Critik der reinen Vernunft (1781)/Der Antinomie der reinen Vernunft Neunter Abschnitt. Von dem empirischen Gebrauche des regulativen Princips der Vernunft in Ansehung aller cosmologischen Ideen.


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Der
Antinomie der reinen Vernunft
Neunter Abschnitt.
Von dem
Empirischen Gebrauche des regulativen Princip’s
der Vernunft, in Ansehung aller cosmologischen
Ideen.
Da es, wie wir mehrmalen gezeigt haben, keinen transscendentalen Gebrauch, so wenig von reinen Verstandes- als Vernunftbegriffen giebt, da die absolute Totalität der Reihen der Bedingungen in der Sinnenwelt sich lediglich auf einen transscendentalen Gebrauch der Vernunft fusset, welche diese unbedingte Vollständigkeit von demienigen fodert, was sie als Ding an sich selbst| voraussezt, da die Sinnenwelt aber dergleichen nicht enthält: so kan die Rede niemals mehr von der absoluten Grösse der Reihen in derselben seyn, ob sie begränzt, oder an sich unbegränzt seyn mögen, sondern nur, wie weit wir im empirischen Regressus, bey Zurückführung der Erfahrung auf ihre Bedingungen, zurückgehen sollen, um nach der Regel der Vernunft bey keiner andern, als dem Gegenstande angemessenen Beantwortung der Fragen derselben[WS 1] stehen zu bleiben.
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 Es ist also nur die Gültigkeit des Vernunftprincip’s, als einer Regel der Fortsetzung und Grösse einer möglichen Erfahrung, die uns allein übrig bleibt, nachdem seine Ungültigkeit, als eines constitutiven Grundsatzes der Erscheinungen an sich selbst, hinlänglich dargethan worden. Auch wird, wenn wir iene ungezweifelt vor Augen legen können, der Streit der Vernunft mit sich selbst völlig geendigt, indem nicht allein durch critische Auflösung der Schein, der sie mit sich entzweiete, aufgehoben worden, sondern an dessen Statt der Sinn, in welchem sie mit sich selbst zusammenstimt und dessen Mißdeutung allein den Streit veranlaßte, aufgeschlossen und ein sonst dialectischer Grundsatz in einen doctrinalen verwandelt wird. In der That, wenn dieser, seiner subiectiven Bedeutung nach, den größtmöglichen Verstandesgebrauch in der Erfahrung den Gegenständen derselben angemessen zu bestimmen, bewähret werden kan: so ist es gerade eben so viel, als ob| er wie ein Axiom (welches aus reiner Vernunft unmöglich ist) die Gegenstände an sich selbst a priori bestimmete; denn auch dieses könte in Ansehung der Obiecte der Erfahrung keinen grösseren Einfluß auf die Erweiterung und Berichtigung unserer Erkentniß haben, als daß es sich in dem ausgebreitetsten Erfahrungsgebrauche unseres Verstandes thätig bewiese.
I.
Auflösung der cosmologischen Idee,
von der
Totalität der Zusammensetzung
der Erscheinungen von einem
Weltganzen.

 So wol hier, als bey den übrigen cosmologischen Fragen ist der Grund des regulativen Princip’s der Vernunft der Satz: daß im empirischen Regressus keine Erfahrung von einer absoluten Gränze, mithin von keiner Bedingung, als einer solchen, die empirisch schlechthin unbedingt sey, angetroffen werden könne. Der Grund davon aber ist: daß eine dergleichen Erfahrung eine Begränzung der Erscheinungen durch Nichts, oder das Leere, darauf der fortgeführte Regressus vermittelst einer Wahrnehmung stoßen könte, in sich enthalten müßte, welches unmöglich ist.

 Dieser Satz nun, der eben so viel sagt, als: daß ich im empirischen Regressus iederzeit nur zu einer Bedingung| gelange, die selbst wiederum als empirisch bedingt angesehen werden muß, enthält die Regel in terminis: daß so weit ich auch damit in der aufsteigenden Reihe gekommen seyn möge, ich iederzeit nach einem höheren Gliede der Reihe fragen müsse, es mag mir dieses nun durch Erfahrung bekant werden, oder nicht.

 Nun ist zur Auflösung der ersten cosmologischen Aufgabe nichts weiter nöthig, als noch auszumachen: ob in dem Regressus zu der unbedingten Grösse des Weltganzen (der Zeit und dem Raume nach) dieses niemals begränzte Aufsteigen ein Rückgang ins Unendliche heissen könne, oder nur ein unbestimbar fortgesezter Regressus (in indefinitum).

 Die blosse allgemeine Vorstellung der Reihe aller vergangenen Weltzustände, imgleichen der Dinge, welche im Weltraume zugleich sind, ist selbst nichts anders, als ein möglicher empirischer Regressus, den ich mir, obzwar noch unbestimt, denke, und wodurch der Begriff einer solchen Reihe von Bedingungen zu der gegebenen Wahrnehmung allein entstehen kan[1]. Nun habe ich das Weltganze| iederzeit nur im Begriffe, keinesweges aber (als Ganzes) in der Anschauung. Also kan ich nicht von seiner Grösse auf die Grösse des Regressus schliessen, und diese iener gemäß bestimmen, sondern ich muß mir allererst einen Begriff von der Weltgrösse durch die Grösse des empirischen Regressus machen. Von diesem aber weis ich niemals etwas mehr, als daß ich von iedem gegebenen Gliede der Reihe von Bedingungen immer noch zu einem höheren (entfernteren) Gliede empirisch fortgehen müsse. Also ist dadurch die Grösse des Ganzen der Erscheinungen gar nicht schlechthin bestimt, mithin kan man auch nicht sagen: daß dieser Regressus ins Unendliche gehe, weil dieses die Glieder, dahin der Regressus noch nicht gelanget ist, anticipiren und ihre Menge so groß vorstellen würde, daß keine empirische Synthesis dazu gelangen kan, folglich die Weltgrösse vor dem Regressus (wenn gleich nur negativ) bestimmen würde, welches unmöglich ist. Denn diese ist mir durch keine Anschauung, (ihrer Totalität nach) mithin auch ihre Grösse vor dem Regressus gar nicht gegeben. Demnach können wir von der Weltgrösse an sich gar nichts sagen, auch nicht einmal, daß in ihr ein regressus in infinitum statt finde, sondern müssen nur nach der Regel, die den empirischen Regressus in ihr bestimt, den Begriff von ihrer Grösse suchen. Diese Regel aber sagt nichts mehr, als daß, so weit wir auch in der Reihe der empirischen Bedingungen gekommen seyn mögen, wir nirgend eine absolute Gränze annehmen sollen,| sondern iede Erscheinung als bedingt, einer andern, als ihrer Bedingung unterordnen, zu dieser also ferner fortschreiten müssen, welches der regressus in indefinitum ist, der, weil er keine Grösse im Obiect bestimt, von dem in infinitum deutlich genug zu unterscheiden ist.

 Ich kan demnach nicht sagen: die Welt ist der vergangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn dergleichen Begriff von Grösse, als einer gegebenen Unendlichkeit, ist empirisch, mithin auch in Ansehung der Welt, als eines Gegenstandes der Sinne, schlechterdings unmöglich. Ich werde auch nicht sagen: der Regressus von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem, was diese im Raume so wol, als der vergangenen Zeit in einer Reihe begränzt, geht ins Unendliche; denn dieses sezt die unendliche Weltgrösse voraus; auch nicht: sie ist endlich; denn die absolute Gränze ist gleichfals empirisch unmöglich. Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenstande der Erfahrung (der Sinnenwelt), sondern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem Gegenstande angemessen, angestellt und fortgesezt werden soll, sagen können.

 Auf die cosmologische Frage also, wegen der Weltgrösse, ist die erste und negative Antwort: die Welt hat keinen ersten Anfang der Zeit und keine äusserste Gränze dem Raume nach.

 Denn im entgegengesezten Falle würde sie durch die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer| Seits, begränzt seyn. Da sie nun, als Erscheinung, keines von beiden an sich selbst seyn kan, denn Erscheinung ist kein Ding an sich selbst, so müßte eine Wahrnehmung der Begränzung durch schlechthin leere Zeit, oder leeren Raum, möglich seyn, durch welche diese Weltenden in einer möglichen Erfahrung gegeben wären. Eine solche Erfahrung aber, als völlig leer an Inhalt, ist unmöglich. Also ist eine absolute Weltgränze empirisch, mithin auch schlechterdings unmöglich[2].
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 Hieraus folgt denn zugleich die bejahende Antwort: der Regressus in der Reihe der Welterscheinungen, als eine Bestimmung der Weltgrösse, geht in indefinitum, welches eben so viel sagt, als: die Sinnenwelt hat keine absolute Grösse, sondern der empirische Regressus (wodurch sie auf der Seite ihrer Bedingungen allein gegeben werden kan) hat seine Regel, nemlich von einem ieden Gliede der Reihe, als einem Bedingten, iederzeit zu einem noch entferntern (es sey durch eigene Erfahrung, oder| den Leitfaden der Geschichte, oder die Kette der Wirkungen und ihrer Ursachen) fortzuschreiten, und sich der Erweiterung des möglichen empirischen Gebrauchs seines Verstandes nirgend zu überheben, welches denn auch das eigentliche und einzige Geschäfte der Vernunft bey ihren Principien ist.

