Critik der reinen Vernunft (1781)/Des dritten Hauptstücks Vierter Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Daseyn Gottes.


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Des dritten Hauptstücks
Vierter Abschnitt.
Von der
Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises
vom Daseyn Gottes.

Man siehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff eines absolutnothwendigen Wesens ein reiner Vernunftbegriff, d. i. eine blosse Idee sey, deren obiective Realität dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht bewiesen ist, welche auch nur auf eine gewisse, obzwar unerreichbare Vollständigkeit Anweisung giebt und eigentlich mehr dazu dient, den Verstand zu begränzen, als ihn auf neue Gegenstände zu erweitern. Es findet sich hier nun das Befremdliche und Widersinnische, daß der Schluß, von einem gegebenen Daseyn überhaupt auf irgend ein schlechthinnothwendiges Daseyn, dringend und richtig zu seyn scheint und wir gleichwol alle Bedingungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer solchen Nothwendigkeit zu machen, gänzlich wider uns haben.

 Man hat zu aller Zeit von dem absolutnothwendigen Wesen geredet und sich nicht so wol Mühe gegeben, zu verstehen: ob und wie man sich ein Ding von dieser Art auch nur denken könne, als vielmehr dessen Daseyn zu beweisen. Nun ist zwar eine Nahmenerklärung von diesem Begriffe ganz leicht, daß es nemlich so etwas sey, dessen Nichtseyn unmöglich ist, aber man wird hiedurch um nichts| klüger, in Ansehung der Bedingungen, die es unmöglich machen, das Nichtseyn eines Dinges als schlechterdings undenklich anzusehen und die eigentlich dasienige sind, was man wissen will, nemlich, ob wir uns durch diesen Begriff überall etwas denken, oder nicht. Denn alle Bedingungen, die der Verstand iederzeit bedarf, um etwas als nothwendig anzusehen, vermittelst des Worts: Unbedingt, wegwerfen, macht mir noch lange nicht verständlich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingtnothwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke.

 Noch mehr: diesen auf das blosse Gerathewohl gewagten und endlich ganz geläufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge Beispiele zu erklären geglaubt, so, daß alle weitere Nachfrage wegen seiner Verständlichkeit ganz unnöthig geschienen. Ein ieder Satz der Geometrie, z. B. daß ein Triangel drey Winkel habe, ist schlechthin nothwendig und so redete man von einem Gegenstande, der ganz ausserhalb der Sphäre unseres Verstandes liegt, als ob man ganz wol verstände, was man mit dem Begriffe von ihm sagen wolle.

