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Moses

bezeichnet die geistige und ideale Seite des Judenthums, wie Abraham die leibliche; daher vorzugsweise in ihm die prophetische Mission des Judenthums sich ausspricht als Vorbereitung zum Christenthum, des alten Testamentes als Knospenhülle des neuen. Vermöge eines uralten Herkommens wird Moses auch in Bildwerken als ein idealisirter Abraham aufgefasst, ein starker, grosser Mann, athletisch und mit mächtigem Barte wie jener, aber von viel mehr Feuer und Geist, von viel mehr Hoheit. Insbesondere ist er durch den sittlichen Zorn ausgezeichnet, der aus seinen Augen blitzt. Es ist etwas Bewegtes, höchst Energisches und wie Flammendes an ihm. So fasste ihn Michel Angelo auf in der berühmten Kolossalstatue in S. Pietro in vinculis zu Rom. Beschreibung [142] von Rom III. 2. 234. Wessenberg, christl. Bilder II. 529. Der Letztere sieht mit Recht darin das Urbild eines Propheten überhaupt. Auf Bildern werden öfters, zumal in alten Kirchenbildern, die Lichtstrahlen (2. Mos. 34, 30. 2. Könige 3, 7.) in Mosis Augen sichtbar ausgedrückt und als Hörner aufgerichtet. Auf jüngeren Bildern kommen auch förmliche Thierhörner statt derselben vor. Auf sehr alten Bildern erscheint Moses noch unbärtig. Waagen, Paris 229.

Attribute des Moses sind, ausser jenen Augenstrahlen oder Hörnern, die beiden steinernen Tafeln des Gesetzes. Vgl. den Artikel Tafel; ferner der Stab. Auf den alten Katakombenbildern ist er immer durch diesen Stab bezeichnet, mit dem er die Quelle aus dem Felsen schlägt. Zuweilen kennzeichnet ihn auch die Schlange. Neuere Ausleger haben seinen Schlangenstab mit dem des Aesculap oder gar seine Schlange und die grosse Traube des Kaleb mit Attributen des Dionysos verglichen, was völlig unvernünftig ist, da dem griechischen Heidenthum nichts so scharf und schroff verschieden gegenübersteht, als gerade Moses und Mosaismus. — Dass übrigens auch schon in sehr früher Zeit die Combinationslust Unziemliches gewagt, geht aus einem Miniaturbild der Herrad von Landsberg in Strassburg hervor, auf dem ein Leib mit zwei Köpfen, dem des Moses und Christus, die beiden Testamente oder die ganze heilige Schrift versinnbildlichen soll.

Moses ist allerdings eine Personification des alten Testamentes, wie Christus die des neuen, daher man beide zuweilen in diesem Sinne neben einandergestellt findet. Moses bezeichnet aber nur die ideale Seite des alten Judenthums. Er steht nicht wie Abraham, der Urpatriarch, mitten in seinem Volk, sondern als der Urprophet gegenüber und über diesem Volk als Träger einer höheren Mission. Er, das ihm von Gott auf dem Sinai überantwortete Gesetz, sein Geist und Wirken, der Mosaismus war es, der nicht als das Judenthum an sich, sondern als die demselben von oben eingeprägte höhere Signatur dem Christenthum zur welthistorischen Vorbereitung diente. [143] Auf diese Weise wurde das alte Testament in tausendfachen Zügen eine Prophezeihung und ein Vorbild des neuen, und Moses selbst ein Vorbild Christi. Moses fand sein Volk in tiefer Sklaverei unter fremder Herrschaft, eben so Christus. Pharao liess bei Mosis Geburt die jüdischen Knaben umbringen, eben so Herodes bei Christi Geburt. Moses bereitete sich zu seiner Sendung als Flüchtling vor, eben so Christus in der Wüste. Im feurigen Busch offenbarte sich Gott zuerst dem Moses, eben so in der unbefleckten Empfängniss, deren Symbol jener Busch geworden ist. Mit der Kraft Gottes überwand Moses die ägyptischen Zauberer, eben so Christus die Schriftgelehrten und Pharisäer. Die Plagen Aegyptens waren Vorbilder der letzten Plagen vor dem Weltgericht, wie die Offenbarung Johannis sie beschreibt. Der Auszug der Kinder Israel aus Aegypten ist das Vorbild aller christlichen Pilgerschaft auf Erden. Der Durchgang durch’s rothe Meer war ein Vorbild der Taufe wie der Auferstehung. Der Untergang Pharao’s und seiner Schaaren ein Vorbild der Verdammniss. Die eherne Schlange, die Moses aufrichtete, ein Vorbild des Kreuzes. Die Quelle, die er aus dem Felsen schlug, ein Vorbild des heiligen Blutes Christi, am Kreuz vergossen zur Erlösung der Menschen. Das vom Himmel gefallene Manna ein Vorbild des Brodtes im heiligen Abendmahl. Der blühende Stab Aarons ein Vorbild des blühenden Stabes Josephs. Die Verklärung Mosis auf dem Sinai das Vorbild der Transfiguration. Alle diese Bilder aus dem alten Testament werden daher sehr oft in unmittelbare Verbindung gebracht mit den ihnen entsprechenden Bildern aus dem neuen Testament und gewöhnlich in kleinerem Maassstab denselben[WS 1] zur andächtigen und sinnigen Vergleichung beigesellt. Dies geschieht in der griechischen Kirche noch regelmässiger und in noch bestimmteren hergebrachten Typen, von denen nicht abgewichen werden darf, als in der römischen.

