Critik der reinen Vernunft (1781)/B. Zweyte Analogie. Grundsatz der Erzeugung.

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Critik der reinen Vernunft (1781)
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C. Dritte Analogie. Grundsatz der Gemeinschaft. »
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B.
Zweyte Analogie.
Grundsatz der Erzeugung.

 Alles, was geschieht (anhebt zu seyn) sezt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt.


Beweis.
 Die Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist iederzeit succeßiv. Die Vorstellungen der Theile folgen auf einander. Ob sie sich auch im Gegenstande folgen, ist ein zweyter Punct der Reflexion, der in der ersteren nicht enthalten ist. Nun kan man zwar alles, und so gar iede Vorstellung, so fern man sich ihrer bewust ist, Obiect nennen; allein was dieses Wort bey Erscheinungen zu bedeuten habe, nicht, in so fern sie (als Vorstellungen)| Obiecte sind, sondern nur ein Obiect bezeichnen, ist von tieferer Untersuchung. So fern sie, nur als Vorstellungen zugleich Gegenstände des Bewustseyns sind, so sind sie von der Apprehension, d. i. der Aufnahme in die Synthesis der Einbildungskraft, gar nicht unterschieden, und man muß also sagen: das Mannigfaltige der Erscheinungen wird im Gemüth iederzeit successiv erzeugt. Wären Erscheinungen Dinge an sich selbst, so würde kein Mensch aus der Succession der Vorstellungen von ihrem Mannigfaltigen ermessen können, wie dieses in dem Obiect verbunden sey. Denn wir haben es doch nur mit unsern Vorstellungen zu thun, wie Dinge an sich selbst, (ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns afficiren) seyn mögen, ist gänzlich ausser unsrer Erkentnißsphäre. Ob nun gleich die Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, und gleichwol doch das einzige sind, was uns zur Erkentniß gegeben werden kan, so soll ich anzeigen, was dem Mannigfaltigen an den Erscheinungen selbst vor eine Verbindung in der Zeit zukomme, indessen, daß die Vorstellung desselben in der Apprehension iederzeit successiv ist. So ist z. E. die Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses, das vor mir steht, successiv. Nun ist die Frage: ob das Mannigfaltige dieses Hauses selbst auch in sich successiv sey, welches freilich niemand zugeben wird. Nun ist aber, so bald ich meine Begriffe von einem Gegenstande bis zur transscendentalen Bedeutung steigere, das Haus gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Erscheinung,| d. i. Vorstellung, dessen transscendentaler Gegenstand unbekant ist; was verstehe ich also unter der Frage: wie das Mannigfaltige in der Erscheinung selbst (die doch nichts an sich selbst ist) verbunden seyn möge? Hier wird das, was in der successiven Apprehension liegt, als Vorstellung, die Erscheinung aber, die mir gegeben ist, ohnerachtet sie nichts weiter, als ein Inbegriff dieser Vorstellungen ist, als der Gegenstand derselben betrachtet, mit welchem mein Begriff, den ich aus den Vorstellungen der Apprehension ziehe, zusammen stimmen soll. Man siehet bald, daß, weil Uebereinstimmung der Erkentniß mit dem Obiect Wahrheit ist, hier nur nach den formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit gefragt werden kan, und Erscheinung, im Gegenverhältniß mit den Vorstellungen der Apprehension, nur dadurch als das davon unterschiedene Obiect derselben könne vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von ieder andern Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen nothwendig macht. Dasienige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser nothwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Obiect.
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 Nun laßt uns zu unsrer Aufgabe fortgehen. Daß etwas geschehe, d. i. etwas, oder ein Zustand werde, der vorher nicht war, kan nicht empirisch wahrgenommen werden, wo nicht eine Erscheinung vorhergeht, welche diesen Zustand nicht in sich enthält; denn eine Wirklichkeit, die| auf eine leere Zeit folge, mithin ein Entstehen, vor dem kein Zustand der Dinge vorhergeht, kan eben so wenig, als die leere Zeit selbst apprehendirt werden. Iede Apprehension einer Begebenheit ist also eine Wahrnehmung, welche auf eine andere folgt. Weil dieses aber bey aller Synthesis der Apprehension so beschaffen ist, wie ich oben an der Erscheinung eines Hauses gezeigt habe, so unterscheidet sie sich dadurch noch nicht von andern. Allein ich bemerke auch: daß, wenn ich an einer Erscheinung, welche ein Geschehen enthält, den vorhergehenden Zustand der Wahrnehmung A, den folgenden aber B, nenne, daß B auf A in der Apprehension nur folgen, die Wahrnehmung A aber auf B nicht folgen, sondern[WS 1] nur vorhergehen kan. Ich sehe z. B. ein Schiff den Strom hinab treiben. Meine Wahrnehmung seiner Stelle unterhalb, folgt auf die Wahrnehmung der Stelle desselben oberhalb dem Laufe des Flusses, und es ist unmöglich, daß in der Apprehension dieser Erscheinung das Schiff zuerst unterhalb, nachher aber oberhalb des Stromes wahrgenommen werden sollte. Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension ist hier also bestimt, und an dieselbe ist die leztere gebunden. In dem vorigen Beyspiele von einem Hause konten meine Wahrnehmungen in der Apprehension von der Spitze desselben anfangen, und beym Boden endigen, aber auch von unten anfangen, und oben endigen, imgleichen rechts oder links das Mannigfaltige der empirischen Anschauung apprehendiren. In der Reihe dieser| Wahrnehmungen war also keine bestimte Ordnung, welche es nothwendig machte, wenn ich in der Apprehension anfangen müßte, um das Mannigfaltige empirisch zu verbinden. Diese Regel aber ist bey der Wahrnehmung von dem, was geschieht, iederzeit anzutreffen, und sie macht die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen (in der Apprehension dieser Erscheinung) nothwendig.

