<<< Räuber >>>
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[256]
Räuber.

Der zum Raubthier verwilderte Mensch, der Mensch auf der tiefsten Stufe selbstverschuldeter Verderbniss, ist gleichwohl der Besserung und des Heiles fähig, das Christus [257] gewährt, indem er für alle Menschen gestorben ist. Das lehrt das Beispiel des bekehrten Schächers, der mit Christo gekreuzigt wurde. Es sind aber ihrer zwei, und der andere bekehrt sich nicht, sondern stirbt in seiner Verstocktheit. So theilt sich die Menschheit durch eignen Willen und eigne Schuld auf den Wegen zum Himmel und zur Hölle.

Die Legende kennt mehrere Heilige, die auf die Räuber wirkten, wie Christus am Kreuz auf den frommen Schächer. Die wilden Naturen wurden gezähmt durch die Erscheinung heiliger Milde und Liebe. Das berühmteste Beispiel bot der heilige Amandus. Dieser Heilige, seines wahren Namens Heinrich Seuss oder Suso, 1300 zu Constanz am Bodensee geboren, empfing den Namen Amandus von seiner wunderbaren Schönheit, die so gross war, dass wilde Räuber, die ihn einmal im Walde überfielen, vor ihm niederknieten und ihm beichteten. Gott selber aber soll ihm den Namen Amandus gegeben haben, weil Suso, ganz erfüllt von Gottesminne, verdiente, auch wieder von Gott absonderlich geliebt zu werden. Suso liebte aber Gott zumeist unter der Gestalt der „ewigen Weisheit“, die ihn einst sichtbar mit einem Kranz blühender Rosen geschmückt haben soll. Er selbst sagt in seiner Lebensbeschreibung: „Willst du hoher Minne pflegen, so sollst du zu einem holdseligen Lieb die ewige Weisheit nehmen.“ Sein ganzes Leben war nun eingenommen von dieser Liebe, und was er in schwäbischer Sprache uns hinterlassen hat, das Buch von der ewigen Weisheit, das Buch von dem neuen Felsen und die Predigten (herausgegeben von Diepenbrock, Regensburg 1829), athmet nur diese mystische Liebe. Von ihr getrieben, schrieb er sich den Namen Jesu auf sein Herz mit so scharfen Stichen, dass das Blut herabrann, und trug acht Jahre lang ein schweres Kreuz mit Stacheln auf dem Rücken. Herder hat ihn besungen und Görres in der Vorrede zu der Ausgabe von Diepenbrock seine Seelenschönheit in’s volle Licht gestellt. Die Kirche verehrt ihn am 25. Januar.

Auch Alexander, der Akömet, ein syrischer Mönch des [258] 5ten Jahrhunderts, war so fromm und beredt, dass er einmal, als er auf einer Reise unter die Räuber gerieth, dieselben bekehrte und sogar dahin brachte, ihr Raubnest in ein Kloster zu verwandeln. Er stiftete den Mönchsorden der Akömeten oder Schlaflosen, die mit einander abwechselnd Tag und Nacht ununterbrochen Loblieder auf Gott anstimmten. Helyot I. 294. Acta SS. 15. Januar. Desgleichen wurde der selige Petrus von Pisa, ein Eremit des 14ten Jahrhunderts, von Räubern überfallen, bekehrte sie aber und bewog sie, bei ihm zu bleiben und Mönche unter ihm zu werden. 17. Juni.

In andern Legenden tritt dagegen die Räubernatur in ihrer ganzen Bösartigkeit und Unzähmbarkeit hervor und contrastirt damit die Reinheit der Heiligen. St. Colomanus, ein Irländer, wollte als Pilger zum heiligen Grabe wandern, wurde aber unterwegs im Oesterreichischen für einen fremden Kundschafter genommen und zwischen zwei Räubern aufgehenkt (im Jahr 1012). Seine Heiligkeit aber gab sich dadurch zu erkennen, dass sein Leib unversehrt blieb, während die beiden andern von den Raubvögeln verzehrt wurden, und dass der Baum, an dem er hing, mitten im Winter grünte und blühte. Solches geschah zu Stockerau, von wo aber der Leichnam nach Mölk erhoben und über ihm eines der grössten Klöster der Welt gebaut wurde. — St. Gudwalus, Bischof in England im 7ten Jahrhundert, bewirkte durch sein Gebet, als er unter Räuber fiel, dass diese sich alle unter einander selbst ermorden mussten. 6. Juni. St. Chariton wurde von Räubern gefangen, aber eine Schlange kroch in das Weingefäss derselben und vergiftete sie alle, wodurch der Heilige gerettet wurde. Surius zum 28. September.

Wie nahe in der menschlichen Natur die Verthierung zum Räuber und die Erhebung zum Heiligen in einem Ausgangspunkte sich berühren, hat der Spanier Tirso de Molina in einem merkwürdigen geistlichen Schauspiel gezeigt, wie man denn in den spanischen Autos und geistlichen Dramen die sinnreichsten Ausdeutungen der Legenden findet. Er handelt vom Einsiedler Paulus. Dieser Fromme träumt einmal [259] vom jüngsten Gericht und dass er selbst unter den Verdammten sey. Da erwacht er höchst erschrocken, überlegt aber, wie wenig er bei seiner grossen Frömmigkeit eine solche Strafe verdient habe und zweifelt einen Augenblick an Gottes Gerechtigkeit. Da ersieht der Teufel sogleich seinen Vortheil und beschleicht ihn in Engelsgestalt, indem er ihm verkündet, in Neapel lebe ein gewisser Enrico, dessen Loos genau sein eignes seyn werde, an diesem also könne er sich spiegeln. Paulus begibt sich sofort nach Neapel und findet in jenem Enrico den gröbsten Sünder, wie er eben die wildesten Orgien feiert. Dieser muss verdammt werden, denkt Paulus, also auch ich, und wenn ich doch einmal verdammt seyn soll, wozu nützt mir das heilige Leben? Er geht nun zwar in die Wüste zurück, aber nicht mehr, um zu beten, sondern um sich an die Spitze einer Räuberbande zu stellen. Nun treibt er es so toll und noch toller wie Enrico. Der Letztere aber, von dem Gerichte verfolgt, hat sich in’s Meer gestürzt und schwimmt an das Ufer, wo Paulus mit seiner Bande haust. Paulus erkennt ihn und will sein alter ego prüfen, lässt ihn daher an einen Baum binden, Pfeile auf ihn zielen und ermahnt ihn unter den Schrecken des Todes zur Busse. Aber Enrico lästert Gott und trotzt dem Tode. Da bindet ihn Paulus wieder los und erzählt ihm seine Geschichte. Beide setzen ihr wildes Leben fort, aber Enrico hat mitten unter Lastern eine Tugend bewahrt, Treue und Ehrfurcht vor seinem Vater. Als er nun den Gerichten in die Hände fällt, und der Teufel ihn befreien will um seine Seele, wird er auf einmal fromm, übergibt seine Seele Gott, lässt sich hinrichten und wird von Gott begnadet. Paulus aber versinkt immer tiefer in Greuel, lässt sich auch durch eine Erscheinung Enrico’s nicht warnen und wird endlich vom Teufel geholt. v. Schack, span. Drama II. 603. Eine tiefsinnige Lehre: Der kleinste Fehler führt den Frömmsten in’s Verderben; die geringste Aeusserung einer guten Gesinnung kann auch den Lasterhaftesten noch retten.