 Alle vorgegebene Beispiele sind ohne Ausnahme nur von Urtheilen, aber nicht von Dingen und deren Daseyn hergenommen. Die unbedingte Nothwendigkeit der Urtheile aber ist nicht eine absolute Nothwendigkeit der Sachen. Denn die absolute Nothwendigkeit des Urtheils ist nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des| Prädicats im Urtheile. Der vorige Satz sagte nicht: daß drey Winkel schlechterdings nothwendig seyn, sondern, unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist, (gegeben ist) sind auch drey Winkel (in ihm) nothwendiger Weise da. Gleichwol hat diese logische Nothwendigkeit eine so grosse Macht ihrer Illusion bewiesen: daß, indem man sich einen Begriff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der so gestellet war, daß man seiner Meinung nach das Daseyn mit in seinen Umfang begriff, man daraus glaubete sicher schliessen zu können, daß, weil dem Obiect dieses Begriffs das Daseyn nothwendig zukomt, d. i. unter der Bedingung, daß ich dieses Ding als gegeben (existirend) setze, auch sein Daseyn nothwendig (nach der Regel der Identität) gesezt werde und dieses Wesen daher selbst schlechterdingsnothwendig sey, weil sein Daseyn in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich den Gegenstand desselben setze, mit gedacht wird.
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 Wenn ich das Prädicat in einem identischen Urtheile aufhebe und behalte das Subiect, so entspringt ein Widerspruch und daher sage ich: ienes komt diesem nothwendiger Weise zu. Hebe ich aber das Subiect zusamt dem Prädicate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden könte. Einen Triangel setzen und doch die drey Winkel desselben aufheben, ist widersprechend, aber den Triangel samt seinen drey Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolutnothwendigen| Wesens bewandt. Wenn ihr das Daseyn desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädicaten auf, wo soll alsdenn der Widerspruch herkommen? Aeusserlich ist nichts dem widersprochen würde; denn das Ding soll nicht äusserlich nothwendig seyn, innerlich auch nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges selbst, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott ist allmächtig; das ist ein nothwendiges Urtheil. Die Allmacht kan nicht aufgehoben werden, wenn ihr eine Gottheit, d. i. ein unendlich Wesen, sezt, mit dessen Begriff iener identisch[WS 1] ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Prädicate gegeben, denn sie sind alle zusamt dem Subiecte aufgehoben und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.
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 Ihr habt also gesehen: daß, wenn ich das Prädicat eines Urtheils zusamt dem Subiecte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch entspringen könne, das Prädicat mag auch seyn, welches es wolle. Nun bleibt euch keine Ausflucht übrig, als ihr müßt sagen: es giebt Subiecte, die gar nicht aufgehoben werden können, die also bleiben müssen. Das würde aber eben so viel sagen, als: es giebt schlechterdingsnothwendige Subiecte, eine Voraussetzung, an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe und deren Möglichkeit ihr mir zeigen woltet. Denn ich kan mir nicht den geringsten Begriff von einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen seinen Prädicaten aufgehoben| würde, einen Widerspruch zurück liesse und ohne den Widerspruch habe ich, durch blosse reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmöglichkeit.
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 Wider alle diese allgemeine Schlüsse, (deren sich kein Mensch weigern kan) fodert ihr mich durch einen Fall auf, den ihr, als einen Beweis durch die That, aufstellet: daß es doch einen und zwar nur diesen einen Begriff gebe, da das Nichtseyn oder das Aufheben seines Gegenstandes in sich selbst widersprechend sey, und dieses ist der Begriff des allerrealsten Wesens. Es hat, sagt ihr, alle Realität und ihr seyd berechtigt, ein solches Wesen als möglich anzunehmen, (welches ich voriezt einwillige, obgleich der sich nicht widersprechende Begriff noch lange nicht die Möglichkeit des Gegenstandes beweiset[1]. Nun ist unter aller Realität auch das Daseyn mit begriffen: Also liegt das Daseyn in dem Begriffe von einem Möglichen. Wird| dieses Ding nun aufgehoben, so wird die innere Möglichkeit des Dinges aufgehoben, welches widersprechend ist.
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 Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in den Begriff eines Dinges, welches ihr lediglich seiner Möglichkeit nach denken woltet, es sey unter welchem versteckten Namen, schon den Begriff seiner Existenz hinein brachtet. Räumet man euch dieses ein, so habt ihr dem Scheine nach gewonnen Spiel, in der That aber nichts gesagt; denn ihr habt eine blosse Tavtologie begangen. Ich frage euch, ist der Satz: dieses oder ienes Ding (welches ich euch als möglich einräume, es mag seyn, welches es wolle) existirt, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder synthetischer Satz? Wenn er das erstere ist, so thut ihr durch das Daseyn des Dinges zu eurem Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdenn müßte entweder der Gedanke, der in euch ist, das Ding selber seyn, oder ihr habt ein Daseyn, als zur Möglichkeit gehörig, vorausgesezt und alsdenn das Daseyn dem Vorgeben nach aus der inneren Möglichkeit geschlossen, welches nichts, als eine elende Tavtologie ist. Das Wort: Realität, welches im Begriffe des Dinges anders klingt, als Existenz im Begriffe des Prädicats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbestimt was ihr sezt) Realität nent, so habt ihr das Ding schon mit allen seinen Prädicaten im Begriffe des Subiects gesezt und als wirklich angenommen und im Prädicate wiederholt| ihr es nur. Gesteht ihr dagegen, wie es billiger maassen ieder Vernünftige gestehen muß, daß ein ieder Existenzialsatz synthetisch sey, wie wollet ihr denn behaupten, daß das Prädicat der Existenz sich ohne Widerspruch nicht aufheben lasse, da dieser Vorzug nur den analytischen, als deren Character eben darauf beruht, eigenthümlich zukomt.

 Ich würde zwar hoffen, diese grüblerische Argutation, ohne allen Umschweif, durch eine genaue Bestimmung des Begriffs der Existenz, zu nichte zu machen, wenn ich nicht gefunden hätte: daß die Illusion, in Verwechselung eines logischen Prädicats mit einem realen, (d. i. der Bestimmung eines Dinges) beinahe alle Belehrung ausschlage. Zum logischen Prädicate kan alles dienen, was man will, so gar das Subiect kan von sich selbst prädicirt werden; denn die Logik abstrahirt von allem Inhalte. Aber die Bestimmung ist ein Prädicat, welches über den Begriff des Subiects hinzukomt und ihn vergrössert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten seyn.