 Ein bestimter empirischer Regressus, der in einer gewissen Art von Erscheinungen ohne Aufhören fortginge, wird hiedurch nicht vorgeschrieben, z. B. daß man von einem lebenden Menschen immer in einer Reihe von Voreltern aufwerts steigen müsse, ohne ein erstes Paar zu erwarten, oder in der Reihe der Weltcörper ohne eine äusserste Sonne zuzulassen, sondern es wird nur der Fortschritt von Erscheinungen zu Erscheinungen geboten, solten diese auch keine wirkliche Wahrnehmung (wenn sie dem Grade nach vor unser Bewustseyn zu schwach ist, um Erfahrung zu werden) abgeben, weil sie dem ungeachtet doch zur möglichen Erfahrung gehören.

 Aller Anfang ist in der Zeit und alle Gränze des Ausgedehnten im Raume. Raum und Zeit aber sind nur in der Sinnenwelt. Mithin sind nur Erscheinungen in der Welt bedingterweise, die Welt aber selbst weder bedingt, noch auf unbedingte Art begränzt.

 Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz, und selbst die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten nicht, als Weltreihe, ganz gegeben werden kan, ist der Begriff von der Weltgrösse nur durch den Regressus| und nicht vor demselben in einer collectiven Anschauung, gegeben. Jener besteht aber immer nur im Bestimmen der Grösse, und giebt also keinen bestimten Begriff, also auch keinen Begriff von einer Grösse, die in Ansehung eines gewissen Maasses unendlich wäre, geht also nicht ins Unendliche (gleichsam gegebene), sondern in unbestimte Weite, um eine Grösse (der Erfahrung) zu geben, die allererst durch diesen Regressus wirklich wird.


II.
Auflösung der cosmologischen Idee,
von der
Totalität der Theilung
eines gegebenen Ganzen in der
Anschauung.
 Wenn ich ein Ganzes, das in der Anschauung gegeben ist, theile, so gehe ich von einem Bedingten zu den Bedingungen seiner Möglichkeit. Die Theilung der Theile (subdiuisio oder decompositio) ist ein Regressus in der Reihe dieser Bedingungen. Die absolute Totalität dieser Reihe würde nur alsdenn gegeben seyn, wenn der Regressus bis zu einfachen Theilen gelangen könte. Sind aber alle Theile in einer continuirlichfortgehenden Decomposition immer wiederum theilbar, so geht die Theilung, d. i. der Regressus, von dem Bedingten zu seinen Bedingungen in infinitum; weil die Bedingungen (die Theile) in dem Bedingten selbst enthalten sind und, da dieses in einer| zwischen seinen Gränzen eingeschlossenen Anschauung ganz gegeben ist, insgesamt auch mit gegeben sind. Der Regressus darf also nicht blos ein Rückgang in indefinitum genant werden, wie es die vorige cosmologische Idee allein erlaubete, da ich vom Bedingten zu seinen Bedingungen, die, ausser demselben, mithin nicht dadurch zugleich mit gegeben waren, sondern die im empirischen Regressus allererst hinzu kamen, fortgehen solte. Diesem ungeachtet ist es doch keinesweges erlaubt, von einem solchen Ganzen, das ins Unendliche theilbar ist, zu sagen: es bestehe aus unendlich viel Theilen. Denn obgleich alle Theile in der Anschauung des Ganzen enthalten sind, so ist doch darin nicht die ganze Theilung enthalten, welche nur in der fortgehenden Decomposition, oder dem Regressus selbst besteht, der die Reihe allererst wirklich macht. Da dieser Regressus nun unendlich ist, so sind zwar alle Glieder (Theile), zu denen er gelangt, in dem gegebenen Ganzen als Aggregate enthalten, aber nicht die ganze Reihe der Theilung, welche successivunendlich und niemals ganz ist, folglich keine unendliche Menge, und keine Zusammennehmung derselben in einem Ganzen darstellen kan.

 Diese allgemeine Erinnerung läßt sich zuerst sehr leicht auf den Raum anwenden. Ein ieder in seinen Gränzen angeschauter Raum ist ein solches Ganze, dessen Theile bey aller Decomposition immer wiederum Räume sind, und ist daher ins Unendliche theilbar.

|  Hieraus folgt auch ganz natürlich die zweite Anwendung, auf eine in ihren Gränzen eingeschlossene äussere Erscheinung (Cörper). Die Theilbarkeit desselben gründet sich auf die Theilbarkeit des Raumes, der die Möglichkeit des Cörpers, als eines ausgedehnten Ganzen, ausmacht. Dieser ist also ins Unendliche theilbar, ohne doch darum aus unendlich viel Theilen zu bestehen.
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 Es scheinet zwar: daß, da ein Cörper als Substanz im Raume vorgestellet werden muß, er, was das Gesetz der Theilbarkeit des Raumes betrift, hierin von diesem unterschieden seyn werde: denn man kan es allenfalls wol zugeben: daß die Decomposition im lezteren niemals alle Zusammensetzung wegschaffen könne, indem alsdenn so gar aller Raum, der sonst nichts Selbstständiges hat, aufhören würde (welches unmöglich ist); allein daß, wenn alle Zusammensetzung der Materie in Gedanken aufgehoben würde, gar nichts übrig bleiben solle, scheint sich nicht mit dem Begriffe einer Substanz vereinigen zu lassen, die eigentlich das Subiect aller Zusammensetzung seyn solte, und in ihren Elementen übrig bleiben müßte, wenn gleich die Verknüpfung derselben im Raume, dadurch sie einen Cörper ausmachen, aufgehoben wäre. Allein mit dem, was in der Erscheinung Substanz heißt, ist es nicht so bewandt, als man es wol von einem Dinge an sich selbst durch reinen Verstandesbegriff denken würde. Jenes ist nicht absolutes Subiect, sondern beharrliches Bild der| Sinnlichkeit und nichts als Anschauung, in der überall nichts Unbedingtes angetroffen wird.
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 Ob nun aber gleich diese Regel des Fortschritts ins Unendliche bey der Subdivision einer Erscheinung, als einer blossen Erfüllung des Raumes, ohne allen Zweifel statt findet: so kan sie doch nicht gelten, wenn wir sie auch auf die Menge der auf gewisse Weise in dem gegebenen Ganzen schon abgesonderten Theile, dadurch diese ein quantum discretum ausmachen, erstrecken wollen. Annehmen: daß in iedem gegliederten (organisirten) Ganzen ein ieder Theil wiederum gegliedert sey, und daß man auf solche Art, bey Zerlegung der Theile ins Unendliche, immer neue Kunsttheile antreffe, mit einem Worte, daß das Ganze ins Unendliche gegliedert sey, will sich gar nicht denken lassen, obzwar wol, daß die Theile der Materie, bey ihrer Decomposition ins Unendliche, gegliedert werden könten. Denn die Unendlichkeit der Theilung einer gegebenen Erscheinung im Raume gründet sich allein darauf: daß durch diese blos die Theilbarkeit, d. i. eine an sich schlechthin unbestimte Menge von Theilen gegeben ist, die Theile selbst aber nur durch die Subdivision gegeben und bestimmet werden, kurz daß das Ganze nicht an sich selbst schon eingetheilt ist. Daher die Theilung eine Menge in demselben bestimmen kan, die so weit geht, als man im Regressus der Theilung fortschreiten will. Dagegen wird bey einem ins Unendliche gegliederten organischen Cörper| das Ganze eben durch diesen Begriff schon als eingetheilt vorgestellt, und eine an sich selbst bestimte, aber unendliche Menge der Theile, vor allem Regressus der Theilung, in ihm angetroffen, wodurch man sich selbst widerspricht; indem diese unendliche Einwickelung als eine niemals zu vollendende Reihe (unendlich) und gleichwol doch in einer Zusammennehmung als vollendet, angesehen wird. Die unendliche Theilung bezeichnet nur die Erscheinung als quantum continuum und ist von der Erfüllung des Raumes unzertrenlich; weil eben in derselben der Grund der unendlichen Theilbarkeit liegt. So bald aber etwas als quantum discretum angenommen wird: so ist die Menge der Einheiten darin bestimt; daher auch iederzeit einer Zahl gleich. Wie weit also die Organisirung in einem gegliederten Cörper gehen möge, kan nur die Erfahrung ausmachen, und wenn sie gleich mit Gewißheit zu keinem unorganischen Theile gelangte, so müssen solche doch wenigstens in der möglichen Erfahrung liegen. Aber wie weit sich die transscendentale Theilung einer Erscheinung überhaupt erstrecke, ist gar keine Sache der Erfahrung, sondern ein Principium der Vernunft, den empirischen Regressus, in der Decomposition des Ausgedehnten, der Natur dieser Erscheinung gemäß, niemals vor schlechthin vollendet zu halten.


