« Vorrede Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
Transscendentale Elementarlehre »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Einleitung.


I.
Idee der Transscendental-Philosophie.
Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Product, welches unser Verstand hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen bearbeitet. Sie ist eben dadurch die erste Belehrung, und im Fortgange so unerschöpflich an neuem Unterricht, daß das zusammengekettete Leben aller künftigen Zeugungen an neuen Kentnissen, die auf diesem Boden gesammlet werden können, niemals Mangel haben wird. Gleichwohl ist sie bey weitem nicht das einzige Feld, darinn sich unser Verstand einschränken läßt. Sie sagt uns zwar, was da sey, aber nicht, daß es nothwendiger Weise, so und nicht anders, seyn müsse. Eben darum giebt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche nach dieser Art von Erkentnissen so begierig ist,| wird durch sie mehr gereizt, als befriediget. Solche allgemeine Erkentnisse nun, die zugleich den Character der innern Nothwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewis seyn; man nennt sie daher Erkentnisse a priori: da im Gegentheil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt ist, wie man sich ausdrükt, nur a posteriori, oder empirisch erkannt wird.

 Nun zeigt es sich, welches überaus merkwürdig ist, daß selbst unter unsere Erfahrungen sich Erkentnisse mengen, die ihren Ursprung a priori haben müssen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unsern Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen. Denn, wenn man aus den ersteren auch alles wegschaft, was den Sinnen angehört, so bleiben dennoch gewisse ursprüngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urtheile übrig, die gänzlich a priori, unabhängig von der Erfahrung entstanden seyn müssen, weil sie machen, daß man von den Gegenständen, die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kan, wenigstens es sagen zu können glaubt, als bloße Erfahrung lehren würde, und daß Behauptungen wahre Allgemeinheit und strenge Nothwendigkeit enthalten, dergleichen die blos empirische Erkentniß nicht liefern kan.

 Was aber noch weit mehr sagen will, ist dieses, daß gewisse Erkentnisse so gar das Feld aller möglichen Erfahrungen| verlassen, und durch Begriffe, denen überall kein entsprechender Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kan, den Umfang unserer Urtheile über alle Grenzen derselben zu erweitern den Anschein haben.

 Und gerade in diesen lezteren Erkentnissen, welche über die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch Berichtigung geben kan, liegen die Nachforschungen unsrer Vernunft, die wir der Wichtigkeit nach vor weit vorzüglicher, und ihre Endabsicht vor viel erhabener halten, als alles, was der Verstand im Felde der Erscheinungen lernen kan, wobey wir, sogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als daß wir so angelegene Untersuchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschätzung und Gleichgültigkeit aufgeben sollten.

