Critik der reinen Vernunft (1781)/Des dritten Hauptstücks Fünfter Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines cosmologischen Beweises vom Daseyn Gottes.
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Der cosmologische Beweis, den wir iezt untersuchen wollen, behält die Verknüpfung der absoluten Nothwendigkeit mit der höchsten Realität bey, aber, anstatt, wie der vorige, von der höchsten Realität auf die Nothwendigkeit im Daseyn zu schliessen, schließt er vielmehr von der, zum voraus gegebenen unbedingten Nothwendigkeit irgend eines Wesens, auf dessen unbegränzte Realität, und bringt so fern alles wenigstens in das Gleiß einer, ich weiß nicht ob vernünftigen, oder vernünftelnden, wenigstens natürlichen Schlußart, welche nicht allein vor den gemeinen, sondern auch den speculativen Verstand die meiste Ueberredung bey sich führt, wie sie denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natürlichen Theologie die erste Grundlinien zieht, denen man iederzeit nachgegangen ist und ferner nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und Schnörkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis, den Leibnitz auch den a contingentia mundi nante, wollen wir iezt vor Augen stellen und der Prüfung unterwerfen.
Er lautet also: Wenn etwas existirt, so muß auch ein schlechterdingsnothwendiges Wesen existiren. Nun existire, zum mindesten, ich selbst: also existirt ein absolutnothwendiges Wesen. Der Untersatz enthält eine Erfahrung,| der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt auf das Daseyn des Nothwendigen[1]. Also hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gänzlich a priori geführt, oder ontologisch, und weil der Gegenstand aller möglichen Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der cosmologische Beweis genant. Da er auch von aller besondern Eigenschaft der Gegenstände der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von ieder möglichen unterscheiden mag, abstrahirt: so wird er schon in seiner Benennung auch vom physicotheologischen Beweise unterschieden, welcher Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt zu Beweisgründen braucht.Alle Blendwerke im Schliessen entdecken sich am leichtesten, wenn man sie auf schulgerechte Art vor Augen stellt. Hier ist eine solche Darstellung.
Wenn der Satz richtig ist: ein iedes schlechthinnothwendiges Wesen ist zugleich das allerrealeste Wesen (als welches der neruus probandi des cosmologischen Beweises ist), so muß er sich, wie alle beiahende Urtheile, wenigstens per accidens umkehren lassen; also einige allerrealeste Wesen sind zugleich schlechthinnothwendige Wesen. Nun ist aber ein ens realissimum von einem anderen in keinem Stücke unterschieden und, was also von einigen unter diesem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt auch von allen. Mithin werde ich (in diesem Falle) auch schlechthin umkehren können, d. i. ein iedes allerrealste Wesen ist ein nothwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz blos aus seinen Begriffen a priori bestimt ist: so muß der blosse Begriff des realesten Wesens auch die absolute Nothwendigkeit desselben bey sich führen, welches eben der ontologische Beweis behauptete und der cosmologische nicht anerkennen| wolte, gleichwol aber seinen Schlüssen, obzwar versteckter Weise, unterlegte.So ist denn der zweite Weg, den die speculative Vernunft nimt, um das Daseyn des höchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich trüglich, sondern hat noch dieses tadelhafte an sich, daß er eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu führen, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zurück bringt, den wir seinetwegen verlassen hatten.
Ich habe kurz vorher gesagt: daß in diesem cosmologischen Argumente sich ein ganzes Nest von dialectischen Anmassungen verborgen halte, welches die transscendentale Critik leicht entdecken und zerstören kan. Ich will sie iezt nur anführen und es dem schon geübten Leser überlassen, den trüglichen Grundsätzen weiter nachzuforschen und sie aufzuheben.
Da befindet sich denn z. B. 1. der transscendentale Grundsatz: vom Zufälligen auf eine Ursache zu schliessen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung ist, ausserhalb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der blos intellectuelle Begriff des Zufälligen kan gar keinen synthetischen Satz, wie den der Caussalität, hervorbringen, und der Grundsatz der lezteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt; hier aber solte er gerade dazu dienen, um über die Sinnenwelt hinaus zu kommen. 2. Der| Schluß, von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe über einander gegebenen Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schliessen, wozu uns die Principien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz über dieselbe (wohin diese Kette gar nicht verlängert werden kan) ausdehnen können. 3. Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft, in Ansehung der Vollendung dieser Reihe, dadurch: daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff einer Nothwendigkeit statt finden kan, wegschaft und, da man alsdenn nichts weiter begreifen kan, dieses vor eine Vollendung seines Begriffs annimt. 4. Die Verwechselung der logischen Möglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realität (ohne inneren Widerspruch) mit der transscendentalen, welche ein Principium der Thunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber wiederum nur auf das Feld möglicher Erfahrungen gehen kan, u. s. w.Es mag wol erlaubt seyn, das Daseyn eines Wesens von der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichteren. Allein, sich so viel herauszunehmen: daß man so gar sage: ein solches Wesen existirt nothwendig, ist nicht mehr die bescheidene Aeusserung einer erlaubten Hypothese, sondern die dreuste Anmassung einer apodictischen Gewißheit; denn, was man als schlechthinnothwendig zu erkennen vorgiebt, davon muß auch die Erkentniß absolute Nothwendigkeit bey sich führen.
