Critik der reinen Vernunft (1781)/Zweiter Paralogism der Simplicität.
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Dasienige Ding, dessen Handlung niemals als die Concurrenz vieler handelnden Dinge angesehen werden kan, ist einfach.
Nun ist die Seele, oder das denkende Ich, ein solches:
Also etc.
Dies ist der Achilles aller dialectischen Schlüsse der reinen Seelenlehre, nicht etwa blos ein sophistisches Spiel, welches ein Dogmatiker erkünstelt, um seinen Behauptungen einen flüchtigen Schein zu geben, sondern ein Schluß, der sogar die schärfste Prüfung und die größte Bedenklichkeit des Nachforschens auszuhalten scheint. Hier ist er.
Eine iede zusammengesezte Substanz ist ein Aggregat vieler, und die Handlung eines Zusammengesezten, oder das, was ihm, als einem solchen, inhärirt, ist ein Aggregat vieler Handlungen oder Accidenzen, welche unter der Menge der Substanzen vertheilt sind. Nun ist zwar eine Wirkung, die aus der Concurrenz vieler handelnden| Substanzen entspringt, möglich, wenn diese Wirkung blos äusserlich ist (wie z. B. die Bewegung eines Cörpers die vereinigte Bewegung aller seiner Theile ist). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Wesen gehörigen Accidenzen, ist es anders beschaffen. Denn, setzet, das Zusammengesezte dächte: so würde ein ieder Theil desselben einen Theil des Gedanken, alle aber zusammengenommen allererst den ganzen Gedanken enthalten. Nun ist dieses aber widersprechend. Denn, weil die Vorstellungen, die unter verschiedenen Wesen vertheilt sind, (z. B. die einzelne Wörter eines Verses) niemals einen ganzen Gedanken (einen Vers) ausmachen: so kan der Gedanke nicht einem Zusammengesezten, als einem solchen, inhäriren. Er ist also nur in einer Substanz möglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin schlechterdings einfach ist[1].Nun ist es aber auch unmöglich, diese nothwendige Einheit des Subiects, als die Bedingung der Möglichkeit eines ieden Gedankens, aus der Erfahrung abzuleiten. Denn diese giebt keine Nothwendigkeit zu erkennen, geschweige, daß der Begriff der absoluten Einheit weit über ihre Sphäre ist. Woher nehmen wir denn diesen Satz, worauf sich der ganze psychologische Vernunftschluß stützet?
Es ist offenbar: daß, wenn man sich ein denkend Wesen vorstellen will, man sich selbst an seine Stelle setzen, und also dem Obiecte, welches man erwägen wollte, sein eigenes Subiect unterschieben müsse, (welches in keiner| anderen Art der Nachforschung der Fall ist) und daß wir nur darum absolute Einheit des Subiects zu einem Gedanken erfodern, weil sonst nicht gesagt werden könte: Ich denke (das Mannigfaltige in einer Vorstellung). Denn obgleich das Ganze des Gedanken getheilt und unter viele Subiecte vertheilt werden könte, so kan doch das subiective Ich nicht getheilt und vertheilt werden, und dieses setzen wir doch bey allem Denken voraus.Also bleibt eben so hier, wie in dem vorigen Paralogism, der formale Satz der Apperception: Ich denke, der ganze Grund, auf welchen die rationale Psychologie die Erweiterung ihrer Erkentnisse wagt, welcher Satz zwar freilich keine Erfahrung ist, sondern die Form der Apperception, die ieder Erfahrung anhängt und ihr vorgeht, gleichwol aber nur immer in Ansehung einer möglichen Erkentniß überhaupt, als blos subiective Bedingung derselben, angesehen werden muß, die wir mit Unrecht zur Bedingung der Möglichkeit einer Erkentniß der Gegenstände, nemlich zu einem Begriffe vom denkenden Wesen überhaupt machen, weil wir dieses uns nicht vorstellen können, ohne uns selbst mit der Formel unseres Bewustseyns an die Stelle iedes andern intelligenten Wesens zu setzen.