 Nun scheint es zwar natürlich, daß, so bald man den Boden der Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit Erkentnissen, die man besizt, ohne zu wissen woher, und auf den Credit der Grundsätze, deren Ursprung man nicht kennt, so fort ein Gebäude errichten werde, ohne der Grundlegung desselben durch sorgfältige Untersuchungen vorher versichert zu seyn, daß man also die Frage vorlängst werde aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen Erkentnissen a priori kommen könne, und welchen Umfang, Gültigkeit und Werth sie haben mögen.| In der That ist auch nichts natürlicher, wenn man unter diesem Wort das versteht, was billiger und vernünftiger Weise geschehen sollte; versteht man aber darunter das, was gewöhnlicher Maaßen geschieht, so ist hinwiederum nichts natürlicher und begreiflicher, als daß diese Untersuchung lange Zeit unterbleiben mußte. Denn ein Theil dieser Erkentnisse, die mathematische, ist im alten Besitze der Zuverläßigkeit, und giebt dadurch eine günstige Erwartung auch vor andere, ob diese gleich von ganz verschiedener Natur seyn mögen. Ueberdem, wenn man über den Kreis der Erfahrung hinaus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht widersprochen zu werden. Der Reiz, seine Erkentnisse zu erweitern, ist so groß, daß man nur durch einen klaren Widerspruch, auf den man stößt, in seinem Fortschritt aufgehalten werden kan. Dieser aber kan vermieden werden, wenn man seine Erdichtungen behutsam macht, ohne daß sie deswegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathematik giebt uns ein glänzendes Beyspiel, wie weit wir es unabhängig von der Erfahrung in der Erkentniß a priori bringen können. Nun beschäftigt sie sich zwar mit Gegenständen und Erkentnissen, blos so weit als sich solche in der Anschauung darstellen lassen. Aber dieser Umstand wird leicht übersehen, weil gedachte Anschauung selbst a priori gegeben werden kan, mithin von einem blossen reinen Begriff kaum unterschieden wird. Durch einen solchen Beweis von der Macht der Vernunft aufgemuntert,| sieht der Trieb zur Erweiterung keine Grenzen. Die leichte Taube, indem sie im freyen Fluge die Luft theilt, deren Widerstand sie fühlt, könte die Vorstellung fassen, daß es ihr im Luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde. Eben so verließ Plato die Sinnenwelt, weil sie dem Verstande so vielfältige Hindernisse legt, und wagte sich ienseit derselben auf den Flügeln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Verstandes. Er bemerkte nicht, daß er durch seine Bemühungen keinen Weg gewönne, denn er hatte keinen Wiederhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er seine Kräfte anwenden konte, um den Verstand von der Stelle zu bringen. Es ist aber ein gewöhnliches Schicksal der menschlichen Vernunft in der Speculation ihr Gebäude so früh, wie möglich, fertig zu machen, und hintennach allererst zu untersuchen, ob auch der Grund dazu gut geleget sey. Alsdenn aber werden allerley Beschönigungen herbey gesucht, um uns wegen dessen Tüchtigkeit zu trösten, oder eine solche späte und gefährliche Prüfung abzuweisen. Was uns aber während dem Bauen von aller Besorgniß und Verdacht frey hält, und mit scheinbarer Gründlichkeit schmeichelt, ist dieses. Ein großer Theil, und vielleicht der größte, von dem Geschäfte unserer Vernunft besteht in Zergliederungen der Begriffe, die wir schon von Gegenständen haben. Dieses liefert uns eine Menge von Erkentnissen, die, ob sie gleich nichts weiter als Aufklärungen oder Erläuterungen desienigen| sind, was in unsern Begriffen, (wiewohl noch auf verworrne Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Einsichten gleich geschätzet werden, wiewohl sie der Materie oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, sondern nur aus einander setzen. Da dieses Verfahren nun eine wirkliche Erkentniß a priori giebt, die einen sichern und nüzlichen Fortgang hat, so erschleicht die Vernunft, ohne es selbst zu merken, unter dieser Vorspiegelung Behauptungen von ganz anderer Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begriffen a priori ganz fremde hinzu thut, ohne daß man weiß, wie sie dazu gelange, und ohne sich diese Frage auch nur in die Gedanken kommen zu lassen. Ich will daher gleich anfangs von dem Unterschiede dieser zwiefachen Erkentnißart handeln.


Von dem Unterschiede
analytischer und synthetischer Urtheile.
 In allen Urtheilen, worinnen das Verhältniß eines Subjects zum Prädicat gedacht wird, (wenn ich nur die beiahende erwege: denn auf die verneinende ist die Anwendung leicht) ist dieses Verhältniß auf zweierley Art möglich. Entweder das Prädicat B gehöret zum Subiect A als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ganz ausser dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urtheil analytisch, im andern synthetisch.| Analytische Urtheile (die beiahende) sind also dieienige, in welchen die Verknüpfung des Prädicats mit dem Subiect durch Identität, dieienige aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urtheile heissen. Die erstere könte man auch Erläuterungs- die andere Erweiterungs-Urtheile heissen, weil iene durch das Prädicat nichts zum Begriff des Subiects hinzuthun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Theilbegriffe zerfällen, die in selbigen schon, (obschon verworren) gedacht waren: dahingegen die leztere zu dem Begriffe des Subiects ein Prädicat hinzuthun, welches in ienem gar nicht gedacht war, und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden, z. B. wenn ich sage: alle Körper sind ausgedehnt, so ist dies ein analytisch Urtheil. Denn ich darf nicht aus dem Begriffe, den ich mit dem Wort Körper verbinde, hinausgehen, um die Ausdehnung als mit demselben verknüpft zu finden, sondern ienen Begriff nur zergliedern, d. i. des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, nur bewust werden, um dieses Prädicat darin anzutreffen; es ist also ein analytisches Urtheil. Dagegen, wenn ich sage: alle Körper sind schwer, so ist das Prädicat etwas ganz anders, als das, was ich in dem blossen Begriff eines Körpers überhaupt denke. Die Hinzufügung eines solchen Prädicats giebt also ein synthetisch Urtheil.
.
 Nun ist hieraus klar: 1) daß durch analytische Urtheile unsere Erkentniß gar nicht erweitert werde, sondern| der Begriff, den ich schon habe, aus einander gesezt, und mir selbst verständlich gemacht werde. 2) daß bey synthetischen Urtheilen ich ausser dem Begriffe des Subiects noch etwas anderes (X) haben müsse, worauf sich der Verstand stüzt, um ein Prädicat, das in ienem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen.