 Ich werde also, in unserm Fall, die subiective Folge der Apprehension von der obiectiven Folge der Erscheinungen ableiten müssen, weil iene sonst gänzlich unbestimt ist, und keine Erscheinung von der andern unterscheidet. Iene allein beweiset nichts von der Verknüpfung des Mannigfaltigen am Obiect, weil sie ganz beliebig ist. Diese also wird in der Ordnung des Mannigfaltigen der Erscheinung bestehen, nach welcher die Apprehension des einen (was geschieht) auf die des andern (das vorhergeht) nach einer Regel folgt. Nur dadurch kan ich von der Erscheinung selbst, und nicht blos von meiner Apprehension berechtigt seyn, zu sagen: daß in iener eine Folge anzutreffen sey, welches so viel bedeutet, als daß ich die Apprehension nicht anders anstellen könne, als gerade in dieser Folge.

 Nach einer solchen Regel also muß in dem, was überhaupt vor einer Begebenheit vorhergeht, die Bedingung zu einer Regel liegen, nach welcher iederzeit und nothwendiger Weise diese Begebenheit folgt; umgekehrt aber kan ich nicht von der Begebenheit zurückgehen, und| dasienige bestimmen (durch Apprehension), was vorhergeht. Denn von dem folgenden Zeitpunct geht keine Erscheinung zu dem vorigen zurück, aber beziehet sich doch auf irgend einen vorigen; von einer gegebenen Zeit ist dagegen der Fortgang auf die bestimte folgende nothwendig. Daher, weil es doch etwas ist, was folgt, so muß ich es nothwendig auf etwas anderes überhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach einer Regel, d. i. nothwendiger Weise folgt, so daß die Begebenheit als das bedingte, auf irgend eine Bedingung sichere Anweisung giebt, diese aber die Begebenheit bestimt.
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 Man setze, es gehe vor einer Begebenheit nichts vorher, worauf dieselbe nach einer Regel folgen müßte, so wäre alle Folge der Wahrnehmung nur lediglich in der Apprehension, d. i. blos subiectiv, aber dadurch gar nicht obiectiv bestimt, welches eigentlich das Vorhergehende, und welches das Nachfolgende der Wahrnehmungen seyn müßte. Wir würden auf solche Weise nur ein Spiel der Vorstellungen haben, das sich auf gar kein Obiect bezöge, d. i. es würde durch unsre Wahrnehmung eine Erscheinung von ieder andern, dem Zeitverhältnisse nach, gar nicht unterschieden werden; weil die Succession im Apprehendiren allerwerts einerley, und also nichts in der Erscheinung ist, was sie bestimt, so daß dadurch eine gewisse Folge als obiectiv nothwendig gemacht wird. Ich werde also nicht sagen: daß in der Erscheinung zwey Zustände auf einander| folgen, sondern nur, daß eine Apprehension auf die andre folgt, welches blos etwas Subiectives ist, und kein Obiect bestimt, mithin gar nicht vor Erkentniß irgend eines Gegenstandes (selbst nicht in der Erscheinung) gelten kan.