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Schlußanmerkung
zur
Auflösung der Mathematischtransscendentalen,
und Vorerinnerung
zur Auflösung der dynamisch-transscendentalen
Ideen.
 Als wir die Antinomie der reinen Vernunft durch alle transscendentale Ideen in einer Tafel vorstelleten, da wir den Grund dieses Widerstreits und das einzige Mittel, ihn zu heben, anzeigten, welches darin bestand, daß beide entgegengesezte Behauptungen vor falsch erklärt wurden: so haben wir allenthalben die Bedingungen, als zu ihrem Bedingten nach Verhältnissen des Raumes und der Zeit gehörig, vorgestellt, welches die gewöhnliche Voraussetzung des gemeinen Menschenverstandes ist, worauf denn auch iener Widerstreit gänzlich beruhete. In dieser Rücksicht waren auch alle dialectische Vorstellungen der Totalität, in der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten, durch und durch von gleicher Art. Es war immer eine Reihe, in welcher die Bedingung mit dem Bedingten, als Glieder derselben, verknüpft und dadurch gleichartig waren, da denn der Regressus niemals vollendet gedacht, oder, wenn dieses geschehen solte, ein an sich bedingtes Glied fälschlich als ein erstes, mithin als unbedingt angenommen werden müßte. Es würde also zwar nicht allerwerts das Obiect, d. i. das Bedingte, aber doch die Reihe| der Bedingungen zu demselben, blos ihrer Grösse nach erwogen, und da bestand die Schwierigkeit, die durch keinen Vergleich, sondern durch gänzliche Abschneidung des Knotens allein gehoben werden konte, darin, daß die Vernunft es dem Verstande entweder zu lang oder zu kurz, machte, so, daß dieser ihrer Idee niemals gleich kommen konte.
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 Wir haben aber hiebey einen wesentlichen Unterschied übersehen, der unter den Obiecten, d. i. den Verstandesbegriffen herrscht, welche die Vernunft zu Ideen zu erheben trachtet, da nemlich, nach unserer obigen Tafel der Categorien, zwey derselben mathematische, die zwey übrige aber eine dynamische Synthesis der Erscheinungen bedeuten. Bis hieher konte dieses auch gar wol geschehen, indem, so wie wir in der allgemeinen Vorstellung aller transscendentalen Ideen immer nur unter Bedingungen in der Erscheinung blieben, eben so auch in den zween mathematischtransscendentalen keinen andern Gegenstand, als den in der Erscheinung hatten. Jezt aber, da wir zu dynamischen Begriffen des Verstandes, so fern sie der Vernunftidee anpassen sollen, fortgehen, wird iene Unterscheidung wichtig und eröfnet uns eine ganz neue Aussicht in Ansehung des Streithandels, darin die Vernunft verflochten ist und welcher, da er vorher, als auf beiderseitige falsche Voraussetzungen gebauet, abgewiesen worden, iezt da vielleicht in der dynamischen Antinomie| eine solche Voraussetzung statt findet, die mit der Prätension der Vernunft zusammen bestehen kan, aus diesem Gesichtspuncte und, da der Richter den Mangel der Rechtsgründe, die man beiderseits verkant hatte, ergänzt, zu beider Theile Genugthuung verglichen werden kan, welches sich bey dem Streite in der mathematischen Antinomie nicht thun lies.

 Die Reihen der Bedingungen sind freilich in so fern alle gleichartig, als man lediglich auf die Erstreckung derselben sieht: ob sie der Idee angemessen sind, oder ob diese vor iene zu groß, oder zu klein seyn. Allein der Verstandesbegriff, der diesen Ideen zum Grunde liegt, enthält entweder lediglich eine Synthesis des Gleichartigen, (welches bey ieder Grösse, in der Zusammensetzung, sowol als Theilung derselben, vorausgesezt wird), oder auch des Ungleichartigen, welches in der dynamischen Synthesis, der Caussalverbindung so wol, als der des Nothwendigen mit dem Zufälligen, wenigstens zugelassen werden kan.

 Daher komt es: daß in der mathematischen Verknüpfung der Reihen der Erscheinungen keine andere, als sinnliche Bedingung hinein kommen kan, d. i. eine solche, die selbst ein Theil der Reihe ist, da hingegen die dynamische Reihe sinnlicher Bedingungen doch noch eine ungleichartige Bedingung zuläßt, die nicht ein Theil der Reihe, sondern als blos intelligibel, ausser der Reihe liegt, wodurch| denn der Vernunft ein Gnüge gethan und das Unbedingte den Erscheinungen vorgesezt wird, ohne die Reihe der lezteren, als iederzeit bedingt, dadurch zu verwirren und, den Verstandesgrundsätzen zuwider, abzubrechen.
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 Dadurch nun, daß die dynamischen Ideen eine Bedingung der Erscheinungen ausser der Reihe derselben, d. i. eine solche, die selbst nicht Erscheinung ist, zulassen, geschieht etwas, was von dem Erfolg der Antinomie gänzlich unterschieden ist. Diese nemlich verursachte: daß beide dialectischen Gegenbehauptungen vor falsch erklärt werden mußten. Dagegen das Durchgängigbedingte der dynamischen Reihen, welches von ihnen als Erscheinungen unzertrenlich ist, mit der zwar empirischunbedingten, aber auch nichtsinnlichen Bedingung verknüpft, dem Verstande einer Seits und der Vernunft anderer Seits[3] Gnüge leisten und, indem die dialectischen Argumente, welche unbedingte Totalität in blossen Erscheinungen auf eine oder andere Art suchten, wegfallen, dagegen die| Vernunftsätze in der, auf solche Weise berichtigten Bedeutung, alle beide wahr seyn können; welches bey den cosmologischen Ideen, die blos mathematischunbedingte Einheit betreffen, niemals statt finden kan, weil bey ihnen keine Bedingung der Reihe der Erscheinungen angetroffen wird, als die auch selbst Erscheinung ist und als solche mit ein Glied der Reihe ausmacht.


III.
Auflösung der cosmologischen Ideen,
von der
Totalität der Ableitung
der Weltbegebenheiten aus ihren
Ursachen.

 Man kan sich nur zweierley Caussalität in Ansehung dessen, was geschieht, denken, entweder nach der Natur, oder aus Freiheit. Die erste ist die Verknüpfung eines Zustandes mit einem vorigen in der Sinnenwelt, worauf iener nach einer Regel folgt. Da nun die Caussalität der Erscheinungen auf Zeitbedingungen beruht, und der vorige Zustand, wenn er iederzeit gewesen wäre, auch keine Wirkung, die allererst in der Zeit entspringt, hervorgebracht hätte: so ist die Caussalität der Ursache dessen, was geschieht, oder entsteht, auch entstanden und bedarf nach dem Verstandesgrundsatze selbst wiederum eine Ursache.

|  Dagegen verstehe ich unter Freiheit, im cosmologischen Verstande, das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Caussalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimte. Die Freiheit ist in dieser Bedeutung eine reine transscendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung entlehntes enthält, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimt gegeben werden kan, weil es ein allgemeines Gesetz, selbst der Möglichkeit aller Erfahrung ist: daß alles, was geschieht, eine Ursache, mithin auch die Caussalität der Ursache, die selbst geschehen, oder entstanden, wiederum eine Ursache haben müsse; wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, so weit es sich erstrecken mag, in einen Inbegriff blosser Natur verwandelt wird. Da aber auf solche Weise keine absolute Totalität der Bedingungen im Caussalverhältnisse heraus zu bekommen ist, so schaft sich die Vernunft die Idee von einer Spontaneität, die von selbst anheben könne zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorangeschickt werden dürfe, sie wiederum nach dem Gesetze der Caussalverknüpfung zur Handlung zu bestimmen.
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 Es ist überaus merkwürdig: daß auf diese transscendentale Idee der Freiheit sich der practische Begriff derselben gründe, und iene in dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeiten ausmache, welche die Frage über ihre Möglichkeit von ieher umgeben haben. Die| Freiheit im practischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkühr von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkühr ist sinnlich, so fern sie pathologisch (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) afficirt ist; sie heißt thierisch (arbitrium brutum), wenn sie pathologisch necessitirt werden kan. Die menschliche Willkühr ist zwar ein arbitrium sensitiuum, aber nicht brutum, sondern liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht nothwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, sich unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche Antriebe von selbst zu bestimmen.

 Man siehet leicht: daß, wenn alle Caussalität in der Sinnenwelt blos Natur wäre, so würde iede Begebenheit durch eine andere in der Zeit nach nothwendigen Gesetzen bestimt seyn und mithin, da die Erscheinungen, so fern sie die Willkühr bestimmen, iede Handlung als ihren natürlichen Erfolg nothwendig machen müßten: so würde die Aufhebung der transscendentalen Freiheit zugleich alle practische Freiheit vertilgen. Denn diese sezt voraus: daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkühr eine Caussalität liege, unabhängig von ienen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimt ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen.

