen Gäste und Edlen, den gewaltigen Elefantenbund der Ritterschaft des Etschgaues sowie „den Burger“, so auch das gemaine Volk zu einem großen Ritter- und Volksfeste auf dem Talfergelände ein. Das bildete die Vorfeier des eigentlichen Festes und – jeder Festunternehmer oder Arrangeur kennt die Bedeutung des Wortes – den Hauptkassapunkt. Die Schlußzeilen des Ladespruches sind so recht ein hoffnungsvoller Seufzer aus beklemmter Komiteebrust. Der Obmann des Finanzkomitees, vermeine ich, hat sie gedichtet

„– – wir thaten alles, was wir schuldig waren,
und sind noch alles schuldig, was wir thaten!“

Als am Ostermontag aber die Züge von Norden und Süden immer neue Menschenmassen herbeischleppten und kein Kämmerchen mehr in der Stadt und Umgebung zu haben war, da mußte das Wirtschaftskomitee, fast erschrocken ob solchen Andranges, rasch noch um Proviant in die Stadt schicken und als sich der mächtige Festplatz mit seinem schönen Burgportal, den originell erbauten Restaurationen und Buden, den großen Tribünen mit Tausenden von Gästen füllte, da fiel den Arrangeuren ein Stein vom Herzen.

In den ersten Nachmittagstunden begann vom Platze vor den Stadtsälen aus der Aufzug der „fürnemben Gäste zum Festplatz“ durch die Hauptstraßen der Stadt.

Voran kam die Gruppe der Stadt Bozen mit Fanfarenbläsern und Reisigen, mit Ratsherren und Bürgern ihr folgte die Gruppe der Bayern, deren Mittelpunkt Oswald von Wolkenstein und seine jugendliche Gemahlin bildeten, dann erschienen die Minnesänger und zuletzt die Runkelsteiner mit ihrem Herrn Franz dem Vintler und dessen Schwester Katharina. Eine Jagdgruppe und berittene Bauern bildeten den Schluß des festlichen Aufzugs.

Die Kostüme waren durchweg schön und dem Zeitalter angemessen. Besonders die Frauen und Mädchen zeigten viel Geschmack in der Farbenwahl und, was ich ganz besonders hervorheben möchte, Unterordnung unter die künstlerische, sachverständige Anleitung. Am originellsten war die Gruppe der Jagdknechte und sehr herzig jene der Schulkinder mit dem Schulmeister, welche, von den Spielleuten begleitet, den Festplatz ungemein belebten, da sie herumzogen und mit ihren hellen, frischen Stimmen alte Volkslieder sangen.

[349] Durch allerlei Volksbelustigungen wurde der Festplatz an der Talfer belebt. Man sah allerlei Spiele des „Gesindes“, den Fünfkampf, das Hahnenstoßen, Gerwerfen und dergleichen.

Das Ringelstechen der Bauern erregte ein allgemeines Hallo, denn die wackeren Ackergäule waren mit dieser Programmnummer durchaus nicht einverstanden – zum Glück für gar manchen Reiter.

Das fröhliche Treiben auf dem Festplatze währte bis zum späten Abend und die Buden, in welchen liebliche Frauen und Mädchen allerlei Leckerbissen verkauften und den Durstigen beisprangen mit Champagner, feurigem Tiroler oder Bier, waren bis in die Nacht hinein förmlich belagert. Die fremden Festteilnehmer verzogen sich mit Einbruch der Dunkelheit, um den Abend so recht nach Bozner Weise zu beschließen – im „Batzenhäusl“ oder im neu erbauten „Torggelhaus“, wo die edlen Tropfen alle in den Gläsern wie Rubine funkeln, oder auf dem weltberühmten Johannisplatz, wo die Leute vor den Restaurationen auf der Straße sitzen und Walther von der Vogelweide auf seinem Postamente sinnend herunterschaut ins welsche Land.

Der Osterdienstag gehörte dem Feste auf der Burg Runkelstein selbst.