 Wenn wir also erfahren, daß etwas geschiehet, so setzen wir dabey iederzeit voraus, daß irgend etwas vorausgehe, worauf es nach einer Regel folgt. Denn ohne dieses würde ich nicht von dem Obiect sagen: daß es folge, weil die blosse Folge in meiner Apprehension, wenn sie nicht durch eine Regel in Beziehung auf ein vorhergehendes bestimt ist, keine Folge im Obiecte berechtiget. Also geschieht es immer in Rücksicht auf eine Regel, nach welcher die Erscheinungen in ihrer Folge, d. i. so wie sie geschehen, durch den vorigen Zustand bestimt sind, daß ich meine subiective Synthesis (der Apprehension) obiectiv mache, und, nur lediglich unter dieser Voraussetzung allein, ist selbst die Erfahrung von etwas, was geschieht, möglich.

 Zwar scheint es, als widerspreche dieses allen Bemerkungen, die man iederzeit über den Gang unseres Verstandesgebrauchs gemacht hat, nach welchen wir nur allererst durch die wahrgenommenen und verglichenen übereinstimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende Erscheinungen, eine Regel zu entdecken, geleitet worden, der gemäß gewisse Begebenheiten auf gewisse Erscheinungen iederzeit folgen, und dadurch zuerst veranlaßt worden, uns den Begriff von Ursache zu machen. Auf solchen| Fuß würde dieser Begriff blos empirisch seyn, und die Regel, die er verschaft, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, würde eben so zufällig seyn, als die Erfahrung selbst: seine Allgemeinheit und Nothwendigkeit wären alsdenn nur angedichtet, und hätten keine wahre allgemeine Gültigkeit, weil sie nicht a priori, sondern nur auf Induction gegründet wären. Es gehet aber hiemit so, wie mit andern reinen Vorstellungen a priori, (z. B. Raum und Zeit) die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe herausziehen können, weil wir sie in die Erfahrung gelegt hatten, und diese daher durch iene allererst zu Stande brachten. Freilich ist die logische Klarheit dieser Vorstellung einer, die Reihe der Begebenheiten, bestimmenden Regel, als eines Begriffs von Ursache, nur alsdenn möglich, wenn wir davon in der Erfahrung Gebrauch gemacht haben, aber eine Rücksicht auf dieselbe, als Bedingung der synthetischen Einheit der Erscheinungen in der Zeit, war doch der Grund der Erfahrung selbst, und ging also a priori vor ihr vorher.
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 Es komt also darauf an, im Beyspiele zu zeigen, daß wir niemals selbst in der Erfahrung die Folge (einer Begebenheit, da etwas geschieht, was vorher nicht war) dem Obiect beylegen, und sie von der subiectiven unserer Apprehension unterscheiden, als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns nöthig, diese Ordnung der Wahrnehmungen vielmehr als eine andere zu beobachten, ia daß diese Nöthigung| es eigentlich sey, was die Vorstellung einer Succession im Obiect allererst möglich macht.

 Wir haben Vorstellungen in uns, deren wir uns auch bewust werden können. Dieses Bewustseyn aber mag so weit erstreckt, und so genau oder pünctlich seyn, als man wolle, so bleiben es doch nur immer Vorstellungen, d. i. innre Bestimmungen unseres Gemüths in diesem oder ienem Zeitverhältnisse. Wie kommen wir nun dazu: daß wir diesen Vorstellungen ein Obiect setzen, oder über ihre subiective Realität, als Modificationen, ihnen noch, ich weis nicht, was vor eine, obiective beylegen. Obiective Bedeutung kan nicht in der Beziehung auf eine andre Vorstellung (von dem, was man vom Gegenstande nennen wollte) bestehen, denn sonst erneuret sich die Frage, wie geht diese Vorstellung wiederum aus sich selbst heraus, und bekomt obiective Bedeutung noch über die subiective, welche ihr, als Bestimmung des Gemüthszustandes, eigen ist? Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen vor eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sey, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter thue, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art nothwendig zu machen, und sie einer Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur dadurch, daß eine gewisse Ordnung in dem Zeitverhältnisse unserer Vorstellungen nothwendig ist, ihnen obiective Bedeutung ertheilt wird.