|  Es geschieht also hier, was überhaupt in dem Widerstreit einer sich über die Gränzen möglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft angetroffen wird, daß die Aufgabe eigentlich nicht physiologisch, sondern transscendental ist. Daher die Frage von der Möglichkeit der Freiheit die Psychologie zwar anficht, aber, da sie auf dialectischen Argumenten der blos reinen Vernunft beruht, samt ihrer Auflösung lediglich die Transscendentalphilosophie beschäftigen muß. Um nun diese, welche eine befriedigende Antwort hierüber nicht ablehnen kan, dazu in Stand zu setzen, muß ich zuvörderst ihr Verfahren bey dieser Aufgabe durch eine Bemerkung näher zu bestimmen suchen.
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 Wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst wären, mithin Raum und Zeit Formen des Daseyns der Dinge an sich selbst: so würden die Bedingungen mit dem Bedingten iederzeit als Glieder zu einer und derselben Reihe gehören und daraus auch in gegenwärtigem Falle die Antinomie entspringen, die allen transscendentalen Ideen gemein ist: daß diese Reihe unvermeidlich vor den Verstand zu groß, oder zu klein ausfallen müßte. Die dynamische Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieser und der folgenden Nummer beschäftigen, haben dieses Besondere: daß, da sie es nicht mit einem Gegenstande, als Grösse betrachtet, sondern nur mit seinem Daseyn zu thun haben, man auch von der Grösse der Reihe der Bedingungen abstrahiren kan, und es bey ihnen blos auf das dynamische| Verhältniß der Bedingung zum Bedingten ankomt, so, daß wir in der Frage über Natur und Freiheit schon die Schwierigkeit antreffen, ob Freiheit überall nur möglich sey und ob, wenn sie es ist, sie mit der Allgemeinheit des Naturgesetzes der Caussalität zusammen bestehen könne, mithin ob es ein richtigdisiunctiver Satz sey: daß eine iede Wirkung in der Welt entweder aus Natur, oder aus Freiheit entspringen müsse, oder ob nicht vielmehr beides in verschiedener Beziehung bey einer und derselben Begebenheit zugleich statt finden könne. Die Richtigkeit ienes Grundsatzes, von dem durchgängigen Zusammenhange aller Begebenheiten der Sinnenwelt, nach unwandelbaren Naturgesetzen, steht schon als ein Grundsatz der transscendentalen Analytik fest und leidet keinen Abbruch. Es ist also nur die Frage: ob dem ungeachtet in Ansehung eben derselben Wirkung, die nach der Natur bestimt ist, auch Freiheit statt finden könne, oder diese durch iene unverletzliche Regel völlig ausgeschlossen sey. Und hier zeigt die zwar gemeine, aber betrügliche Voraussetzung der absoluten Realität der Erscheinungen, so gleich ihren nachtheiligen Einfluß, die Vernunft zu verwirren. Denn sind Erscheinungen Dinge an sich selbst: so ist Freiheit nicht zu retten. Alsdenn ist Natur die vollständige und an sich hinreichend bestimmende Ursache ieder Begebenheit und die Bedingung derselben ist iederzeit nur in der Reihe der Erscheinungen enthalten, die samt ihrer Wirkung, unter dem Naturgesetze nothwendig sind. Wenn dagegen| Erscheinungen vor nichts mehr gelten, als sie in der That sind, nemlich nicht vor Dinge an sich, sondern blosse Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind. Eine solche intelligibele Ursache aber wird in Ansehung ihrer Caussalität nicht durch Erscheinungen bestimt, obzwar ihre Wirkungen erscheinen, und so durch andere Erscheinungen bestimt werden können. Sie ist also samt ihrer Caussalität ausser der Reihe; dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen angetroffen werden. Die Wirkung kan also in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache als frey und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen, als Erfolg aus denselben nach der Nothwendigkeit der Natur angesehen werden; eine Unterscheidung, die, wenn sie im Allgemeinen und ganz abstract vorgetragen wird, äusserst subtil und dunkel scheinen muß, die sich aber in der Anwendung aufklären wird. Hier habe ich nur die Anmerkung machen wollen: daß, da der durchgängige Zusammenhang aller Erscheinungen, in einem Context der Natur, ein unnachlaßliches Gesetz ist, dieses alle Freiheit nothwendig umstürzen müßte, wenn man der Realität der Erscheinungen hartnäckigt anhängen wolte. Daher auch dieienige, welche hierin der gemeinen Meinung folgen, niemals dahin haben gelangen können, Natur und Freiheit mit einander zu vereinigen.


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Möglichkeit der Caussalität
durch Freiheit,
in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der
Naturnothwendigkeit.
 Ich nenne dasienige an einem Gegenstande der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, intelligibel. Wenn demnach dasienige, was in der Sinnenwelt als Erscheinung angesehen werden muß, an sich selbst auch ein Vermögen hat, welches kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung ist, wodurch es aber doch die Ursache von Erscheinungen seyn kan: so kan man die Caussalität dieses Wesens auf zwey Seiten betrachten, als intelligibel nach ihrer Handlung, als eines Dinges an sich selbst, und als sensibel, nach den Wirkungen derselben, als einer Erscheinung in der Sinnenwelt. Wir würden uns demnach von dem Vermögen eines solchen Subiects einen empirischen, imgleichen auch einen intellectuellen Begriff seiner Caussalität machen, welche bey einer und derselben Wirkung zusammen statt finden. Eine solche doppelte Seite, das Vermögen eines Gegenstandes der Sinne sich zu denken, widerspricht keinem von den Begriffen, die wir uns von Erscheinungen und von einer möglichen Erfahrung zu machen haben. Denn, da diesen, weil sie an sich keine Dinge sind, ein transscendentaler Gegenstand zum Grunde liegen muß, der sie als blosse Vorstellungen bestimt, so hindert nichts, daß wir diesem transscendentalen Gegenstande,| ausser der Eigenschaft, dadurch er erscheint, nicht auch eine Caussalität beilegen solten, die nicht Erscheinung ist, obgleich ihre Wirkung dennoch in der Erscheinung angetroffen wird. Es muß aber eine iede wirkende Ursache einen Character haben, d. i. ein Gesetz ihrer Caussalität, ohne welches sie gar nicht Ursache seyn würde. Und da würden wir an einem Subiecte der Sinnenwelt erstlich einen empirischen Character haben, wodurch seine Handlungen, als Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach beständigen Naturgesetzen im Zusammenhange ständen und von ihnen, als ihren Bedingungen, abgeleitet werden könten und also, mit diesen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung ausmachten. Zweitens würde man ihm noch einen intelligibelen Character einräumen müssen, dadurch es zwar die Ursache iener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht und selbst nicht Erscheinung ist. Man könte auch den ersteren den Character eines solchen Dinges in der Erscheinung, den zweiten den Character des Dinges an sich selbst nennen.
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 Dieses handelnde Subiect würde nun, nach seinem intelligibelen Character, unter keinen Zeitbedingungen stehen, denn die Zeit ist nur die Bedingung der Erscheinungen, nicht aber der Dinge an sich selbst. In ihm würde keine Handlung entstehen, oder vergehen, mithin würde| es auch nicht dem Gesetze aller Zeitbestimmung, alles Veränderlichen, unterworfen seyn: daß alles, was geschieht, in den Erscheinungen (des vorigen Zustandes) seine Ursache antreffe. Mit einem Worte, die Caussalität desselben, so fern sie intellectuel ist, stände gar nicht in der Reihe empirischer Bedingungen, welche die Begebenheit in der Sinnenwelt nothwendig machen. Dieser intelligibele Character könte zwar niemals unmittelbar gekant werden, weil wir nichts wahrnehmen können, als so fern es erscheint, aber er würde doch dem empirischen Character gemäß gedacht werden müssen, so wie wir überhaupt einen transscendentalen Gegenstand den Erscheinungen in Gedanken zum Grunde legen müssen, ob wir zwar von ihm, was er an sich selbst sey, nichts wissen.

 Nach seinem empirischen Character würde also dieses Subiect, als Erscheinung, allen Gesetzen der Bestimmung nach, der Caussalverbindung unterworfen seyn und es wäre so fern nichts, als ein Theil der Sinnenwelt, dessen Wirkungen, so wie iede andere Erscheinung, aus der Natur unausbleiblich abflössen. So wie äussere Erscheinungen in dasselbe einflössen, wie sein empirischer Character, d. i. das Gesetz seiner Caussalität, durch Erfahrung erkant wäre, müßten sich alle seine Handlungen nach Naturgesetzen erklären lassen und alle Requisite zu einer vollkommenen und nothwendigen Bestimmung derselben müßten in einer möglichen Erfahrung angetroffen werden.

|  Nach dem intelligibelen Character desselben aber (ob wir zwar davon nichts als blos den allgemeinen Begriff desselben haben können) würde dasselbe Subiect dennoch von allem Einflusse der Sinnlichkeit und Bestimmung durch Erscheinungen frey gesprochen werden müssen, und, da in ihm, so fern es Noumenon ist, nichts geschieht, keine Veränderung, welche dynamische Zeitbestimmung erheischt, mithin keine Verknüpfung mit Erscheinungen als Ursachen angetroffen wird, so würde dieses thätige Wesen, so fern in seinen Handlungen von aller Naturnothwendigkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen wird, unabhängig und frey seyn. Man würde von ihm ganz richtig sagen: daß es seine Wirkungen in der Sinnenwelt von selbst anfange, ohne daß die Handlung in ihm selbst anfängt und dieses würde gültig seyn, ohne daß die Wirkungen in der Sinnenwelt darum von selbst anfangen dürfen, weil sie in derselben iederzeit durch empirische Bedingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelst des empirischen Characters (der blos die Erscheinung des intelligibelen ist) vorher bestimt seyn, und nur als eine Fortsetzung der Reihe der Naturursachen möglich sind. So würde denn Freiheit und Natur, iedes in seiner vollständigen Bedeutung, bey eben denselben Handlungen, nachdem man sie mit ihrer intelligibelen, oder sensibelen Ursache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerstreit angetroffen werden.


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Erläuterung
der cosmologischen Idee einer Freiheit
in Verbindung mit der allgemeinen
Naturnothwendigkeit.

 Ich habe gut gefunden, zuerst den Schattenriß der Auflösung unseres transscendentalen Problems zu entwerfen, damit man den Gang der Vernunft in Auflösung desselben dadurch besser übersehen möge. Jezt wollen wir die Momente ihrer Entscheidung, auf die es eigentlich ankömt, aus einander setzen und iedes besonders in Erwägung ziehen.

 Das Naturgesetz: daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, daß die Caussalität dieser Ursache, d. i. die Handlung, da sie in der Zeit vorhergeht und in Betracht einer Wirkung, die da entstanden, selbst nicht immer gewesen seyn kan, sondern geschehen seyn muß, auch ihre Ursache unter den Erscheinungen habe, dadurch sie bestimt wird und daß folglich alle Begebenheiten in einer Naturordnung empirisch bestimt sind, dieses Gesetz, durch welches Erscheinungen allererst eine Natur ausmachen und Gegenstände einer Erfahrung abgeben können, ist ein Verstandesgesetz, von welchem es unter keinem Vorwande erlaubt ist abzugehen, oder irgend eine Erscheinung davon auszunehmen; weil man sie sonst ausserhalb aller möglichen Erfahrung setzen, dadurch aber von allen Gegenständen möglicher| Erfahrung unterscheiden und sie zum blossen Gedankendinge und einem Hirngespinst machen würde.