Wie der Weg zu den Meraner Volksschauspielen hinaus zum Vintschgauer Thor und dann mitten durch herrliche Obstanger vor sich die prächtige Hochgebirgsgruppe der zackigen „Ziel“ und „Röthel“, den Wanderer in die richtige Stimmung versetzt, so wird der Besucher von Runkelstein – „Runglstuan“ im Volksmunde – in gleicher Weise angeregt, wenn er den Zugang über die sogenannte Wassermauer wählt. Dieser Schutzbann wurde schon vor mehreren hundert Jahren errichtet, und der nach Hochgewittern oder Herbstregentagen im Sarnthale so wilden Talfer den Einbruch ins sogenannte Dorf und in die Stadt zu wehren. Die Talfer baute sich eine mächtige Stein- und Schutthalde auf, welche die Aufhöhung der Mauer mehrfach nötig machte, und so schaut der Wanderer tief hernieder zur Rechten auf die üppigen Wein- und Ziergärten, welche die alten Herrensitze „Stillendorf“, „Gess’lburg“, Schloß „Naretsch“ mit dem großen viereckigen Wehrturm und den originellen Rundtürmen usw. umgeben.

Datei:Die Gartenlaube (1897) b 349.jpg

Gerwerfen der Knappen. 
 Ringelstechen der Bauern.

Auch mancher „Zuacherg’lossner“, wie der fremde Ansässige von den Leuten genannt wird, hat sich hier niedergelassen, darunter auch Meister Defregger.

Hinten am Bergabhang bemerkt man die ausgebauten erzherzoglichen Gärten sowie den Magnolienhain der Gebrüder Streiter. Den Abschluß bildet St. Anton, eigentlich der Ansitz Klebenstein mit den ausgedehnten, daneben stehenden Gebäuden der Aktien-Baumwollspinnerei.

Vom nördlichen Bergabhang herüber grüßt die Ruine Rasenstein, ’s Sarner Gschloß, wie die Bauern sagen, und zur Rechten blickt der Turm des St. Peterskirchleins aus den Rebenranken. Den Wanderer nimmt ein schöner Kastanienhain auf und bald steht man am Aufgange zur wiedererstandenen Burg Runkelstein. Ein schöner kühner Bau auf steilem Felsen, so recht gemahnend an die Zeit, wo der Schloßherr auf der Hut sein mußte vor Fehde führenden Nachbarn. Und mit Recht! Schon der Erbauer Friedrich von Wanga mußte dies (1237) erfahren, denn in dem Streite zwischen dem Bischof von Orient und den Grafen Meinhard von Tirol wurde die Burg zerstört.

Nach mannigfachen Zwischenfällen kam sie endlich an die Vintler von Bozen (1685), welche sie wieder mit Gräben, Türmen und Vorwerken herstellen ließen. Aus dieser Zeit stammen auch die hochberühmten Fresken, welche die Sage von Tristan und Isolde, Scenen aus dem Sagenkreis von König Artus’ Tafelrunde darstellen. Ein großer Teil dieser Fresken ist heute noch gut erhalten. In dieser Glanzzeit des „Geschlosses auf dem Rungelstein pei Botzen“ spielte das heutige Fest, für welches man große Zurüstungen getroffen hatte.

Am äußeren Burgthore standen die ersten gewappneten Posten und nach der Legitimierung zog man den Vorplatz hinauf gegen das zweite Burgthor. Unvergleichlich schön ist von hier aus der Blick in das Etschthal, auf die gewaltigen Massen der Mendel mit den dunkelblauen Hochwaldungen die ausgedehnten Weingärten von Ueberetsch bis herein zu den Boznerböden. Blühende Obstbäume allenthalben, Schlösser, Edelsitze, Bauerngehöfte und Dörfer, und darüber wölbt sich der dunkelblaue Himmel – kurz der Herrlichkeit kein Ende.

Aus meiner Träumerei wecken mich helle Fanfaren der am zweiten Thor aufgestellten Spielleute. Der edle Herr von Vintler steigt mit dem Gefolge hernieder zum Empfang seiner Gäste, des ritterlichen Sängers Oswald von Wolkenstein mit seiner jungen Gemahlin, der schönen Schwangauerin aus Bayerland, und deren Troß. Nach Etschländer Sitte wurde erst ein kräftiger Willkommentrunk genommen von Herr und Knecht, gastfreundliche Red’ und Gegenrede wurde gehalten, und dann zog man ein in die festlich geschmückte Burg, von der Scheffel singt.

