Christliche Symbolik/Johannes der Täufer
Personification des Judenthums oder alten Testamentes, so weit in ihm die Vorstufe zum Christenthum gegeben ist. Der letzte unter den jüdischen Propheten und der erste, der im Messias nicht mehr nach altjüdischer Vorstellung den ausschliesslichen Judenpatron, sondern das Lamm Gottes verkündete, das aller Welt Sünde trägt. Die tiefste Eigenthümlichkeit im Charakter Johannes des Täufers liegt darin, dass er dem Heiland näher steht, als jeder andere Jude, und dann doch wieder in die äusserste Ferne zurücktritt, in der das Judenthum sich vom Christenthum scheidet. Sofern der Täufer in der Wüste die Menschen meidet, Christus sie aber aufsucht, hat man die Ausschliesslichkeit des Judenthums unter jenem, die Humanität des Christenthums unter diesem verstanden. Zugleich wird Johannes in der Wüste Vorbild der Ascese, die in ihrer Härte von Christo nicht gebilligt wird, Matth. 11, 18. Luk. 7, 33. Johannes ist gleichsam die rauhe Schale des süssen Kernes Jesu. Durandus (rationale offic. VII. 14.) nennt ihn das Ende des alten, den Anfang des neuen Testaments und gleichsam den Angel zwischen beiden. Doch ist bei ihm mehr Vor- als Rückblick, daher ihm auch Eyck auf dem Genter Altar einen grünen Mantel gab (die Farbe der Hoffnung).
Attribute des Täufers sind das Thierfell und der Gürtel. Gewöhnlich stellen ihn die Maler als Wüstenbewohner halbnackt und von der Sonne verbrannt, bräunlich und mit verwilderten Haaren dar. Diese geniale Wildheit ist auf's Vollkommenste idealisirt worden von Raphael. Auf dessen Bild in Florenz sitzt der Täufer als ein brauner, schöner, dichtumlockter Jüngling in einer Felskluft an einer Quelle, ein Tigerfell leicht umgehangen. Da erblickt er an dem einfach aus zwei Rohrstäben zusammengebundenen Kreuze einen Lichtschein, ein St. Elmsfeuer, und hohe Begeisterung erfasst ihn, sein Auge glüht in tiefer Sehnsucht, sein Mund öffnet [446] sich unwillkührlich zur Weissagung. Sein Gegenbild ist die büssende Magdalena in der Wüste, gleichfalls in genialer Wildheit von ihrem Haar umwallt. Aber Johannes büsst auf ganz andere Art, als Magdalena, nicht als Sünder, mit Reue hinter sich blickend, sondern als der sich vorbereitet zu grossen Dingen, vorwärts schauend.
Sehr oft ist Johannes vom Lamme begleitet, weil er auf den Heiland mit den Worten hinwies: „Siehe, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt.“ Eine Statue des Täufers zu Chartres aus dem 13ten Jahrhundert trägt in der Hand eine grosse Scheibe, in der sich das Lamm mit der Siegesfahne zeigt (agnus Dei). Didron, ic. p. 328. Spätere Maler gaben ihm das Lamm zur Seite und gefielen sich besonders, den Täufer im Knabenalter mit einem Lamm spielen zu lassen, was des erhabenen Gegenstandes nicht ganz würdig ist. Nur dem naiven Kinderglauben sind solche Spiele gestattet, z. B. die Neugier, am Johannistage in der Sonnenscheibe das Bild eines Lammes, zu sehen, Wolf, Beitrag zur deutschen Myth. I. 191.
Attribut des Täufers ist auch das Beil wegen Matthäus 3, 10: „Es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt.“
Das Haupt des Täufers in der Schüssel (Wappen der Stadt Breslau) hat einen eigenen Sagenkreis, der jedoch nur christianisirte heidnische Vorstellungsweisen zu enthalten scheint. Vgl. den Artikel Herodias.
Das Johannisfest (zum Gedächtniss der Enthauptung des Täufers) fällt in die Sommersonnwende, das Geburtsfest Christi in die Wintersonnwende, nach Joh. 3, 30: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Mit Johannes nahm die Sonne des alten Jahres (der jüdisch-heidnischen, vorchristlichen Periode) ab, mit Christus stieg die Sonne eines neuen Weltjahrs auf. Vgl. Durandi rat. off. VII. 14. — Originell ist die Legende bei Origenes, homil. in 1. Reg. 28, derzufolge Johannes, als er nach seinem Tode in den Hades kam, daselbst den Todten eben so den Heiland predigte, wie im Leben den Lebendigen. Prediger in der Wüste oben [447] und unten. Die Scene ist dargestellt auf einem alten Bild in Siena. Kunstblatt 1827, S. 208.
Auch noch im Himmel vertritt Johannes der Täufer das alte Testament, das Gesetz im Gegensatz gegen das neue Testament und die Gnade. Auf altdeutschen Bildern des Weltgerichts, z. B. auf dem berühmten Genter Altar und auf vielen andern steht dem richtenden Heiland zur Rechten dankend für die Seligen Maria, zur Linken fürbittend für die Verdammten der Täufer.