 Ob es aber gleich hiebey lediglich nach einer Kette von Ursachen aussieht, die im Regressus zu ihren Bedingungen gar keine absolute Totalität verstattet, so hält uns diese Bedenklichkeit doch gar nicht auf; denn sie ist schon in der allgemeinen Beurtheilung der Antinomie der Vernunft, wenn sie in der Reihe der Erscheinungen aufs Unbedingte ausgeht, gehoben worden. Wenn wir der Täuschung des transscendentalen Realismus nachgeben wollen: so bleibt weder Natur, noch Freiheit übrig. Hier ist nur die Frage: ob, wenn man in der ganzen Reihe aller Begebenheiten lauter Naturnothwendigkeit anerkent, es doch möglich sey, eben dieselbe, die einer Seits blosse Naturwirkung ist, doch anderer Seits als Wirkung aus Freiheit anzusehen, oder ob zwischen diesen zween Arten von Caussalität ein gerader Widerspruch angetroffen werde.

 Unter den Ursachen in der Erscheinung kan sicherlich nichts seyn, welches eine Reihe schlechthin und von selbst anfangen könte. Jede Handlung, als Erscheinung, so fern sie eine Begebenheit hervorbringt, ist selbst Begebenheit, oder Eräugniß, welche einen andern Zustand voraussezt, darin die Ursache angetroffen werde und so ist alles, was geschieht, nur eine Fortsetzung der Reihe und kein Anfang, der sich von selbst zutrüge, in derselben möglich.| Also sind alle Handlungen der Naturursachen in der Zeitfolge selbst wiederum Wirkungen, die ihre Ursachen eben so wol in der Zeitreihe voraussetzen. Eine ursprüngliche Handlung, wodurch etwas geschieht, was vorher nicht war, ist von der Caussalverknüpfung der Erscheinungen nicht zu erwarten.

 Ist es denn aber auch nothwendig: daß, wenn die Wirkungen Erscheinungen sind, die Caussalität ihrer Ursache, die (nemlich Ursache) selbst auch Erscheinung ist, lediglich empirisch seyn müsse und ist es nicht vielmehr möglich: daß, obgleich zu ieder Wirkung in der Erscheinung eine Verknüpfung mit ihrer Ursache, nach Gesetzen der empirischen Caussalität, allerdings erfodert wird, dennoch diese empirische Caussalität selbst, ohne ihren Zusammenhang mit den Naturursachen im mindesten zu unterbrechen, doch einer Wirkung einer nichtempirischen, sondern intelligibelen Caussalität seyn könne, d. i. einer, in Ansehung der Erscheinungen, ursprünglichen Handlung einer Ursache, die also in so fern nicht Erscheinung, sondern diesem Vermögen nach intelligibel ist, ob sie gleich übrigens gänzlich, als ein Glied der Naturkette, mit zu der Sinnenwelt gezählt werden muß.

 Wir bedürfen des Satzes der Caussalität der Erscheinungen unter einander, um von Naturbegebenheiten Naturbedingungen, d. i. Ursachen in der Erscheinung, zu suchen und angeben zu können. Wenn dieses eingeräumt und durch keine Ausnahme geschwächt wird, so hat der Verstand, der bey seinem empirischen Gebrauche in allen Eräugnissen| nichts als Natur sieht und dazu auch berechtigt ist, alles, was er fodern kan, und die physische Erklärungen gehen ihren ungehinderten Gang fort. Nun thut ihm das nicht den mindesten Abbruch, gesezt daß es übrigens auch blos erdichtet seyn solte, wenn man annimt: daß unter den Naturursachen es auch welche gebe, die ein Vermögen haben, welches nur intelligibel ist, indem die Bestimmung desselben zur Handlung niemals auf empirischen Bedingungen, sondern auf blossen Gründen des Verstandes beruht, so doch, daß die Handlung in der Erscheinung von dieser Ursache allen Gesetzen der empirischen Caussalität gemäß sey. Denn auf diese Art würde das handelnde Subiect, als caussa phaenomenon, mit der Natur in unzertrenter Abhängigkeit aller ihrer Handlungen verkettet seyn und nur das phaenomenon dieses Subiects (mit aller Caussalität desselben in der Erscheinung) würde gewisse Bedingungen enthalten, die, wenn man von dem empirischen Gegenstande zu dem transscendentalen aufsteigen will, als blos intelligibel müßten angesehen werden. Denn wenn wir nur in dem, was unter den Erscheinungen die Ursache seyn mag, der Naturregel folgen: so können wir darüber unbekümmert seyn, was in dem transscendentalen Subiect, welches uns empirisch unbekant ist, vor ein Grund von diesen Erscheinungen und deren Zusammenhange gedacht werde. Dieser intelligibele Grund ficht gar nicht die empirischen Fragen an, sondern betrift etwa blos das Denken im reinen Verstande| und, obgleich die Wirkungen dieses Denkens und Handelns des reinen Verstandes in den Erscheinungen angetroffen werden, so müssen diese doch nichts desto minder aus ihrer Ursache in der Erscheinung nach Naturgesetzen vollkommen erklärt werden können, indem man den blos empirischen Character derselben, als den obersten Erklärungsgrund, befolgt, und den intelligibelen Character, der die transscendentale Ursache von ienem ist, gänzlich als unbekant vorbey geht, ausser so fern er nur durch den empirischen, als das sinnliche Zeichen desselben angegeben wird. Laßt uns dieses auf Erfahrung anwenden. Der Mensch ist eine von den Erscheinungen der Sinnenwelt, und in so fern auch eine der Naturursachen, deren Caussalität unter empirischen Gesetzen stehen muß. Als eine solche muß er demnach auch einen empirischen Character haben, so wie alle andere Naturdinge. Wir bemerken denselben durch Kräfte und Vermögen, die er in seinen Wirkungen äussert. Bey der leblosen, oder blos thierischbelebten Natur, finden wir keinen Grund, irgend ein Vermögen uns anders, als blos sinnlich bedingt zu denken. Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kent, erkent sich selbst auch durch blosse Apperception und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kan, und ist sich selbst freilich eines Theils Phänomen, anderen Theils aber, nemlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein blos intelligibeler Gegenstand, weil die Handlung desselben| gar nicht zur Receptivität der Sinnlichkeit gezählt werden kan. Wir nennen diese Vermögen Verstand und Vernunft, vornemlich wird die leztere ganz eigentlich und vorzüglicher Weise von allen empirischbedingten Kräften unterschieden, da sie ihre Gegenstände blos nach Ideen erwägt und den Verstand darnach bestimt, der denn von seinen (zwar auch reinen) Begriffen einen empirischen Gebrauch macht.

 Daß diese Vernunft nun Caussalität habe, wenigstens wir uns eine dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche wir in allem Practischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben. Das Sollen drückt eine Art von Nothwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkomt. Der Verstand kan von dieser nur erkennen, was da ist, oder gewesen ist, oder seyn wird. Es ist unmöglich, daß etwas darin anders seyn soll, als es in allen diesen Zeitverhältnissen in der That ist, ia das Sollen, wenn man blos den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir können gar nicht fragen: was in der Natur geschehen soll, eben so wenig, als: was vor Eigenschaften ein Cirkel haben soll, sondern was darin geschieht, oder welche Eigenschaften der leztere hat.

 Dieses Sollen nun drükt eine mögliche Handlung aus, davon der Grund nichts anders, als ein blosser Begriff ist; dahingegen von einer blossen Naturhandlung der| Grund iederzeit eine Erscheinung seyn muß. Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen möglich seyn, wenn auf sie das Sollen gerichtet ist; aber diese Naturbedingungen betreffen nicht die Bestimmung der Willkühr selbst, sondern nur die Wirkung und den Erfolg derselben in der Erscheinung. Es mögen noch so viel Naturgründe seyn, die mich zum Wollen antreiben, noch so viel sinnliche Anreitze, so können sie nicht das Sollen hervorbringen; sondern nur ein noch lange nicht nothwendiges, sondern iederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maas und Ziel, ia Verbot und Ansehen entgegen sezt. Es mag ein Gegenstand der blossen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) seyn: so giebt die Vernunft nicht demienigen Grunde, der empirisch gegeben ist, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, so wie sie sich in der Erscheinung darstellen, sondern macht sich mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirische Bedingungen hinein paßt, und nach denen sie so gar Handlungen vor nothwendig erklärt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber gleichwol voraussezt, daß die Vernunft in Beziehung auf sie Caussalität haben könne; denn, ohne das, würde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten.
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 Nun laßt uns hiebey stehen bleiben und es wenigstens als Möglich annehmen: die Vernunft habe wirklich| Caussalität in Ansehung der Erscheinungen: so muß sie, so sehr sie auch Vernunft ist, dennoch einen empirischen Character von sich zeigen, weil iede Ursach eine Regel voraussezt, darnach gewisse Erscheinungen als Wirkungen folgen, und iede Regel eine Gleichförmigkeit der Wirkungen erfodert, die den Begriff der Ursache (als eines Vermögens) gründet, welchen wir, so fern er aus blossen Erscheinungen erhellen muß, seinen empirischen Character heissen können, der beständig ist, indessen die Wirkungen, nach Verschiedenheit der begleitenden und zum Theil einschränkenden Bedingungen, in veränderlichen Gestalten erscheinen.
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 So hat denn ieder Mensch einen empirischen Character seiner Willkühr, welcher nichts anders ist, als eine gewisse Caussalität seiner Vernunft, so fern diese an ihren Wirkungen in der Erscheinung eine Regel zeigt, darnach man die Vernunftgründe und die Handlungen derselben nach ihrer Art und ihren Graden abnehmen, und die subiective Principien seiner Willkühr beurtheilen kan. Weil dieser empirische Character selbst aus den Erscheinungen als Wirkung und aus der Regel derselben, welche Erfahrung an die Hand giebt, gezogen werden muß: so sind alle Handlungen des Menschen in der Erscheinung aus seinem empirischen Character und den mitwirkenden anderen Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimt und, wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkür bis auf| den Grund erforschen könten, so würde es keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewisheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen könten. In Ansehung dieses empirischen Characters giebt es also keine Freiheit und nach diesem können wir doch allein den Menschen betrachten, wenn wir lediglich beobachten und, wie es in der Anthropologie geschieht, von seinen Handlungen die bewegende Ursachen physiologisch erforschen wollen.