Ueberhaupt kommen Bilder aus dem alten Testament in der griechischen Kirche öfter vor, als in der römischen, weil die erstere den Patriarchen und Propheten gleichen Rang [144] zuerkennt mit den christlichen Heiligen und sie daher auch als Altarbilder gebraucht mit Vorsetzung des Sanctus. So findet man in griechischen Kirchen häufig den heiligen Moses als Altarbild. In früheren Jahrhunderten des Mittelalters war dies auch in Frankreich der Fall. Vgl. Didron, annales III. 108.

Auf dem Sinai haben sich noch Erinnerungen an Moses lebendig erhalten. So sollen die Mönche im Kloster am Sinai noch ein geheimnissvolles Buch besitzen, das Moses zurückgelassen, von dessen Auf- und Zuschlagen der Regen in der Gegend abhängen soll. Von gewissen Detonationen des Windes glaubt man, es sey Mosis Geist, der, vom Sinai hinabsteigend, über Meer fliege und den geliebten Bergen sein Lebewohl sage. Ritter, Erdkunde XIV. 238. Man zeigt an einem Felsen noch den Abdruck von Mosis Rücken. Hier ging der Herr an ihm vorüber, er bückte sich und stiess, als er sich wieder erhob, an den Felsen an. Das. 582. Auch des Mosis Quelle ist noch zu sehen, ein weisser Feldspathgang, der den rothen Granit durchsetzt. Das. 601. Alle Stellen, wo Moses gewandelt, sind heute noch im Orient den Christen, Juden und Muhamedanern heilig.

Die jüdische Tradition nennt des Moses Vater Amram, seine Mutter Jochebeth. Die Muhamedaner haben die Fabel noch weiter ausgesponnen. Da ist schon die Zeugung des Moses von Wundern begleitet. Dem Pharao wird geweissagt, ein in einer gewissen Nacht gezeugtes Judenkind werde ihm zum Verderben gereichen. Nun lässt er desselben Tages alle Juden zu einem Feste zusammenkommen, damit sie von ihren Weibern getrennt sind. Nur Amram, sein treuer Thürhüter, bleibt im Pallast und zu ihm kommt seine Frau. Im Augenblick, in welchem Moses gezeugt wird, erscheint ein strahlender Stern am Himmel, Israels Rettungsstern. Pharao wüthet vergebens. Noch hofft er, das gefährliche Kind, sobald es geboren, zu verderben, und befiehlt, zur bestimmten Zeit alle Judenknaben umzubringen. Die Schergen dringen in Amrams Haus. Da wirft die Schwester des neugebornen [145] Moses diesen in der Angst in's Feuer des Heerdes. Als die Mutter kommt, liegt das Kind lächelnd da und spielt mit den Flammen. Nun die Aussetzungs- und Findungsscenen. Die Tochter Pharao's behält das Kind im Pallast, und der alte Pharao selber hat seine Freude daran, der kleine Moses sitzt oft auf seinem Schooss, zaust ihn aber beim Barte und stösst ihm die Krone vom Haupte. v. Hammer, Rosenöl I. 78 f. Weil, bibl. Legenden S. 126 f. Ein Bild, wie Moses Pharao's Krone mit Füssen tritt, von Nik. Poussin[WS 2] in England. Waagen, England I. 505.

In diesem Gegensatz des Moses gegen das heidnische Königthum liegt ein Gedanke, der für die ganze Weltgeschichte von hoher Bedeutung ist. Im Uebrigen ist die jüdische und muhamedanische Legende in Bezug auf Moses in so alberne Ausschweifungen und Uebertreibungen gerathen, dass man vom christlichen Standpunkt ganz davon absehen darf.

