Critik der reinen Vernunft (1781)/C. Dritte Analogie. Grundsatz der Gemeinschaft.

« B. Zweyte Analogie. Grundsatz der Erzeugung. Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes Dritter Abschnitt. Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze desselben.#218-4 »
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C.
Dritte Analogie.
Grundsatz der Gemeinschaft.

 Alle Substanzen, sofern sie zugleich seyn, stehen in durchgängiger Gemeinschaft, (d. i. Wechselwirkung unter einander).


Beweis.

 Dinge sind zugleich, so fern sie in einer und derselben Zeit existiren. Woran erkent man aber: daß sie in einer und derselben Zeit sind? Wenn die Ordnung in der Synthesis der Apprehension dieses Mannigfaltigen, gleichgültig ist, d. i. von A, durch B, C, D auf E, oder auch umgekehrt von E zu A gehen kan. Denn, wäre sie in der Zeit nach einander (in der Ordnung, die von A anhebt, und in E endigt) so ist es unmöglich, die Apprehension in der Wahrnehmung von E anzuheben, und rückwerts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen Zeit gehört, und also kein Gegenstand der Apprehension mehr seyn kan.

|  Nehmet nun an: in einer Mannigfaltigkeit von Substanzen als Erscheinungen wäre iede derselben völlig isolirt, d. i. keine wirkte in die andere, und empfänge von dieser wechselseitig Einflüsse, so sage ich: daß das Zugleichseyn derselben kein Gegenstand einer möglichen Wahrnehmung seyn würde, und daß das Daseyn der einen, durch keinen Weg der empirischen Synthesis, auf das Daseyn der andern führen könte. Denn, wenn ihr euch gedenkt, sie wären durch einen völlig leeren Raum getrent, so würde die Wahrnehmung, die von der einen zur andern in der Zeit fortgeht, zwar dieser ihr Daseyn, vermittelst einer folgenden Wahrnehmung bestimmen, aber nicht unterscheiden können, ob die Erscheinung obiectiv auf die erstere folge, oder mit iener vielmehr zugleich sey.
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 Es muß also noch ausser dem blossen Daseyn etwas seyn, wodurch A dem B seine Stelle in der Zeit bestimt, und umgekehrt auch wiederum B dem A, weil nur unter dieser Bedingung gedachte Substanzen, als zugleich existirend, empirisch, vorgestellt werden können. Nun bestimt nur dasienige dem andern seine Stelle in der Zeit, was die Ursache von ihm, oder seinen Bestimmungen ist. Also muß iede Substanz, (da sie nur in Ansehung ihrer Bestimmungen Folge seyn kan) die Caussalität gewisser Bestimmungen in der andern, und zugleich die Wirkungen von der Caussalität der andern in sich enthalten, d. i. sie müssen in dynamischer Gemeinschaft (unmittelbar| oder mittelbar) stehen, wenn das Zugleichseyn in irgend einer möglichen Erfahrung erkant werden soll. Nun ist aber alles dasienige, in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung nothwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen Gegenständen selbst unmöglich seyn würde. Also ist es allen Substanzen in der Erscheinung, sofern sie zugleich seyn, nothwendig in durchgängiger Gemeinschaft der Wechselwirkung unter einander zu stehen.  Das Wort Gemeinschaft ist in unserer Sprache zweideutig, und kan so viel, als communio, aber auch als commercium bedeuten. Wir bedienen uns hier desselben im leztern Sinn, als einer dynamischen Gemeinschaft, ohne welche selbst die locale (communio spatii) niemals empirisch erkant werden könte. Unseren Erfahrungen ist es leicht anzumerken, daß nur die continuirlichen Einflüsse in allen Stellen des Raumes unsern Sinn von einem Gegenstande zum andern leiten können, daß das Licht, welches zwischen unserm Auge, und den Weltkörpern spielt, eine mittelbare Gemeinschaft zwischen uns und diesen bewirken, und dadurch das Zugleichseyn der lezteren beweisen, daß wir keinen Ort empirisch verändern (diese Veränderung wahrnehmen) können, ohne daß uns allerwerts Materie die Wahrnehmung unserer Stelle möglich mache, und diese nur vermittelst ihres wechselseitigen Einflusses ihr Zugleichseyn, und dadurch, bis zu den entlegensten Gegenständen, die Coexistenz derselben (obzwar nur mittelbar) darthun kan. Ohne Gemeinschaft ist iede Wahrnehmung| (der Erscheinung im Raume) von der andern abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d. i. Erfahrung, würde bey einem neuen Obiect ganz von vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im geringsten zusammenhängen, oder im Zeitverhältnisse stehen könte. Den leeren Raum will ich hiedurch gar nicht widerlegen: denn der mag immer seyn, wohin Wahrnehmungen gar nicht reichen, und also keine empirische Erkentniß des Zugleichseyns statt findet; er ist aber alsdann vor alle unsere mögliche Erfahrung gar kein Obiect.
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 Zur Erläuterung kan folgendes dienen. In unserm Gemüthe müssen alle Erscheinungen, als in einer möglichen Erfahrung enthalten, in Gemeinschaft (communio) der Apperception stehen, und so fern die Gegenstände als zugleichexistirend verknüpft vorgestellt werden sollen, so müssen sie ihre Stelle in einer Zeit wechselseitig bestimmen, und dadurch ein Ganzes ausmachen. Soll diese subiective Gemeinschaft auf einem obiectiven Grunde beruhen, oder auf Erscheinungen, als Substanzen bezogen werden, so muß die Wahrnehmung der einen, als Grund, die Wahrnehmung der andern, und so umgekehrt, möglich machen, damit die Succeßion, die iederzeit in den Wahrnehmungen, als Apprehensionen ist, nicht den Obiecten beygelegt werde, sondern diese, als zugleichexistirend vorgestellt werden können. Dieses ist aber ein wechselseitiger Einfluß, d. i. eine reale Gemeinschaft (commercium) der Substanzen, ohne welche also das empirische Verhältniß des| Zugleichseyns nicht in der Erfahrung statt finden könte. Durch dieses Commercium machen die Erscheinungen, so fern sie ausser einander, und doch in Verknüpfung stehen, ein zusammengeseztes aus (compositum reale) und dergleichen Composita werden auf mancherley Art möglich. Die drey dynamische Verhältnisse, daraus alle übrige entspringen, sind daher das der Inhärenz, der Consequenz und der Composition.
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 Dies sind denn also die drey Analogien der Erfahrung. Sie sind nichts anders, als Grundsätze der Bestimmung des Daseyns der Erscheinungen in der Zeit, nach allen drey modis derselben, dem Verhältnisse zu der Zeit selbst, als einer Grösse (die Grösse des Daseyns, d. i. die Dauer), dem Verhältnisse in der Zeit, als einer Reihe (nach einander), endlich auch in ihr, als einem Inbegriff alles Daseyns, (zugleich). Diese Einheit der Zeitbestimmung ist durch und durch dynamisch, d. i. die Zeit wird nicht als dasienige angesehen, worin die Erfahrung unmittelbar iedem Daseyn seine Stelle bestimte, welches unmöglich ist, weil die absolute Zeit kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, womit Erscheinungen könten zusammengehalten werden; sondern die Regel des Verstandes, durch welche allein das Daseyn der Erscheinungen synthetische Einheit nach Zeitverhältnissen bekommen kan, bestimt ieder derselben ihre Stelle in der Zeit, mithin a priori, und gültig vor alle und iede Zeit.


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