|  In der Synthesis der Erscheinungen folgt das Mannigfaltige der Vorstellungen iederzeit nach einander. Hierdurch wird nun gar kein Obiect vorgestellt; weil durch diese Folge, die allen Apprehensionen gemein ist, nichts vom andern unterschieden wird. So bald ich aber wahrnehme, oder voraus annehme, daß in dieser Folge eine Beziehung auf den vorhergehenden Zustand sey, aus welchem die Vorstellung nach einer Regel folgt; so stellet sich Etwas vor, als Begebenheit, oder was da geschieht, d. i. ich erkenne einen Gegenstand, den ich in der Zeit auf eine gewisse bestimte Stelle setzen muß, die ihm, nach dem vorhergehenden Zustande nicht anders ertheilt werden kan. Wenn ich also wahrnehme, daß etwas geschieht, so ist in dieser Vorstellung erstlich enthalten: daß etwas vorhergehe, weil eben in Beziehung auf dieses die Erscheinung ihre Zeitverhältniß bekomt, nemlich, nach einer vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existiren. Aber ihre bestimte Zeitstelle in diesem Verhältnisse kan sie nur dadurch bekommen, daß im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesezt wird, worauf es iederzeit, d. i. nach einer Regel folgt; woraus sich denn ergiebt, daß ich erstlich nicht die Reihe umkehren, und das, was geschieht, demienigen voransetzen kan, worauf es folgt: zweitens daß, wenn der Zustand, der vorhergeht, gesezt wird, diese bestimte Begebenheit unausbleiblich und nothwendig folge. Dadurch geschieht es: daß eine Ordnung unter unsern Vorstellungen wird, in welcher das gegenwärtige (so fern| es geworden) auf irgend einen vorhergehenden Zustand Anweisung giebt, als ein, ob zwar noch unbestimtes Correlatum dieser Eräugniß, die gegeben ist, welches sich aber auf diese, als seine Folge, bestimmend bezieht, und sie nothwendig mit sich in der Zeitreihe verknüpfet.

 Wenn es nun ein nothwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit, mithin eine formale Bedingung aller Wahrnehmungen ist: daß die vorige Zeit die folgende nothwendig bestimmt; (indem ich zur folgenden nicht anders gelangen kan, als durch die vorhergehende), so ist es auch ein unentbehrliches Gesetz der empirischen Vorstellung der Zeitreihe, daß die Erscheinungen der vergangenen Zeit iedes Daseyn in der folgenden bestimmen, und daß diese, als Begebenheiten, nicht statt finden, als so fern iene ihnen ihr Daseyn in der Zeit bestimmen, d. i. nach einer Regel festsetzen. Denn nur an den Erscheinungen können wir diese Continuität im Zusammenhange der Zeiten empirisch erkennen.

 Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand, und das erste, was er dazu thut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstände deutlich macht, sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht. Dieses geschiehet nun dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Daseyn überträgt, indem er ieder derselben als Folge eine, in Ansehung der vorhergehenden Erscheinungen, a priori bestimte Stelle in der Zeit zuerkent, ohne welche sie nicht| mit der Zeit selbst, die allen ihren Theilen a priori ihre Stelle bestimt, übereinkommen würde. Diese Bestimmung der Stelle kan nun nicht von dem Verhältniß der Erscheinungen gegen die absolute Zeit entlehnt werden, (denn die ist kein Gegenstand der Wahrnehmung) sondern umgekehrt, die Erscheinungen müssen einander ihre Stellen in der Zeit selbst bestimmen, und dieselbe in der Zeitordnung nothwendig machen, d. i. dasienige, was da folgt, oder geschieht, muß nach einer allgemeinen Regel auf das, was im vorigen Zustande enthalten war, folgen, woraus eine Reihe der Erscheinungen wird, die vermittelst des Verstandes eben dieselbige Ordnung und stetigen Zusammenhang in der Reihe möglicher Wahrnehmungen hervorbringt, und nothwendig macht, als sie in der Form der innern Anschauung, (der Zeit) darin alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben müsten, a priori angetroffen wird.
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 Daß also etwas geschieht, ist eine Wahrnehmung, die zu einer möglichen Erfahrung gehöret, die dadurch wirklich wird, wenn ich die Erscheinung, ihrer Stelle nach, in der Zeit, als bestimt, mithin als ein Obiect ansehe, welches nach einer Regel im Zusammenhange der Wahrnehmungen iederzeit gefunden werden kan. Diese Regel aber, etwas der Zeitfolge nach zu bestimmen, ist: daß in dem, was vorhergeht, die Bedingung anzutreffen sey, unter welcher die Begebenheit iederzeit (d. i. nothwendiger Weise) folgt. Also ist der Satz vom zureichenden| Grunde, der Grund möglicher Erfahrung, nemlich der obiectiven Erkentniß der Erscheinungen, in Ansehung des Verhältnisses derselben, in Reihenfolge der Zeit.
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 Der Beweisgrund dieses Satzes aber beruht lediglich auf folgenden Momenten. Zu aller empirischen Erkentniß gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die iederzeit successiv ist, d. i. die Vorstellungen folgen in ihr iederzeit auf einander. Die Folge aber ist in der Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen und was folgen müsse) gar nicht bestimt, und die Reihe der einen der folgenden Vorstellungen kan eben sowol rückwerts als vorwerts genommen werden. Ist aber diese Synthesis eine Synthesis der Apprehension (des Mannigfaltigen einer gegebenen Erscheinung), so ist die Ordnung im Obiect bestimt, oder, genauer zu reden, es ist darin eine Ordnung der successiven Synthesis, die ein Obiect bestimt, nach welcher etwas nothwendig vorausgehen, und wenn dieses gesezt ist, das andre nothwendig folgen müsse. Soll also meine Wahrnehmung die Erkentniß einer Begebenheit enthalten, da nemlich etwas wirklich geschieht, so muß sie ein empirisch Urtheil seyn, in welchem man sich denkt, daß die Folge bestimt sey, d. i. daß sie eine andere Erscheinung der Zeit nach voraussetze, worauf sie nothwendig, oder nach einer Regel folgt. Widrigenfals, wenn ich das vorhergehende setze, und die Begebenheit folgte nicht darauf nothwendig, so würde ich sie nur für ein subiectives Spiel meiner Einbildungen halten| müssen, und stellete ich mir darunter doch etwas obiectives vor, sie einen blossen Traum nennen. Also ist das Verhältniß der Erscheinungen, (als möglicher Wahrnehmungen) nach welchem das Nachfolgende (was geschieht) durch etwas vorhergehendes seinem Daseyn nach nothwendig, und nach einer Regel in der Zeit bestimt ist, mithin das Verhältniß der Ursache zur Wirkung die Bedingung der obiectiven Gültigkeit unserer empirischen Urtheile, in Ansehung der Reihe der Wahrnehmungen, mithin der empirischen Wahrheit derselben, und also der Erfahrung. Der Grundsatz des Caussalverhältnisses in der Folge der Erscheinungen gilt daher auch vor allen Gegenständen der Erfahrung, (unter den Bedingungen der Succeßion) weil er selbst der Grund der Möglichkeit einer solchen Erfahrung ist.
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 Hier äussert sich aber noch eine Bedenklichkeit, die gehoben werden muß. Der Satz der Caussalverknüpfung unter den Erscheinungen ist in unsrer Formel auf die Reihenfolge derselben eingeschränkt, da es sich doch bey dem Gebrauch desselben findet, daß er auch auf ihre Begleitung passe, und Ursache und Wirkung zugleich seyn könne. Es ist z. B. Wärme im Zimmer, die nicht in freyer Luft angetroffen wird. Ich sehe mich nach der Ursache um, und finde einen geheizten Ofen. Nun ist dieser, als Ursache, mit seiner Wirkung, der Stubenwärme, zugleich; also ist hier keine Reihenfolge, der Zeit nach, zwischen Ursache und Wirkung, sondern sie sind zugleich, und das Gesetz gilt doch. Der| größte Theil der wirkenden Ursache in der Natur ist mit ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren wird nur dadurch veranlaßt, daß die Ursache ihre ganze Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber in dem Augenblicke, da sie zuerst entsteht, ist sie mit der Caussalität ihrer Ursache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen Augenblick vorher aufgehöret hätte, zu seyn, diese gar nicht entstanden wäre. Hier muß man wohl bemerken: daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf derselben angesehen sey: das Verhältniß bleibt, wenn gleich keine Zeit verlaufen ist. Die Zeit zwischen der Caussalität der Ursache, und deren unmittelbaren Wirkung kan verschwindend, (sie also zugleich) seyn, aber das Verhältniß der einen zur andern bleibt doch immer, der Zeit nach, bestimbar. Wenn ich eine Kugel, die auf einem ausgestopften Küssen liegt, und ein Grübchen darin drückt, als Ursache betrachte, so ist sie mit der Wirkung zugleich. Allein ich unterscheide doch beide durch das Zeitverhältniß der dynamischen Verknüpfung beider. Denn wenn ich die Kugel auf das Küssen lege; so folgt auf die vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen; hat aber das Küssen (ich weis nicht woher) ein Grübchen, so folgt darauf nicht eine bleyerne Kugel.
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 Demnach ist die Zeitfolge allerdings das einzige empirische Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die Caussalität der Ursache, die vorhergeht. Das Glas ist| die Ursache von dem Steigen des Wassers über seine Horizontalfläche, obgleich beide Erscheinungen zugleich seyn. Denn so bald ich dieses aus einem grösseren Gefäß mit dem Glase schöpfe, so erfolgt etwas, nemlich die Veränderung des Horizontalstandes, den es dort hatte, in einen concaven, den es im Glase annimt.