 Wenn wir aber eben dieselbe Handlungen in Beziehung auf die Vernunft erwägen und zwar nicht die speculative, um iene ihrem Ursprunge nach zu erklären, sondern ganz allein, so fern Vernunft die Ursache ist, sie selbst zu erzeugen, mit einem Worte, vergleichen wir sie mit dieser in practischer Absicht: so finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, als die Naturordnung ist. Denn da solte vielleicht alles das nicht geschehen seyn, was doch nach dem Naturlaufe geschehen ist und nach seinen empirischen Gründen unausbleiblich geschehen mußte. Bisweilen aber finden wir, oder glauben wenigstens zu finden: daß die Ideen der Vernunft wirklich Caussalität in Ansehung der Handlungen des Menschen, als Erscheinungen, bewiesen haben, und daß sie darum geschehen sind, nicht weil sie durch empirische Ursachen, nein, sondern weil sie durch Gründe der Vernunft bestimt waren.

|  Gesezt nun, man könte sagen: die Vernunft habe Caussalität in Ansehung der Erscheinung; könte da wohl die Handlung derselben frey heissen, da sie im empirischen Character derselben (der Sinnesart) ganz genau bestimt und nothwendig ist. Dieser ist wiederum im intelligibelen Character (der Denkungsart) bestimt. Die leztere kennen wir aber nicht, sondern bezeichnen sie durch Erscheinungen, welche eigentlich nur die Sinnesart (empirischen Character) unmittelbar zu erkennen geben[4]. Die Handlung nun, so fern sie der Denkungsart, als ihrer Ursache, beizumessen ist, erfolgt dennoch daraus gar nicht nach empirischen Gesetzen, d. i. so, daß die Bedingungen der reinen Vernunft, sondern nur so, daß deren Wirkungen in der Erscheinung des inneren Sinnes vorhergehen. Die reine Vernunft, als ein blos intelligibeles Vermögen, ist der Zeitform, und mithin auch den Bedingungen der Zeitfolge, nicht unterworfen. Die Caussalität der Vernunft im intelligibelen Character entsteht nicht, oder hebt nicht etwa zu einer gewissen Zeit an, um eine Wirkung hervorzubringen. Denn| sonst würde sie selbst dem Naturgesetz der Erscheinungen, so fern es Caussalreihen der Zeit nach bestimt, unterworfen seyn, und die Caussalität wäre alsdenn Natur, und nicht Freiheit. Also werden wir sagen können: wenn Vernunft Caussalität in Ansehung der Erscheinungen haben kan: so ist sie ein Vermögen, durch welches die sinnliche Bedingung einer empirischen Reihe von Wirkungen zuerst anfängt. Denn die Bedingung, die in der Vernunft liegt, ist nicht sinnlich und fängt also selbst nicht an. Demnach findet alsdenn dasienige statt, was wir in allen empirischen Reihen vermißten: daß die Bedingung einer successiven Reihe von Begebenheiten selbst empirischunbedingt seyn konte. Denn hier ist die Bedingung ausser der Reihe der Erscheinungen (im Intelligibelen) und mithin keiner sinnlichen Bedingung und keiner Zeitbestimmung durch vorhergehende Ursache unterworfen.
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 Gleichwol gehört doch eben dieselbe Ursache in einer andern Beziehung auch zur Reihe der Erscheinungen. Der Mensch ist selbst Erscheinung. Seine Willkühr hat einen empirischen Character, der die (empirische) Ursache aller seiner Handlungen ist. Es ist keine der Bedingungen, die den Menschen diesem Character gemäß bestimmen, welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten wäre und dem Gesetze derselben gehorchte, nach welchem gar keine empirischunbedingte Caussalität von dem, was in der Zeit geschieht, angetroffen wird. Daher kan keine gegebene Handlung (weil sie nur als Erscheinung wahrgenommen| werden kan) schlechthin von selbst anfangen. Aber von der Vernunft kan man nicht sagen: daß vor demienigen Zustande, daran sie die Willkühr bestimt, ein anderer vorhergehe, darin dieser Zustand selbst bestimt wird. Denn da Vernunft selbst keine Erscheinung und gar keinen Bedingungen der Sinnlichkeit unterworfen ist, so findet in ihr, selbst in Betreff ihrer Caussalität, keine Zeitfolge statt und auf sie kan also das dynamische Gesetz der Natur, was die Zeitfolge nach Regeln bestimt, nicht angewandt werden.
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 Die Vernunft ist also die beharrliche Bedingung aller willkührlichen Handlungen, unter denen der Mensch erscheint. Jede derselben ist im empirischen Character des Menschen vorher bestimt, ehe noch als sie geschieht. In Ansehung des intelligibelen Characters, wovon iener nur das sinnliche Schema ist, gilt kein Vorher, oder Nachher und iede Handlung, unangesehen des Zeitverhältnisses, darin sie mit anderen Erscheinungen steht, ist die unmittelbare Wirkung des intelligibelen Characters der reinen Vernunft, welche mithin frey handelt, ohne in der Kette der Naturursachen, durch äussere oder innere, aber der Zeit nach vorhergehende Gründe, dynamisch bestimt zu seyn, und diese ihre Freiheit kan man nicht allein negativ, als Unabhängigkeit von empirischen Bedingungen ansehen, (denn dadurch würde das Vernunftvermögen aufhören, eine Ursache der Erscheinungen zu seyn), sondern| auch positiv, durch ein Vermögen bezeichnen, eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen, so, daß in ihr selbst nichts anfängt, sondern sie, als unbedingte Bedingung ieder willkührlichen Handlung, über sich keine der Zeit nach vorhergehende Bedingungen verstattet, indessen daß doch ihre Wirkung in der Reihe der Erscheinungen anfängt, aber darin niemals einen schlechthin ersten Anfang ausmachen kan.
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 Um das regulative Princip der Vernunft durch ein Beispiel aus dem empirischen Gebrauch desselben zu erläutern, nicht um es zu bestätigen, (denn dergleichen Beweise sind zu transscendentalen Behauptungen untauglich), so nehme man eine willkührliche Handlung, z. E. eine boshafte Lüge, durch die ein Mensch eine gewisse Verwirrung in die Gesellschaft gebracht hat, und die man zuerst ihren Bewegursachen nach, woraus sie entstanden, untersucht und darauf beurtheilt, wie sie samt ihren Folgen ihm zugerechnet werden können. In der ersten Absicht geht man seinen empirischen Character bis zu den Quellen desselben durch, die man in der schlechten Erziehung, übler Gesellschaft, zum Theil auch in der Bösartigkeit, eines vor Beschämung unempfindlichen Naturels, aufsucht, zum Theil auf den Leichtsinn und Unbesonnenheit schiebt; wobey man denn die veranlassende Gelegenheitsursachen nicht aus der Acht läßt. In allem diesem verfährt man, wie überhaupt in Untersuchung der Reihe bestimmender Ursachen zu einer gegebenen Naturwirkung. Ob man nun gleich| die Handlung dadurch bestimt zu seyn glaubt: so tadelt man nichts destoweniger den Thäter und zwar nicht wegen seines unglücklichen Naturels, nicht wegen der auf ihn einfliessenden Umstände, ia so gar nicht wegen seines vorhergeführten Lebenswandels, denn man sezt voraus, man könne es gänzlich bey Seite setzen, wie dieser beschaffen gewesen, und die verflossene Reihe von Bedingungen als ungeschehen, diese That aber als gänzlich unbedingt in Ansehung des vorigen Zustandes ansehen, als ob der Thäter damit eine Reihe von Folgen ganz von selbst anhebe. Dieser Tadel gründet sich auf ein Gesetz der Vernunft, wobey man diese als eine Ursache ansieht, welche das Verhalten des Menschen, unangesehen aller genanten empirischen Bedingungen, anders habe bestimmen können und sollen. Und zwar siehet man die Caussalität der Vernunft nicht etwa blos wie Concurrenz, sondern an sich selbst als vollständig an, wenn gleich die sinnliche Triebfedern gar nicht davor, sondern wol gar dawider wären; die Handlung wird seinem intelligibelen Character beygemessen, er hat iezt, in dem Augenblicke, da er lügt, gänzlich Schuld; mithin war die Vernunft, unerachtet aller empirischen Bedingungen der That, völlig frey und ihrer Unterlassung ist diese gänzlich beizumessen.
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 Man siehet diesem zurechnenden Urtheile es leicht an: daß man dabey in Gedanken habe, die Vernunft werde durch alle iene Sinnlichkeit gar nicht afficirt, sie verändere sich nicht (wenn gleich ihre Erscheinungen, nemlich| die Art, wie sie sich in ihren Wirkungen zeigt, sich verändern), in ihr gehe kein Zustand vorher, der den folgenden bestimme, mithin sie gehöre gar nicht in die Reihe der sinnlichen Bedingungen, welche die Erscheinungen nach Naturgesetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft, ist allen Handlungen des Menschen in allen Zeitumständen gegenwärtig und einerley, selbst aber ist sie nicht in der Zeit und geräth etwa in einen neuen Zustand, darin sie vorher nicht war; sie ist bestimmend, aber nicht bestimbar in Ansehung desselben. Daher kan man nicht fragen: warum hat sich nicht die Vernunft anders bestimt, sondern nur: warum hat sie die Erscheinungen durch ihre Caussalität nicht anders bestimt. Darauf aber ist keine Antwort möglich. Denn ein anderer intelligibeler Character würde einen andern empirischen gegeben haben und, wenn wir sagen: daß unerachtet seines ganzen, bis dahin geführten, Lebenswandels, der Thäter die Lüge doch hätte unterlassen können, so bedeutet dieses nur: daß sie unmittelbar unter der Macht der Vernunft stehe, und die Vernunft in ihrer Caussalität keinen Bedingungen der Erscheinung und des Zeitlaufs unterworfen ist, der Unterschied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterschied der Erscheinungen respective gegen einander, da diese aber keine Sachen, mithin auch nicht Ursachen an sich selbst sind, keinen Unterschied der Handlung in Beziehung auf die Vernunft machen könne.
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|  Wir können also mit der Beurtheilung freier Handlungen, in Ansehung ihrer Caussalität, nur bis an die intelligibele Ursache, aber nicht über dieselbe hinaus kommen, wir können erkennen, daß sie frey, d. i. von der Sinnlichkeit unabhängig bestimt und, auf solche Art, die sinnlichunbedingte Bedingung der Erscheinungen seyn könne. Warum aber der intelligibele Character gerade diese Erscheinungen und diesen empirischen Character unter vorliegenden Umständen gebe, das überschreitet so weit alles Vermögen unserer Vernunft es zu beantworten, ia alle Befugniß derselben nur zu fragen, als ob man früge: woher der transscendentale Gegenstand unserer äusseren sinnlichen Anschauung gerade nur Anschauung im Raume und nicht irgend eine andere giebt. Allein die Aufgabe, die wir aufzulösen hatten, verbindet uns hiezu gar nicht, denn sie war nur diese: ob Freiheit der Naturnothwendigkeit in einer und derselben Handlung widerstreite und dieses haben wir hinreichend beantwortet, da wir zeigten: daß, da bey iener eine Beziehung auf eine ganz andere Art von Bedingungen möglich ist, als bey dieser, das Gesetz der lezteren die erstere nicht afficire, mithin beide von einander unabhängig und durch einander ungestört statt finden können.
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 Man muß wol bemerken: daß wir hiedurch nicht die Wirklichkeit der Freiheit als einer der Vermögen,| welche die Ursache von den Erscheinungen unserer Sinnenwelt enthalten, haben darthun wollen. Denn ausser, daß dieses gar keine transscendentale Betrachtung, die blos mit Begriffen zu thun hat, gewesen seyn würde: so könte es auch nicht gelingen, indem wir aus der Erfahrung niemals auf etwas, was gar nicht nach Erfahrungsgesetzen gedacht werden muß, schliessen können. Ferner haben wir auch gar nicht einmal die Möglichkeit der Freiheit beweisen wollen; denn dieses wäre auch nicht gelungen, weil wir überhaupt von keinem Realgrunde und keiner Caussalität, aus blossen Begriffen a priori, die Möglichkeit erkennen können. Die Freiheit wird hier nur als transscendentale Idee behandelt, wodurch die Vernunft die Reihe der Bedingungen in der Erscheinung durch das Sinnlichunbedingte schlechthin anzuheben denkt, dabey sich aber in eine Antinomie mit ihren eigenen Gesetzen, welche sie dem empirischen Gebrauche des Verstandes vorschreibt, verwikelt. Daß nun diese Antinomie auf einem blossen Scheine beruhe und, daß Natur der Caussalität aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite, das war das einzige, was wir leisten konten und woran es uns auch einzig und allein gelegen war.