 Bey empirischen oder Erfahrungsurtheilen hat es hiemit gar keine Schwierigkeit. Denn dieses X ist die vollständige Erfahrung von dem Gegenstande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Theil dieser Erfahrung ausmacht. Denn ob ich schon in dem Begriff eines Körpers überhaupt das Prädicat der Schwere gar nicht einschliesse, so bezeichnet er doch die vollständige Erfahrung durch einen Theil derselben, zu welchem also ich noch andere Theile eben derselben Erfahrung, als zu dem ersteren gehörig, hinzufügen kan. Ich kan den Begriff des Körpers vorher analytisch durch die Merkmale der Ausdehnung, der Undurchdringlichkeit, der Gestalt etc. die alle in diesem Begriff gedacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meine Erkentniß, und, indem ich auf die Erfahrung zurück sehe, von welcher ich diesen Begriff des Körpers abgezogen hatte, so finde ich mit obigen Merkmalen auch die Schwere iederzeit verknüpft. Es ist also die Erfahrung ienes X, was ausser dem Begriffe A liegt, und worauf sich die Möglichkeit der Synthesis des Prädicats der Schwere B mit dem Begriffe A gründet.

|  Aber bey synthetischen Urtheilen a priori fehlt dieses Hülfsmittel ganz und gar. Wenn ich ausser dem Begriffe A hinaus gehen soll, um einen andern B, als damit verbunden zu erkennen, was ist das, worauf ich mich stütze, und wodurch die Synthesis möglich wird, da ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Erfahrung darnach umzusehen. Man nehme den Satz: Alles, was geschieht, hat seine Ursache. In dem Begriff von Etwas, das geschieht, denke ich zwar ein Daseyn, vor welchem eine Zeit vorhergehet etc. und daraus lassen sich analytische Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer Ursache zeigt Etwas von dem, was geschieht, verschiedenes an, und ist in dieser lezteren Vorstellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was überhaupt geschiehet, etwas davon ganz verschiedenes zu sagen, und den Begriff der Ursachen, ob zwar in ienen nicht enthalten, dennoch, als dazu gehörig, zu erkennen. Was ist hier das X, worauf sich der Verstand stüzt, wenn er ausser dem Begriff von A ein demselben fremdes Prädicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknüpft sey. Erfahrung kan es nicht seyn, weil der angeführte Grundsaz nicht allein mit grösserer Allgemeinheit, als die Erfahrung verschaffen kan, sondern auch mit dem Ausdruck der Nothwendigkeit, mithin gänzlich a priori und aus blossen Begriffen diese zweyte Vorstellungen zu der ersteren hinzufügt. Nun beruhet auf solchen synthetischen d. i. Erweiterungs-Grundsätzen die ganze Endabsicht unserer| speculativen Erkentniß a priori; denn die analytischen sind zwar höchst wichtig und nöthig, aber nur um zu derienigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausgebreiteten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Anbau, erforderlich ist.