 Diese Caussalität führt auf den Begriff der Handlung, diese auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz. Da ich mein critisches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der synthetischen Erkentniß a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die blos die Erläuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, so überlasse ich die umständliche Erörterung derselben einem künftigen System der reinen Vernunft: wie wol man eine solche Analysis im reichen Maasse, auch schon in den bisher bekanten Lehrbüchern dieser Art, antrift. Allein das empirische Criterium einer Substanz, so fern sie sich nicht durch die Beharrlichkeit der Erscheinung, sondern besser und leichter durch Handlung zu offenbaren scheint, kan ich nicht unberührt lassen.

 Wo Handlung, mithin Thätigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, und in dieser allein muß der Sitz iener fruchtbaren Quelle der Erscheinungen gesucht werden. Das ist ganz gut gesagt: aber, wenn man sich darüber erklären soll, was man unter Substanz verstehe, und dabey den fehlerhaften Cirkel vermeiden will, so ist es nicht so| leicht verantwortet. Wie will man aus der Handlung so gleich auf die Beharrlichkeit des Handelnden schliessen, welches doch ein so wesentliches und eigenthümliches Kennzeichen der Substanz (phaenomenon) ist? Allein, nach unserm vorigen, hat die Auflösung der Frage doch keine solche Schwierigkeit, ob sie gleich nach der gemeinen Art, (blos analytisch mit seinen Begriffen zu verfahren), ganz unauflößlich seyn würde. Handlung bedeutet schon das Verhältniß des Subiects der Caussalität zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung in dem besteht, was da geschieht, mithin im Wandelbaren, was die Zeit der Succeßion nach bezeichnet; so ist das lezte Subiect desselben das Beharrliche, als das Substratum alles Wechselnden, d. i. die Substanz. Denn nach dem Grundsatze der Caussalität sind Handlungen immer der erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen, und können also nicht in einem Subiect liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere Handlungen und ein anderes Subiect, welches diesen Wechsel bestimmete, erforderlich wären. Kraft dessen beweiset nun Handlung, als ein hinreichendes empirisches Criterium, die Substanzialität, ohne daß ich die Beharrlichkeit desselben durch verglichene Wahrnehmungen allererst zu suchen nöthig hätte, welches auch auf diesem Wege mit der Ausführlichkeit nicht geschehen könte, die zu der Grösse und strengen Allgemeingültigkeit des Begriffs erforderlich ist. Denn daß das erste Subiect der Caussalität alles Entstehens und Vergehens selbst nicht (im Felde der Erscheinungen) entstehen und vergehen könne,| ist ein sicherer Schluß, der auf empirische Nothwendigkeit und Beharrlichkeit im Daseyn, mithin auf den Begriff einer Substanz als Erscheinung, auslauft.