Aber die Einfachheit meiner selbst (als Seele) wird auch wirklich nicht aus dem Satze: Ich denke, geschlossen, sondern die erstere liegt schon in iedem Gedanken selbst. Der Satz: Ich bin einfach, muß als ein unmittelbarer| Ausdruck der Apperception angesehen werden, so wie der vermeintliche cartesianische Schluß, cogito, ergo sum, in der That tavtologisch ist, indem das cogito (sum cogitans) die Wirklichkeit unmittelbar aussagt. Ich bin einfach, bedeutet aber nichts mehr, als daß diese Vorstellung: Ich, nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich fasse, und daß sie absolute (obzwar blos logische) Einheit sey.Also ist der so berühmte psychologische Beweis lediglich auf der untheilbaren Einheit einer Vorstellung, die nur das Verbum in Ansehung einer Person dirigirt, gegründet. Es ist aber offenbar: daß das Subiect der Inhärenz durch das dem Gedanken angehängte Ich nur transscendental bezeichnet werde, ohne die mindeste Eigenschaft desselben zu bemerken, oder überhaupt etwas von ihm zu kennen, oder zu wissen. Es bedeutet ein Etwas überhaupt (transscendentales Subiect), dessen Vorstellung allerdings einfach seyn muß, eben darum, weil man gar nichts an ihm bestimt, wie denn gewiß nichts einfacher vorgestellt werden kan, als durch den Begriff von einem blossen Etwas. Die Einfachheit aber der Vorstellung von einem Subiect ist darum nicht eine Erkentniß von der Einfachheit des Subiects selbst, denn von dessen Eigenschaften wird gänzlich abstrahirt, wenn es lediglich durch den an Inhalt gänzlich leeren Ausdruck Ich, (welchen ich auf iedes denkende Subiect anwenden kan), bezeichnet wird.
| So viel ist gewiß: daß ich mir durch das Ich iederzeit eine absolute, aber logische Einheit des Subiects (Einfachheit) gedenke, aber nicht, daß ich dadurch die wirkliche Einfachheit meines Subiects erkenne. So wie der Satz: ich bin Substanz, nichts als die reine Categorie bedeutete, von der ich in concreto keinen Gebrauch (empirischen) machen kan: so ist es mir auch erlaubt zu sagen: Ich bin eine einfache Substanz, d. i. deren Vorstellung niemals eine Synthesis des Mannigfaltigen enthält; aber dieser Begriff, oder auch dieser Satz, lehret uns nicht das mindeste in Ansehung meiner selbst als eines Gegenstandes der Erfahrung, weil der Begriff der Substanz selbst nur als Function der Synthesis, ohne unterlegte Anschauung, mithin ohne Obiect gebraucht wird, und nur von der Bedingung unserer Erkentniß, aber nicht von irgend einem anzugebenden Gegenstande gilt. Wir wollen über die vermeintliche Brauchbarkeit dieses Satzes einen Versuch anstellen.Aber, ohne dergleichen Hypothesen zu erlauben, kan man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein denkend Wesen an sich selbst verstehe, die Frage an sich schon unschicklich sey: ob sie nemlich mit der Materie (die gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Art Vorstellungen in uns ist) von gleicher Art sey, oder nicht; denn das versteht sich schon von selbst, daß ein Ding an sich selbst von anderer Natur sey, als die Bestimmungen, die blos seinen Zustand ausmachen.
Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der Materie, sondern mit dem Intelligibelen, welches der äusseren Erscheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde liegt: so können wir, weil wir vom lezteren gar nichts wissen, auch nicht sagen: daß die Seele sich von diesem irgend worin innerlich unterscheide.
So ist demnach das einfache Bewustseyn keine Kentniß der einfachen Natur unseres Subiects, in so fern, als dieses dadurch von der Materie, als einem zusammengesezten Wesen, unterschieden werden soll.
Wenn dieser Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in dem einzigen Falle, da er brauchbar ist, nemlich in der Vergleichung meiner selbst mit Gegenständen äusserer Erfahrung, das Eigenthümliche und Unterscheidende seiner Natur zu bestimmen, so mag man immer zu wissen vorgeben:| das denkende Ich, die Seele, (ein Nahme für den transscendentalen Gegenstand des inneren Sinnes) sey einfach; dieser Ausdruck hat deshalb doch gar keinen auf wirkliche Gegenstände sich erstreckenden Gebrauch und kan daher unsere Erkentniß nicht im mindesten erweitern.So fällt demnach die ganze rationale Psychologie mit ihrer Hauptstütze, und wir können so wenig hier, wie sonst iemals, hoffen, durch blosse Begriffe, (noch weniger aber durch die blosse subiective Form aller unserer Begriffe, das Bewustseyn,) ohne Beziehung auf mögliche Erfahrung, Einsichten auszubreiten, zumalen, da selbst der Fundamentalbegriff einer einfachen Natur von der Art ist, daß er überall in keiner Erfahrung angetroffen werden kan, und es mithin gar keinen Weg giebt, zu demselben, als einem obiectivgültigen Begriffe, zu gelangen.
- ↑ Es ist sehr leicht, diesem Beweise die gewöhnliche schulgerechte Abgemessenheit der Einkleidung zu geben. Allein es ist zu meinem Zwecke schon hinreichend, den blossen Beweißgrund, allenfalls auf populäre Art, vor Augen zu legen.
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