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IV.
Auflösung der cosmologischen Idee,
von der
Totalität der Abhängigkeit
der Erscheinungen, ihrem Daseyn nach
überhaupt.

 In der vorigen Nummer betrachteten wir die Veränderungen der Sinnenwelt in ihrer dynamischen Reihe, da eine iede unter einer andern, als ihrer Ursache, steht. Jezt dient uns diese Reihe der Zustände nur zur Leitung, um zu einem Daseyn zu gelangen, das die höchste Bedingung alles Veränderlichen seyn könne, nemlich dem nothwendigen Es ist hier nicht um die unbedingte Caussalität, sondern die unbedingte Existenz der Substanz selbst zu thun. Also ist die Reihe, welche wir vor uns haben, eigentlich nur die, von Begriffen und nicht von Anschauungen, in so fern die eine die Bedingung der andern ist.

 Man siehet aber leicht: daß, da alles in dem Inbegriffe der Erscheinungen veränderlich, mithin im Daseyn bedingt ist, es überall in der Reihe des abhängigen Daseyns kein unbedingtes Glied geben könne, dessen Existenz schlechthin nothwendig wäre, und daß also, wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst wären, eben darum aber ihre Bedingung mit dem Bedingten iederzeit zu einer und derselben Reihe der Anschauungen gehörete, ein nothwendiges| Wesen, als Bedingung des Daseyns der Erscheinungen der Sinnenwelt, niemals statt finden könte.

 Es hat aber der dynamische Regressus dieses Eigenthümliche und Unterscheidende von dem mathematischen an sich: daß, da dieser es eigentlich nur mit der Zusammensetzung der Theile zu einem Ganzen, oder der Zerfällung eines Ganzen in seine Theile, zu thun hat, die Bedingungen dieser Reihe immer als Theile derselben, mithin als gleichartig, folglich als Erscheinungen angesehen werden müssen, an statt daß in ienem Regressus, da es nicht um die Möglichkeit eines unbedingten Ganzen aus gegebenen Theilen, oder eines unbedingten Theils zu einem gegebenen Ganzen, sondern um die Ableitung eines Zustandes von seiner Ursache, oder des zufälligen Daseyns der Substanz selbst von der nothwendigen zu thun ist, die Bedingung nicht eben nothwendig mit dem Bedingten eine empirische Reihe ausmachen dürfe.