 Wenn etwas geschieht, so ist das blosse Entstehen, ohne Rücksicht auf das, was da entsteht, schon an sich selbst ein Gegenstand der Untersuchung. Der Uebergang aus dem Nichtseyn eines Zustandes in diesen Zustand, gesezt, daß dieser auch keine Qualität in der Erscheinung enthielte, ist schon allein nöthig zu untersuchen. Dieses Entstehen trift, wie in der Nummer A gezeigt worden, nicht die Substanz (denn die entsteht nicht), sondern ihren Zustand. Es ist also blos Veränderung, und nicht Ursprung aus Nichts. Wenn dieser Ursprung als Wirkung von einer fremden Ursache angesehen wird, so heißt er Schöpfung, welche als Begebenheit unter den Erscheinungen nicht zugelassen werden kan, indem ihre Möglichkeit allein schon die Einheit der Erfahrung aufheben würde, obzwar, wenn ich alle Dinge nicht als Phänomene[WS 2], sondern als Dinge an sich betrachte, und als Gegenstände des blossen Verstandes, sie, obschon sie Substanzen sind, dennoch wie abhängig ihrem Daseyn nach von fremder Ursache angesehen werden können, welches aber alsdenn ganz andere Wortbedeutungen nach sich ziehen, und auf Erscheinungen, als mögliche Gegenstände der Erfahrung, nicht passen würde.

 Wie nun überhaupt etwas verändert werden könne, wie es möglich ist: daß auf einen Zustand in einem Zeitpuncte| ein entgegengesezter im andern folgen könne, davon haben wir a priori nicht den mindesten Begriff. Hierzu wird die Kentniß wirklicher Kräfte erfordert, welche nur empirisch gegeben werden kan, z. B. der bewegenden Kräfte, oder, welches einerley ist, gewisser succeßiven Erscheinungen, (als Bewegungen) welche solche Kräfte anzeigen. Aber die Form einer ieden Veränderung, die Bedingung, unter welcher sie, als ein Entstehen eines andern Zustandes, allein vorgehen kan, (der Inhalt derselben, d. i. der Zustand, der verändert wird, mag seyn, welcher er wolle) mithin die Succeßion der Zustände selbst (das Geschehene) kan doch nach dem Gesetze der Caussalität und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen werden.[1]
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 Wenn eine Substanz aus einem Zustande a in einen andern b übergeht, so ist der Zeitpunct des zweiten vom Zeitpuncte des ersteren Zustandes unterschieden, und folgt demselben. Eben so ist auch der zweite Zustand als Realität (in der Erscheinung) vom ersteren, darin diese nicht war, wie b vom Zero unterschieden, d. i. wenn der Zustand b sich auch von dem Zustande a nur der Größe nach unterschiede, so ist die Veränderung ein Entstehen von| b-a, welches im vorigen Zustande nicht war, und in Ansehung dessen er = 0 ist.
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 Es frägt sich also: wie ein Ding aus einem Zustande = a in einen andern = b übergehe. Zwischen zween Augenblicken ist immer eine Zeit, und zwischen zwey Zuständen in denselben immer ein Unterschied, der eine Grösse hat, (denn alle Theile der Erscheinungen sind immer wiederum Grössen). Also geschieht ieder Uebergang aus einem Zustande in den andern in einer Zeit, die zwischen zween Augenblicken enthalten ist, deren der erste den Zustand bestimt, aus welchem das Ding herausgeht, der zweite den, in welchen es gelangt. Beide also sind Grenzen der Zeit einer Veränderung, mithin des Zwischenzustandes zwischen beiden Zuständen, und gehören als solche mit zu der ganzen Veränderung. Nun hat iede Veränderung eine Ursache, welche in der ganzen Zeit, in welcher iene vorgeht, ihre Caussalität beweiset. Also bringt diese Ursache ihre Veränderung nicht plötzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke) hervor, sondern in einer Zeit, so, daß, wie die Zeit von Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung in b wächst, auch die Grösse der Realität (b-a) durch alle kleinere Grade, die zwischen dem ersten und lezten enthalten sind, erzeugt wird. Alle Veränderung ist also nur durch eine continuirliche Handlung der Caussalität möglich, welche, so fern sie gleichförmig ist, ein Moment heißt. Aus diesen Momenten besteht nicht| die Veränderung, sondern wird dadurch erzeugt als ihre Wirkung.

