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Titel: Das Bärbel am Arenenberg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 606–607
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[606] Das Bärbel am Arenenberg. Die „Gartenlaube“ brachte neulich interessante Mittheilungen über den Aufenthalt des Prinzen Louis Napoleon im Schlosse Arenenberg, das angesichts der grünen Insel Reichenau freundlich vom Thurgauer Ufer aus das weite, schimmernde Seegebiet herabblickt und durch die jüngste Anwesenheit des Kaiserpaares neues Interesse gewonnen hat. Bei meinem Aufenthalte in dem nur wenige Stunden davon entfernten schweizerischen Städtchen Stein am Rhein wurde mir durch Zufall eine Episode aus der Jugendgeschichte des „neuen Cäsars“ bekannt, die ich im Anschluß an den oben erwähnten Artikel und an die letzte Kaiserreise hier mittheilen will.

Es war zu jener Zeit, als die vielgenannte Dappenthaler Affaire die Gemüther der Schweizer erregte. In der Verletzung des Grenzgebietes glaubte jeder Einzelne sich selbst beraubt, denn es liegt einmal in der republikanischen Erziehung und in der patriotischcn Anschauungsweise des Schweizers, daß er überall in den Interessen des Gesammtstaates seine eigenen Interessen und in den Verhältnissen der Republik seine eigenen Verhältnisse gefährdet sieht. Da schwiegen denn endlich einmal die Stimmcn des „Cantönligeistes“, dafür aber schleuderten die dritthalb Millionen Zungen der vier verschiedenen Nationalitäten, aus welchen die Bevölkerung des Bundesstaates besteht, deutsch, französisch, italienisch und romanisch, wie ein einziger grollender Donner den Bannfluch auf den „undankbaren Schweizerbürger“, welchen einst als heimathlosen Flüchtling das ganze, freie Volk mit Gut und Blut gegen den Machthaber des Thrones zu schützen bereit war, von dem herab er nun selbst die geheiligten Grenzen Helvetiens bedrohte. Man muß die Schweizer kennen, um die Unzahl von Flüchen und Verwünschungen zu begreifen, welche damals auf das Haupt des „neuen Cäsars“ geschleudert wurden; jeder Einzelne wäre ihm gern ein „Brutus“ geworden. Nur Eine hörte ich oft das Toben der Männcr besänftigen und zuversichtlich sagen: „Ich hab’ ihn g’kannt, den Louis, ’s war halt a braver Bursch, i glaub’ nit d’ran, daß er was Böses gegen d’ Schweiz im Sinn hat; ‚undankbar‘ ist er halt nimmer g’si.“

Es war eine gutmüuhige, verständige Frau von kaum mehr als vierzig Jahren, die so sprach. Sie wurde von Jung und Alt die Frau Bärbel genannt und war für mich nicht allein die sorgende Wirthin, in deren Hause ich wohnte, sondern namentlich auch die Freundin, mit deren Familie ich am liebsten verkehrte. Gern hätte ich sie wohl gefragt, woher sie den „Louis“ so genau kenne, allein der Gast hat in nordschweizerischen Häusern eine andere [607] Stellung, als bei uns in Deutschland, und wenn ihm das seltene Glück zu Theil wurde, in einem Familienkreise Zutritt zu erhalten, so thut er wohl, wenn er in politisch bewegten Zeiten die äußerste Zurückhaltung beobachtet. Ich verschob daher meine Frage, bis sich mir auf einem Spaziergange eine passende Gelegenheit bieten würde.

