Coligny und seine Gegner

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Titel: Coligny und seine Gegner
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 556–560
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Coligny und seine Gegner.

Ein Capitel aus der französischen Reformationsgeschichte.

Bereits zu Ende des zwölften Jahrhunderts erhoben sich in Frankreich die Albigenser und Waldenser, welche für die Verbreitung der heiligen Schrift in der Muttersprache eintraten und die Lehre vom Ablaß und Fegefeuer sowie die Ehelosigkeit der Priester verwarfen. Sie wurden zwar durch Kreuzzüge und andere grausame Verfolgungen aus einander gesprengt, aber ihre Lehre pflanzte sich im Verborgenen fort; sie glich Jahrhunderte lang dem unter der Asche glimmenden Funken, der, sobald der frische Windhauch geistiger Forschung über die Völker strich, zu lichten Flammen aufloderte. So fanden die Grundsätze Wiklef’s und Huß’ auch in Frankreich einen Widerhall, und das Land hatte bereits seine Vorkämpfer für religiöse Freiheit, seine auf Scheiterhaufen für die Aufklärung gemordeten Märtyrer aufzuweisen als die gewaltige That des Wittenberger Mönches die Völker in neue Bahnen zwang.

Kein Wunder also, daß die unter dem Namen des Protestantismus in der Geschichte verzeichnete reformatorische Bewegung schon im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts in Frankreich zahlreiche Anhänger fand, kein Wunder, daß auch jenseits der Vogesen ein furchtbarer fast vierzigjähriger religiöser Krieg entbrannte, der in seinen Schrecknissen den deutschen Dreißigjährigen übertraf. Mitten aus allen den Gräueln des Bürgerkrieges ragt aber, einer Schandsäule gleich, ein Ereigniß hervor, welches gleichsam den Höhepunkt dieser schauerlichen Tragödie religiöser Kämpfe bildet – die Pariser Bluthochzeit.

Wohl verlohnt es sich selbst in Zeiten des tiefsten religiösen Friedens, solche Ereignisse in das Gedächtniß des Volkes zurückzurufen und dieselben ihm als warnende Beispiele hinzustellen, damit es nicht erschlaffe in der heiligen Wacht an den Errungenschaften der politischen und religiösen Freiheit. In diesem Sinne öge es auch uns heute gestattet sein, unsern Lesern die Gestalten der Helden und der Henker jener blutigen Bartholomäusnacht vor die Augen zu führen.

Die allgemeine Erschöpfung des Landes zwang die kriegführenden Parteien in Frankreich den „dritten Hugenottenkrieg“ zu beenden und den „dritten Religionsfrieden“ zu schließen, welcher zu St. Germain en Laye am 8. August 1570 zu Stande kam. Unmittelbar nach diesem Friedensschluß gestalteten sich die Verhältnisse derart, daß man zu der Annahme berechtigt war, Eintracht und Duldung würden nunmehr in das ihrer so bedürftige Frankreich einkehren. Es trat zunächst ein Umschwung in der äußeren Staatspolitik ein, der sich gegen die Machtfülle Spaniens und Englands richtete und eine Sammlung der Kräfte sowie den inneren Frieden erheischte. Dann suchte die Königin-Mutter Katharina, welche schon während der Minderjährigkeit des damals regierenden Königs Karl

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Das Haupt Coligny’s wird dem Cardinal von Lothringen in Rom überbracht.
Nach dem Oelgemälde von Nathanael Sichel.

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So lagen die Verhältnisse, als die Edlen Frankreichs, die Führer der Protestanten und die Stützen der katholischen Partei, nach Paris kamen, um an diesen Hachzeitsfestlichkeiten teilzunehmen. Das Haupt der Katholiken, der Cardinal von Lothringen aus dem Hause Guise, fehlte zwar in dem glänzenden Gefolge, welches nunmehr den König umgab, aber man würde irren in der Annahme, daß auch sein Einfluß in jenen Tagen nichts mehr gegolten hätte.