An das grosse Johannesfest (24. Juni) knüpfen sich eine Menge Volksgebräuche, die zum Theil aus der frühern heidnischen Feier der Sommersonnwende herstammen. Man glaubte, in der Johannisnacht, der kürzesten im Jahre, von wo an die Nächte wieder länger werden und die unterweltlichen Mächte mit der Finsterniss der Natur Meister werden über die oberweltlichen des Lichts, seyen die Felder, die Brunnen, das Vieh, die Menschen selbst schädlicher Bezauberung durch die frei gewordenen Dämonen ausgesetzt, wogegen nur das heilige Feuer schützen könne. Man zündete daher in der Johannesnacht auf Bergen grosse Feuer an, die man durch Hineinwerfen von heiligen Kräutern weihte, durch die man das Vieh jagte, die Menschen selbst hindurchsprangen, von denen man ferner Brände nahm und durch die Felder trug, oder an denen man feurige Räder entzündete und über den Berg hinab, gewöhnlich in einen Fluss laufen liess. Das Heidnische in diesen Gebräuchen ist in Grimms deutscher Myth. 582 f. erörtert und gehört nicht hieher. Durandus (rat. off. VII. 14.) berichtet, die Heiden hätten den Leichnam des Täufers verbrannt, und zum Andenken daran werden im Johannesfeuer alte Knochen, Schuhe, Besen etc., alles Unreine vom letzten Jahre verbrannt, der Rauch davon aber vertreibe die in der Luft umfliegenden Drachen. Durandus selber fügt hinzu, es sey hier eine alte heidnische Sitte nur in den christlichen Gebrauch übergegangen.
Der Täufer fand besondere Verehrer, die an seinem grossen Feste gemeinschaftlich aus einer grossen Schüssel [448] mit Honig gebratene Heuschrecken assen. Michaelis, oriental. Bibliothek XV. 145. Eine Menge Länder und Städte machten ihn zu ihrem Schutzpatron. Insbesondere ist er Patron der Lämmer, der Schneider (weil er sich sein Kleid aus Fellen selbst machte) und der Maurer (weil er die ersten Steine zum Bau der unsichtbaren Kirche herbeitrug). Als Patron der Maurer gilt er auch jetzt noch sehr hoch bei den Freimaurern, deren hohes Fest auf seinen Tag fällt. In Rom gehört ihm die älteste Kirche, der Lateran, wenn auch die grösste dem heiligen Petrus zukommt.
Auf einigen Bildern sind Johannes der Täufer und der Evangelist zusammengestellt. Von Hemling (Schnaase, niederländ. Briefe 355.), von Altdorfer in Regensburg (v. Rettberg, Briefe 165.), von van Dyck in Berlin (Kugler I. 221. Waagen, Cat. 199.). Hieher gehört auch die reizende Dichtung des Heinz von Constanz. Zwei Nonnen stritten sich, welcher der beiden Johannes der vornehmere sey. Nachdem sie alle Tugenden derselben auseinandergesetzt, und jede den Sieg behauptete, erschien im Traume jeder ihr Heiliger und belehrte sie, der andere sey der bessere. Nun kamen des Morgens die Nonnen wieder zusammen, knieten vor einander nieder und baten einander ihren Irrthum ab. Rosenkranz, deutsche Poesie S. 193.
Grossen Ruhm erlangte die lateinische Hymne auf den Täufer, verfasst vom bekannten longobardischen Geschichtschreiber Paul Warnefried, weil die Anfangssilben der vier ersten Zeilen zu Benennungen der sieben Töne der Tonleiter gewählt wurden (ut, re, mi, fa, sol, la):
Ut queant laxis
Resonare fibris
Mira gestorum
Famuli tuorum;
Solve polluti
Labii reatum,
Sancte Johannes.
Im Uebrigen wird in dieser Hymne nur das Geburtswunder des Täufers gepriesen. Vgl. Königsfeld, Hymnen S. 86. [449] Der Johannisbrodbaum soll so heissen, weil aus dem vorher unfruchtbaren Baume plötzlich essbare Schoten wuchsen, um Johannes in der Wüste zu nähren. Desgleichen die Johannisbeeren, weil sie wuchsen, als der Täufer einmal auf Dornen eingeschlafen war und den Dorn mit seinem Blute geröthet hatte. Fürst, Gartenzeitung 1828, Nr. 24. Wobei zu bemerken ist, dass die Johannisbeere um Johanni reift und sich an Hecken gerne zur Christbeere gesellt, wie Johannes zu Christus. — Das Johanniswürmchen (der Glühwurm) soll leuchtend geworden seyn, nachdem es einmal in der Wüste vom Täufer in die Hand genommen und auf eine Blume gesetzt worden, damit es nicht zertreten würde. Legenden von Pocci 178. Dietrich, Bragur VI. 45.