Critik der reinen Vernunft (1781)/4. Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Categorien, als Erkentnissen a priori.

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Critik der reinen Vernunft (1781)
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Dritter Abschnitt. Von dem Verhältnisse des Verstandes zu Gegenständen überhaupt und der Möglichkeit diese a priori zu erkennen. »
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4.
Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der
Categorien, als Erkentnissen a priori.

 Es ist nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrnehmungen als im durchgängigen und gesetzmäßigen Zusammenhange vorgestellt werden: eben so, wie nur ein Raum und Zeit ist, in welcher alle Formen der Erscheinung und alles Verhältniß des Seyns oder Nichtseyns statt finden. Wenn man von verschiedenen Erfahrungen spricht, so sind es nur so viel Wahrnehmungen, so fern solche zu einer und derselben allgemeinen Erfahrung gehören. Die durchgängige und synthetische Einheit der Wahrnehmungen macht nemlich gerade die Form der Erfahrung aus, und sie ist nichts anders, als die synthetische Einheit der Erscheinungen nach Begriffen.

|  Einheit der Synthesis nach empirischen Begriffen würde ganz zufällig seyn und, gründeten diese sich nicht auf einen transscendentalen Grund der Einheit, so würde es möglich seyn, daß ein Gewühle von Erscheinungen unsere Seele anfüllete, ohne daß doch daraus iemals Erfahrung werden könte. Alsdenn fiele aber auch alle Beziehung der Erkentniß auf Gegenstände weg, weil ihr die Verknüpfung nach allgemeinen und nothwendigen Gesetzen mangelte, mithin würde sie zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkentniß, also für uns so viel als gar nichts seyn.

 Die Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Nun behaupte ich: die eben angeführte Categorien sind nichts anders, als die Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung, so wie Raum und Zeit die Bedingungen der Anschauung zu eben derselben enthalten. Also sind iene auch Grundbegriffe, Obiecte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken, und haben also a priori obiective Gültigkeit; welches dasienige war, was wir eigentlich wissen wollten.

 Die Möglichkeit aber, ia so gar die Nothwendigkeit dieser Categorien beruhet auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle mögliche Erscheinungen, auf die ursprüngliche Apperception haben, in welcher alles nothwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewustseyns gemäß seyn, d. i.| unter allgemeinen Functionen der Synthesis stehen muß, nemlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperception allein ihre durchgängige und nothwendige Identität a priori beweisen kan. So ist der Begriff einer Ursache nichts anders, als eine Synthesis (dessen, was in der Zeitreihe folgt, mit andern Erscheinungen,) nach Begriffen, und ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori hat, und die Erscheinungen sich unterwirft, würde durchgängige und allgemeine, mithin nothwendige Einheit des Bewustseyns, in dem Mannigfaltigen der Warnehmungen, nicht angetroffen werden. Diese würden aber alsdenn auch zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Obiect, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d. i. weniger, als ein Traum seyn.
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 Alle Versuche, iene reine Verstandesbegriffe von der Erfahrung abzuleiten, und ihnen einen blos empirischen Ursprung zuzuschreiben, sind also ganz eitel und vergeblich. Ich will davon nichts erwehnen, daß z. E. der Begriff einer Ursache den Zug von Nothwendigkeit bey sich führt, welche gar keine Erfahrung geben kan, die uns zwar lehrt: daß auf eine Erscheinung gewöhnlicher Maassen etwas Andres folge, aber nicht, daß es nothwendig darauf folgen müsse, noch daß a priori und ganz allgemein daraus als einer Bedingung auf die Folge könne geschlossen werden. Aber iene empirische Regel der Association, die man doch durchgängig annehmen muß, wenn man sagt: daß alles in der Reihenfolge der Begebenheiten| dermassen unter Regeln stehe, daß niemals etwas geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es iederzeit folge: dieses, als ein Gesetz der Natur, worauf beruht es, frage ich? und wie ist selbst diese Association möglich? Der Grund der Möglichkeit der Association des Mannigfaltigen, so fern es im Obiecte liegt, heißt die Affinität des Mannigfaltigen. Ich frage also, wie macht ihr euch die durchgängige Affinität der Erscheinungen, (dadurch sie unter beständigen Gesetzen stehen, und darunter gehören müssen,) begreiflich?
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 Nach meinen Grundsätzen ist sie sehr wol begreiflich. Alle mögliche Erscheinungen gehören, als Vorstellungen, zu dem ganzen möglichen Selbstbewustseyn. Von diesem aber, als einer transscendentalen Vorstellung, ist die numerische Identität unzertrenlich, und a priori gewiß, weil nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittelst dieser ursprünglichen Apperception. Da nun diese Identität nothwendig in der Synthesis alles Mannigfaltigen der Erscheinungen, so fern sie empirische Erkentniß werden soll, hinein kommen muß, so sind die Erscheinungen Bedingungen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Apprehension) durchgängig gemäs seyn muß. Nun heißt aber die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltige, (mithin auf einerley Art) gesezt werden kan, eine Regel, und wenn es so gesezt werden muß, ein Gesetz. Also stehen alle Erscheinungen in einer durchgängigen Verknüpfung nach nothwendigen| Gesetzen, und mithin in einer transscendentalen Affinität, woraus die empirische die blosse Folge ist.

 Daß die Natur sich nach unserm subiectiven Grunde der Apperception richten, ia gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmässigkeit abhangen solle, lautet wol sehr widersinnisch und befremdlich. Bedenket man aber, daß diese Natur an sich nichts als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, sondern blos eine Menge von Vorstellungen des Gemüths sey, so wird man sich nicht wundern, sie blos in dem Radicalvermögen aller unsrer Erkentniß, nemlich der transscendentalen Apperception, in derienigen Einheit zu sehen, um deren willen allein sie Obiect aller möglichen Erfahrung, d. i. Natur heissen kan; und daß wir auch eben darum diese Einheit a priori, mithin auch als nothwendig erkennen können, welches wir wol müsten unterwegens lassen, wäre sie unabhängig von den ersten Quellen unseres Denkens an sich gegeben. Denn da wüste ich nicht, wo wir die synthetische Sätze einer solchen allgemeinen Natureinheit hernehmen sollten, weil man sie auf solchen Fall von den Gegenständen der Natur selbst entlehnen müßte. Da dieses aber nur empirisch geschehen könte: so würde daraus keine andere, als blos zufällige Einheit gezogen werden können, die aber bey weitem an den nothwendigen Zusammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt[.]


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