Schon unter der Regierung Franz des Zweiten, des ersten Gemahls der schottischen Maria Stuart, hatte dieser Cardinal die gesammte Staatsgewalt und insbesondere die Leitung der Finanzen und der auswärtigen Angelegenheiten in seiner Hand.

Nach Franzens plötzlichem Tode, unter seinem elfjährigen Bruder Karl dem Neunten, hörte zwar der unmittelbare Einfluß der Guisen auf, indem sich die Königin-Mutter, Katharina von Medici, der Regentschaft bemächtigte, der Cardinal von Lothringen blieb indessen der einflußreichste Rathgeber am Hofe, obwohl er, planmäßig und seinem Charakter gemäß, nur höchst selten öffentlich hervortrat und sich persönlich fast niemals bei entscheidenden Staatsactionen betheiligte, um desto ungestörter und sicherer an der Verwirklichung seiner religiösen Absichten und Tendenzen thätig sein zu können.

Er stützte seine persönliche Autorität im Staate auf die strenge Handhabung der geistlichen Gesetze und versäumte in keiner Weise seine bischöflichen Pflichten. Schon in frühen Jahren zum Erzbisthum Rheims befördert, unterließ er nichts, was ein großer Prälat thun kann, um sich in seiner Residenz ein unvergängliches Andenken zu stiften. Man pflegte auf ihn das alte Wort anzuwenden: er habe eine Stadt von Lehm vorgefunden und eine von Marmor zurückgelassen; denn er gründete daselbst eine Universität, ein theologisches Collegium, ein Seminar und einen Klosterconvent. Er sorgte dafür, daß die Pfarrer in der Diöcese ihren Dienst gewissenhaft versahen; er predigte selbst zuweilen und hielt von Zeit zu Zeit Provinzialconcilien.

Dieser jüngste von den französischen Cardinälen, obwohl mit den inneren und äußeren weltlichen Verhältnissen überaus vertraut, und obwohl er, seinem fast cavaliermäßigen Ansehen nach, im Benehmen mit jedem Militär hohen Ranges hätte rivalisiren können, beschämte dennoch die andern Prälaten durch schlichten und enthaltsamen Lebenswandel. Hunde und Falken sah man nicht in seinem Hause: alle Jahre zu Ostern zog er sich in ein Kloster zurück, um sich der geistlichen Sammlung und nachdenkenden Uebungen hinzugeben. Er war ein Mann von imponirendem Aeußeren, eine hohe Gestalt, mit breiter, hoher und intelligenter Stirn. Alles hing an seinem Munde, wenn er sprach; verständlich und anmuthig floß ihm die Rede, unterstützt von einem nie fehlenden Gedächtniß. Bei diesen mannigfachen Vorzügen und glänzenden Gaben ließ er gleichwohl die vornehmste Eigenschaft vermissen, welche den Menschen ziert und erhebt, die Selbstverleugnung. Um seinen Willen durchzusetzen und um Macht zu erlangen, waren ihm alle Mittel recht.

So leitete der Cardinal aus der Entfernung seiner priesterlichen Höhe mit unsichtbaren Fäden die Staatsmaschine, und wenn man zuweilen in Ungewißheit geräth, von wo und von wem gewisse Entwürfe und Entschlüsse gekommen, so wird man sie meistentheils, ohne zu irren, auf seinen Einfluß und seine Anregung zurückführen können. Eines unterliegt fast keinem Zweifel: er scheint es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, die Feinde der Kirche und insbesondere die Hugenotten zu überlisten.

Zu diesem finsteren religiösen Fanatismus des Mannes gesellte sich der glühendste persönliche Haß gegen die Hugenotten, und vor Allem gegen Coligny, als am 18. Februar 1563 der Bruder des Cardinals und der fähigste Feldherr der katholischen Heere, Franz von Guise, von einem fanatischen Hugenotten mit drei vergifteten Kugeln meuchlings erschossen wurde.

Kaum war das außerordentliche Ereigniß der Vermählung der Margarethe von Valois öffentlich bekannt geworden, so verließ der Cardinal von Lothringen das Land und begab sich nach Rom. Von diesem Momente an bildete die Königin-Mutter das sichtbare Haupt der katholischen Partei in Paris.