 Das ist nun das Gesetz der Continuität aller Veränderung, dessen Grund dieser ist: daß weder die Zeit, noch auch die Erscheinung in der Zeit, aus Theilen besteht, die die kleinsten sind, und daß doch der Zustand des Dinges bey seiner Veränderung durch alle diese Theile, als Elemente, zu seinem zweiten Zustande übergehe. Es ist kein Unterschied des Realen in der Erscheinung, so wie kein Unterschied in der Grösse der Zeiten, der kleineste, und so erwächst der neue Zustand der Realität von dem ersten an, darin diese nicht war, durch alle unendliche Grade derselben, deren Unterschiede von einander insgesamt kleiner seyn, als der zwischen 0 und a.

 Welchen Nutzen dieser Satz in der Naturforschung haben möge, das geht uns hier nichts an. Aber, wie ein solcher Satz, der unsre Erkentniß der Natur so zu erweitern scheint, völlig a priori möglich sey, das erfordert gar sehr unsere Prüfung, wenn gleich der Augenschein beweiset, daß er wirklich und richtig sey, und man also der Frage, wie er möglich gewesen, überhoben zu seyn glauben möchte. Denn es giebt so mancherley ungegründete Anmaßungen der Erweiterung unserer Erkentniß durch reine Vernunft: daß es zum allgemeinen Grundsatz angenommen werden muß, deshalb durchaus mistrauisch zu seyn, und ohne Documente, die eine gründliche Deduction| verschaffen können, selbst auf den kläresten dogmatischen Beweis nichts dergleichen zu glauben und anzunehmen.

 Aller Zuwachs des empirischen Erkentnisses, und ieder Fortschritt der Wahrnehmung ist nichts, als eine Erweiterung der Bestimmung des innern Sinnes, d. i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenstände mögen seyn, welche sie wollen, Erscheinungen, oder reine Anschauungen. Dieser Fortgang in der Zeit bestimt alles, und ist an sich selbst durch nichts weiter bestimt, d. i. die Theile desselben sind nur in der Zeit, und durch die Synthesis derselben, sie aber nicht vor ihr gegeben: Um deswillen ist ein ieder Uebergang in der Wahrnehmung zu etwas, was in der Zeit folgt, eine Bestimmung der Zeit durch die Erzeugung dieser Wahrnehmung, und da iene, immer und in allen ihren Theilen, eine Grösse ist, die Erzeugung einer Wahrnehmung als einer Grösse durch alle Grade, deren keiner der kleinste ist, von dem Zero an, bis zu ihrem bestimten Grad. Hieraus erhellet nun die Möglichkeit, ein Gesetz der Veränderungen, ihrer Form nach, a priori zu erkennen. Wir anticipiren nur unsere eigene Apprehension, deren formale Bedingung, da sie uns vor aller gegebenen Erscheinung selbst beywohnt, allerdings a priori muß erkant werden können.

 So ist demnach, eben so, wie die Zeit die sinnliche Bedingung a priori von der Möglichkeit eines continuirlichen Fortganges des Existirenden zu dem folgenden enthält, der Verstand, vermittelst der Einheit der Apperception,| die Bedingung a priori der Möglichkeit einer continuirlichen Bestimmung aller Stellen vor die Erscheinungen in dieser Zeit, durch die Reihe von Ursachen und Wirkungen, deren die erstere der leztern ihr Daseyn unausbleiblich nach sich ziehen, und dadurch die empirische Erkentniß der Zeitverhältnisse vor iede Zeit (allgemein) mithin obiectiv gültig machen.



  1. Man merke wol: daß ich nicht von der Veränderung gewisser Relationen überhaupt, sondern von Veränderung des Zustandes rede. Daher, wenn ein Cörper sich gleichförmig bewegt, so verändert er seinen Zustand (der Bewegung) gar nicht, aber wol, wenn seine Bewegung zu- oder abnimt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sonden
  2. Vorlage: Phönomene


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