 Seyn ist offenbar kein reales Prädicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist blos die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines Urtheils. Der Satz: Gott ist allmächtig, enthält zwey Begriffe, die ihre Obiecte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen: ist, ist nicht noch ein Prädicat oben ein, sondern| nur das, was das Prädicat beziehungsweise aufs Subiect sezt. Nehme ich nun das Subiect (Gott) mit allen seinen Prädicaten (worunter auch die Allmacht gehöret) zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädicat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subiect an sich selbst mit allen seinen Prädicaten und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide müssen genau einerley enthalten und es kan daher zu dem Begriffe, der blos die Möglichkeit ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nichts mehr als das blos Mögliche. Hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, iene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als iener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm seyn. Aber in meinem Vermögenszustande ist mehr bey hundert wirklichen Thalern, als bey dem blossen Begriffe derselben, (d. i. ihrer Möglichkeit). Denn der Gegenstand ist bey der Wirklichkeit nicht blos in meinem Begriffe analytisch enthalten, sondern komt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß durch dieses Seyn ausserhalb meinem Begriffe, diese gedachte hundert Thaler selbst im mindesten vermehrt werden.
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|  Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädicate ich will, (selbst in der durchgängigen Bestimmung) denke, so komt dadurch, daß ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr existiren, als ich im Begriffe gedacht hatte und ich könte nicht sagen: daß gerade der Gegenstand meines Begriffs existire. Denke ich mir auch so gar in einem Dinge alle Realität ausser einer, so komt dadurch, daß ich sage, ein solches mangelhafte Ding existirt, die fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existirt gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde etwas Anderes, als ich dachte, existiren. Denke ich mir nun ein Wesen als die höchste Realität (ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage: ob es existire, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von dem möglichen realen Inhalte eines Dinges überhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch etwas an dem Verhältnisse zu meinem ganzen Zustande des Denkens, nemlich: daß die Erkentniß ienes Obiects auch a posteriori möglich sey. Und hier zeiget sich auch die Ursache der hiebey obwaltenden Schwierigkeit. Wäre von einem Gegenstande der Sinne die Rede, so würde ich die Existenz des Dinges mit dem blossen Begriffe des Dinges nicht verwechseln können. Denn durch den Begriff wird der Gegenstand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer möglichen empirischen Erkentniß überhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber als in dem Context der gesamten Erfahrung| enthalten gedacht; da denn durch die Verknüpfung mit dem Inhalte der gesamten Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken aber durch denselben eine mögliche Wahrnehmung mehr bekomt. Wollen wir dagegen die Existenz durch die reine Categorie allein denken, so ist kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben können, sie von der blossen Möglichkeit zu unterscheiden.

 Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu ertheilen. Bey Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber vor Obiecte des reinen Denkens ist[WS 2] ganz und gar kein Mittel, ihr Daseyn zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkant werden müßte, unser Bewustseyn aller Existenz aber, (es sey durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit der Wahrnehmung verknüpfen,) gehöret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung und eine Existenz ausser diesem Felde kan zwar nicht schlechterdings vor unmöglich erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.

 Der Begriff eines höchsten Wesens ist eine in mancher Absicht sehr nützliche Idee, sie ist aber eben darum, weil sie blos Idee ist, ganz unfähig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkentniß in Ansehung dessen, was existirt,| zu erweitern. Sie vermag nicht einmal so viel, daß sie uns in Ansehung der Möglichkeit eines Mehreren belehrete. Das analytische Merkmal der Möglichkeit, das darin besteht, daß blosse Positionen (Realitäten) keinen Widerspruch erzeugen, kan ihm zwar nicht gestritten werden; weil aber die Verknüpfung aller realen Eigenschaften in einem Dinge eine Synthesis ist, über deren Möglichkeit wir a priori nicht urtheilen können, weil uns die Realitäten specifisch nicht gegeben sind und, wenn dieses auch geschähe, überall gar kein Urtheil darin statt findet, weil das Merkmal der Möglichkeit synthetischer Erkentnisse immer nur in der Erfahrung gesucht werden muß, zu welcher aber der Gegenstand einer Idee nicht gehören kan, so hat der berühmte Leibnitz bey weitem das nicht geleistet, wessen er sich schmeichelte, nemlich eines so erhabenen idealischen Wesens Möglichkeit a priori einsehen zu wollen.

 Es ist also an dem so berühmten ontologischen (cartesianischen) Beweise, vom Daseyn eines höchsten Wesens aus Begriffen, alle Mühe und Arbeit verloren und ein Mensch möchte wol eben so wenig aus blossen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Cassenbestande einige Nullen anhängen wolte.



  1. Der Begriff ist allemal möglich, wenn er sich nicht widerspricht. Das ist das logische Merkmal der Möglichkeit und dadurch wird sein Gegenstand vom nihil negatiuum unterschieden. Allein er kan nichts destoweniger ein leerer Begriff seyn, wenn die obiective Realität der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht besonders dargethan wird, welches aber iederzeit, wie oben gezeigt worden, auf Principien möglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundsatze der Analysis (dem Satze des Widerspruchs) beruht. Das ist eine Warnung, von der Möglichkeit der Begriffe (logische) nicht so fort auf die Möglichkeit der Dinge (reale) zu schliessen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: indetisch
  2. Vorlage: in


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