Christliche Symbolik/Lilie
Die weisse Lilie ist ein Sinnbild der Unschuld und Seelenreinheit, daher der Jungfräulichkeit, und vorzugsweise ein Attribut der heiligen Jungfrau. Auf Bildern der Verkündigung trägt der Engel Gabriel, indem er der heiligen Jungfrau das Heil verkündet, durchgängig auf Kirchenbildern einen weissen Lilienstengel. Auf altdeutschen Bildern ist auch oft neben die Jungfrau ein Glas mit einem Lilienstengel gestellt, so dass man durch das Glas Stiel und Blätter sehen kann, ein Sinnbild, das sich auch in dem durch Glas, ohne dasselbe zu verletzen, dringenden Sonnenstrahl wiederholt und die unverletzte Jungfrauschaft bedeutet. Denselben Sinn haben die Lilien ohne Staubfäden auf einem Bilde der Verkündigung. Waagen, über van Eyk S. 236. Auch hat man die Stelle des Hohenliedes: „Wie eine Lilie unter den Dornen ist meine Freundin unter den Töchtern,“ auf die unbefleckte Jungfrau bezogen. Vgl. den Artikel Jungfrau. Maria wird mit der Lilie verglichen in Wackernagels Kirchenliedern Nr. 123. Man hat noch ein altschwedisches Lilienlied auf die heilige Jungfrau von Eystein. Vgl. Studach, schwed. Volksharfe S. 182. Der Ritterorden von der Lilie wurde gestiftet, als man in einer aufgeblühten Lilie ein kleines Marienbild fand, dessen wunderthätige Kraft den kranken König von Navarra heilte. Gumppenberg, marian. Atlas Nr. 589. Aus dem Munde des Wilhelm von Montpellier blühte durch das Grab hindurch eine Lilie, worin die Worte: [32] Ave Maria zu lesen waren. Attribute der Heiligen S. 7. Salaür, ein Blödsinniger, lebte halbnackt im Walde und sprach nie ein Wort als Ave Maria. Seine Seele war so voll von Liebe zur heiligen Jungfrau, dass er sich voll Lust auf Baumzweigen wiegte und das Ave dazu sang. Aus seinem Grabe spross eine Lilie, auf deren Blättern stand Ave Maria. Kellers bretagn. Volkslieder S. 242. Clemence de Isaure von Toulouse gründete jeux floreaux, bei denen eine silberne Lilie zum Preis für das schönste Marienlied ausgesetzt wurde.
Besondere Berühmtheit als Mariensymbole erlangten die drei Lilien des heiligen Aegidius. Derselbe wird insonderheit verehrt in Frankreich, wo er St. Gilles heisst. Er lebte im 7ten Jahrhundert als Einsiedler und wurde im Walde von einer Hindin genährt, daher auch eine solche sein Attribut ist. Gewöhnlich malt man sie mit einem Pfeil im Leibe, weil sie so, von einem Jäger verfolgt, zu ihm floh und auf diese Weise seine Einsamkeit entdeckt wurde. Man rechnet ihn zu den vierzehn Nothhelfern und macht ihn zum Patron der ehelichen Fruchtbarkeit. Unter seinen Wundern ist das berühmteste das, wodurch er die Mütterlichkeit der heiligen Jungfrau erklärte. Er lebte eine Zeitlang als Gärtner, da kam ein Mönch zu ihm, der an der Möglichkeit zweifelte, dass die Jungfrau nach der Empfängniss habe Jungfrau bleiben können. Aegidius aber schrieb drei Fragen in den Sand, ob die heilige Jungfrau vor, in und nach der Empfängniss gleich jungfräulich geblieben sey? und jede Frage wurde entsprechend durch eine weisse Lilie beantwortet, die plötzlich aus dem dürren Sande wuchs. Smets hat diese Legende in seinen Gedichten S. 72 versificirt. Eine sehr schöne altgothische Kirche hat der Heilige zu Braunschweig. Im alten Rolandsliede, das Grimm herausgab, begleitet der heilige Aegidius Karl den Grossen und Roland in den Kampf in Spanien und verzeichnet nachher die Geschichte desselben (dasselbe, was nach der ältern Quelle Erzbischof Turpin thut). Auch hat man ein altdeutsches Gedicht aus dem 12ten Jahrhundert vom heiligen Aegidius, Archiv für westphäl. [33] Alterthumskunde 1826 II. Ein schönes Bild des Heiligen mit der Hindin von Hemling befindet sich in Brügge (Burkhardt, belgische Städte S. 158). Soviel von diesem Lilienheiligen.