 Es liegt also hier ein gewisses Geheimniß verborgen[1], dessen Aufschluß allein den Fortschritt in dem grenzenlosen Felde der reinen Verstandeserkentniß sicher und zuverläßig machen kan: nemlich mit gehöriger Allgemeinheit den Grund der Möglichkeit synthetischer Urtheile a priori aufzudecken, die Bedingungen, die eine jede Art derselben möglich machen, einzusehen, und diese ganze Erkentniß (die ihre eigene Gattung ausmacht) in einem System nach ihren ursprünglichen Quellen, Abtheilungen, Umfang und Grenzen, nicht durch einen flüchtigen Umkreis zu bezeichnen, sondern vollständig und zu iedem Gebrauch hinreichend zu bestimmen. So viel vorläufig von dem Eigenthümlichen, was die synthetischen Urtheile an sich haben.

 Aus diesem allen ergiebt sich nun die Idee einer besondern Wissenschaft, die zur Critik der reinen Vernunft| dienen könne. Es heißt aber iede Erkentniß rein, die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkentniß schlechthin rein genant, in die sich überhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin völlig a priori möglich ist. Nun ist Vernunft das Vermögen, welches die Principien der Erkentniß a priori an die Hand giebt. Daher ist reine Vernunft dieienige, welche die Principien etwas schlechthin a priori zu erkennen, enthält. Ein Organon der reinen Vernunft würde ein Inbegriff derienigen Principien seyn, nach denen alle reine Erkentnisse a priori können erworben und wirklich zu Stande gebracht werden. Die ausführliche Anwendung eines solchen Organon würde ein System der reinen Vernunft verschaffen. Da dieses aber sehr viel verlangt ist, und es noch dahin steht, ob auch überhaupt eine solche Erweiterung unserer Erkentniß, und in welchen Fällen sie möglich sey; so können wir eine Wissenschaft der blossen Beurtheilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propädevtick zum System der reinen Vernunft ansehen. Eine solche würde nicht eine Doctrin, sondern nur Critik der reinen Vernunft heissen müssen, und ihr Nutze würde wirklich nur negativ seyn, nicht zur Erweiterung, sondern nur zur Läuterung unserer Vernunft dienen, und sie von Irrthümern frey halten, welches schon sehr viel gewonnen ist. Ich nenne alle Erkentniß transscendental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegenständen| überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Transscendental-Philosophie heißen. Diese ist aber wiederum vor den Anfang zu viel. Denn weil eine solche Wissenschaft so wol die analytische Erkentniß, als die synthetische a priori vollständig enthalten müßte, so ist sie, in so fern es unsre Absicht betrift, von zu weitem Umfange, indem wir die Analysis nur so weit treiben dürfen, als sie unentbehrlich nöthig ist, um die Principien der Synthesis a priori, als warum es uns nur zu thun ist, in ihrem ganzen Umfange einzusehen. Diese Untersuchung, die wir eigentlich nicht Doctrin, sondern nur transcendentale Critik nennen können, weil sie nicht die Erweiterung der Erkentnisse selbst, sondern nur die Berichtigung derselben zur Absicht hat, und den Probierstein des Werths oder Unwerths aller Erkentnisse a priori abgeben soll, ist das, womit wir uns iezt beschäftigen. Eine solche Critik ist demnach eine Vorbereitung, wo möglich, zu einem Organon, und, wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Canon derselben, nach welchen allenfalls dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder blosser Begrenzung ihrer Erkentniß bestehen, so wol analytisch, als synthetisch dargestellt werden könnte. Denn daß dieses möglich sey, ia daß ein solches System von nicht gar grossem Umfange seyn könne, um zu hoffen, es ganz zu vollenden, läßt sich schon zum voraus daraus ermessen, daß hier nicht die Natur der Dinge, welche unerschöpflich| ist, sondern der Verstand, der über die Natur der Dinge urtheilt, und auch dieser wiederum nur in Ansehung seiner Erkentniß a priori den Gegenstand ausmacht, dessen Vorrath, weil wir ihn doch nicht auswärtig suchen dürfen, uns nicht verborgen bleiben kan, und allem Vermuthen nach klein genug ist, um vollständig aufgenommen, nach seinem Werthe oder Unwerthe beurtheilt und unter richtige Schätzung gebracht zu werden.