 Also bleibt uns, bey der vor uns liegenden scheinbaren Antinomie, noch ein Ausweg offen: da nemlich alle beide einander widerstreitende Sätze in verschiedener Beziehung zugleich wahr seyn können, so, daß alle Dinge der Sinnenwelt durchaus zufällig sind, mithin auch immer nur empirischbedingte Existenz haben, gleichwol von der ganzen Reihe, auch eine nichtempirische Bedingung, d. i. ein unbedingtnothwendiges Wesen statt finde. Denn dieses würde, als intelligibele Bedingung, gar nicht zur Reihe als ein Glied derselben (nicht einmal als das oberste Glied)| gehören, und auch kein Glied der Reihe empirischunbedingt machen, sondern die ganze Sinnenwelt, in ihrem durch alle Glieder gehenden empirischbedingten Daseyn, lassen. Darin würde sich also diese Art, ein unbedingtes Daseyn den Erscheinungen zum Grunde zu legen, von der empirischunbedingten Caussalität (der Freiheit), im vorigen Artikel, unterscheiden: daß, bey der Freiheit, das Ding selbst, als Ursache (Substantia phaenomenon), dennoch in die Reihe der Bedingungen gehörete und nur seine Caussalität als intelligibel gedacht wurde, hier aber das nothwendige Wesen ganz ausser der Reihe der Sinnenwelt (als ens extramundanum) und blos intelligibel gedacht werden müßte, wodurch allein es verhütet werden kann: daß es nicht selbst dem Gesetze der Zufälligkeit und Abhängigkeit aller Erscheinungen unterworfen werde.
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 Das regulative Princip der Vernunft ist also in Ansehung dieser unserer Aufgabe: daß alles in der Sinnenwelt empirischbedingte Existenz habe, und daß es überall in ihr, in Ansehung keiner Eigenschaft eine unbedingte Nothwendigkeit gebe: daß kein Glied der Reihe von Bedingungen sey, davon man nicht immer die empirische Bedingung in einer möglichen Erfahrung erwarten und, so weit man kan, suchen müsse und nichts uns berechtige, irgend ein Daseyn von einer Bedingung ausserhalb der empirischen Reihe abzuleiten, oder auch es als in der Reihe selbst vor schlechterdings unabhängig und selbstständig zu halten, gleichwol aber dadurch gar nicht in Abrede zu ziehen,| daß nicht die ganze Reihe in irgend einem intelligibelen Wesen, (welches darum von aller empirischen Bedingung frey ist und vielmehr den Grund der Möglichkeit aller dieser Erscheinungen enthält), gegründet seyn könne.
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 Es ist aber hiebey gar nicht die Meinung, das unbedingtnothwendige Daseyn eines Wesens zu beweisen, oder auch nur die Möglichkeit einer blos intelligibelen Bedingung der Existenz der Erscheinungen der Sinnenwelt hierauf zu gründen, sondern nur eben so, wie wir die Vernunft einschränken, daß sie nicht den Faden der empirischen Bedingungen verlasse, und sich in transscendente und keiner Darstellung in concreto fähige Erklärungsgründe verlaufe, also auch, anderer Seits, das Gesetz des blos empirischen Verstandesgebrauchs dahin einzuschränken: daß es nicht über die Möglichkeit der Dinge überhaupt entscheide und das Intelligibele, ob es gleich von uns zur Erklärung der Erscheinungen nicht zu gebrauchen ist, darum nicht vor unmöglich erkläre. Es wird also dadurch nur gezeigt: daß die durchgängige Zufälligkeit aller Naturdinge und aller ihrer (empirischen) Bedingungen, ganz wol mit der willkührlichen Voraussetzung einer nothwendigen, ob zwar blos intelligibelen Bedingung zusammen bestehen könne, also kein wahrer Widerspruch zwischen diesen Behauptungen anzutreffen sey, mithin sie beiderseits wahr seyn können. Es mag immer ein solches schlechthinnothwendiges Verstandeswesen an sich unmöglich seyn, so kan dieses doch aus der| allgemeinen Zufälligkeit und Abhängigkeit alles dessen, was zur Sinnenwelt gehört, imgleichen aus dem Princip: bey keinem einzigen Gliede derselben, so fern es zufällig ist, aufzuhören und sich auf eine Ursache ausser der Welt zu berufen, keinesweges geschlossen werden. Die Vernunft geht ihren Gang im empirischen und ihren besondern Gang im transscendentalen Gebrauche.
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 Die Sinnenwelt enthält nichts als Erscheinungen, diese aber sind blosse Vorstellungen, die immer wiederum sinnlich bedingt sind und, da wir hier niemals Dinge an sich selbst zu unseren Gegenständen haben, so ist nicht zu verwundern: daß wir niemals berechtigt seyn, von einem Gliede der empirischen Reihen, welches es auch sey, einen Sprung ausser dem Zusammenhange der Sinnlichkeit zu thun, gleich als wenn es Dinge an sich selbst wären, die ausser ihrem transscendentalen Grunde existireten und die man verlassen könte, um die Ursache ihres Daseyns ausser ihnen zu suchen; welches bey zufälligen Dingen allerdings endlich geschehen müßte, aber nicht bey blossen Vorstellungen von Dingen, deren Zufälligkeit selbst nur Phänomen ist und auf keinen andern Regressus, als denienigen, der die Phänomena bestimt, d. i. der empirisch ist, führen kan. Sich aber einen intelligibelen Grund der Erscheinungen, d. i. der Sinnenwelt, und denselben befreit von der Zufälligkeit der lezteren, denken, ist weder dem uneingeschränkten empirischen Regressus in der Reihe der Erscheinungen, noch der durchgängigen Zufälligkeit| derselben entgegen. Das ist aber auch das Einzige, was wir zu Hebung der scheinbaren Antinomie, zu leisten hatten, und was sich nur auf diese Weise thun ließ. Denn ist die iedesmalige Bedingung zu iedem Bedingten (dem Daseyn nach) sinnlich und eben darum zur Reihe gehörig, so ist sie selbst wiederum bedingt (wie die Antithesis der vierten Antinomie es ausweiset). Es mußte also entweder ein Widerstreit mit der Vernunft, die das Unbedingte fodert, bleiben, oder dieses ausser der Reihe in dem Intelligibelen gesezt werden, dessen Nothwendigkeit keine empirische Bedingung erfodert, noch verstattet, und also, respective auf Erscheinungen, unbedingt nothwendig ist.
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 Der empirische Gebrauch der Vernunft (in Ansehung der Bedingungen des Daseyns in der Sinnenwelt) wird durch die Einräumung eines blos intelligibelen Wesens nicht afficirt, sondern geht nach dem Princip der durchgängigen Zufälligkeit, von empirischen Bedingungen zu höheren, die immer eben sowol empirisch seyn. Eben so wenig schließt aber auch dieser regulative Grundsatz die Annehmung einer intelligibelen Ursache, die nicht in der Reihe ist, aus, wenn es um den reinen Gebrauch der Vernunft (in Ansehung der Zwecke) zu thun ist. Denn da bedeutet iene nur den, vor uns blos transscendentalen und unbekanten Grund der Möglichkeit der sinnlichen Reihe überhaupt, dessen, von allen Bedingungen der lezteren unabhängiges und, in Ansehung dieser, unbedingtnothwendiges| Daseyn der unbegränzten Zufälligkeit der ersteren, und darum auch, dem nirgend geendigten Regressus in der Reihe empirischer Bedingungen gar nicht entgegen ist.


Schlußanmerkung
zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft.
 So lange wir mit unseren Vernunftbegriffen blos die Totalität der Bedingungen in der Sinnenwelt und, was in Ansehung ihrer der Vernunft zu Diensten geschehen kan, zum Gegenstande haben: so sind unsere Ideen zwar transscendental, aber doch cosmologisch. So bald wir aber das Unbedingte (um das es doch eigentlich zu thun ist) in demienigen setzen, was ganz ausserhalb der Sinnenwelt, mithin ausser aller möglichen Erfahrung ist, so werden die Ideen transscendent; sie dienen nicht blos zur Vollendung des empirischen Vernunftgebrauchs (der immer eine nie auszuführende, aber dennoch zu befolgende Idee bleibt), sondern sie trennen sich davon gänzlich und machen sich selbst Gegenstände, deren Stoff nicht aus Erfahrung genommen, deren obiective Realität auch nicht auf der Vollendung der empirischen Reihe, sondern auf reinen Begriffen a priori beruht. Dergleichen transscendente Ideen haben einen blos intelligibelen Gegenstand, welchen als ein transscendentales Obiect, von dem man übrigens nichts weis, zuzulassen, es allerdings erlaubt ist, wozu aber, um es, als ein, durch seine unterscheidende und innere Prädicate bestimbares Ding zu denken, wir weder| Gründe der Möglichkeit (als unabhängig von allen Erfahrungsbegriffen), noch die mindeste Rechtfertigung, einen solchen Gegenstand anzunehmen, auf unserer Seite haben und welches daher ein blosses Gedankending ist. Gleichwol dringt uns, unter allen cosmologischen Ideen, dieienige, so die vierte Antinomie veranlaßte, diesen Schritt zu wagen. Denn das in sich selbst ganz und gar nicht gegründete, sondern stets bedingte Daseyn der Erscheinungen, fodert uns auf: uns nach etwas, von allen Erscheinungen Unterschiedenem, mithin einem intelligibelen Gegenstande umzusehen, bey welchem diese Zufälligkeit aufhöre. Weil aber, wenn wir uns einmal die Erlaubniß genommen haben, ausser dem Felde der gesamten Sinnlichkeit eine vor sich bestehende Wirklichkeit anzunehmen, Erscheinungen nur als zufällige Vorstellungsarten intelligibeler Gegenstände, von solchen Wesen, die selbst Intelligenzen sind, anzusehen: so bleibt uns nichts anders übrig, als die Analogie, nach der wir die Erfahrungsbegriffe nutzen, um uns von intelligibelen Dingen, von denen wir an sich nicht die mindeste Kentniß haben, doch irgend einigen Begriff zu machen. Weil wir das Zufällige nicht anders als durch Erfahrung kennen lernen, hier aber von Dingen, die gar nicht Gegenstände der Erfahrung seyn sollen, die Rede ist, so werden wir ihre Kentniß aus dem, was an sich nothwendig ist, aus reinen Begriffen von Dingen überhaupt, ableiten müssen. Daher nöthigt uns der erste Schritt, den wir ausser der Sinnenwelt thun,| unsere neue Kentnisse von der Untersuchung des schlechthinnothwendigen Wesens anzufangen, und von den Begriffen desselben die Begriffe von allen Dingen, so fern sie blos intelligibel sind, abzuleiten, und diesen Versuch wollen wir in dem folgenden Hauptstücke anstellen.



  1. Diese Weltreihe kan also auch weder grösser, noch kleiner seyn, als der mögliche empirische Regressus, auf dem allein ihr Begriff beruht. Und da dieser kein bestimtes Unendliche, eben so wenig aber auch ein bestimtendliches (schlechthinbegränztes) geben kan: so ist daraus klar, daß wir die Weltgrösse weder als endlich, noch unendlich annehmen können, weil der Regressus (dadurch iene vorgestellt wird) keines von beiden zuläßt.
  2. Man wird bemerken: daß der Beweis hier auf ganz andere Art geführt worden, als der dogmatische, oben in der Antithesis der ersten Antinomie. Daselbst hatten wir die Sinnenwelt, nach der gemeinen und dogmatischen Vorstellungsart, vor ein Ding, was an sich selbst, vor allem Regressus, seiner Totalität nach gegeben war, gelten lassen, und hatten ihr, wenn sie nicht alle Zeit und alle Räume einnähme, überhaupt irgend eine bestimte Stelle in beiden abgesprochen. Daher war die Folgerung auch anders, als hier, nemlich es wurde auf die wirkliche Unendlichkeit derselben geschlossen.
  3. Denn der Verstand erlaubt unter Erscheinungen keine Bedingung, die selbst empirisch unbedingt wäre. Liesse sich aber eine intelligibele Bedingung, die also nicht in die Reihe der Erscheinungen, als ein Glied, mit gehörete, zu einem Bedingten (in der Erscheinung) gedenken, ohne doch dadurch die Reihe empirischer Bedingungen im mindesten zu unterbrechen: so könte eine solche als empirischunbedingt zugelassen werden, so daß dadurch dem empirischen continuirlichen Regressus nirgend Abbruch geschähe.
  4. Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die, unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen. Unsere Zurechnungen können nur auf den empirischen Character bezogen werden. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der blossen Natur und dem unverschuldeten Fehler des Temperaments, oder dessen glücklicher Beschaffenheit (merito fortunae) zuzuschreiben sey, kan niemand ergründen, und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: der-elben


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