Der Gegensatz des von Moses verkündeten Gottesreiches (Theokratie) gegen das heidnische Königthum spricht sich hauptsächlich und durchgängig im Gesetz Mosis und in der Einsetzung des Priesterthums aus. Alles im Gesetz und Cultus der mosaischen Juden ist auf Gottesfurcht gebaut. Ein so tiefer Ernst in der Nähe Gottes, ja beim blossen Gedanken an Gott war keinem andern Volk des Alterthums eigen, in deren Dogmen und Culten vielmehr immer etwas Spielerei sich einmischt. Die Gottesfurcht aber war schon alt unter den Juden, schon von Abraham her dem Volk tief eingeprägt. Aber das Gesetz vom Sinai, die theokratische Verfassung des Volkes Gottes und der von Moses gegründete Priesterstand waren etwas Neues. Sie sollten die Zukunft verbürgen; die alleinherrschende Priesterschaft sollte das Aufkommen weltlicher Könige verhüten. Niemand als Jehovah im Himmel sollte König seines auserwählten Volkes seyn. Das ist der Grundgedanke der mosaischen Gesetzgebung, und einer der tiefsten Gedanken, die je geschöpft wurden. — Moses war ein Prophet, unmittelbar von Gott erweckt; aber solche Erweckungen waren [146] etwas Seltenes, seit Abraham, Jakob, Joseph war keiner mehr von Jehovah der Ansprache gewürdigt worden. Zudem war inzwischen das Volk viel grösser geworden. Ein erblicher Priesterstand schien also die heiligen Traditionen am sichersten bewahren und das Volk leiten zu können. Was der Prophet nur einmal in Zeiten der Krise auf ungewöhnliche Weise leisten konnte, sollte der Priester nun zu allen Zeiten und gewöhnlich leisten. Wie aber dem Propheten der Geist Gottes allein genügte, so musste dem Priester das geschriebene Gesetz zur Richtschnur und Waffe gegeben werden.

Im mosaischen Gesetz offenbart sich vorherrschend die Gerechtigkeit für das Zeitliche, während in dem christlichen Evangelium die Liebe zum Ewigen führt. Jenes Gesetz ist das harte, stachlige Kelchblatt, aus dem die zarte Blume des Christenthums hervorbrechen sollte.

In dem mosaischen Gesetz kommen eine Menge Bestimmungen vor, die uns Christen jetzt zu hart scheinen, die gleichwohl damals nöthig waren. Das Christenthum hat die Offensive ergriffen, um alle Völker der Erde in sich zu vereinigen. Das Judenthum hatte in ängstlicher Defensive sein heiligeres und reineres Princip zu schirmen, um nicht im Heidenthum unterzugehen. Daher die vielen Absonderungs- und Reinigungsgesetze, die darauf berechnet waren, das Volk vor jeder Berührung mit den Heiden, ihrem Cultus und ihren Sitten zu hüten. Viele andere Gesetze Mosis erscheinen uns fremdartig oder unnütz, während sie für das südliche Klima wohlberechnet waren und zum Schutz der Gesundheit dienen sollten. Das Princip ihres Criminalcodex: „Aug um Aug, Zahn um Zahn,“ erscheint uns freilich hart, allein ehe mit Christo die Liebe in die Welt kam, musste die Gerechtigkeit dem Uebel steuern. Rauhere Zeiten und Gemüther verlangten rauhere Gesetze. Doch fehlt dieser Rauhigkeit auch ein milder Gegensatz nicht. Wenigstens innerhalb des jüdischen Volkes selbst musste zu gewissen Perioden Alles vergeben und vergessen seyn. Das Halljahr, oder je das 50ste Jahr, [147] sollte Alles, was verworren war, wieder entwirren, alles Alte verjüngen, jede Schuld von selber tilgen etc.

Dieses nur für die Juden berechnete Gesetz ist natürlicherweise von den Christen aufgegeben worden. Die Christen schienen seiner nicht zu bedürfen, weil für sie eigentlich jedes Jahr ein Halljahr seyn soll; weil die christliche Gemeinde zu jeder Stunde so brüderlich handeln soll, wie die Juden nur an jenem Halljahr zu handeln verpflichtet waren, wie der Christ nicht mehr in der Zeitlichkeit, sondern schon in der Ewigkeit leben soll.

Mit der periodischen Sühne und Reinigung des Hauses Israel hängen auch sehr genau die beiden Sühnopfer des Sündenbocks und der rothen Kuh zusammen. Auf einen Bock wurden (3. B. Mos. 16.) alle Sünden Israels feierlich, durch eine allgemeine Nationalbeichte niedergelegt, und der Bock dann in die Wüste getrieben. So glaubte das Volk seiner Sünden los zu werden. Dieser Sündenbock ist das bedeutungsvolle Vor- und zugleich Gegenbild des Lammes Gottes, das der Welt Sünde trägt. Die rothe Kuh (4. Buch Mos. 19.) galt ebenfalls als Träger aller Unreinigkeiten in Israel und wurde geopfert, dass mit ihr alle Unreinigkeit getilgt werde. Sie scheint das Sinnbild des Götzendienstes gewesen zu seyn, wie das goldne Kalb.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Berichtigung Band II. In der Vorlage: „derselben“
  2. Berichtigung Band II. In der Vorlage: 'Poissin'