Dieser hohen Führerin der Katholiken trat nun am königlichen Hofe das Haupt der Protestanten entgegen, Coligny, ein offener, fester, militärischer Charakter.

Gaspar Coligny, Graf von Chatillon, geboren den 16. Februar 1517 zu Chatillon sur Loing, stammte aus einem alten Geschlecht des hochburgundischen Adels; sein Vater hatte sich zur Seite der Könige Ruf im Kriege und Ansehen im Staate erworben und starb als Marschall von Frankreich. Die Witwe, eine Schwester des Connetable, die sich, so viel man weiß, zu der kirchlichen Abweichung in ihrer allgemeinsten Form hinneigte, hatte es den Beruf ihres Lebens sein lassen, ihre drei Söhne zu erziehen. Von seinen Brüdern war der ältere, obwohl Cardinal, dennoch dem neuen Glauben zugethan. Gaspar dagegen, durch und durch Soldat, kam im Alter von zwanzig Jahren an den Hof Franz’ des Ersten, schloß hier mit François von Guise einen Freundschaftsbund und begleitete in dessen Gesellschaft den König in den Krieg. Heinrich der Zweite ernannte ihn zum General-Obersten der Infanterie, und nach den Feldzügen in Lothringen wurde er, mit Beibehaltung seiner bisherigen Stellung, Admiral. Der Sieg bei Renty vergrößerte seinen Ruhm, entzweite ihn aber mit dem Herzog von Guise, welcher auf die Ehre des Siegers Anspruch erhob.

Nach der Einnahme von St. Quentin wurde Coligny gefangen genommen, und in die Zeit dieser Gefangenschaft setzt man gewöhnlich seinen Uebertritt zur reformirten Lehre. In den Mühen und zumeist Drangsalen des Krieges hätte er wohl auch nicht die Ruhe gefunden zu geistlichen Meditationen. Die Gefangenschaft gab ihm unfreiwillige Muße dazu. Als er durch den Frieden wieder frei geworden war, hat er, nach und nach hervortretend, in seinem Schlosse Chatillon sich ein protestantisches Hauswesen eingerichtet. Calvin stand mit ihm und seiner zweiten Gemahlin Jacobine[1] in Briefwechsel.

Des außerordentlichen Geschickes, dem er entgegen ging, sich früh bewußt, fragte Coligny später diese seine Gemahlin, ob sie Seelenstärke genug habe, das Alles zu tragen, was ihm bevorstehe, Verbannung oder Tod, auch den Ruin ihrer Kinder. Diese Frau war aber nicht minder entschlossen, als er selbst; denn sie entgegnete: Nicht zur Unterdrückung Anderer werde er die Waffen ergreifen, sondern zur Rettung seiner Glaubensbrüder, deren Qual sie nicht schlafen lasse. Gott habe ihm die Wissenschaft eines Capitains verliehen, er sei daher schuldig, sie anzuwenden; wenn er diese Pflicht nicht erfülle, fügte sie feierlich hinzu, so werde sie dermaleinst vor dem Richterstuhl Gottes gegen ihn zeugen.

Für diese Ueberzeugungstreue zollten Coligny aber auch seine Glaubensgenossen das unbedingteste Vertrauen. Sie nannten ihn „die Säule des Calvinismus“, weil er als Führer und Rathgeber auftrat, wenn die Noth das höchste Maß erreicht. Nie zeigte sich der Admiral, der die Weihe eines patriarchalischen Familienhauptes mit dem ritterlichen Wesen eines Kriegsmannes und Feldherrn verband, größer und charaktervoller, als in den Tagen der Bedrängniß. Ueberdies reichten seine Verbindungen weit über Frankreich und über die Niederlande hinaus. Alles, was sich in den Gebieten des Königs von Spanien den protestantischen Meinungen zuneigte, richtete seine Augen auf ihn. Sogar die deutschen Fürsten, welche bei dem drohenden europäischen Brande für sich selbst zu fürchten anfingen, sahen in ihm ihren Vorkämpfer.