II.
Eintheilung der Transscendental-
Philosophie.
 Die Transscendental-Philosophie ist hier nur eine Idee, wozu die Critik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch d. i. aus Principien entwerfen soll, mit völliger Gewärleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmacht. Daß diese Critik nicht schon selbst Transscendental-Philosophie heißt, beruhet lediglich darauf, daß sie, um ein vollständig System zu seyn, auch eine ausführliche Analysis der ganzen menschlichen Erkentniß a priori enthalten müßte. Nun muß zwar unsre Critik allerdings auch eine vollständige Herzehlung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkentniß ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausführlichen Analysis dieser Begriffe selbst, wie auch der vollständigen Recension der daraus abgeleiteten, enthält sie sich billig, theils weil diese Zergliederung nicht zweckmäßig| wäre, indem sie die Bedenklichkeit nicht hat, welche bey der Synthesis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze Critik da ist, theils, weil es der Einheit des Plans zuwider wäre, sich mit der Verantwortung der Vollständigkeit einer solchen Analysis und Ableitung zu befassen, deren man in Ansehung seiner Absicht doch überhoben seyn konte. Diese Vollständigkeit der Zergliederung so wohl, als der Ableitung aus den künftig zu liefernden Begriffen a priori, ist indessen leicht zu ergänzen, wenn sie nur allererst als ausführliche Principien der Synthesis da sind, und ihnen in Ansehung dieser wesentlichen Absicht nichts ermangelt.

 Zur Critik der reinen Vernunft gehört demnach alles, was die Transscendental-Philosophie ausmacht, und sie ist die vollständige Idee der Transscendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst, weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur vollständigen Beurtheilung der synthetischen Erkentniß a priori erforderlich ist.

 Das vornehmste Augenmerk bey der Eintheilung einer solchen Wissenschaft ist: daß gar keine Begriffe hineinkommen müssen, die irgend etwas Empirisches in sich enthalten, oder daß die Erkentnis a priori völlig rein sey. Daher, ob zwar die obersten Grundsätze der Moralität, und die Grundbegriffe derselben, Erkentnisse a priori sind,| so gehören sie doch nicht in die Transscendental-Philosophie, weil die Begriffe der Lust und Unlust, der Begierden und Neigungen, der Willkühr etc. die insgesammt empirischen Ursprunges sind, dabey vorausgesetzt werden müßten. Daher ist die Transscendental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen blos speculativen Vernunft. Denn alles Praktische, so fern es Bewegungsgründe enthält, bezieht sich auf Gefühle, welche zu empirischen Erkentnißquellen gehören.
.
 Wenn man nun die Eintheilung dieser Wissenschaft aus dem allgemeinen Gesichtspuncte eines Systems überhaupt anstellen will, so muß die, welche wir iezt vortragen, erstlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Methoden-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieser Haupttheile würde seine Unterabtheilung haben, deren Gründe sich gleichwohl hier noch nicht vortragen lassen. Nur so viel scheint zur Einleitung oder Vorerinnerung nöthig zu seyn, daß es zwey Stämme der menschlichen Erkentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekanten Wurzel entspringen, nemlich, Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die Sinnlichkeit Vorstellungen a priori enthalten sollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter der uns Gegenstände gegeben werden, so würde sie zur Transscendental-Philosophie gehören. Die transscendentale| Sinnenlehre würde zum ersten Theile der Elementarwissenschaft gehören müssen, weil die Bedingungen, worunter allein die Gegenstände der menschlichen Erkentniß gegeben werden, denienigen vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden.



  1. Wäre es einem von den Alten eingefallen, auch nur diese Frage aufzuwerfen, so würde diese allein allen Systemen der reinen Vernunft bis auf unsere Zeit mächtig widerstanden haben, und hätte so viele eitele Versuche erspahrt, die, ohne zu wissen, womit man eigentlich zu thun hat, blindlings unternommen worden.
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.