Critik der reinen Vernunft (1781)/3. Von der Synthesis der Recognition im Begriffe.

« 2. Von der Synthesis der Reproduction in der Einbildung. Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
4. Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Categorien, als Erkentnissen a priori. »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).


|
3.
Von der Synthesis
der
Recognition im Begriffe.

 Ohne Bewustseyn, daß das, was wir denken, eben dasselbe sey, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellungen vergeblich seyn. Denn es wäre eine neue Vorstellung im ietzigen Zustande, die zu dem Actus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörete, und das Mannigfaltige derselben würde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewustseyn verschaffen kan. Vergesse ich im Zählen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen schweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan worden sind, so würde ich die Erzeugung der Menge, durch diese successive Hinzuthuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich in dem Bewustseyn dieser Einheit der Synthesis.

 Das Wort Begriff könte uns schon von selbst zu dieser Bemerkung Anleitung geben. Denn dieses eine Bewustseyn ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und dann auch Reproducirte, in eine Vorstellung vereinigt. Dieses Bewustseyn kan oft nur schwach seyn, so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Actus selbst, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung| der Vorstellung verknüpfen: aber unerachtet dieser Unterschiede, muß doch immer ein Bewustseyn angetroffen werden, wenn ihm gleich die hervorstechende Klarheit mangelt, und ohne dasselbe sind Begriffe, und mit ihnen Erkentniß von Gegenständen ganz unmöglich.

 Und hier ist es denn nothwendig, sich darüber verständlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine. Wir haben oben gesagt: daß Erscheinungen selbst nichts als sinnliche Vorstellungen sind, die an sich, in eben derselben Art, nicht als Gegenstände (ausser der Vorstellungskraft) müssen angesehen werden. Was versteht man denn, wenn man von einem der Erkenntniß correspondirenden, mithin auch davon unterschiedenen Gegenstande redet? Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt = X müsse gedacht werden, weil wir ausser unserer Erkentniß doch nichts haben, welches wir dieser Erkentniß als correspondirend gegen über setzen könten.

 Wir finden aber, daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkentniß auf ihren Gegenstand etwas von Nothwendigkeit bey sich führe, da nemlich dieser als dasienige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkentnisse nicht aufs Gerathewohl, oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimt seyn, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch nothwendiger Weise in Beziehung auf diesen unter einander übereinstimmen,| d. i. dieienige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht.

 Es ist aber klar, daß, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu thun haben, und ienes X, was ihnen correspondirt (der Gegenstand), weil er etwas von allen unsern Vorstellungen unterschiedenes seyn soll, vor uns nichts ist, die Einheit, welche der Gegenstand nothwendig macht, nichts anders seyn könne, als die formale Einheit des Bewustseyns in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen. Alsdenn sagen wir: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben. Diese ist aber unmöglich, wenn die Anschauung nicht durch eine solche Function der Synthesis nach einer Regel hat hervorgebracht werden können, welche die Reproduction des Mannigfaltigen a priori nothwendig und einen Begriff, in welchem dieses sich vereinigt, möglich macht. So denken wir uns einen Triangel als Gegenstand, indem wir uns der Zusammensetzung von drey geraden Linien nach einer Regel bewust sind, nach welcher eine solche Anschauung iederzeit dargestelt werden kan. Diese Einheit der Regel bestimt nun alles Mannigfaltige, und schränkt es auf Bedingungen ein, welche die Einheit der Apperception möglich machen, und der Begriff dieser Einheit ist die Vorstellung vom Gegenstande = X, den ich durch die gedachte Prädicate eines Triangels denke.

|  Alles Erkentniß erfordert einen Begriff, dieser mag nun so unvollkommen, oder so dunkel seyn, wie er wolle: dieser aber ist seiner Form nach iederzeit etwas Allgemeines, und was zur Regel dient. So dient der Begriff vom Cörper nach der Einheit des Mannigfaltigen, welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkentniß äusserer Erscheinungen zur Regel. Eine Regel der Anschauungen kan er aber nur dadurch seyn: daß er bey gegebenen Erscheinungen die nothwendige Reproduction des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewustseyn, vorstellt. So macht der Begriff des Cörpers, bey der Wahrnehmung von Etwas ausser uns, die Vorstellung der Ausdehnung, und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, der Gestalt etc. nothwendig.