Als Coligny zu der Hochzeit am Hofe erschienen war, wurde er mit Freundschaftsbezeigungen überschüttet; der König selbst umarmte ihn, nannte ihn „Vater“ und sagte zu ihm lächelnd:

„Jetzt halten wir Sie fest; Sie werden uns nicht mehr entrinnen.“

Der Admiral wurde in alle Würden, die er früher bekleidete, wieder eingesetzt, und es gehörte zum guten Hofton, ihm die größte Ehrfurcht zu erweisen. [559] Inzwischen regte sich auch in Karl dem Neunten ein Interesse an den Absichten und Vorschlägen des Admirals. Bis tief in die Nacht saß zuweilen der junge König im einsamen Zwiegespräch mit Coligny zusammen, der fortan bestimmt schien, die Geschicke von Frankreich zu lenken. Daher machten auch erneute Warnungen mißtrauischer Freunde auf Coligny keinen Eindruck; er gab sich vielmehr dem unerschütterlichen Glauben hin: Gott habe das Herz seines angestammten Fürsten gelenkt, um Frankreich einst an die Spitze der europäischen Mächte zu stellen, denen das maritime Uebergewicht des Continents zufallen sollte. In diesem Sinne hatte er nämlich bereits früher aus eigenem Antriebe den Versuch gemacht, protestantische Colonien in Amerika zu gründen. Was konnte nicht erreicht werden, wenn er im Namen des Königs handeln und seinen Plänen aus Staatsmitteln Förderung und Nachdruck verleihen würde! An der Wahrheit und Aufrichtigkeit der königlichen Gesinnungen zu zweifeln, wäre ihm als Felonie und Treubruch erschienen. Auch wurde er hierin von Teligny, [2] seinem Schwiegersohn, bestärkt. Es war also ein gegenseitiges Einvernehmen, welches nichts zu wünschen übrig ließ.

Gleichwohl führte diese äußerlich innige Verbindung nicht zu einer bleibenden Versöhnung, sondern steigerte die innerliche Erbitterung und die Dämonen des Hasses und der Rache nur noch mehr. Bei einer letztbeschlossenen entscheidenden Conseils-Unterredung, wobei es sich um die endgültige Beantwortung der Frage handelte, ob Krieg gegen oder Frieden mit Spanien, machte Coligny Vorschläge, ohne mit seiner inneren Ueberzeugung irgendwie zurückzuhalten. Die Königin-Mutter aber fand darin den Versuch des Admirals, zu seinen Gunsten ihren Einfluß über den längst mündig gewordenen König zu schmälern, schöpfte Verdacht gegen dessen weitergehende Pläne und beschloß im Stillen den Hugenotten und ihrem Heerführer unaufhaltsamen Untergang. Der Anschlag, sich seiner zunächst durch Meuchelmord zu entledigen, gelang nicht. Coligny wurde nur am Arme und an der Hand verwundet. Nunmehr wußte Katharina mit ihrer Partei dem Könige den Verdacht beizubringen, daß eine Verschwörung der Hugenotten im Werke sei, welche nur durch Benutzung der momentan günstigen Verhältnisse und schleunige Beseitigung der verbrecherischen Genossen unterdrückt werden könnte. Nach langem Zögern erlag der König den Einflüssen der Ueberredung und gab schließlich die Einwilligung zu dem entsetzlichen Mordplane, welcher in der Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572 in Paris zur Ausführung kam.