Der blühende Stab Josephs wird in Kirchenbildern häufig als Lilienstengel aufgefasst, um seine jungfräuliche Ehe mit Marien zu bezeichnen. Auch Johannes der Täufer hat öfters die Lilie bei sich, weil er als Prediger in der Wüste im Cölibat lebte. Als Symbol der Keuschheit und Seelenreinheit ist die Lilie auch Attribut des heiligen Franciscus, des h. Anton von Padua, des h. Aloysius Gonzaga, des h. Norbert, der h. Gertrudis und vieler andern Heiligen. Eine Lilie mit der Lampe[WS 1] des Albertus Siculeus. Drei Lilienstengel des Faustinus und Simplicius. Lilien und Rosen fielen aus dem Munde des heiligen Angelus. Lilien wuchsen aus dem Grabe des heiligen Marianus, des Vitalis in Salzburg, drei aus dem Grabe des heiligen Einsiedlers Euseus, eine wurde in der Hand der todten heiligen Francisca gefunden; eine wuchs aus der Hirnschale des im Walde unbegraben liegenden heiligen Primus. Valvasor, Krain II. 558. Eine Lilie auf der Weltkugel ist Attribut der heiligen Kaiserin Kunigunde. Fiorillo I. 237. Auch die Engel tragen in unzähligen Kirchenbildern Lilien in den Händen als Sinnbild ihrer Engelreinheit. Die keusche Susanna heisst wörtlich Lilie (shushan). Sehr schön ist der Hymnus ad SS. virgines:
O digna lilietis,
caterva coelicis,
Quae vivis in viretis
sponsique pascuis.
Nix cana liliorum
albente vellere
et lac eburque florum
te vestit undique.
Und in dem Hymnus Jesu, corona virginum:
Qui pergis inter lilia
septis choreis virginum
sponsus decorus gloria.
[34] Auf Bildern des Weltgerichts hat Christus als Richter häufig im rechten Auge einen Lilienstengel gegen die Seligen, im linken ein Schwert gegen die Verdammten gerichtet. So auf dem berühmten Bilde in Danzig, desgleichen auf dem des Roger von Brügge zu Beaume, auf dem Bilde hinter dem Altar im Ulmer Münster, auf einem im Schlosse Baldern (Kunstbl. 1847, S. 14). Auch auf einigen jüngsten Gerichten von A. Dürer. Vgl. Heller II. 2. 600. und 781. — Am Sakramentshäuschen des Ulmer Münsters kommen zwei Päpste vor mit Tiaren, die nicht in drei Kronen abgetheilt sind, sondern einen ganzen Wald von Lilien aufthürmen.
In einem Hymnus des heiligen Bonaventura wird die fromme Seele eine „Lilie des öden Thales“ genannt (Fortlage, christl. Gesänge S. 253), was ziemlich mit der Lilie unter den Dornen übereinstimmt. — Die Lilie, die im Chorstuhl des Klosters Corvey gefunden wird, wenn der gewöhnliche Inhaber des Stuhls sterben soll (Grimm, deutsche Sagen Nr. 263.), was sich in Hildesheim und Breslau wiederholt (Gödsche, Sagenschatz S. 23), bezieht sich nicht nur auf die jungfräuliche Reinheit des Klosterlebens, sondern ist wohl auch Sinnbild der Wiedergeburt. In südlichen Ländern blühen die Lilien schon im Frühling, daher die merkwürdige Darstellung auf einem altchristlichen Bilde in den römischen Katakomben, auf welchem in der Mitte Christus als guter Hirte steht, in den vier Ecken aber die Jahreszeiten allegorisch abgebildet sind. Hier ist nun der Frühling ein Knabe mit drei Lilien und einem Lämmchen, weil im Frühling die Lilien blühen und die Lämmer auf die Weide gehen. Aringhi I. 389. Bottari, tav. 48.
Die schöne Kelchform der Lilie dient auch häufig in der kirchlichen Ornamentik, bei den Abendmahlskelchen, bei Taufbecken, als Kanzel, z. B. zu Freiberg in Sachsen. Als Säulenknauf des idealen salomonischen Tempels, als Lichtträger im siebenarmigen Leuchter etc.
Die Lilien auf dem Felde, die nicht arbeiten, noch spinnen, und die doch von Gott gekleidet werden (Matth. 6, 28. [35] Luk. 12, 27.), sind nur Stellvertreter für alle Blumen, an denen sich Gottes Güte eben so erweist.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Berichtigung Band II. In der Vorlage: „ist eine Lanze“