 Aller Nothwendigkeit liegt iederzeit eine transscendentale Bedingung zum Grunde. Also muß ein transscendentaler Grund der Einheit des Bewustseyns, in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, mithin auch, der Begriffe der Obiecte überhaupt, folglich auch aller Gegenstände der Erfahrung, angetroffen werden, ohne welchen es unmöglich wäre, zu unsern Anschauungen irgend einen Gegenstand zu denken: denn dieser ist nichts mehr, als das Etwas, davon der Begriff eine solche Nothwendigkeit[WS 1] der Synthesis ausdrukt.

 Diese ursprüngliche und transscendentale Bedingung ist nun keine andere, als die transscendentale Apperception.| Das Bewustseyn seiner selbst, nach den Bestimmungen unseres Zustandes, bey der innern Wahrnehmung ist blos empirisch, iederzeit wandelbar, es kan kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innrer Erscheinungen geben, und wird gewöhnlich der innre Sinn genant, oder die empirische Apperception. Das was nothwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kan nicht als ein solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß eine Bedingung seyn, die vor aller Erfahrung vorhergeht, und diese selbst möglich macht, welche eine solche transscendentale Voraussetzung geltend machen soll.

 Nun können keine Erkentnisse in uns statt finden, keine Verknüpfung und Einheit derselben unter einander, ohne dieienige Einheit des Bewustseyns, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und, worauf in Beziehung, alle Vorstellung von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewustseyn will ich nun die transscendentale Apperception nennen. Daß sie diesen Namen verdiene, erhellet schon daraus: daß selbst die reineste obiective Einheit, nemlich die der Begriffe a priori (Raum und Zeit) nur durch Beziehung der Anschauungen auf sie möglich seyn. Die numerische Einheit dieser Apperception liegt also a priori allen Begriffen eben so wol zum Grunde, als die Mannigfaltigkeit des Raumes und der Zeit den Anschauungen der Sinnlichkeit.

|  Eben diese transscendentale Einheit der Apperception macht aber aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beysammen seyn können, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. Denn diese Einheit des Bewustseyns wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüth in der Erkentniß des Mannigfaltigen sich der Identität der Function bewust werden könte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkentniß verbindet. Also ist das ursprüngliche und nothwendige Bewustseyn der Identität seiner selbst zugleich ein Bewustseyn einer eben so nothwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die sie nicht allein nothwendig reproducibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d. i. den Begriff von Etwas, darin sie nothwendig zusammenhängen: denn das Gemüth konte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transscendentalen Einheit unterwirft, und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht. Nunmehro werden wir auch unsere Begriffe von einem Gegenstande überhaupt richtiger bestimmen können. Alle Vorstellungen haben, als Vorstellungen, ihren Gegenstand, und können selbst wiederum Gegenstände anderer Vorstellungen seyn. Erscheinungen sind die einzigen Gegenstände,| die uns unmittelbar gegeben werden können, und das, was sich darin unmittelbar auf den Gegenstand bezieht, heißt Anschauung. Nun sind aber diese Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern selbst nur Vorstellungen, die wiederum ihren Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden kan, und daher der nichtempirische, d. i. transscendentale Gegenstand = X genant werden mag.
.
 Der reine Begriff von diesem transscendentalen Gegenstande, (der wirklich bey allen unsern Erkentnissen immer einerley = X ist,) ist das, was in allen unsern empirischen Begriffen überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d. i. obiective Realität verschaffen kan. Dieser Begriff kan nun gar keine bestimte Anschauung enthalten, und wird also nichts anders, als dieienige Einheit betreffen, die in einem Mannigfaltigen der Erkentniß angetroffen werden muß, so fern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht. Diese Beziehung aber ist nichts anders, als die nothwendige Einheit des Bewustseyns, mithin auch der Synthesis des Mannigfaltigen durch gemeinschaftliche Function des Gemüths, es in einer Vorstellung zu verbinden. Da nun diese Einheit als a priori nothwendig angesehen werden muß, (weil die Erkentniß sonst ohne Gegenstand sein würde) so wird die Beziehung auf einen transscendentalen Gegenstand d. i. die obiective Realität unserer empirischen Erkentniß, auf dem transscendentalen| Gesetze beruhen, daß alle Erscheinungen, so fern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit derselben stehen müssen, nach welchen ihr Verhältniß in der empirischen Anschaung allein möglich ist, d. i. daß sie eben sowol in der Erfahrung unter Bedingungen der nothwendigen Einheit der Apperception, als in der blossen Anschauung unter den formalen Bedingungen des Raumes und der Zeit stehen müssen, ia daß durch iene iede Erkentniß allererst möglich werde.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nothwendig
« 2. Von der Synthesis der Reproduction in der Einbildung. Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
4. Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Categorien, als Erkentnissen a priori. »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.