„Noch heute freut’s mich, o Rungelstein,
Daß einstmals zur guten Stunden,
In der Talfer felsenges Thal hinein
Zu dir den Weg ich gefunden.“

Von den Fenstern und Söllern schwebten Kränze herab und wehten Wimpel, gastlich waren die Thore zum mächtigen Keller geöffnet und holde Jungfrawlein kredenzten schäumendes Bier, weißen und roten Wein. Auch allerlei „Imbiß“ reichten sie, der freilich nicht der Zeit des Festes entsprach, ebenso wenig wie das moderne Programm der aufgestellten Regimentskapellen von welcher sogar ein Teil in voller Uniform den Sang Walthers von der Vogelweide begleitete, der aus den Gefilden der Seligen mit anderen Minnesängern einer älteren Zeit herbeigekommen war, um den [350] Lorbeer zu kämpfen. Die holde Schloßfrau aber war gnädig und bekränzte die Sänger alle, die sich zum Wettkampf gemeldet, und das Volk jubelte dazu.

Ritter vom Elefantenbunde.

Die Jagdknechte, in einer Ecke um den Humpen gelagert, logen das Blaue vom Himmel herunter, die Schuljungen sangen, die Fanfaristen bliesen sich die Kehlen trocken, und immer lustiger, immer fideler wurde es im Burghof.

Ich durchzog die mit herrlichen Fresken geschmückten Räume des alten Schlosses und fand einen stillen Erker mit Bank. Das kleine Fensterchen mit den Butzenscheiben zog ich in die Höhe und schaute bewundernd hinein in das wilde Sarnthal. Tief im Abgrunde rauschte die Talfer, wie die Ameisen zogen unten auf der weißen Straße die Menschen nach dem nahen Schloß Ried und zum Sarner Zoll, denn sie fanden nicht mehr Einlaß auf Runkelstein. Auf allen Hängen blühte und duftete der Frühling, die Vöglein sangen und – wahrhaftig, ich täusche mich nicht! Das ist nicht der Pfiff der Amsel, eine Nachtigall singt im Gebüsche der Wildrosen ihr erstes Lied –

„Unter der Linden
An der Heide,
Wo ich mit meiner Trauten saß,
Da mögt ihr finden,
Wie wir Beide
Blumen brachen und das Gras.
Vor dem Wald mit süßem Schall
      Tandaradei! –
Sang im Thal die Nachtigall.

Walthers von der Vogelweide tiefsinniges Liebeslied zog mir mit seinem jubelnden Klang durch den Sinn …

Es war dunkel geworden, so hatte ich die Zeit verträumt und der größte Teil der Gäste war schon nach Bozen abgezogen.

Und was hatten diese Voreiligen nicht für einen schönen Anblick versäumt!

Die Menschen unten im Schloßhofe waren fast alle im Kostüm. Die Jagdknechte, die Thor- und Turmwächter, die Schildknechte und Wehrmänner waren noch da und die Hauptsache: die Kellerwärtel in voller Zahl. Auch Schenkmädchen huschten hin und her und die ganze Scene wurde von Pechpfannen und Fackeln beleuchtet.

Ein gewaltiges Zechen hatte begonnen, die Spielleute bliesen, die Querpfeife gellte in die Nacht hinaus und dumpf wirbelte die lange Trommel dazu. Dort in der Ecke schnarchte ein bezechter Ritter, seine getreuen Knechte waren in das Würfelspiel vertieft, und dort der alte Bärtige knurrte, wenn einer der Spieler gar zu lange zögerte mit dem Wurfe. War doch der Humpen schon eine Weile leer!

Da und dort sprang einer der Mannen auf den Tisch zu kräftiger Rede oder klingendem Lied, und beides wurde ehrlich begossen mit St. Magdalener oder dem tückischen Riesling, der dem Zecher zu Kopfe steigt und in die Beine sinkt zu gleicher Zeit. Der Rauch aus den Pfannen und Fackeln wirbelte empor zu den Fenstern, Söllern und Zinnen der Burg.

Vorn am Brunnen saß ein gewappneter Mann, lehnte sich schwer auf seine Hellebarde und rückte den Schild mit des Vintlers Wappen auf seinem Rücken zurecht.

„Ein schönes Wappen hast, Herr Vintler,“ brummte er in den Bart. „Lieber wär’s mir, du könntest mit den drei Bärenpratzen jetztern kräftig zulangen, daß ich Menschenkind gesund den verwünschten Schloßberg herunter finde und hinaus gen Bozen.“

Ja, der Riesling auf Runkelstein ist ein tückischer Geselle!