Textdaten
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Autor: D. C.
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Titel: Das Bundesoberhandelsgericht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 527–528
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[527] Das Bundesoberhandelsgericht. Noch nicht zweihundert Jahre sind verflossen. Damals blutete das deutsche Reich aus hundert und aber hundert klaffenden Wunden. Die französischen Mordbrenner und Räuberbanden, d. h. die Soldaten Ludwig’s des Vierzehnten, von denen der Kurfürst von der Pfalz an den bigotten Kaiser Leopold den Ersten berichtete: „und weiln dergleichen unmenschliche Thaten gleichwohl von Türcken, Heyden und andern Ungläubigen, die zwar keine Christen, jedoch Menschen sind, nicht dergestalt verübet worden, so müssen sie auch nicht von Menschen, sondern von dem leidigen Satan herrühren,“ hatten die gesegnete Pfalz mit Feuer und Schwert schonungslos verheert. Ueberall [528] rauchende Trümmer, Mord und Plünderung, Gräuel der Verwüstung und Unmenschlichkeit, die jeder Beschreibung spotten. Zu den unglücklichsten Städten – wenn in diesem Meere von Jammer und Elend eine Steigerung überhaupt möglich ist – gehörte die freie Reichsstadt Speyer. In ihr befand sich nach vielfachen Wanderungen und Wandelungen das höchste Reichsgericht, das Reichskammergericht, und zwar seit dem Jahre 1526. Der Marschall Herzog von Duras hatte die Versicherung gegeben, daß das Kammergericht in seinen gewöhnlichen Functionen nicht gehindert werden sollte, nichtsdestoweniger wurde es am Nachmittage des 19. October 1688 militärisch beseht, die Zimmer wurden versiegelt. Später wurden die Acten auf Befehl des Intendanten de la Grange eingepackt und theilweise nach Straßburg gebracht; doch fanden manche Parteien Mittel und Wege, sie von dort aus zurückzuerhalten. Als im folgenden Jahre das Verderben über Speyer hereinbrach, der Stadt der Brand angekündigt und deren Räumung innerhalb sechs Tagen aufgegeben wurde – da mußten es auch die sämmtlichen Mitglieder des Kammergerichts über sich ergehen lassen, daß ihre Häuser, Bücher und Acten in Rauch aufgingen. Wie sie gingen und standen, so mußten sie auf ihre persönliche Rettung bedacht sein. Sie baten um Verlegung des höchsten Reichsgerichts nach Frankfurt oder Hanau „wegen ihrer guten Gelegenheit an den Strömen und andern sich dabei kundbarlich befindenden Bequemlichkeiten“, aber Frankfurt remonstrirte, weil „ein corpus von so vielen hundert Menschen Victualien und Lebensmittel theuer machen würde“. Vergebens bat die Bürgerschaft zu Mühlhausen in Thüringen (entgegen dem dortigen Magistrate) um Uebersiedelung des Reichskammergerichts, vergebens brachte Kur-Mainz die Stadt Erfurt in Vorschlag; die Stadt Wetzlar wurde mit der Reception bedacht, zum großen Verdrusse der camerales, welche wiederholt den Mangel öffentlicher und genügender Privathäuser gerügt hatten, zur Freude der Stadt, deren wackerer Reichstagsbevollmächtigter, Georg Oehlsperger, die „Räumung und Verbesserung des Rathhauses zum Gebrauch des höchstlöblichen Kammergerichts“ versprochen hatte. Nachdem sie über Jahr und Tag geruht hatten, wurden im Februar 1690 die Kammergerichtsverhandlungen wieder aufgenommen.

Und wieder kam ein französischer Tyrann und bedrohte Deutschland. Die deutschen Reichsstände sagten sich vom Reichsverbande los, sie stellten sich schamlos unter die „Garantie desselben Monarchen, dessen Absichten sich stets mit dem wahren Interesse Deutschlands übereinstimmend gezeigt hätten“. Einer nach dem andern bettelten sie bei Talleyrand um die Erlaubniß zur Existenz, und wie Gnadenbrocken warf ihnen Napoleon Länder und Ländchen vor die Füße. Der deutsche Kaiser legte die verrathene Kaiserkrone am 6. August 1806 nieder, er entband die Fürsten, Stände und alle Reichsangehörige, „insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte“ von ihren Pflichten. Die aus Speyer in fünfhundert Fässern geflüchteten und die späteren Proceßacten wurden alphabetisch registrirt, sie ergaben, die stattliche Zahl von achtzigtausend. Das Repertorium füllte allein sechs riesige Folianten.

Und wieder war es im Monat August, und wieder hatte ein Napoleon, fortspinnend den politischen Faden seines Oheims und Ludwig’s des Vierzehnten, freventlich den Krieg wider uns heraufbeschworen. Aber eine glücklichere Sonne leuchtete Deutschland, eine furchtbare Nemesis kämpfte für uns. Mitten im Waffenlärm, unter den Auspicien des ersten großen Sieges, vollzog sich in Leipzig ein Friedensact, die Constituirung des Bundesoberhandelsgerichts. In einer schwer verhängnißvollen Zeit in Wirksamkeit getreten, bedurfte es noch keines Jahres und der Gerichtshof umspannt das ganze Vaterland, Süd und Nord. Ja, während seine Competenz für Deutschland nur eine sachlich beschränkte ist und mit den particularen obersten Gerichten concurrirt, ist sie für die uns früher geraubten französischen Provinzen eine allgemeine und ausschließliche geworden. Für alle Civil- und Criminalsachen aus Elsaß und Lothringen wird in Leipzig das letzte Wort gesprochen. Es ist uns binnen wenigen Monaten so viel Großes und Erhabenes „über Bitten und Verstehen“ zu Theil geworden, daß die immenseste, folgenschwerste, bedeutungsreichste Friedensthat, die Errichtung des höchsten Reichsgerichts, noch gar nicht zum wahren Verständniß gekommen ist. Wenn dieser Krystallisationspunkt eines einheitlichen deutschen Rechts, Gerichts und Verfahrens den Glanz aller unserer particularen obersten Rechtsbehörden an sich gezogen haben wird, dann erst, wenn der böse Alp der Zerrissenheit gewichen sein wird, mag staunend noch diese Generation verwirklicht sehen, was ihr vor Jahren noch als Ideal vorschwebte, als Traum erschien. Die Stadt Leipzig aber, deß sind wir gewiß, wird eifersüchtig den Juwel hüten, den ein freundliches Geschick zum Heile Deutschlands ihr anvertraut hat!
D. C.