Meine Wirthin liebte nämlich ebenso wenig wie alle Schweizerinnen große, verschwenderische Vergnügungen, Aufwand und Luxus, daher animirte sie mich oft zu gemeinschaftlichen Ausflügen. Auf steilen Fußsteigen stiegen wir dann wohl durch Nebenberge und Wald hinauf zum alten Raubschlosse Hohenklingen, von wo wir über dem Rheinthal und den grünen Vorbergen der Schweiz die Riesen der Alpenwelt in der blitzenden Galauniform ihres Schnee- und Eisregimentes leuchten sahen, oder wir wanderten hinüber nach der alten römischen Ruine Strotsburg, die, wenig gekannt und noch weniger besucht, uns eine herrliche Aussicht über den weiten Spiegel des Bodensees und sein goldschimmerndes Gebiet gewährte. Hier saßen wir eines Nachmittags auf dem zerbröckelnden Gemäuer. Vor uns lag der Untersee mit dem stillen Flecken Radolphszell, fern am Bodensee Constanz mit seinem grauen Münster; näher, dem Oertchen Ermatingen gegenüber, schien das grüne Eiland von Reichenau auf den goldklaren Fluthen zu schwimmen, in denen sich das weinreiche Thurgauer Ufer mit dem neu restaurirten Schlosse Arenenberg spiegelte.

„Da drüben,“ begann meine Gefährtin, „in jenem Dörfli unterm Areneberg, hab’ i meine Kindheit verlebt. Meine Eltern waren früh g’storben und so wurd’ i halt bei einem Onkel, der dort Pfarrer war, erzogen.“

„Ach,“ fing ich, die Gelegenheit benutzend, „dort war es auch wohl, wo Sie die Bekanntschaft des Prinzen Napoleon machten, deren Sie in meiner Gegenwart schon öfter erwähnten?“

„Ei freilich war’s da!“ antwortete sie redselig und mit sichtbarer Befriedigung, daß ihr nun die Gelegenheit geboten war, von einer ‚Jugendbekanntschaft‘ zu erzählen, auf die sie sich nicht wenig einbildete. „Der Louis kam gar oft zu meinem Vetter, seinem Jugendfreund, in’s Haus, und dann war’s halt gar nit, als wär’ a Prinz zu uns kommen. Aber ’s war lange, lange Zeit, da kam er halt nit mehr, und wir hörten nur lauter verworr’ne Ding’ von ihm rede: daß er eing’sperrt sei und dann wieder ausg’rissen und über’s Meer gangen. Und die Hortense, die arme Königin droben auf dem Schloß, ward krank; wir dachten, ’s wär’ halt aus Gram über den Louis, und da wollt’ ich ihr a rechte Freud’ machen und bracht’ ihr die ersten reifen Trauben in’s Schloß, die drunten am See bei uns gereifet; ’s war halt im August! Als i aber in’s Schloß komm’, da steht der Louis, von der Sonne ganz braun g’brannt, und hinter ihm a häßlicher Mohr, den er mit aus Brasilien g’bracht. Und sowie mich der Louis sieht, kommt er au gleich auf mich zu und kneift mi in d’ Backen und sagt: ‚Ach, da ist’s Bärbel auch noch; ei, und wie bist’ groß und hübsch worden, Bärbel!‘ Da mußt’ i mi ordentlich schäme und schlug d’ Augen nieder, weil mich der Prinz so freundlich anschaute, wie sonst; und dabei ließ ich meinen Korb mit den schönen Weintrauben in den Sand fallen. Das war recht schad’ drum. die arme, kranke Königin hätt’ sie g’wiß gern g’essen. Der Louis aber, der hat noch a lang G’spaß macht mit den Weintrauben und i glaub’, er hat die G’schicht heut noch nit vergesse.

Und a paar Tage d’rauf, da spielt’ ich mit meinen Freundinnen, ’s waren ihrer wohl vierzehn oder fünfzehn an der Zahl, auf dem Kirchplatz mitten im Dörfli, als der Prinz vorüberfuhr, und zwar wieder mit seinem unvermeidlichen, garstigen Mohr hinten auf der Chaise. Er erkannte mich, ließ anhalten und frug: ‚Willst’ mitfahren, Bärbel?‘

‚Wenn Sie meine Gespielinnen auch mitnehmen wollen?‘ antwortete ich.

