Critik der reinen Vernunft (1781)/Dritter Paralogism der Personalität.

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Critik der reinen Vernunft (1781)
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Der vierte Paralogism der Idealität (des äusseren Verhältnisses). »
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Dritter Paralogism
der Personalität.

 Was sich der numerischen Identität seiner Selbst in verschiedenen Zeiten bewust ist, ist so fern eine Person:

 Nun ist die Seele etc.

 Also ist sie eine Person.


Critik des dritten Paralogisms
der transscendentalen Psychologie.
 Wenn ich die numerische Identität eines äusseren Gegenstandes durch Erfahrung erkennen will, so werde ich| auf das Beharrliche derienigen Erscheinung, worauf, als Subiect, sich alles Uebrige als Bestimmung bezieht, Acht haben und die Identität von ienem in der Zeit, da dieses wechselt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenstand des innern Sinnes und alle Zeit ist blos die Form des innern Sinnes. Folglich beziehe ich alle und iede meiner succeßiven Bestimmungen auf das numerischidentische Selbst, in aller Zeit, d. i. in der Form der inneren Anschauung meiner selbst. Auf diesen Fuß müßte die Persönlichkeit der Seele nicht einmal als geschlossen, sondern als ein völlig identischer Satz des Selbstbewustseyns in der Zeit angesehen werden, und das ist auch die Ursache, weswegen er a priori gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr, als in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewust bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewust, und es ist einerley, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in Mir, als individueller Einheit, oder ich bin, mit numerischer Identität, in aller dieser Zeit befindlich.
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 Die Identität der Person ist also in meinem eigenen Bewustseyn unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte eines andern (als Gegenstand seiner äusseren Anschauung) betrachte, so erwägt dieser äussere Beobachter mich allererst in der Zeit, denn in der Apperception ist die Zeit eigentlich nur in mir vorgestellt. Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit in meinem Bewustseyn und zwar| mit völliger Identität, begleitet, ob er es gleich einräumt, doch noch nicht auf die obiective Beharrlichkeit meiner Selbst schliessen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche der Beobachter mich setzet, nicht dieienige ist, die in meiner eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist die Identität, die mit meinem Bewustseyn nothwendig verbunden ist, nicht darum mit dem seinigen, d. i. mit der äusseren Anschauung meines Subiects verbunden.

 Es ist also die Identität des Bewustseyns Meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweiset aber gar nicht die numerische Identität, meines Subiects in welchem, ohnerachtet der logischen Identität des Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen seyn kan, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beyzubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in iedem andern Zustande, selbst der Umwandelung des Subiects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subiects aufbehalten und so auch dem folgenden überliefern könte.[1]

|  Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles fliessend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend sey, nicht statt finden kan, sobald man Substanzen annimt, so ist er doch nicht durch die Einheit des Selbstbewustseyns widerlegt. Denn wir selbst können aus unserem Bewustseyn darüber nicht urtheilen, ob wir als Seele beharrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasienige zehlen, dessen wir uns bewust seyn, und so allerdings nothwendig urtheilen müssen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewust seyn, eben dieselbe sind. In dem Standpuncte eines Fremden aber können wir dieses darum noch nicht vor gültig erklären, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen, als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknüpft, so können wir niemals ausmachen, ob dieses Ich (ein blosser Gedanke) nicht eben sowol fliesse, als die übrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden.
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|  Es ist aber merkwürdig, daß die Persönlichkeit und deren Voraussetzung, die Beharrlichkeit, mithin die Substanzialität der Seele iezt allererst bewiesen werden muß. Denn könten wir diese voraussetzen, so würde zwar daraus noch nicht die Fortdauer des Bewustseyns, aber doch die Möglichkeit eines fortwährenden Bewustseyns in einem bleibenden Subiect folgen, welches zu der Persönlichkeit schon hinreichend ist, die dadurch, daß ihre Wirkung etwa eine Zeit hindurch unterbrochen wird, selbst nicht so fort aufhört. Aber diese Beharrlichkeit ist uns vor der numerischen Identität unserer Selbst, die wir aus der identischen Apperception folgeren, durch nichts gegeben, sondern wird daraus allererst gefolgert, (und auf diese müßte, wenn es recht zugienge, allererst der Begriff der Substanz folgen, der allein empirisch brauchbar ist). Da nun diese Identität der Person aus der Identität des Ich, in dem Bewustseyn aller Zeit, darin ich mich erkenne, keinesweges folgt: so hat auch oben die Substanzialität der Seele darauf nicht gegründet werden können.
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 Indessen kan, so wie der Begriff der Substanz und des Einfachen, eben so auch der Begriff der Persönlichkeit (so fern er blos transscendental ist, d. i. Einheit des Subiects, das uns übrigens unbekant ist, in dessen Bestimmungen aber eine durchgängige Verknüpfung durch Apperception ist) bleiben, und so fern ist dieser Begriff auch zum practischen Gebrauche nöthig und hinreichend, aber auf ihn,| als Erweiterung unserer Selbsterkentniß durch reine Vernunft, welche uns eine ununterbrochene Fortdauer des Subiects aus dem blossen Begriffe des identischen Selbst vorspiegelt, können wir nimmermehr Staat machen, da dieser Begriff sich immer um sich selbst herumdreht, und uns in Ansehung keiner einzigen Frage, welche auf synthetische Erkentniß angelegt ist, weiter bringt. Was Materie vor ein Ding an sich selbst (transscendentales Obiect) sey, ist uns zwar gänzlich unbekant; gleichwol kan doch die Beharrlichkeit derselben als Erscheinung, dieweil sie als etwas äusserliches vorgestellet wird, beobachtet werden. Da ich aber, wenn ich das blosse Ich bey dem Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, kein ander Correlatum meiner Vergleichungen habe, als wiederum Mich selbst, mit den allgemeinen Bedingungen meines Bewustseyns, so kan ich keine andere als tavtologische Beantwortungen auf alle Fragen geben, indem ich nemlich meinen Begriff und dessen Einheit den Eigenschaften, die mir selbst als Obiect zukommen, unterschiebe, und das voraussetze, was man zu wissen verlangte.



  1. Eine elastische Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung stößt, theilt dieser ihre ganze Bewegung, mithin ihren ganzen Zustand (wenn man blos auf die Stellen im Raume sieht) mit. Nehmet nun, nach der Analogie mit dergleichen Cörpern, Substanzen an, deren die eine der andern Vorstellungen, samt deren Bewustseyn [364] einflösste, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewustseyn, der zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der dritten und diese eben so die Zustände aller vorigen, samt ihrem eigenen und deren Bewustseyn, mittheilete. Die lezte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewust seyn, weil iene zusamt dem Bewustseyn in sie übertragen worden, und dem unerachtet, würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen seyn.


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