Der Admiral Coligny, der noch die letzten Rathschläge einzelner wachsamer Freunde zur Flucht um so standhafter zurückgewiesen hatte, als ihm Tags zuvor, wohl nur zum trügerischen Schein, eine königliche Leibwache bewilligt worden war, fiel als erstes Opfer. Guise, Aumale und der Bastard von Angoulème hatten es übernommen, ihn und seine nächsten Angehörigen umzubringen. Als um Mitternacht die Frühmettenglocke in dem königlichen Palaste das Zeichen gegeben, eilte der Herzog von Guise an der Spitze seiner Schaar nach der Wohnung des an seinen zweifachen Wunden noch leidenden Admirals und befahl, denselben in seinem Zimmer niederzustechen, was einige Hauptleute auch vollbrachten. Bei der ersten Wahrnehmung des Ueberfalles war Coligny vorbereitet zum Tode, entließ seine Diener und erinnerte den nahenden Mörder an sein Alter; er fiel würdevoll in dem Bewußtsein, sein Leben einem hohen Ziel geweiht zu haben, und indem er es vorgezogen, dem Verrath zu erliegen, als selbst auch nur einen illoyalen Gedanken zu hegen. Der noch Lebende wurde zum Fenster hinaus in den Hofraum geworfen, wo Guise und Angoulème den in diesem Augenblicke seinen Geist Aufgebenden besichtigten. Hier schlug ihm ein Italiener das Haupt ab und brachte es der Königin-Mutter, welche es später einbalsamirt nach Rom schickte. Der verstümmelte Leichnam wurde durch die Straßen geschleift und an einen Galgen gehängt, bis ihn Montmorency abholen und in der Familiengruft zu Chatillon bergen ließ. Hierauf wurden La Rochefoucauld mit seinem Sohn, Teligny, Briquemont mit ihren Söhnen und Allen, die sie umgaben, getödtet und ihre Leiber auf die Straße hinabgeschleudert, wo das Volk sie entblößte.

Während diese Mordthaten geschehen waren, hatte auch die Pariser Mette, wie man die Massacre, in Erinnerung an die sicilianische Vesper, nannte, allenthalben begonnen. Beim Läuten der Sturmglocke stürzte sich das Volk (durch das gemeinsame Erkennungszeichen der Katholiken, eine weiße Binde um den Arm und ein Kreuz am Hute, fast wie organisirt) überall auf die Häuser der Hugenotten, um sie unter dem Ruf: Der König wolle und befehle es, sie zu tödten, ihren Nachlaß zu plündern und andere Gräuel zu verüben. Der Heiligkeit der gebotenen Gastfreundschaft trauend, waren sie gekommen; jetzt wurden sie in ihren Betten aufgesucht und ohne Unterschied niedergemacht, Vornehme und Geringe, Herren und Diener. Es war eine Verbindung öffentlicher Verdammung und privater Rache, die nunmehr in den Straßen von Paris wüthete. Fanatismus, persönliche Feindschaft, Raubsucht, alle Leidenschaften und dämonische Gewalten tobten unaufhaltsam. Sogar im Louvre floß Blut. Der König selbst soll aus einem Fenster seines Schlosses auf die fliehenden Hugenotten geschossen haben. Sein neu vermählter Schwager, Heinrich von Navarra, entging dem Tode nur durch den erheuchelten Uebertritt zum Katholicismus. Mehrere Tage dauerten die Mordthaten; sie wurden von den meisten Statthaltern in den Provinzen fortgesetzt und innerhalb einiger Wochen in ganz Frankreich annähernd 20,000 bis 30,000 Hugenotten umgebracht.

Nicht nur die Hugenotten, selbst gebildete, vornehme Katholiken standen diesem Entsetzen gegenüber wie betäubt. Der venetianische Gesandte fand alle verständigen Männer ohne Unterschied des Bekenntnisses wie vom Schreck gelähmt und beschämt. Der deutsche Kaiser, Maximilian der Zweite, schrieb aber: „Wollte Gott, mein Tochtermann hätte mich um Rath gefragt! Wollte ihm treulich als Vater gerathen haben, daß er dieses gewißlich nimmermehr gethan hätte.“

Als sich die Nachricht von der Bluthochzeit in den Nachbarländern verbreitete, soll Philipp der Zweite zum ersten Male mit freudig grimmigem Blick gelacht haben. Der Papst Gregor der Dreizehnte feierte die Siegesbotschaft mit Processionen, veranstaltete zu Ehren dieser Ketzervertilgung Festlichkeiten und ließ, um die glänzende Einweihung seines Pontificats zu verherrlichen, ein Gemälde „Die Niedermachung der Hugenotten“ fertigen und zu ihrem Andenken Münzen schlagen mit der Inschrift: „Pontifex Colignii necem probat“ („Der Papst billigt den Tod Coligny’s“). Am 8. September feierte auch der Cardinal von Lothringen in Gegenwart des Papstes einen Dankgottesdienst; dem Ueberbringer der Nachricht und des Hauptes von Coligny hatte er 1000 Stück Ducaten auszahlen lassen.[3]