Die ganze Aufgabe des transscendentalen Ideals komt darauf an: entweder zu der absoluten Nothwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgend einem Dinge die absolute Nothwendigkeit desselben zu finden. Kan man das eine, so muß man auch das andere können; denn als schlechthinnothwendig erkent die Vernunft nur dasienige, was aus seinem Begriffe nothwendig ist. Aber beides| übersteigt gänzlich alle äusserste Bestrebungen, unseren Verstand über diesen Punct zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen.Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund vor die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhafterhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüth; denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber trägt sie nicht. Man kan sich des Gedanken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das Höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ausser mir ist nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung blos vor der speculativen Vernunft, der es nichts kostes, die eine so wie die andere, ohne die mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen.
Viele Kräfte der Natur, die ihr Daseyn durch gewisse Wirkungen äussern, bleiben vor uns unerforschlich; denn wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit genug nachspühren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transscendentale Obiect und, mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere| oberste Bedingungen habe, sind und bleiben vor uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst übrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen Vernunft kan aber nicht unerforschlich heissen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als die Bedürfniß der Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich, vielmehr muß er, als blosse Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden und also erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft: daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sey aus obiectiven, oder, wenn sie ein blosser Schein sind, aus subiectiven Gründen Rechenschaft geben können.
Es folgt aber hieraus: daß ihr das Absolutnothwendige ausserhalb der Welt annehmen müßt; weil es nur zu einem Princip der größtmöglichen Einheit der Erscheinungen, als deren oberster Grund, dienen soll und ihr in der Welt niemals dahin gelangen könt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empirische Ursachen der Einheit iederzeit als abgeleitet anzusehen.
Die Philosophen des Alterthums sahen alle Form der Natur als zufällig, die Materie aber, nach dem Urtheile der gemeinen Vernunft, als ursprünglich und nothwendig an. Würden sie aber die Materie nicht als Substratum der Erscheinungen respectiv, sondern an sich selbst ihrem Daseyn nach betrachtet haben, so wäre die Idee der absoluten Nothwendigkeit so gleich verschwunden. Denn es ist nichts, was die Vernunft an dieses Daseyn schlechthin bindet, sondern sie kan solches, iederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in Gedanken aber lag auch allein die absolute Nothwendigkeit.| Es mußte also bey dieser Ueberredung ein gewisses regulative Princip zum Grunde liegen. In der That ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinungen und hat, so fern als es empirisch unbedingt ist, eine Eigenschaft des regulativen Princips an sich. Gleichwol, da iede Bestimmung der Materie, welche das Reale derselben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, eine Wirkung (Handlung) ist, die ihre Ursache haben muß und daher immer noch abgeleitet ist, so schickt sich die Materie doch nicht zur Idee eines nothwendigen Wesens, als eines Princips aller abgeleiteten Einheit; weil iede ihrer realen Eigenschaften, als abgeleitet, nur bedingt nothwendig ist und also an sich aufgehoben werden kan, hiemit aber das ganze Daseyn der Materie aufgehoben werden würde, wenn dieses aber nicht geschähe, wir den höchsten Grund der Einheit empirisch erreicht haben würden, welches durch das zweite regulative Princip verboten wird, so folgt: daß die Materie, und überhaupt, was zur Welt gehörig ist, zu der Idee eines nothwendigen Urwesens, als eines blossen Princips der größten empirischen Einheit, nicht schicklich sey, sondern daß es ausserhalb der Welt gesezt werden müsse, da wir denn die Erscheinungen der Welt und ihr Daseyn immer getrost von anderen ableiten können, als ob es kein nothwendig Wesen gäbe und dennoch zu der Vollständigkeit der Ableitung unaufhörlich streben können,| als ob ein solches, als ein oberster Grund, vorausgesezt wäre.
- ↑ Diese Schlußfolge ist zu bekant, als daß es nöthig wäre, sie hier weitläuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transscendentalen Naturgesetz der Caussalität: daß alles Zufällige seine Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufällig ist, eben sowol eine Ursache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bey einer schlechthinnothwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine Vollständigkeit haben würde.
Anmerkungen (Wikisource)
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