‚Das ist unmöglich, Bärbel!‘ rief der Prinz. ‚Du siehst, daß in meinem Wagen nur noch ein Platz neben mir frei ist; drum komm’ allein!‘

Mit dem Prinzen war, wenn er sich einmal was in den Kopf g’setzt, halt nit z’spaße; und am allerwenigsten durften ihm junge Maidlis trauen; desbalb fingen wir an lachend davonzulaufen. Als ich aber sah, daß er seinen Mohr schickt’, um mich festz’halten, verdoppelt’ ich meine Schnelligkeit. Es half mir nichts, und ich sah mich bald von den schwarzen Armen gepackt. In meiner Angst schrie ich aber so laut, daß dem Prinzen selbst bang’ ward und er seinem Helfershelfer zurief: ‚Na, wenn das Bärbel einmal so spröd’ ist und nit zu mir mag, so gieb ihr einen Kuß und laß’ es laufen.‘

Der Mohr that nach sein’s Herrn Befehl, küßte mich arm’s Ding und ließ mich dann laufen … laufen, sag’ i? und g’brauch halt wohl a falsches Wort; denn als das Schwarzg’sicht seine blutrothen, aufgeworfenen Lippen auf die meinen g’drückt, hatt’ mich der Schreck halb g’lähmt.

Andern Tags war der Prinz wieder bei meinem Vetter. ‚Nun, Bärbel,‘ sprach er, als er mich furchtsam zur Thür hereintreten sah, ‚willst Du das nächst’ Mal lieber den Prinzen Napoleon oder seinen Mohr küssen?‘“

Diese und noch viele andere Episoden erzählte mir die gute Frau; aber alle bezogen sich auf den Arenenberg und das stille „Dörfli am See“. Die Dämmerung war herabgesunken. Am Himmelsgewölbe hatte sich nach und nach das Heer der Sterne entzündet, und hinter den fernen Eisfirsten ging der Vollmond wie eine blutige Flamme auf und spiegelte sich in den zitternden Wellen des Sees, als wir den schmalen Steig durch die Rebenpflanzungen zu unserm Städtchen hinabgingen. Der Abendwind rauschte durch die Zweige und die schwankenden Schatten der Laubkronen waren auf dem hellen Pfade von wunderbarer, fast geisterhafter Wirkung. Abendglocken klangen von nah und fern aus den Bergthälern über dem See zusammen und zwar manche aus solcher Ferne, daß sie wie Töne einer Windharfe von den Abendlüften herübergetragen wurden. Dumpfer aber und feierlicher hallten die Glocken von Ermatingen und dem dabei gelegenen „Dörfli“ am Arenenberg herüber, als uns aus den Straßen des Städtchens, dem wir zueilten, der frohe Gesang des schönen schweizerischen Liedes: „Rufst du, mein Vaterland!“ entgegentönte. In den Gassen herrschte wieder der Frohsinn, den wir seit Wochen vermißt hatten, und als wir endlich über unsere Schwelle traten, kam uns der Hausherr mit dem „Bund“, der bekannten schweizerischen Zeitung, entgegen und rief: „’s ist All’s abgethan und es bleibt halt Friede zwischen Frankreich und der Schweiz. Der Kaiser ist unserm Bundesrath entgegengekommen und hat ihm die Hand zur directen Unterhandlung und friedlichen Regelung der Angelegenheit g’boten.“

Jeder war glücklich über diese unerwartete Nachricht; aus keinem Angesichte glänzte aber die Freude reiner, als aus dem des alten „Bärb’le“. Mit einer wahren Genugthuung, und gleichsam wie mit einem Vorwurfe, sagte sie zu den nun wieder beruhigten Männern; „Ich hab’ ihn besser g’kannt, den Louis, und hab’ nimmer d’ran glauben möge, daß er Böses gegen d’ Schweiz im Sinn trüg’; denn ‚undankbar‘ ist er halt nimmer g’si.“

Wie uns mitgetheilt wird, ist auch das „Bärble“ jenes Mütterchen gewesen, das sich neulich, als Napoleon den Arenenberg besuchte, durch die am Fuße desselben gedrängt zusammenstehende Menschenmenge Bahn brach, um dem Kaiser die Hand zu schütteln, und ihm dann ungenirt in’s Gesicht sagte: „Ihr sid doch a chli g’altert, Herr Kaiser.“