Der blutigen Nacht wurde in späteren Zeiten auch eine Gedenktafel gewidmet; sie ward im Jahre 1793 an einem Fenster des Louvre angebracht und trug die Inschrift: „Von hier aus schoß Karl der Neunte auf das Volk.“ Erst der Corse Bonaparte ließ sie wieder entfernen, nachdem er unter seine Tyrannenmacht das freie Volk gebeugt hatte.

Aber die Männer, welche die Tafel an die Wände des prunkvollen Palastes in Paris schlugen, haben wohl dem wahren Sinne der Geschichte entsprechend gehandelt; denn die Folgen jener empörenden Bartholomäusnacht lassen sich in drei Hauptgesichtspunkten zusammenfassen.

Auf die blutige Unterdrückung des Protestantismus in Frankreich folgten: [560] Zunächst die immer höher aufsteigende Alleinherrschaft des französischen Königthums bis zu den blendendstrahlenden Hofkreisen unter Ludwig dem Vierzehnten; dann die paradiesischen Friedensjahre der Versumpfung und die lange Ruhe vor dem Sturm unter Ludwig dem Fünfzehnten, dem „Vielgeliebten“, und schließlich, die Katastrophe, der Sturz des Königthums und das Ereigniß der Ereignisse unter Ludwig dem Sechszehnten, mit der Anerkennung der Menschenrechte.



  1. Ueber das tragische Schicksal dieser Märtyrerin des evangelischen Glaubens hat die „Gartenlaube“ bereits im Jahre 1874, Nr. 40, einen kurzen Artikel gebracht, auf den wir hiermit hinweisen. (Anmerkung Wikisource: Vorlage: 1877)
  2. Teligny war mit Coligny’s Tochter aus seiner ersten Ehe, Louise, verheirathet. Dieselbe vermählte sich bekanntlich, nachdem sie durch Teligny’s Tod in der Bartholomäusnacht Wittwe geworden, mit dem Prinzen von Oranien, der später auf Anstiften Philipp’s II. ermordet wurde. Durch ihre Enkeltochter Henriette, die Gemahlin des großen Kurfürsten, ist sie Stammmutter des jetzigen preußischen Königshauses geworden. (Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1874, S. 654.)
  3. Für diesen thatsächlich letzten Vorgang in dem bluttriefenden Drama hat sich der Urheber unserer Illustration bei der Wahl seines Stoffes entschieden, und die allgemeine Anerkennung dürfte ihm um so mehr zu Theil werden, als sein Werk zu denjenigen gehört, welche sich wieder dem Kunstideal zuwenden und nähern, wie es einstmals und zumeist von den Kirchenfürsten gehegt und gepflegt worden, um durch die Farbenpracht der Schönheit auf große Versammlungen zu wirken. – Gegenüber den zunehmenden Abweichungen von der wahrhaften geheimnißvollen Bestimmung der Malerei: der Zeit einen Spiegel vorzuhalten, und namentlich der in unseren Tagen verbreiteten besonderen Vorliebe für Massendarstellungen welthistorischer Ereignisse, ist es dem Herrn Nathanael Sichel wohl gelungen, die gewaltigsten Schrecknisse einer culturumspannenden Epoche in einfacher, rührend schlichter Form und Weise zusammengedrängt und dennoch machtvoll ergreifend und zu ernstem Nachdenken überaus anregend darzustellen. Die in dem engen Rahmen durch den Zusammenhang der Verhältnisse gebotene Minderzahl der beiden Personen wird mittelbar um eine dritte noch vermehrt; denn aus dem dunklen Hintergrunde blickt von der Höhe eines Wandgemäldes das Brustbild des meuchlings gemordeten Franz Guise geisterhaft herab auf die Trophäe, das Haupt des überwundenen Gegners.